:: 2/2018

60 Jahre Mikrozensus – Ein Rück- und Ausblick

In der Hektik des Alltags gehen zuweilen Jubiläen unter, die eigentlich einer Würdigung Wert gewesen wären – zumal, wenn kurz bevorstehende Umbrüche die Aufmerksamkeit auf die Zukunft lenken. Im letzten Jahr ist der Mikrozensus 60 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass soll hier seine abwechslungsreiche Entwicklung in groben Zügen nachgezeichnet und ein Ausblick auf die bevorstehenden Veränderungen mit ihren Chancen und Risiken gegeben werden.

Der Mikrozensus, Deutschlands größte Mehrzweckerhebung

Der Mikrozensus ist neben der Volkszählung (bzw. dem Zensus) die umfangreichste Befragung privater Haushalte in Deutschland. Er erhebt bei 1 % der Bevölkerung demografische Merkmale (Geschlecht, Geburtsjahr, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund) sowie Angaben zu Erwerbstätigkeit, Schulbesuch, Aus- und Weiterbildung, Lebensunterhalt, Einkommen und Wohnsitz. Weitere Themen wie zum Beispiel die Wohnsituation, Sozialversicherung, Pendlerverhalten oder Gesundheit werden zusätzlich alle 4 Jahre erhoben. Für die meisten Fragen ist eine Auskunftspflicht gesetzlich festgelegt. Die nach einem Zufallsverfahren für die Befragung ausgewählten Haushalte werden vier Mal in bis zu fünf aufeinanderfolgenden Jahren befragt. Mit seiner breiten thematischen Fächerung bildet der Mikrozensus für Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Presse eine wichtige und aktuelle Informationsquelle über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung.

Die Daten werden in erster Linie von Interviewern in persönlichen Befragungen bei den Haushalten erhoben. Dafür engagieren sich allein in Baden-Württemberg rund 200 ehrenamtliche Erhebungsbeauftragte im Auftrag des Statistischen Landesamtes. Sie können bei Verständnisschwierigkeiten helfen und Rückfragen der Haushalte im Interview beantworten. Damit erleichtern sie den Haushalten die Erfüllung ihrer Auskunftspflicht und tragen gleichzeitig zu der hohen Qualität der Mikrozensusdaten bei. Haushalte, die kein persönliches Interview wollen, müssen einen schriftlichen Fragebogen ausfüllen.

60 Jahre ständige Weiterentwicklung

Das erste »Gesetz über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens (Mikrozensus)« wurde am 16. März 1957 verabschiedet (Abbildung 1). Ebenso wie sich die Lebensverhältnisse in Deutschland seit den 1960er-Jahren stark verändert haben, hat sich auch der Mikrozensus deutlich verändert.1 Bis zur jüngsten Novellierung im Jahr 2016 boten die häufigen Neuauflagen und Verlängerungen der stets nur befristet gültigen Mikrozensusgesetze immer auch Anlass und Gelegenheit, um die Erhebung an sich verändernde Anforderungen anzupassen.

Eine erste wichtige Modifikation erfolgte bereits in sehr frühen Jahren. In den Jahren 1962 bis 1974 wurde die Stichprobengrundlage von einer Wohnungs- auf eine Flächenauswahl umgestellt. Zudem wurde die Erhebung durch die Einführung von Zusatzprogrammen thematisch flexibilisiert. Diese Umstellungen haben bis heute Bestand im Mikrozensus, wohingegen die bei der Einführung festgelegte vierteljährliche Wiederholungsbefragung bei 0,1 % der Bevölkerung 1975 eingestellt wurde. Ihr primärer Zweck war es, aktuelle Zahlen zur Beschäftigung zu ermitteln, was ab 1974 die als Totalerhebung bei der Bundesanstalt für Arbeit eingeführte Beschäftigten- und Entgeltstatistik übernahm.

Ein bedeutender technischer Umstieg in der Feldarbeit war 2005 die Einführung von Laptops als Erhebungsmittel der Interviewer. Erste Untersuchungen zur Möglichkeit eines flächendeckenden Laptopeinsatzes hatten mit durchweg positiven Erfahrungen bereits 1991 – nur 5 Jahre nach der Einführung des ersten kommerziell erfolgreichen Laptops – stattgefunden.2 Darüber hinaus wurde, vor allem aufgrund gestiegener Anforderungen seitens der Europäischen Union, die Erhebung von einer festen auf die gleitende Berichtswoche umgestellt. Wurden die Angaben bisher bezüglich der letzten feiertagsfreien Woche im April erhoben, bezogen sie sich von nun an auf die jeweils letzte Woche vor der Befragung. Die Erhebung ist damit über das gesamte Jahr verteilt und liefert Quartalsergebnisse, die nicht nur aktueller sind, sondern auch einen größeren Aussagegehalt und eine verbesserte Qualität liefern.3

Das Fragenprogramm des Mikrozensus wurde von Anfang an immer wieder modifiziert, weiterentwickelt und ausgebaut. Infolgedessen hat sich die Anzahl der Fragen im schriftlichen Bogen seit der Einführung des Mikrozensus in etwa vervierfacht. Im Mikrozensus 2018 enthält der komplette Bogen 220 Fragen, 1957 waren es lediglich 52 (Schaubild 1). Aufgrund der wechselnden Zusatzprogramme schwankt die Anzahl der Fragen jedoch von Jahr zu Jahr. Hier muss zudem erwähnt werden, dass der Fragbogen eine Filterführung enthält, mit der die für den jeweiligen Haushalt nicht relevanten Fragen übersprungen werden. Die Anzahl der tatsächlich zu beantwortenden Fragen ist daher variabel und kleiner als die Gesamtzahl im Fragebogen.

Aufwändige Neuerungen ab 2020

Im Dezember 2016 wurde das jüngste Mikrozensusgesetz verabschiedet. Es umfasst nunmehr vier Seiten, ist ohne Befristung gültig und bildet die Grundlage für eine weitreichende Reform des Mikrozensus ab 2020. Deren Kern ist die Integration der bisher als eigenständige Erhebungen durchgeführten EU-SILC und der IKT (siehe i-Punkt »EU-SILC und IKT«) in den Mikrozensus4, was einer erheblichen Ausweitung des Merkmalskatalogs gleichkommt. Zur Entlastung der Auskunftspflichtigen werden Unterstichproben gebildet, in denen jeweils eine der integrierten Statistiken und ein Mikrozensus-Kernprogramm erhoben wird. In einer weiteren Unterstichprobe wird nur das Kernprogramm abgefragt. Der Auswahlsatz beträgt insgesamt weiterhin 1 % der Bevölkerung.

Eine methodische Neuerung besteht hinsicht­lich der Berichtswoche, die von gleitend wieder auf fest (der Haushalt wird zu einer bestimmten Woche befragt) umgestellt wird. Im Gegensatz zum Vorgehen bis 2005 wird es jedoch nicht nur eine Berichtswoche im Jahr geben, sondern die Erhebung erfolgt gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt. Aufwändiger wird die Erhebung auch, weil die Unterstichproben in ungleichen Intervallen und Zeiträumen erhoben werden.

Geplant ist zudem die Einführung eines Online-Fragebogens, mit dem sich die technischen Abläufe der Erhebung stark verändern werden. Zwar bleibt die Erhebung mittels Interviewern zunächst der aus methodischer Sicht präferierte Weg, jedoch bevorzugen es schon heute viele auskunftspflichtige Haushalte, den schriftlichen Fragebogen selbstständig auszufüllen. Dieser Papierfragebogen dürfte in Zukunft weitestgehend vom Online-Erhebungsbogen abgelöst werden. Der damit verbundene Rückgang im materiellen Erhebungsaufwand bedeutet für die Statischen Ämter eine nicht zu vernachlässigende Entlastung. Gleichzeitig ist die Einführung einer neuen Technik stets auch eine Herausforderung, zumal bisher in keiner vergleichbar umfangreichen und komplexen Erhebung ein Online-Meldeverfahren angeboten wurde.

Die Perspektive der Auskunftspflichtigen

Trotz seiner langen Geschichte, unzähligen Befragungen und der guten medialen Präsenz seiner Ergebnisse, spielt der Mikrozensus als Statistik in der öffentlichen Wahrnehmung eine eher geringe Rolle. Seine Ergebnisse werden zumeist unter Bezugnahme auf das entsprechende statistische Amt, jedoch ohne Nennung der Statistik zitiert. Dies liegt sicher auch daran, dass der Mikrozensus, etwa im Gegensatz zu Preis- oder Verdienststatistik, eine Vielzahl von sozio-ökonomischen Themen abdeckt, die sich nicht direkt im Namen der Statistik wiederfinden. Zudem steht er etwas im Schatten seines großen Bruders, des Zensus. Mit zuverlässiger Regelmäßigkeit kommt daher Erklärungsbedarf auf, was denn der Mikrozensus sei, wenn Erhebungsbeauftragte zum ersten Mal an eine Tür klopfen. Auch sind Auskunftspflichtige, die sich für die Erhebung ohne Interviewerin oder Interviewer entscheiden, häufig vom Umfang des Frageprogramms überrascht, wenn sie das derzeit 80 DIN A4-Seiten umfassende Fragebogen-Heft zugestellt bekommen.

Der im Vergleich zu den ersten Mikrozensuserhebungen stark gewachsene Umfang des Fragebogens ist in erster Linie auf die sukzessive Ausweitung des Katalogs der erhobenen Merkmale zurückzuführen. Gleichzeitig hat sich aber auch das Fragebogenlayout stetig weiterentwickelt und zu einer deutlich nutzerfreundlicheren – und platzintensiveren – Form gefunden (siehe Abbildungen 2 und 3). Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Befragung für einen Haushalt eine nicht unerhebliche Belastung darstellen kann. Zudem gibt es für die Teilnahme keine materielle Entschädigung, wie zum Beispiel eine Beteiligungsprämie. Der durchschnittliche Zeitaufwand für das Ausfüllen des Fragebogens betrug bei einer erwerbstätigen Person im Jahr 2008 etwa 30 Minuten.5 Seitdem ist der Fragebogen jedoch deutlich umfangreicher geworden. Mit der Neukonzeption des Mikrozensus und insbesondere mit der Integration der EU-SILC-Erhebung wird der Arbeitsaufwand für die betroffenen Haushalte noch einmal deutlich steigen. Die Mitarbeit der ehrenamtlichen Erhebungsbeauftragten erleichtert zwar die Beantwortung der Fragen und reduziert damit den reinen Befragungsaufwand der Haushalte deutlich, erfordert aber auch die Planung fester Zeitfenster und die Bereitschaft, die Erhebungsbeauftragten zu Hause zu empfangen. Dies könnten Gründe sein, die in den letzten Jahren zu einer vermehrten Wahl des Papierfragebogens statt des persönlichen Interviews geführt haben. Der Anteil der Auskunftspflichtigen, die schriftlich antworten, ist bundesweit zwischen 2008 und 2016 um über 10 Prozentpunkte auf knapp 30 % gestiegen6 (Schaubild 2). Diese Entwicklung ist eine dringende Herausforderung für die statistischen Ämter, da damit der Arbeitsaufwand bei der Datenerfassung steigt und die Akzeptanz bei den Haushalten nachlässt.

Entlastung durch Digitalisierung

Die letzten 60 Jahre haben den Mikrozensus jedoch nicht nur umfangreicher und aufwändiger gemacht, sondern mit dem Aufkommen neuer Technologien auch Möglichkeiten eröffnet, um die Belastung der Haushalte zu senken. Mit der Einführung des Mikrozensus 2020 wird die Erhebung nicht nur inhaltlich und methodisch weiterentwickelt, sondern durch die Einführung des Onlinefragebogens auch technisch modernisiert. So wird es den Haushalten möglich sein, die Befragung passend zu ihren persönlichen Tagesabläufen durchzuführen. Die auskunftspflichtigen Personen können die Befragung dann beispielsweise unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortführen. Zudem entfallen die Terminabsprachen mit den Erhebungsbeauftragten. So kann die Digitalisierung der Erhebung zur Entlastung der Haushalte beitragen. Der Wunsch danach wird schon heute von vielen Befragten geäußert. Auch die Politik hat erkannt, dass über 20 Jahre nach dem Durchbruch des Internets7 teilweise noch eine Kluft zwischen den technischen Möglichkeiten und ihrer Anwendung in der öffentlichen Verwaltung klafft.8 Die statistischen Ämter haben es nun in der Hand, diese Lücke ein Stück weit zu schließen und damit allgemein die Akzeptanz der Bürger für amtliche Haushaltsbefragungen zu erhöhen.

1 Für eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung des Mikrozensus siehe auch: Emmerling, Dieter/Riede, Thomas: »40 Jahre Mikrozensus«, in: Wirtschaft und Statistik, 3/1997, S. 160–174.

2 Emmerling, Dieter/Riede, Thomas: »40 Jahre Mikrozensus«, in: Wirtschaft und Statistik, 3/1997, S. 173.

3 Vergleiche Iversen, Kirsten: »Das Mikrozensusgesetz 2005 und der Übergang zur Unterjährigkeit«, in: Wirtschaft und Statistik, 1/2007, S. 3844.

4 Die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union (Labour Force Survey) wird bereits seit 1968 als Teil des Mikrozensus erhoben und bleibt auch weiterhin Bestandteil dessen.

5 Mikrozensus 2008 Qualitätsbericht, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt. Da Erwerbstätigkeit detailliert erfasst wird, haben Erwerbstätige das umfangreichste Frageprogramm. In den jüngeren Qualitätsberichten wird die durchschnittliche Bearbeitungszeit nicht mehr angegeben.

6 Vergleiche Mikrozensus Qualitätsberichte, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt. Die genaue prozentuale Verteilung ist darin erst ab 2008 ausgewiesen, für die Jahre 2006 und 2007 wird lediglich der Anteil persönlicher Interviews mit rund 75 % angegeben.

7 Vorläufer des Internets wurden schon ab 1969 entwickelt, für die breite Bevölkerung wurde es ab 1993 mit der Einführung grafikfähiger Webbrowser zugänglich.

8 Vergleiche Bundesministerium des Innern: »Digitale Verwaltung 2020. Regierungsprogramm 18. Legislaturperiode«.