:: 8/2017

Führt der Klimawandel zu einem Anstieg der »Hitzetoten«?

Zur Abschätzung der Sterbefälle aufgrund hoher Temperaturen in Baden-Württemberg

»Fordert der Klimawandel bald Tausende Hitzetote in Deutschland?«, so die Überschrift eines Artikels aus dem Jahr 20151. Tatsächlich kam das baden-württembergische Sozialministerium in einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie zu dem Ergebnis, dass bereits die sehr heißen ersten beiden August-Wochen 2003 zu rund 1 100 Sterbefällen allein in Baden-Württemberg geführt haben2.

Aber nicht nur extreme Hitze verursacht zusätzliche Todesfälle. Auch bereits ein relativ moderater Temperaturanstieg kann zu einer erhöhten Sterblichkeit führen3. Damit ist davon auszugehen, dass es »Hitzetote« nicht nur im »Jahrhundertsommer 2003« sondern auch in anderen Jahren gab. Im folgenden Beitrag wird deshalb ein Ansatz skizziert, mit dem die Zahl der Sterbefälle, in denen Wärmebelastung eine Rolle gespielt hat, für die vergangenen Jahre abgeschätzt werden soll. Darüber hinaus wird anhand der Ergebnisse der Todesursachenstatistik analysiert, welche Erkrankungen zu diesen vermehrten Todesfällen geführt haben. Zur besseren Einordnung des Umfangs der hitzebedingten Sterblichkeit wird zunächst der »übliche« jahreszeitliche Verlauf in der Sterblichkeit kurz dargestellt.

Sterblichkeit ist im Winter höher

Die Sterblichkeit der Bevölkerung unterliegt nicht unerheblichen saisonalen Schwankungen. Überdurchschnittlich viele Menschen sterben in den ersten Monaten eines Jahres sowie im Dezember, während im Sommer das Sterberisiko in der Regel geringer ist.

Die höhere Sterblichkeit im Winterhalbjahr wird im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenentzündungen bei ohnehin geschwächten Menschen erhöht ist4. Allerdings sei der Effekt der Kälte auf die Sterberate in den vergangenen Jahrzehnten geringer geworden, weil die Bevölkerung dem Wetter durch Heizungen und Klimaanlagen immer weniger ausgesetzt ist5. Dieser Sachverhalt lässt sich auch für Baden-Württemberg belegen: Die saisonale Sterblichkeit im Winter ist gegenüber den 1950er-Jahren zurückgegangen, die in der wärmeren Jahreszeit entsprechend angestiegen. Diese Aussage gilt allerdings nur bezüglich der jeweiligen prozentualen Verteilung der Sterbefälle innerhalb eines Jahres. Die Sterbeziffer, also die Zahl der Gestorbenen bezogen auf die Bevölkerung, ist dagegen in den vergangenen Jahrzehnten auch in den Sommermonaten gesunken.

Zahl der »Hitzetoten« kann nur geschätzt werden

Einerseits beschränkten sich bisher Studien zur erhöhten Sterblichkeit in Baden-Württemberg ganz überwiegend auf den »Jahrhundertsommer 2003«, andererseits kann aber bereits ein verhältnismäßig geringer Temperaturanstieg zu einer erhöhten Sterblichkeit führen. Daher soll versucht werden, die durch Hitze (mit)verursachten Todesfälle für alle Jahre des neuen Jahrtausends abzuschätzen. Abzuschätzen deshalb, weil zwar aus der Todesursachenstatistik die Zahl der Sterbefälle aufgrund von »Schäden durch Hitze und Sonnenlicht« verfügbar ist. Diese spiegelt aber nur einen sehr geringen Anteil der durch Hitze (mit)verursachten Todesfälle wider.

Der durchschnittliche, saisonale Verlauf der Sterblichkeit nach Todesursachen bestätigt, dass Wärmebelastung bei Sterbefällen mit den verschiedensten Todesursachen eine Rolle spielen kann, ohne dass dies in der derzeitigen, unikausalen Todesursachenstatistik ausdrücklich auftaucht. Nur in einer multikausalen Todesursachenstatistik wäre dagegen darstellbar, wie häufig beispielsweise Herz-Kreislauf-Krankheiten in Verbindung mit Austrocknung/Exsikkose (ICD 10-Kode E86) zum Tode geführt haben (siehe i-Punkt).

Ersatzweise wird deshalb mit Hilfe der verfügbaren Ergebnisse der amtlichen Sterbefallstatistik eine entsprechende Schätzung durchgeführt. Aus dieser Statistik sind Ergebnisse für die einzelnen Berichtsjahre differenziert nach Kalendermonaten verfügbar.

Von grundsätzlichen Überlegungen …

Zu der Ermittlung der erhöhten Sterblichkeit durch eine Hitzewelle wird die Anzahl der Verstorbenen meist mit derjenigen aus früheren Zeiträumen verglichen6. Ein solcher Ansatz greift jedoch zu kurz, da allein ein Anstieg der Gestorbenenzahl eines Jahres aufgrund des demografischen Wandels rein rechnerisch zu mehr »Hitzetoten« führen würde. In Baden-Württemberg war es beispielsweise so, dass die Zahl der Sterbefälle seit dem Jahr 2000 eine enorme Spannweite von über 16 000 aufwies (2004: 91 646; 2015: 108 066). Um diesen Einfluss sich ändernder Sterbefallzahlen im Zeitablauf zu eliminieren, sollte nicht auf die absoluten Sterbefallzahlen in den Sommermonaten, sondern auf die jeweiligen Anteile an allen Sterbefällen in einem Jahr zurückgegriffen werden.

Bei den erforderlichen Anteilsberechnungen sollten jedoch nicht alle 12 Kalendermonate berücksichtigt werden. Nicht zuletzt die saisonale Verteilung der Sterbefälle im Berichtsjahr 2015 hat gezeigt, dass es auch in den Wintermonaten deutliche Ausschläge nach oben geben kann, die – wiederum rein rechnerisch – dazu führen würden, dass die Anteile in den Sommermonaten entsprechend geringer ausfallen. Aus diesem Grund werden nur die Monate April bis November, die von Kälteeinbrüchen relativ selten betroffen sind, als Bezugsgröße zur Anteilsberechnung herangezogen.

Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich zwei Ansätze zur Schätzung der durch Hitze (mit)verursachten Sterbefälle denkbar:

  • Der Anteil der tatsächlichen Sterbefälle in den Sommermonaten eines Berichtsjahres an den Sterbefällen der Monate April bis November wird mit den entsprechenden Durchschnittswerten eines Referenzzeitraumes verglichen. Da aber in diesem früheren Zeitraum zweifelsohne auch Sterbefälle aufgrund hoher Temperaturen enthalten sind, liefert dieser Ansatz keine Schätzungen dafür, wie hoch die Zahl dieser Sterbefälle in einem Jahr lag. Vielmehr können die so erzielten Ergebnisse »nur« näherungsweise angeben, wie stark die Zahl der Hitzetoten in einem Jahr von den (unbekannten) Durchschnittswerten abweicht.
  • Alternativ kann versucht werden, die absolute Zahl der »Hitzetoten« zu schätzen. Hierzu könnten die Jahre gesucht werden, in denen es keine bzw. nur sehr wenige »Hitzetote« gab. Dies dürfte in denjenigen Jahren der Fall sein, in denen der Anteilswert eines Sommermonats in einem Referenzzeitraum am geringsten war. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Sterbefälle eines Sommermonats und denjenigen der Jahre, in denen es keine bzw. nur sehr wenige »Hitzetote« gab, würde mit der Zahl der »Hitzetoten« gleichgesetzt. Die Ergebnisse dieses Ansatzes würden eine Untergrenze für die geschätzte Zahl der Hitzetoten in einem Jahr darstellen.

… zum gewählten Ansatz

Da der zweite Ansatz den Vorteil aufweist, Schätzergebnisse zur absoluten Zahl der Sterbefälle aufgrund hoher Temperaturen und nicht nur die Abweichung von einem langjährigen Durchschnitt bereitzustellen, wurde dieser präferiert und wie folgt umgesetzt:

  • Als Sommermonate werden Juni, Juli und August angesehen7. Diese werden jeweils getrennt betrachtet, um nicht bei einer Durchschnittsbetrachtung einzelne, besonders warme Monate zu übersehen.
  • Um die geringsten Anteilswerte für die Sterbefälle in diesen Sommermonaten zu bestimmen, wurden als Referenzzeitraum die Jahre 1970 bis 2015 gewählt8. Der niedrigste Anteil an Sterbefällen in allen Juni-Monaten lag im Jahr 1992, in allen Juli-Monaten im Jahr 1977 und in den August-Monaten 1985.
  • Die Berechnungen der jährlichen »Hitzetoten« wurden ab dem Jahr 2000 durchgeführt. Das Vorgehen soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Den geringsten Anteil an Sterbefällen in den Juni-Monaten, gemessen an den Sterbefällen in den Monaten April bis November, gab es 1992 mit 11,7 %. Wäre dieser Anteil beispielsweise auch im Juni 2006 bei 11,7 % gelegen, hätte es in diesem Monat »nur« rund 7 000 Sterbefälle gegeben; tatsächlich waren es ca. 7 700. Etwa 700 Todesfälle dürften damit durch hohe Temperaturen mitverursacht worden sein.

Ergebnisse »passen« zu den Extremtemperaturen

Erwartungsgemäß wurde für den »Jahrhundertsommer 2003« die höchste Zahl an hitzebedingten Sterbefällen ermittelt, nämlich knapp 2 700; davon entfielen allein 1 800 auf den August 2003. Dieser Monat war – gemessen an der Durchschnittstemperatur – der zweitwärmste Monat seit Bestehen des Landes (21,7 Grad Celsius). Geringfügig wärmer war der Juli 2006 mit 21,8 Grad Celsius (°C). In diesem Monat wurden 850 Sterbefälle durch Hitze mitverursacht. Ebenfalls sehr hoch lag die Zahl der »Hitzetoten« vor allem im Juli 2015 sowie im August 2011, in denen die Temperaturen ebenfalls weit über dem langjährigen Durchschnitt lagen. 9 Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Modell zumindest die extremen Hitzemonate relativ gut abzubilden vermag.

Der klimatische Einfluss auf die Sterblichkeit ist komplex

Neben der Temperatur gibt es eine Fülle weiterer Faktoren, die die Sterblichkeit beeinflussen. So haben Studien gezeigt, dass das Gefährdungspotential durch Hitze sowohl von klimatischen Faktoren als auch von individuellen Risikofaktoren sowie von medizinischen und verhaltensbedingten Einflüssen abhängt10. Bei den klimatischen Faktoren ist aber nicht nur die reine Temperaturhöhe von Bedeutung. Aussagekräftiger ist vielmehr die sogenannte gefühlte Temperatur, welche unter anderem die Luftfeuchtigkeit11 und die Windverhältnisse berücksichtigt12. Darüber hinaus sind nicht nur Tagesdurchschnittstemperaturen bedeutsam, sondern auch die nächtliche Temperatur, da sie bei einer ausreichend tiefen Nachttemperatur eine entsprechende Abkühlung ermöglicht13.

Höhere Temperaturen zeigen auch deshalb keinen einfachen monokausalen Zusammenhang zur Zahl der »Hitzetoten«, weil berücksichtigt werden muss, wie sich die meteorologischen Verhältnisse in den Wochen vor der eigentlichen Hitzewelle entwickelt haben. Tritt die Hitze relativ früh im Jahr auf, führt dies häufig zu mehr Todesfällen als in späteren Phasen, da der Bevölkerung die Möglichkeit fehlt, sich kurzfristig an die steigenden Temperaturverhältnisse anzupassen14. Für den hier gewählten Schätzansatz ist zu bedenken, dass lediglich monatliche Durchschnittstemperaturen und damit nicht das Ausmaß der Temperaturschwankungen innerhalb eines Monats betrachtet wurden.

Das Wetter kann aber auch nicht nur direkt, sondern auch indirekt Einfluss auf die Gesundheit des Menschen haben, weil unter anderem bei windschwachen sommerlichen Hochdrucklagen die Konzentration von Schadstoffen deutlich ansteigt. Schadstoffe wie Feinstaub, Kohlenmonoxid und Ozon führen zu einer Zunahme von Atemwegsinfektionen15 und können damit bei extremen Temperaturen zu einer nochmals erhöhten Sterblichkeit führen.

Ob Menschen aufgrund einer Wärmebelastung sterben, hängt – wie bereits angesprochen – auch von ihrer Konstitution und ihrem Verhalten, also beispielsweise zu geringe Flüssigkeitsaufnahme oder zu intensive körperliche Aktivität ab. Einem erhöhten Risiko unterliegen eingeschränkt anpassungsfähige Menschen aufgrund ihres Alters (zum Beispiel Kleinkinder, ältere Menschen) und aufgrund von Erkrankungen (zum Beispiel chronische Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen, Demenz)16.

Teilweise wird argumentiert, dass die Zahl der Sterbefälle aufgrund von hohen Temperaturen überschätzt werde, weil hiervon besonders ältere Menschen betroffen sind. Diese seien oftmals bereits geschwächt und hätten somit auch ohne Einwirkung der Hitzewelle nur noch wenige Tage zu leben gehabt (»Harvesting-Effekt«)17. Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass die meisten Menschen ohne die Belastung doch noch wesentlich länger hätten leben können. In etwa 20 bis 30 % der Fälle sei der Todeszeitpunkt durch die Hitze vorverlegt worden18.

Saisonale Verläufe bei fast allen Todesursachen ähnlich

In den vorausgegangenen Abschnitten wurde erläutert, dass der Begriff »Hitzetote« sich in erster Linie auf Sterbefälle bezieht, bei denen Wärmebelastung zum Beispiel neben bestehenden chronischen Erkrankungen eine von mehreren Todesursachen ist. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die Ergebnisse der Todesursachenstatistik untersucht.

Differenziert man den Jahresgang der Sterbefälle nach verschiedenen Todesursachenkomplexen, zeigen sich über die Monate ähnliche saisonale Muster wie für die Sterbefälle insgesamt. Die höchsten Anteile aller Sterbefälle am Gesamtjahr waren im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2015 mit rund 9 % jeweils in den Monaten Dezember bis März zu beobachten19. Bis zum Sommer sanken die monatlichen Anteile auf 7 bis 8 %, um dann bis zum Jahresende wieder anzusteigen. Allerdings kommt es im Juli zu einem punktuellen Anstieg, der sich unter 1 Prozentpunkt bewegt und damit deutlich geringer ausfällt als der Anstieg zu Winter.

Schaubild 4 zeigt den Verlauf der Sterblichkeit beispielhaft für die vier größten Todesursachenkomplexe. Die größte Ähnlichkeit zum saisonalen Verlauf der Sterbefälle insgesamt zeigt sich für das ICD 10-Kapitel »Krankheiten des Kreislaufsystems«. Dies ist insofern nicht überraschend, als immerhin rund 44 % auf diese Todesursache entfielen. Am schwächsten ausgeprägt ist der saisonale Verlauf für Sterbefälle mit der Todessursache »bösartige Neubildungen«, der zweithäufigsten Todesursache mit rund 25 % aller Sterbefälle. Die Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Monatsanteil beträgt hier nur 0,5 Prozentpunkte. Dennoch ist selbst bei der »geglätteten« Betrachtung im Sechsjahresdurchschnitt ein leichter Sommeranstieg erkennbar.

Die stärkste saisonale Schwankung mit einem Maximum von 11,7 % der Sterbefälle im Februar und einem Minimum von 6,4 % der Sterbefälle im September, zeigen die im ICD 10-Kapitel »Krankheiten des Atmungssystems« versammelten Todesursachen. Dies ist plausibel, da Infekte der oberen und unteren Atemwege einen ausgeprägten saisonalen Verlauf mit »Hochsaison« zum Ende des Winters haben. Weniger eingängig zeigt sich dagegen zunächst der saisonale Verlauf von Sterbefällen mit Todesursache aus dem Kapitel »psychische und Verhaltensstörungen«, dem aktuell vierthäufigsten Todesursachenkomplex. Verständlicher wird dies jedoch bei der detaillierten Betrachtung. Der größte Teil – im Jahr 2015 waren dies 86 % der Sterbefälle – durch »psychische und Verhaltensstörungen« entfällt auf die Todesursache »Demenz«. Betroffen sind in der Regel hochbetagte Menschen, bei denen gleichzeitig erkrankungsbedingt das Durstempfinden gestört sein kann20.

Welche Todesursachen treten bei Hitze verstärkt auf?

Zur Untersuchung dieser Frage wird hier die Sterblichkeit im überdurchschnittlich heißen Juli 2015 im Vergleich zu dem eher kühlen Juli des Vorjahres differenziert nach Todesursachen untersucht. Wie bereits beim Schätzansatz für die »Hitzetoten« wird der Anteil des einzelnen Monats an den Sterbefällen der Monate April bis November betrachtet, um Einflüsse der Wintermonate auszuschließen. In Tabelle 2 ist für die Jahre 2014 und 2015 der Anteil der Sterbefälle eines Sommermonats an den Sterbefällen von April bis November als Index dargestellt, normiert am Mittelwert der Jahre 2010 bis 2015.

Für den Juli 2015 zeigt sich das erwartete Muster. Der Index liegt für alle untersuchten Todesursachen über 100, das heißt über dem mehrjährigen Mittelwert und mit einer Ausnahme deutlich über dem Wert des relativ kühlen Juli 2014. Überdurchschnittliche Anteils- bzw. Indexwerte gab es für Todesursachen folgender ICD 10-Kapitel:

  • Psychische und Verhaltensstörungen
  • Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
  • Krankheiten des Kreislaufsystems

Im ICD 10-Kapitel »Psychische und Verhaltensstörungen« ist, wie bereits erläutert, die Todesursache Demenz bestimmend. Der überdurchschnittliche Wert für Sterbefälle mit der Todesursache aus dem ICD 10-Kapitel »Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten« basiert größtenteils auf der Todesursache Diabetes. Bei Sterbefällen durch Krankheiten des Kreislaufsystems ist der erhöhte Index im Juli 2015 wesentlich auf Todesursachen der Gruppe »ischämische Herzkrankheiten« zurück zu führen. Dies passt in den Kanon der in den vorausgegangenen Abschnitten in Verbindung mit »Hitzetoten« genannten Risikofaktoren/Erkrankungen.

Für die Sommermonate Juni und August zeigt sich allerdings ein anderes Bild. Im Vergleich des Juni waren die Durchschnittstemperatur 2015 und die geschätzten Werte für die Zahl der »Hitzetoten« etwas niedriger als 2014. Die Anteile der Sterbefälle des Juni 2015 an den Monaten April bis November sind allerdings nur für einen Teil der Todesursachen niedriger als die Anteile des Juni 2014. Die umgekehrte Konstellation ergibt sich im Vergleich des August. Die Durchschnittstemperatur 2015 und die geschätzten Werte für die Zahl der »Hitzetoten« sind etwas höher als 2014. Wiederum sind die Anteile der Sterbefälle des August 2015 an den Monaten April bis November nur für einen Teil der Todesursachen höher als 2014. Eine Ursache hierfür könnte neben bereits ausführlich dargestellten Gründen darin liegen, dass die Lufttemperatur als Einflussgröße auf die Sterblichkeit nicht bei allen Erkrankungen die gleiche Bedeutung hat.

Gibt es künftig mehr »Hitzetote«?

Mit welcher künftigen Entwicklung ist bei hitzebedingter Sterblichkeit zu rechnen? Die Zahl der »Hitzetoten« ergibt sich – wie bereits angesprochen – aus der Kombination verschiedener Faktoren, wie der Exposition gegenüber dem veränderten Klima, der Sensitivität oder Empfindlichkeit der Menschen gegenüber einzelnen Gefährdungen und der Fähigkeit der Gesellschaft, sich an den Klimawandel anzupassen21.

Eine entscheidende Größe für die klimatische Belastung der Bevölkerung ist die weitere Entwicklung der Temperatur. Unterschiedliche Klimamodelle kommen zu dem gleichen Ergebnis, dass in den kommenden Jahrzehnten die Temperaturen weiter steigen werden. Für Baden-Württemberg wird mit einem Temperaturanstieg um 0,8 bis 1,7 °C bis zum Jahr 2050 gerechnet22.

Da von Gesundheitsrisiken durch Hitze vor allem ältere Menschen betroffen sind und deren Anzahl aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung und einer weiter steigenden Lebenserwartung deutlich zunehmen wird23, ist auch demografisch bedingt von künftig steigenden Sterbefallzahlen auszugehen. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung seit der Jahrhundertwende verstärkt in die Städte zieht, in denen durch den »Wärmeinseleffekt« die Lufttemperatur und damit die hitzebedingte Belastung höher als im Umland ist24. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die Attraktivität von heute bereits überdurchschnittlich warmen (Groß-)Städten an Rhein und Neckar aufgrund der steigenden Hitzebelastung sinken, diejenige von höher gelegenen Gegenden wie dem Schwarzwald sowie von Städten mit geringeren Durchschnittstemperaturen (zum Beispiel Ulm) steigen könnte.

Allerdings bedeutet ein Anstieg der Temperatur nicht zwangsläufig, dass es tatsächlich zu (deutlich) mehr hitzebedingten Sterbefällen kommen muss. Zum einen zeigen Forschungsergebnisse, dass bereits im Laufe der letzten Jahrzehnte bei gleichen Bedingungen von Hitze und Feuchtigkeit zuletzt weniger Menschen starben. Ursächlich hierfür dürfte sein, dass sich die Bevölkerung besser auf Hitze eingestellt hat, zum Beispiel durch den verstärkten Einbau von Klimaanlagen25.

Zum anderen werden bereits bestehende Hitzewarnsysteme, die dazu beitragen können, dass die negativen Folgen des Klimawandels abgemildert werden, sukzessive ausgebaut. Beispielsweise werden seit dem 1. Juni 2017 besonders betroffene Städter, ältere und erkrankte Menschen durch den Deutschen Wetterdienst gezielt über Hitzegefahren informiert26. Darüber hinaus werden langfristige Lösungen für eine klimagerechte Stadt- und Landschaftsplanung vorgeschlagen. Diese sollen beispielsweise durch die Ausweisung von Erholungsflächen im Siedlungsgebiet und die räumliche Konzeption von vernetzten Frischluftkorridoren dem »städtischen Wärmeinseleffekt« entgegenwirken27.

Inwieweit es aufgrund von Verhaltensänderungen der Bevölkerung und mit den genannten Maßnahmen gelingen wird, die steigenden Belastungen aufgrund des Klimawandels zu kompensieren, ist derzeit nicht absehbar. Aus diesem Grund kann keine seriöse Schätzung durchgeführt werden, wie viele Menschen in Baden-Württemberg künftig hitzebedingt sterben werden.

So oder so dürfte der Klimawandel zumindest mit einem positiven Effekt verbunden sein: Es könnte künftig weniger »Kältetote« geben. Ob der Rückgang sogar stärker als ein möglicher Anstieg bei den Sterbefällen aufgrund hoher Temperaturen ausfallen wird28 oder aber die Hitze doch etwas stärkere Wirkungen als Kälte hat,29 ist umstritten.

1 Gürster, Anna: Fordert der Klimawandel bald Tausende Hitzetote in Deutschland? in: utopia.de vom 03.08.2015, https://utopia.de/klimawandel-hitzetote-4211/ (Abruf: 22.06.2017).

2 Gesundheitliche Auswirkungen der Hitzewelle im August 2003, eine Untersuchung im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg, 2004, S. 3.

3 Breitner, Susanne u. a.: Short-term effects of air temperature on cause-specific cardiovascular mortality in Bavaria, Germany, in: Heart 2014, S. 1275.

4 Müller-Lissner, Adelheid: Geburten- und Sterberate: Tage der Liebe, Tage des Todes, in: Gesundheitsberater Berlin vom 21.04.2016.

5 Meinert, Julika: Wann der Tod Saison hat, in: welt.de vom 14.09.2014.

6 Kromp-Kolb, Helga u. a.: Abschätzung der Auswirkungen von Hitze auf die Sterblichkeit in Oberösterreich, in: Forschungsreihe: Auswirkungen des Klimawandels auf Oberösterreich, Band 3, 2007, S. 6.

7 Da es auch in anderen Monaten (vereinzelt) hitzebedingte Sterbefälle geben kann, stellen die erzielten Ergebnisse auch aus diesem Grund eine Untergrenze dar.

8 Frühere Jahre wurden nicht berücksichtigt, da sich der Einfluss anderer Ursachen auf die Zahl der Sterbefälle verändert hat. Beispielsweise hat sich die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr, die sich nicht gleichmäßig auf die einzelnen Jahreszeiten verteilt, in den letzten Jahrzehnten enorm verringert.

9 Datenquelle: Deutscher Wetterdienst.

10 Kromp-Kolb, Helga u. a.: Abschätzung der Auswirkungen von Hitze auf die Sterblichkeit in Oberösterreich, in: Forschungsreihe: Auswirkungen des Klimawandels auf Oberösterreich, Band 3, 2007, S. 6.

11 Die sehr hohe Zahl an Todesfällen im Sommer 2003 in Frankreich im Vergleich zu Deutschland war auch darauf zurückzuführen, dass im Nachbarland die Luftfeuchtigkeit wesentlich höher lag; vergleiche Hübler, Michael u. a.: Kosten des Klimawandels – Die Wirkungen steigender Temperaturen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit, WWF Deutschland (Hrsg.), 2007, S. 27.

12 Ebenda, S. 7.

13 Ebenda, S. 27.

14 Gabriel, Katharina: Gesundheitsrisiken durch Wärmebelastung in Ballungsräumen – Eine Analyse von Hitzewellen-Ereignissen hinsichtlich der Mortalität im Raum Berlin-Brandenburg, Dissertation, 2009, S. 89.

15 Zacharias, Stefan/Koppe, Christina: Einfluss des Klimawandels auf die Biotropie des Wetters und die Gesundheit bzw. die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung in Deutschland, Umweltbundesamt (Hrsg.), 2015, S. 37.

16 Becker, Paul u. a.: Gesundheitsrisiken durch Klimawandel, in: promet, Deutscher Wetterdienst (Hrsg.), 2007, Nr. 3/4, S. 150.

17 Schönthaler, Konstanze: Indikatoren für die Deutsche Anpassungsstrategie – Indikator-Factsheet: Hitzetote, Umweltbundesamt (Auftraggeber), 2014, S. 8.

18 Koppe, Christina/Jendritzky, Gerd: Die Auswirkungen von thermischen Belastungen auf die Mortalität, S. 5. http://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/2014/03/koppe_jendritzky.pdf (Abruf:19.07.2017).

19 Untersucht wurden die Zeiträume 2000 bis 2005 und 2010 bis 2015. Da sich die Ergebnisse für diese Zeiträume kaum unterscheiden, wird hier der Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2015 dargestellt.

20 Von Wichert, Peter: Gefährdung durch atmosphärische Hitzewellen, in: Mitteilungen aus der AWMF 2004;1;Doc 35, S. 2.

21 Bittighofer, Peter Michael: Anpassungsstrategie Baden-Württemberg an die Folgen des Klimawandels – Fachgutachten für das Handlungsfeld Gesundheit – Teil A: Langfassung, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (Auftraggeber), 2013, S. 70.

22 Klimawandel in Baden-Württemberg – Fakten – Folgen – Perspektiven, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (Hrsg.), 2012, S. 7.

23 Das Statistische Landesamt kam in seiner aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung zu dem Ergebnis, dass sich in Baden-Württemberg die Zahl der 80-Jährigen und Älteren bis 2060 auf rund 1,3 Mill. mehr als verdoppeln wird.

24 Bittighofer, Peter Michael: Anpassungsstrategie Baden-Württemberg an die Folgen des Klimawandels – Fachgutachten für das Handlungsfeld Gesundheit, Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg (Hrsg.), 2013, S. 76 ff. Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die zumindest bei leichten Hitzeperioden keine höhere Sterblichkeit in den Städten festgestellt haben: Gabriel, Katharina: Gesundheitsrisiken durch Wärmebelastung in Ballungsräumen – Eine Analyse von Hitzewellen-Ereignissen hinsichtlich der Mortalität im Raum Berlin-Brandenburg, Dissertation, 2009, S. 91.

25 Immer mehr tödliche Hitzewellen weltweit, Studie der Universität Hawaii, in: dw.com http://www.dw.com/de/immer-mehr-t%C3%B6dliche-hitzewellen-weltweit/a-39350778 (Abruf: 19.07.2017).

26 Deutscher Wetterdienst: Klimawandel – Aktuelle Nachrichten, 16.05.2017 http://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimawandel/_functions/aktuellemeldungen/170516_neue_koop_cc_staedte_workshop.html (Abruf: 19.07.2017).

27 Monitoring-Bericht zum Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg – Teil I Klimafolgen und Anpassung, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (Hrsg.), 2017, S. 112, S. 116.

28 Lomborg, Björn: Irritierende Konkurrenz zwischen Hitze- und Kältetod, in welt.de vom 21.04.2016, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article154608396/Irritierende-Konkurrenz-zwischen-Hitze-und-Kaeltetod.html; (Abruf: 22.06.2016).

29 Bittighofer, Peter Michael: Anpassungsstrategie Baden-Württemberg an die Folgen des Klimawandels – Fachgutachten für das Handlungsfeld Gesundheit, Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg (Hrsg.), 2013, S. 75.