:: 10/2017

Entwicklung des Treibhausgas-Inventars in Baden-Württemberg

Warum jährliche Veränderungen auch gut sind

Oftmals werden Treibhausgas-Emissionen mit CO2-Emissionen gleichgesetzt. Ist dies überhaupt so? Die Antwort darauf ein klares JEIN. Im Jahr 2014 mit Berechnungsstand 2017 setzten sich die in Baden-Württemberg emittierten Treibhausgase (THG) zu 91 % aus CO2, 6 % CH4 und 3 % N2O zusammen. Kohlendioxid (CO2) bildet zwar den Hauptanteil der Schadstoffklasse aber auch Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O), die weit klimaschädlicher als Kohlendioxid sind, haben daran einen Anteil. Doch wie und warum erstellt man Inventare um die Emissionen abzubilden? Warum ändern sich die Emissionen über die Jahre, obwohl eine Kompostanlage eine Kompostanlage bleibt? Dahinter steckt häufig ein Erkenntnisgewinn, der die Revision der gesamten Zeitreihe erfordert. Der Artikel beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, das generelle Vorgehen und geht anhand einiger Beispiele darauf ein, warum die Zeitreihe keine Konstante sein kann.

Rechtliche Grundlagen – zeitliche Entwicklung

Die Klimarahmenkonvention von 1992 regelte erstmals auf völkerrechtlicher Ebene, dass Störungen des Klimasystems durch menschliche Ursachen zu verhindern sind. Auf der dritten Konferenz der Vertragspartner in Kyoto 1997 wurden rechtsverbindliche Begrenzungs- bzw. Reduzierungspflichten (Kyoto Protokoll) vereinbart. Die 21. UN-Klimakonferenz in Paris 2015 fixiert für alle Vertragsstaaten das Ziel, die durchschnittliche Temperaturerhöhung deutlich unter 2°C zu begrenzen, wenn möglich unter 1,5°C. Die Umsetzung der schwierigen Zielvereinbarung unterliegt den jeweiligen Staaten über sogenannte INDCs (intended nationally determinded contributions). Der Ist-Stand wird im 5-Jahres-Rhythmus überprüft und neue verschärfte Ziele werden ausgegeben. Die EU und Deutschland haben die Rahmenkonvention und alle Folgeverträge unterzeichnet. Das Abkommen von Paris wurde somit in EU- und dadurch auch in nationales Recht übernommen.

Innerhalb der EU gibt der Klima- und Energierahmen 2020 und 2030 aktuell vor, welche Einsparungen der EU-28 Staaten umzusetzen sind, dabei wird eine Lastenverteilung (»Effort Sharing«) angewendet. Die Vorgabe wird unter den Mitgliedsstaaten anhand ihrer wirtschaftlichen Entwicklung aufgeteilt. Bis 2020 müssen die reichsten Staaten 20 % der THG-Emissionen im Vergleich zu 2005 einsparen, während die wirtschaftlich schlechter entwickelten Staaten bis zu 20 % zusätzliche Emissionen emittieren dürfen. Die Umsetzung obliegt den Staaten und wird in sogenannten Inventaren dokumentiert (i-Punkt »Inventare«). In Deutschland verankert das »Energiekonzept der Bundesrepublik« von 2010, das »Aktionsprogramm Klimaschutz 2020« aus dem Jahr 2014 und der »Klimaschutzplan 2050« von 2016 die UNFCCC1. Vorgaben in nationales Recht.

Der Beitrag der Bundesländer zu den INDCs wird in einigen Bundesländern über eigene Klimaschutzgesetze geregelt. 2013 verabschiedete die Landesregierung in Baden-Württemberg das »Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes«. Es gibt den Zielkorridor vor: mindestens 25 % weniger Treibhausgase (i-Punkt »Treibhausgase«) bis 2020, bis 2050 wird eine Minderung um –90 % angestrebt (Referenzjahr ist jeweils 1990). Um den Ist-Stand zu dokumentieren, wurde das integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK) ins Leben gerufen. Der Monitoring-Bericht greift dabei unter anderem auf die Daten des Länderarbeitskreises Energiebilanzen (LAK)2 und des Arbeitskreises Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder ((AK) UGRdL)3 zurück.

Im Rahmen des LAK berechnet jedes Bundesland die CO2-Emissionen aus Prozessen und der Energieumwandlung. Die Berechnungen werden mittels der Energiebilanzen der Länder und einzelner Zusatzinformationen aus der Produktionsstatistik durchgeführt.

Die Vielzahl der im Rahmen der UGRdL durchgeführten Berechnungen erfordert eine Arbeitsteilung zwischen den Ländern. Die Methodik wird in sogenannten Koordinierungsländern entwickelt und für alle Bundesländer übernommen. Seit 2008 hat sich das Statistische Landesamt Baden-Württemberg unter anderem auf die CH4- und N2O-Berechnungen spezialisiert. Das System wird seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und passt sich den Anforderungen des »Nationalen Inventarberichts zum Deutschen Treibhausgasinventar« (NIR) an. Das Umweltbundesamt (UBA) berechnet diesen jährlich und berichtet an die EU Kommission und den Weltklimarat.

Vergleich der Berechnungen – am Beispiel Methan

Die turnusmäßige Anpassung an die Berichterstattung des Bundes führt auch in den Bundesländern zu Veränderungen der Zeitreihen. Nachfolgend werden diese für Baden-Württemberg näher beschrieben. Es werden Datensätze der Berechnung 2015 (Berechnung anhand NIR 2014 – IPCC 1996), 2016 und der aktuellen Berechnung (NIR 2017 – IPCC 2006) verglichen. Als Berechnungsbeispiel wird in diesem Artikel CH4 herangezogen, im Bereich N2O sind aber vergleichbare Abweichungen der Zeitreihen zu beobachten. Die Anzahl der durchgeführten Berechnungen je Sektor ist ein erstes Indiz für die Vergleichbarkeit der Berechnungsstände (Tabelle).

Die Veränderungen der Zeitreihen in Baden-Württemberg beruhen entweder auf einer der folgenden Ursachen oder einer Kombination daraus:

Im Bundesinventar wird durch den Review Prozess ein neuer Sektor (Untersektor) in die Berichterstattung aufgenommen (Kategorie 1), die Berechnungsmethodik wird verbessert bzw. aufgrund neuer Erkenntnisse angepasst (Kategorie 2) oder die verwendeten Eingangsdaten werden geändert (Kategorie 3).

Die Sektoren werden nach Vorgaben der IPCC in unterschiedlicher Berechnungstiefe dargestellt. Je wichtiger eine Quelle für die Gesamtberichterstattung ist, desto höher sind die Anforderungen. Dadurch wird auch indirekt der Detailgrad der UGRdL-Berechnung bestimmt.

In Folge wird der Sektor Abfall- und Abwasserwirtschaft betrachtet. Die Ursache der Änderung entspricht der ersten Kategorie. 2015 beinhaltete der Sektor Emissionen aus Deponien, mechanisch-biologischen Anlagen und Kompostanlagen. 2016 kamen Vergärungs- und Biogasanlagen hinzu, um der geänderten Struktur der Abfallwirtschaft Rechnung zu tragen. Bioabfälle werden in der Anlage anaerob vergoren, dabei entsteht je nach Zusammensetzung des Inputs und Art der Anlage Biogas4 mit wechselndem Methangehalt. Im Normbetrieb wird das gewonnene Biogas abgezogen, zwischengespeichert oder direkt in Gasmotoren verbrannt und die umgewandelte Energie für Strom- und Wärmeanwendungen verbraucht. Undichtigkeiten im System oder Störfälle führen zur Emission des gewonnenen Biogases. Ursprünglich berichteten die Vergärungs- und Biogasanlagen unter Anlagen zur biologischen Abfallbehandlung und die Emissionen wurden mit Kompostanlagen verrechnet (Berechnungsstand 2015). Durch die neue Emissionsquelle im Inventar des Bundes musste der Abfallstrom 2017 (relevante Aktivitätsrate der UGRdL) rückwirkend für die gesamte Zeitreihe neu berechnet werden. Dadurch ergeben sich abhängig von der Struktur im Bundesland Verschiebungen in den Untersektoren Kompostanlagen und Vergärungs- und Biogasanlagen. Die zusätzliche Abweichung in der absoluten Höhe basieren auf neuen Emissionsfaktoren die bereits in die Berechnung Stand 2016 einflossen. Die Tendenz und somit die generelle Aussage ist davon aber nicht betroffen: seit 1990 steigen die Emissionen im Sektor an (Schaubild 1), da immer mehr Abfälle biologisch behandelt werden und die Anzahl der Anlagen steigt.

Das anschließende Beispiel der Abwasserbehandlung fällt unter Kategorie 2. Der Sektor bestand 2015 aus den Emissionsquellen kommunales und industrielles Abwasser. Kommunal wurden nur häusliche Abwässer betrachtet, das heißt Emissionen aus Sickergruben. Die Emissionen entstehen durch aerobe und anaerobe Gärung der organischen Bestandteile in Klärgruben. Je nach Bodentemperatur variiert das entstehende Gasvolumen. Beim Leeren der Gruben und durch Diffusion entweicht Methan in die Umgebung. Die Berechnung erfolgte 2015 mangels weiterer Informationen als Verteilungsrechnung der Bundesemissionen mittels der Einwohner ohne Anschluss an die Kanalisation. Ab 2017 können dank des direkten Zugriffs auf das ZSE5 des Umweltbundesamtes die Berechnungen nachvollzogen und auf Bundeslandebene abgebildet werden. Die Berechnung erfolgt anhand der Bevölkerung mit Anschluss an abflusslose Gruben, der zur Zersetzung benötigten Sauerstoffmenge BSB56 und der durchschnittlichen Bodentemperatur. Hinzu kommt die offene Klärschlammfaulung, die nur bis einschließlich 1993 in den neuen Bundesländern praktiziert wurde. Als letzter Teilsektor wurden zusätzlich CH4 Emissionen aus kommunalen Kläranlagen (Kategorie 1) mit aufgenommen, ein Ergebnis des Reviews des Bundesinventars 2016. Die Berechnung werden 2017 ebenfalls erstmals in die UGRdL übernommen (Schaubild 2).

Die Änderung des Sektors Deponien fallen unter die Kategorie 3. Deponien waren lange Zeit eine der Hauptquellen für CH4 Emissionen. Emissionen entstehen bei der Zersetzung organischer Abfälle. Dabei ist eine gewisse Halbwertszeit zu beobachten, die Ausgasungen sinken über die Verweildauer. Die Berechnungen berücksichtigen die abgelagerte organische Abfallmenge der vergangenen 15 Jahre. Dank der Deponieverordnung ist diese seit Jahren rückläufig. 2016 wurden die Eingangsdaten der frühen Jahre wegen neuer Erkenntnisse angepasst. 2017 erfolgte dann aufgrund des Reviews zum NIR 2016 eine Erhöhung des durchschnittlichen Methangehalts je m3 Deponiegas. Bei der Gegenüberstellung der drei Berechnungsstände wird deutlich, dass zwischen 2015 und 2016 eine Anpassung der Berechnungsgrundlagen der frühen Jahre stattgefunden hat. Im Vergleich zwischen 2016 und 2017, ändert nur der Methangehalt im Deponiegas die Zeitreihe. In allen drei Fällen ist der rückläufige Emissionstrend deutlich (Schaubild 3).

Als letztes Beispiel ist noch der Feuerungsbereich anzuführen. 2016 und 2017 wurden die Emissionsfaktoren angepasst. Dafür wurde 2016 ein neues Vorgehen entwickelt die Emissionsfaktoren zu gewichten, da diese zum Teil nicht auf Landesebene anwendbar waren. Datengrundlage bildeten die Emissionsfaktoren nach IPCC 1996. Dieses Jahr wurden so die Faktoren nach IPCC 2006 ausgewertet. Die Energieeingangsdaten bleiben in dieser Berechnung unverändert, die daraus resultierenden Emissionen verändern sich. Der LAK hatte 2017 ebenfalls die CO2 Zeitreihen rückwirkend mit den Faktoren nach IPCC 2006 neu berechnet. Somit beruhen die THG-Berechnungen insgesamt auf dem 4. Sachstandsbericht und sind in sich konsistent.

Fazit

Die Änderungen der Zeitreihen sind sowohl den Vorgaben der internationalen Berichterstattung als auch den Berechnungen der UGRdL geschuldet. Ziel der UGRdL ist es, sämtliche Berechnungen nach dem Vorbild des nationalen Inventarberichts darzustellen. In manchen Fällen ist dies allerdings nicht realisierbar. Dies liegt zum Beispiel an Datenquellen, die das Umweltbundesamt für Deutschland verwenden kann, die auf Landesebene aber nicht, oder nicht in diesem Detailgrad verfügbar sind. In einigen Fällen spielt auch die statistische Geheimhaltung eine Rolle, sodass Ergebnisse für einzelne Bundesländer nicht darstellbar sind. Andere Berechnungen sind mit der vom UBA verwendeten Aktivitätsrate nicht landesscharf schlüsselbar. Die Inventarisierung erfolgt mittels alternativer Methode. Ein Beispiel ist der Straßenverkehr, der bei der UGRdL nach dem Territorialkonzept, auf Bundesebene aber nach dem Prinzip der in Deutschland gemeldeten Fahrzeuge berechnet wird. Da zum Beispiel große Leasingflotten in einem Bundesland gemeldet sind, würden die Berechnungen auf Landesebene zu falschen bzw. verzerrten Ergebnissen führen. Zusätzlich wird der Transitverkehr so nur bedingt berücksichtigt.7

Die Zeitreihen der Treibhausgasberechnung sind keine Konstante. Deswegen ist es wichtig diese als abgeschlossene Einheit zu sehen. Ein Vergleich zwischen den Berechnungsständen ist nur sinnvoll, sofern alle Informationen zu den Berechnungen verglichen werden. Die Fußnoten in den Tabellen und Schaubildern liefern diese wichtigen Zusatzinformationen. Der Inventarbericht des Bundes wird jedes Jahr im Frühjahr auf den Seiten des Umweltbundesamtes veröffentlicht und bildet die Grundlage der Berechnungen. Die vollständige Methodenbeschreibung der in Baden-Württemberg durchgeführten Berechnungen ist auf der Website der UGRdL bzw. des LAK einzusehen.8

Die Berechnungen und Methoden des Umweltbundesamtes und der UGRdL werden jährlich aktualisiert. Somit fließen stets neue Erkenntnisse in die Inventare ein und ermöglichen ein besseres Bild des Zustandes der THG-Emissionen in Deutschland und den Bundesländern.

1 United Nations Framework Convention on Climate Change: Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen.

2 LAK: Zusammenschluss der für Energiewirtschaft zuständigen Landesministerien und der statistischen Landesämter (außer Mecklenburg-Vorpommern).

3 UGRdL: Zusammenschluss der statistischen Landesämter und des Statistischen Bundesamtes (in beratender Funktion).

4 Bio-, Klär- und Deponiegas entstehen durch Gärprozesse der organischen Masse. Bei der aeroben Gärung (mit Sauerstoff, zum Beispiel Kompost) entsteht dabei auch Wärme, anaerob (ohne Sauerstoff) kaum. Dadurch ist der Energiegehalt des anaerob gewonnenen Gases höher. Die Hauptbestandteile sind CH4 und CO2 in variablen Anteilen.

5 Zentrales System Emissionen: Datenbank des Umweltbundesamtes zur Inventarisierung der Schadgase.

6 Maß für die Verschmutzung von Abwasser: Menge an Sauerstoff, die von Bakterien im Zeitraum von 5 Tagen bei einer Temperatur von 20°C benötigt wird, um die organischen Bestandteile aerob abzubauen.

7 Siehe hierzu auch Büringer, Helmut/Schmidtmeier, Dirk: »Fahrleistungen und Emissionen des Straßenverkehrs in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2014«

8 www.ugrdl.de und www.lak-energiebilanzen.de