:: 10/2017

Gibt es strukturelle Defizite in der öffentlichen Wasserversorgung?

Neue Landesstatistik zur Einschätzung der Versorgungssicherheit

Der Trinkwasserbedarf nahm in den letzten Jahren trotz Bevölkerungszuwachs stetig ab. Die zur öffentlichen Wasserversorgung genutzten Wasservorkommen wurden damit insgesamt weniger durch Wasserentnahmen beansprucht. Sollte ein Brunnen oder eine Quelle jedoch ausfallen, liegt es an der Struktur des jeweiligen Versorgungsgebiets, ob ein Ausgleich in der Wasserbereitstellung erfolgen kann. Die Kenntnis der Versorgungsstruktur ist daher unabdingbar für eine Einschätzung der Versorgungssicherheit. Das Umweltministerium Baden-Württemberg hat das Statistische Landesamt beauftragt, bei den Wasserversorgungsunternehmen Daten zur Versorgungsstruktur zu erheben und in einer Kennzahl aufzubereiten. »Eine solche Kennzahl kann Aufschluss über eventuell vorhandene Defizite im Bereich der Struktur der Wasserversorgung beziehungsweise der Versorgungssicherheit geben«.1

Versorgungssicherheit heißt, dass Trinkwasser jederzeit in ausreichender Menge und Qualität bereitsteht. Lange bekannt ist, dass insbesondere Nitrat die Grundwasserqualität beeinträchtigt und die Nutzbarkeit der Wasservorkommen für die öffentliche Wasserversorgung gefährdet.2 Eine Nutzung ist weiterhin möglich, wenn in den betroffenen Versorgungsgebieten zum Beispiel ein aus anderen Wasservorkommen stammendes nitratarmes Wasser zugemischt wird. Eine neue Herausforderung für die öffentliche Wasserversorgung ist der Klimawandel mit der für Deutschland vorhergesagten Verlagerung der Niederschläge in den Winter. Für solche Wasservorkommen, die jahreszeitliche Schwankungen in der Grundwasserneubildung kaum ausgleichen können, ist ein Rückgang des für die Wasserversorgung nutzbaren Dargebots im Sommer und Herbst wahrscheinlich. Hier ermöglicht die Schaffung eines zweiten Standbeins flexibel auf die Beeinträchtigung zu reagieren.

Vielfältige Versorgungsstruktur

Um den Aufwand bei den befragten Wasserversorgungsunternehmen gering zu halten, findet eine neue Landesstatistik zur Versorgungsstruktur und Versorgungssicherheit parallel zur bundesweiten Erhebung der öffentlichen Wasserversorgung statt. Zudem bilden die dort erhobenen unternehmensbezogenen Strukturdaten zur Herkunft und zur Verteilung des Trinkwassers den Rahmen für die mit der Landesstatistik angestrebte detaillierte Bilanzierung der Wasserversorgung auf Ebene der Versorgungsgebiete.

Der Berichtskreis beider Erhebungen entspricht sich. Befragt werden die Wasserversorgungsunternehmen der Gemeinden sowie deren Zusammenschlüsse, die Zweckverbände der Gruppen- und Fernwasserversorgung, die ergiebige Wasservorkommen mit regionaler und überregionaler Bedeutung erschließen. Das Unternehmen kann zur Bedarfsdeckung eigene Gewinnungsanlagen betreiben (Eigengewinnung) und/oder Wasser von einem anderen Unternehmen beziehen (Fremdbezug); das Unternehmen kann Trinkwasser an Letztverbraucher3 abgeben und/oder andere Unternehmen beliefern. Auf Grundlage einer Unternehmensbilanzierung erschließt die bundesweite Erhebung der öffentlichen Wasserversorgung das Mengengerüst aus Gewinnung, Bezug und Verteilung (siehe i-Punkt).

Angesichts der vielfältigen Versorgungsstruktur in Baden-Württemberg geht die Landesstatistik einen Schritt weiter und stellt in Erweiterung der Bundesstatistik auf die Versorgungsgebiete unterhalb der Gemeindeebene ab. Gerade in ländlichen Regionen ist eine kleinräumige Wasserversorgung anzutreffen, indem sich die einzelnen Ortsteile einer Gemeinde voneinander in der Herkunft des Wassers abgrenzen, zum Beispiel eine einzige Quelle – so im Schwarzwald häufig anzutreffen – jeweils einen Ortsteil versorgt und damit jeder Ortsteil einem Versorgungsgebiet gleichzusetzen ist. In Gemeinden mit unzureichenden lokalen Wasservorkommen kann ausschließlich Fremdbezug oder – sollte eine Eigengewinnung vorhanden sein – Fremdbezug entweder gemischt mit eigenem Wasser oder getrennt davon verteilt werden. Je nach Lage und Ergiebigkeit der eigenen Gewinnungsanlagen sowie der Zahl der beliefernden Unternehmen und dem Umfang der Lieferungen können ein sich mit dem Gemeindegebiet deckendes Versorgungsgebiet mit Mischwasserverteilung oder aber mehrere Versorgungsgebiete je Gemeinde entstehen, die sich in der Herkunft des Wassers unterscheiden.

Versorgungsstruktur entscheidend für die Versorgungssicherheit

Kommt es nun zu Störungen in der Wasserbereitstellung aus Eigengewinnung und/oder Fremdbezug, generiert eine unterschiedliche Versorgungsstruktur auch eine unterschiedliche Betroffenheit. Strukturelle Defizite in der Wasserversorgung sind vorhanden, sofern sich ein Versorgungsgebiet ausschließlich auf Wasser einer einzigen Gewinnungsanlage oder eines einzigen Lieferanten stützt. Dagegen ist die Versorgungssicherheit in Versorgungsgebieten mit zwei Standbeinen an sich gegeben. Sofern der Ausfall einer Gewinnungsanlage oder einer Bezugsmöglichkeit jedoch vom übrigen Wasserdargebot nur teilweise ersetzt werden kann, kommt es trotzdem zu Versorgungsengpässen. Die Versorgungsstruktur ist redundant, wenn der Wasserbedarf trotz eines Ausfalls ohne Einschränkung weiterhin gedeckt wird.

Jede den regulären Betrieb im Notfall ergänzende oder ersetzende Versorgungsalternative verringert das Risiko eines Versorgungsdefizits. Die Landesstatistik bezieht daher vorgehaltene und damit kurzfristig abrufbare Gewinnungs- und Bezugsmöglichkeiten in die Befragung der Wasserversorgungsunternehmen ein. Hierzu gehören eigene Reserveanlagen zur Wassergewinnung und diejenigen der Bundesnotbrunnen, die eine Einspeisung ins öffentliche Netz erlauben, außerdem weitere für den Notfall geschaffene Bezugsmöglichkeiten, zum Beispiel Kooperationen mit anderen Unternehmen, sofern die Verbundleitung bereits nutzbar ist (siehe i-Punkt).

Kennzahl erlaubt Einschätzung der Versorgungssicherheit

Die im Rahmen der Landesstatistik erhobenen Daten münden in eine für jedes Versorgungsgebiet berechneten Kennzahl. Sie kann orientierend die Frage beantworten, inwieweit im vorgegebenen Szenario des Ausfalls der mengenbezogen wichtigsten Komponente im Wasserdargebot – das heißt des Ausfalls der größten Gewinnungsanlage oder des größten Fremdbezugs – eine ersatzweise Versorgung möglich ist und die Wasserversorgung damit dennoch aufrechterhalten werden kann. Dazu wird das maximal nutzbare Wasserdargebot aus Gewinnung und Bezug dem Wasserbedarf gegenübergestellt. Das maximal nutzbare Wasserdargebot definiert sich als Summe des maximalen Entnahmerechts für die aktuell genutzten Anlagen, die Reserveanlagen und die Bundesnotbrunnen und den Bezugsrechten bzw. Bezugsquoten für den aktuellen Bezug sowie die im Notfall nutzbaren Bezugsmöglichkeiten.

Die Kennzahl soll auch zur Beurteilung der Wirksamkeit der Förderrichtlinien Wasserwirtschaft dienen. Auf deren Grundlage fördert das Land kommunale Vorhaben zur Sicherstellung der Wasserversorgung und insbesondere zur Verbesserung der Versorgungsstruktur und damit der Versorgungssicherheit. Die Förderung soll auch dazu dienen, in Regionen mit hohem Investitionsbedarf »unzumutbar hohe Gebühren- und Beitragsbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger zu vermeiden«4. Vorsorge zu treffen gegenüber einer Beeinträchtigung der Wasserversorgung kann zum Beispiel sowohl über die Erschließung neuer Wasservorkommen oder die Trinkwasseraufbereitung als auch über die Zusammenarbeit mit benachbarten Gemeinden oder den Anschluss an die Fernwasserversorgung erfolgen.

Den zeitlichen Rahmen für die Landesstatistik gibt die bundesweite Erhebung der öffentlichen Wasserversorgung vor. Da die oben erwähnte Bilanzierung von Gewinnung, Bezug und Verteilung Voraussetzung für die Einordnung der landesspezifischen Merkmale ist, wird die Berechnung der Kennzahl je Versorgungsgebiet voraussichtlich im Herbst 2018 abgeschlossen sein. Es zeichnet sich (Stand Oktober 2017) für die Landesstatistik eine hohe Beteiligungsquote der Wasserversorgungsunternehmen ab.

1 Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg zur Erhebung von Daten auf dem Gebiet der öffentlichen Wasserversorgung vom 16. 1. 2017, GABl. 2017 Nr. 2, S. 104.

2 http://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/zu-viel-duenger-trinkwasser-koennte-teurer-werden (Abruf: 29. 11. 2017).

3 Zum Beispiel private Haushalte und Industriebetriebe.

4 Richtlinien des Umweltministeriums für die Förderung wasserwirtschaftlicher Vorhaben vom 21. 7. 2015, GABl. 2015 Nr. 10, S. 784. Auf Grundlage der Förderrichtlinien Wasserwirtschaft führt das Statistische Landesamt Baden-Württemberg eine jährliche Landesstatistik der Wasser- und Abwasserentgelte im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg durch.