:: 10/2018

10 Jahre nach der Finanzkrise – Baden-Württemberg im internationalen Vergleich

Am 15. September 2018 jährte sich die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers zum zehnten Mal. Dieses Datum gilt als Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise in deren Folge eine globale Rezession ausgelöst wurde. Dieser Beitrag zeigt zunächst anhand von Konjunkturindikatoren der Südwestindustrie den Verlauf der Krise. Der internationale Handel verzeichnete stärkere Rückgange als die Wirtschaftsleistung insgesamt. Nur die Reaktion von Geld- und Fiskalpolitik verhinderte einen noch stärkeren Einbruch. Der Hauptfokus dieses Beitrages liegt auf den Auswirkungen der Finanzkrise auf die reale Wirtschaftsleistung sowie die Erholungsphase bis zum Jahr 2017 für ausgewählte große Volkswirtschaften und den Südwesten. Da das Verarbeitende Gewerbe und der Bausektor im Zentrum der Krise standen, wird die Entwicklung in beiden Wirtschaftszweigen separat analysiert. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Beschäftigungsentwicklung.

Phasen des Wirtschaftseinbruchs am Beispiel des Verarbeitenden Gewerbes

Am anschaulichsten wird der zeitliche Ablauf der Wirtschaftskrise, indem man die Verläufe wichtiger Indikatoren betrachtet. In diesem Falle bietet sich das Verarbeitende Gewerbe an. Zum einen war dieser Wirtschaftszweig vom Einbruch besonders stark betroffen. Zum anderen liegen dort vom Stimmungsindikator über Auftragseingänge bis zu harten Indikatoren wie Umsatz und Produktion sowie Beschäftigung unterschiedliche Indikatoren vor. Die sechs Zeitreihen aus Schaubild 1 sind jeweils auf das 1. Quartal 2007 normiert und beginnen somit gut ein Jahr vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Bereits 2007 bewegte sich das L-Bank-ifo-Geschäftsklima für Baden-Württemberg nur noch seitwärts1, während die übrigen Indikatoren ihre Höchststände noch vor sich hatten. Ab dem 2. Quartal 2008 verschlechterte sich die Stimmung in der Industrie deutlich und das ifo-Geschäftsklima fiel bis zum 1. Quartal 2009 auf nur noch knapp 65 % seines Niveaus von 2007. Mit zeitlichem Abstand folgte das Abrutschen der Auftragseingänge, die sich ein paar Quartale später in stark sinkenden Umsatz- und Produktionszahlen niederschlugen. Da Arbeitsmarktgrößen üblicherweise der Konjunktur nachlaufen, tangierte die Krise die Zahl der Arbeitsstunden und Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe deutlich später als Stimmungs- und Produktionsdaten. Aus Schaubild 1 wird nicht nur die zeitlich versetzte Reaktion der sechs Konjunkturindikatoren deutlich. Auch traf die Krise die Indikatoren unterschiedlich stark. So fielen das L-Bank-ifo-Geschäftsklima für das Verarbeitende Gewerbe und der Auftragseingang auf 65 % ihres Ausgangsniveaus von 2007. Die Indizes für Umsatz und Produktion erreichten mit 73 % bzw. 78 % ihre Tiefpunkte. Noch gedämpfter entwickelten sich die Arbeitsmarktindikatoren für das Verarbeitende Gewerbe. Auf gut 88 % sanken die Arbeitsstunden verglichen zum Niveau von 2007. Gleichzeitig reduzierten sich die Beschäftigtenzahlen kaum und betrugen in ihrem Tiefststand immer noch 97 % des Vorkrisenniveaus.

Internationaler Handel befand sich 2009 im Schockzustand

Der durch die Finanzkrise ausgelöste Schock betraf den internationalen Handel in besonders starkem Umfang. Daten der Welthandelsorganisation WTO zeigen, dass der globale Güterhandel nominal und in US-Dollar gerechnet2 von 2008 auf 2009 um 22,3 % sank. Das Vereinigte Königreich sah sich einem Rückgang von 11,3 % gegenüber, während der japanische Warenexport um fast ein Drittel einbrach3. Die USA, die Eurozone, Deutschland und der Südwesten mussten bei der Warenausfuhr in etwa einen Verlust in Höhe von 18 % hinnehmen. Insgesamt reagierte der Export in der Finanzkrise in den beschriebenen Ländern in ähnlicher Weise. Der außenwirtschaftliche Einbruch schlug sich trotz der synchronen Bewegung aber unterschiedlich auf die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nieder, wie später gezeigt wird. Dies lag zum Teil an den stark divergierenden Exportanteilen der betrachteten Länder. So betrug der Anteil in den Vereinigten Staaten 2008 nur 8,7 %, während in Deutschland der Wert mit 38,4 % mehr als viermal so hoch ausfiel.4 In Baden-Württemberg belief sich die Exportquote auf 39,1 % und damit leicht höher als in Deutschland. Die Erholungsphase lief mit Ausnahme von Japan synchron ab. So übertraf spätestens 2011 das nominale Exportvolumen bei den betrachteten Ländern wieder das Vorkrisenniveau. Wie aus Tabelle 1 deutlich wird, gewannen die Ausfuhren bezogen auf die Wirtschaftsleistung in den europäischen Staaten an Bedeutung. So stand der Export im Vereinigten Königreich 2017 für 17 % des BIPs und damit knapp 1 Prozentpunkt mehr als noch 2008. In Deutschland erhöhte sich der Anteil ebenfalls um 1 Prozentpunkt und betrug gut 39 %. Baden-Württemberg steigerte seinen Anteil auf fast 41 %. Besonders stark – nämlich um knapp 8 Prozentpunkte – erhöhte sich der Exportanteil in der Schweiz und erreichte den höchsten Wert der betrachteten Länder. In den Vereinigten Staaten dagegen sank der Anteil auf 8 % des BIPs.

Politikreaktion auf den Wirtschaftseinbruch

Als Reaktion auf die sich global ausbreitende Krise beschloss die Politik umfangreiche Maßnahmenpakete, deren einzelne Beschreibung den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde. Daher wird im Folgenden nur auf wichtige gesamtwirtschaftliche Kenngrößen eingegangen. Da sich mit der Insolvenz von Lehman Brothers die Wirtschaftskrise von den USA ausgehend auf andere Staaten ausbreitete, wurde eine globale Abstimmung auf politischer Ebene notwendig. So wurde der bisher nur unter den Finanzministern stattfindende G20-Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs aufgewertet. Auf ihrem Gipfel im November 2008 beschlossen die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Washington, in wichtigen Bereichen zusammenzuarbeiten. Ziel war es, das Wachstum zu stärken, die damals noch andauernde Finanzkrise zu bekämpfen und insbesondere Reformen im Finanzsektor anzustoßen, um zukünftig ähnliche Krisen zu verhindern.

Geldpolitik: Zinssenkungen und Wertpapierkäufe verhinderten noch stärkeren Wirtschaftseinbruch

Um die Folgen der Finanzkrise abzumildern kamen als Politikreaktion geld- und fiskalpolitische Instrumente zum Einsatz. Für die Geldpolitik sind die jeweiligen nationalen Notenbanken verantwortlich. Ihnen stehen konventionelle Instrumente wie die Wahl des kurzfristigen Zinssatzes zur Verfügung, über die wichtige gesamtwirtschaftliche Aggregate wie Investitionen und Konsum beeinflusst werden. In Folge der Krise senkte die US-Notenbank Fed (Federal Reserve System) ihren Leitzins, sodass sich der kurzfristige Dreimonatszins im Jahresdurchschnitt 2007 von 5,3 % auf 0,5 % im Jahr 2010 verringerte. Die Europäische Zentralbank (EZB) verfuhr in ähnlicher Weise, auch wenn sie trotz der sich abzeichnenden Konjunkturabschwächung noch im Juli 2008 eine Zinserhöhung vornahm. Von 4,6 % im Jahr 2008 verringerte sich der kurzfristige Zins auf durchschnittlich 0,8 % (2010). Der außergewöhnlich starke Wirtschaftsabschwung brachte das konventionelle Instrumentarium aller Notenbanken schnell an ihre Grenzen, da Zinsen aus diversen Gründen5 nicht unter null fallen können. Daher erweiterten die Zentralbanken ihr Instrumentarium um unkonventionelle Maßnahmen, die eine Verringerung des langfristigen Zinsniveaus und eine verstärkte Kredittätigkeit zum Ziel hatten. Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und teilweise auch Aktien landeten somit in den Notenbankbilanzen. Schaubild 3 zeigt, dass sich die Zentralbankbilanzen in Relation zur Wirtschaftsleistung ab 2007 stark erhöhten. So steigerte die US-Notenbank ihre Bilanz von 6,2 % in 2007 auf ein Maximum von 25,9 % in 2014. Die EZB versuchte zunächst die Krise mit langlaufenden Krediten an das Bankensystem in den Griff zu bekommen. Sie begann erst zum Jahresende 2014 mit dem Aufkauf von Wertpapieren. Aktuell macht die EZB-Bilanz gut 44 % der Wirtschaftsleistung aus und liegt somit 26 Prozentpunkte höher als noch 2007. In der Bevölkerung wird die Politik der EZB und der Fed oft kritisch gesehen. Andere Zentralbanken erhöhten ihre Bilanzsumme allerdings noch stärker. So umfasst die japanische Zentralbankbilanz nahezu die gesamte Wirtschaftsleistung eines Jahres. Die Schweizer Notenbank besitzt aufgrund hoher Stützungskäufe am Devisenmarkt eine Bilanz, die sich 2017 auf fast 120 % des BIPs beläuft.

Fiskalpolitik: Konjunkturpolitik federte Wirtschaftseinbruch ab

Auf Seiten der Fiskalpolitik fielen zum einen zusätzliche Ausgaben aufgrund des konjunkturellen Einbruchs an (automatische Stabilisatoren). Zum anderen erhöhten auch Kapitalspritzen für Banken und Versicherungen die Neuverschuldung. Des Weiteren unterstützte die Politik einzelne Branchen, die vom massiven Wirtschaftseinbruch besonders betroffen waren. In Deutschland wurde beispielsweise durch die Abwrackprämie die Pkw-Nachfrage wieder angekurbelt. Zusammengenommen führten diese Maßnahmen zu einem negativen staatlichen Finanzierungssaldo. Anders gesagt stieg die staatliche Neuverschuldung drastisch. 2007 lag diese in der Eurozone bei 0,6 % des BIPs und stieg bis 2009 um 5,6 Prozentpunkte auf 6,3 %. In der Rückschau fiel die fiskalische Reaktion in der Eurozone verglichen mit anderen Ländern sehr gemäßigt aus. In Japan erhöhte sich die Neuverschuldung um 7 Prozentpunkte auf über 10 % und im Vereinigten Königreich um 7,5 Prozentpunkte auf ebenfalls 10 %. Die stärkste Ausweitung fand in den Vereinigten Staaten statt. Von 2,9 % stieg die Neuverschuldung auf über 13 %. Auch in den Folgejahren wurde die Neuverschuldung nur graduell zurückgefahren. Entsprechend stark erhöhte sich der öffentliche Gesamtschuldenstand. In der Eurozone stieg der Schuldenstand um 27 Prozentpunkte und erreichte im Jahr 2014 seinen bisherigen Höchststand. 108 % des BIPs betrug die Staatsverschuldung 2017 in den USA und lag damit 43 Prozentpunkte höher als 10 Jahre zuvor. Das Vereinigte Königreich ging mit einem relativ niedrigen Schuldenstand (42 %) in die Finanzkrise. Allerdings verdoppelte er sich seit 2007 und rangierte 2017 bei 87 %. Japan weist seit Mitte der 1990er-Jahre öffentliche Verbindlichkeiten auf, welche die jährliche Wirtschaftsleistung deutlich übertreffen. Durch die Finanzkrise erhöhte sich die Gesamtverschuldung nochmals und erreichte mit 236 % des BIPs den höchsten Wert aller Industriestaaten. Insgesamt gesehen haben die politischen Entscheidungsträger aus den Fehlern der letzten globalen Wirtschaftskrise in den 1920er-Jahren gelernt und eine weitere folgenschwere Depression verhindert. Durch die beschriebenen massiven Zinssenkungen und Stützungskäufe der Zentralbank sowie fiskalpolitischen Stabilisierungsprogramme konnten die Folgen eingedämmt werden, sodass man die Episode von 2008 und 2009 »nur« als große Rezession bezeichnet. Dennoch war der Verlust an globaler Wirtschaftsleistung der größte seit dem Zweiten Weltkrieg.

Der zeitliche Ablauf der einsetzenden wirtschaftlichen Erholung lässt sich wieder anschaulich anhand der sechs Konjunkturindikatoren des Verarbeitenden Gewerbes beschreiben. So stoppten die eingeleiteten fiskal- und geldpolitische Maßnahmen ab dem 1. Quartal 2009 zuerst den Sinkflug der Stimmungsindikatoren wie beispielsweise des L-Bank-ifo-Geschäftsklimas. Im 4. Quartal 2010 erreichte dieses wieder das Niveau des 1. Quartals 2007 und damit 8 Quartale nach seinem Tiefststand. Die Erholungsphase beim Auftragseingang sowie bei Produktion, Umsatz und Beschäftigung setzte mit ähnlicher zeitlichen Verzögerung wie beim Wirtschaftseinbruch ein. Hier dauerte es jedoch teilweise noch bis zum Jahr 2017 bis das Vorkrisenniveau übertroffen wurde.

Auswirkungen der Finanzkrise auf die reale Wirtschaftsleistung und die anschließende Erholung

Nachdem massive Eingriffe durch Geld- und Fiskalpolitik eine Situation wie in den 1920er-Jahren verhinderte und die Abwärtsdynamik gestoppt war, diskutierten Entscheidungsträger wie der weitere Konjunkturverlauf aussehen könnte.6 10 Jahre nach Beginn der Krise lässt sich ein erstes Resümee ziehen, wie sich wichtige gesamtwirtschaftliche Kenngrößen gegenüber dem Vorkrisenniveau entwickelt haben. Insbesondere wird im Folgenden auf die reale Wirtschaftsentwicklung insgesamt und im speziellen auf die Dynamik im Verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe eingegangen.

In den Vereinigten Staaten, dem Ausgangspunkt der Finanzkrise, ging die reale Wirtschaftsleistung 2009 um knapp 3 % zurück und übertraf 2011 wieder ihr Vorkrisenniveau. Dieser gemessen an Dauer und Umfang relativ geringe Rückgang ist auch darauf zurückzuführen, dass die geld- und fiskalpolitischen Eingriffe dort frühzeitiger einsetzten und größer ausfielen als beispielsweise in der Eurozone. 2017 lag die reale Wirtschaftsleistung um 15 % über dem Wert von 2008. Insgesamt kehrte die US-amerikanische Volkwirtschaft wieder auf ihren Wachstumstrend zurück. Der durch die Finanzkrise ausgelöste einmalige Verlust an Wirtschaftsleistung konnte dagegen nicht wieder ausgeglichen werden. Die Schweiz wurde von der Finanzkrise trotz ihrer hohen Bankendichte und ihres bedeutenden Exportsektors nur gering getroffen. 2009 sank die reale Wirtschaftsleistung nur um 2,2 %. Bereits 2010 übertraf das BIP wieder das Vorkrisenniveau und lag 2017 um 12 % über dem Wert von 2008. Fast doppelt so stark wie in der Schweiz fiel der BIP-Rückgang im Vereinigten Königreich aus (– 4,3 %). Entsprechend dauerte es 2 Jahre länger, bis die Wirtschaftsleistung im Königreich wieder auf dem Stand von 2008 war. Trotz des höheren Einbruchs lagen beide Länder beim BIP-Zuwachs verglichen zu 2008 fast gleichauf (Vereinigtes Königreich 11,7 %).

Eurozone erlitt doppelte Rezession, Südwesten hat Finanzkrise vergleichsweise schnell verdaut

Die Eurozone erlitt einen ähnlich hohen Einbruch der Wirtschaftsleistung wie das Vereinigte Königreich und auch die Erholungsphase verlief bis 2011 synchron. Ab 2012 hatten allerdings einige Mitgliedsländer der Eurozone mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, sodass das reale BIP erst 2015 das Niveau vor der globalen Finanzkrise übertraf. Da die Eurozone zwei Krisen (Finanz- und Eurokrise) hintereinander bewältigen musste, lag die kumulierte Wirtschaftsleistung 2017 nur um knapp 6 % über dem Niveau von 2008. Aufgrund seiner Wirtschaftsstruktur (hoher Industrie- und Exportanteil) war die Finanzkrise in Deutschland besonders spürbar. Real sank das BIP 2009 um 5,6 %. Baden-Württemberg wiederum gehörte innerhalb der Bundesländer mit einem Minus von 9,1 % zu den am stärksten betroffenen Ländern.7 Dem steilen Abstieg folgte jedoch eine ebenso kräftige Gegenbewegung, sodass das BIP bereits 2011 wieder das Niveau von 2008 übertraf und damit ein ausgeprägter V-förmiger Konjunkturverlauf entstand. In Deutschland ist der reale BIP-Zuwachs bis 2017 mit dem Plus in Großbritannien vergleichbar (11,7 %). Der Südwesten liegt trotz des tieferen Einbruchs in der Finanzkrise gut 1 Prozentpunkt höher (+ 13 % gegenüber 2008).

Zur Vollständigkeit sei noch die Entwicklung der japanischen Volkswirtschaft als größte entwickelte Wirtschaft Asiens erwähnt. 2009 erlitt sie einen BIP-Einbruch von 5,4 % und somit in einer ähnlichen Größenordnung wie in Deutschland. Anschließend erholte sich die japanische Wirtschaft allerdings deutlich langsamer. Um 6 % lag das japanische BIP 2017 über dem Wert von 2008.

Achterbahnfahrt im Verarbeitenden Gewerbe

Der Wirtschaftsabschwung schlug sich unterschiedlich stark in den einzelnen Wirtschaftszweigen nieder. Insbesondere das Verarbeitende Gewerbe litt unter der rückläufigen Wirtschaftstätigkeit, da dort die von der Krise besonders in Mitleidenschaft gezogenen Investitions- und Exportgüter gefertigt werden. So fiel das Minus in den in Schaubild 6 dargestellten Ländern um ein Vielfaches stärker aus als der bereits beschriebene gesamtwirtschaftliche Rückgang. In den Vereinigten Staaten reduzierte sich die reale Bruttowertschöpfung in der Industrie um 7,6 % und damit fast dreimal so stark wie die gesamtwirtschaftliche Produktion (– 2,8 %). Auch dauerte es deutlich länger, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht wurde. In den USA war dies erst 2014 der Fall und damit ganze 3 Jahre nach dem realen BIP. Fast doppelt so stark wie in den Vereinigten Staaten sank 2009 die reale Wertschöpfung der Industrie in der Eurozone (– 14,5 %). Entsprechend verlängerte sich auch die Erholungsphase. Das Vorkrisenniveau wurde erst 2015 überschritten und damit im gleichen Jahr wie die gesamtwirtschaftliche Wirtschaftsleistung.

Ein ähnliches Resultat gilt bezüglich der Erholungsphase auch für Deutschland und Baden-Württemberg. Der Einbruch durch die Wirtschaftskrise – sowohl beim realen BIP und der Industriewertschöpfung – war bereits 2011 abgeschlossen. Im Jahr 2009 sah sich das Verarbeitende Gewerbe einem Minus von 19,1 % (Deutschland) bzw. 25 % (Baden-Württemberg) gegenüber. Somit fiel auch dort der Einbruch um ein Vielfaches (3,4-fach in Deutschland und 2,8-fach in Baden-Württemberg) stärker aus verglichen zum gesamtwirtschaftlichen Rückgang.

Im internationalen Vergleich haben 2017 alle betrachteten Länder bis auf das Vereinigte Königreich bei der Industriewertschöpfung das Vorkrisenniveau überschritten. Bei den kontinentaleuropäischen Ländern fungierte das Verarbeitende Gewerbe sogar als Konjunkturtreiber, da das Wachstum der realen Wertschöpfung über dem realen BIP lag. In Japan entwickelte sich die Industrie seit 2008 leicht unterdurchschnittlich (0,7 Prozentpunkte unter BIP), während sie in den USA und dem Vereinigten Königreich mit 10,6 bzw. 11,8 Prozentpunkten deutlich hinter der Gesamtwirtschaft zurückblieb.

Bausektor in der Eurozone und den USA leidet bis heute unter den Krisenfolgen

In der Rückschau auf die Finanz- und Wirtschaftskrise darf man die eigentliche Ursache nicht aus den Augen verlieren. Nämlich eine durch niedrige Zinsen und laxe Regulierung erzeugte Blase am Immobilienmarkt, durch die auch Überkapazitäten im Bausektor aufgebaut wurden. Somit ist es wenig überraschend, dass in den USA, aber auch manchen Ländern der Eurozone der Bausektor gemessen an seiner realen Wertschöpfung die Krise bis heute noch nicht bewältigt hat. Nach einem zweistelligen Einbruch im Jahr 2009 in den anglo-amerikanischen Ländern (– 13,3 % im Vereinigten Königreich und – 12,8 % in den Vereinigten Staaten) erholte sich die Wertschöpfung im Vereinigten Königreich wieder und liegt aktuell knapp 15 % über dem Wert von 2008 (Schaubild 7). Dagegen rangierte der Bausektor in den Vereinigten Staaten auch 2017 noch 1,5 Prozentpunkte unter seinem Vorkrisenniveau. In der Eurozone fiel das Minus 2009 mit 6,8 % zwar deutlich geringer aus, allerdings erlitt der Bausektor mit der Eurokrise und der platzenden Immobilienblase beispielsweise in Spanien ab dem Jahr 2012 einen zweiten Schwächeanfall. Damit war der Bausektor bis 2015 einem permanenten Schrumpfungsprozess unterworfen und lag 2017 knapp 18 Prozentpunkte unter seinem 2008er Niveau. Positiv entwickelte sich der Bausektor in den Ländern, die keiner Immobilienblase ausgesetzt waren. So lag die reale Wertschöpfung in Deutschland und Baden-Württemberg jeweils 12 Prozentpunkte über dem Niveau von vor 10 Jahren. Noch besser verlief die Entwicklung im oben genannten Vereinigten Königreich und der Schweiz (15 bzw. 19,4 Prozentpunkte).

Auswirkungen der Finanzkrise auf die Beschäftigung

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, welche Folgen die Finanzkrise für die Beschäftigung hatte. Hierbei ist einerseits die Entwicklung der Erwerbstätigen eine wichtige Kenngröße, aber auch die von ihnen geleisteten Arbeitsstunden. In Schaubild 8 wird innerhalb der betrachteten Länder eine unterschiedliche Dynamik bei den erwerbstätigen Personen deutlich. Während 2009 insbesondere in den USA, der Eurozone, dem Vereinigten Königreich und Japan Erwerbstätige tendenziell entlassen wurden, hielten Unternehmen in Deutschland und der Schweiz an ihrem Mitarbeiterstamm fest. Im Südwesten wurde die Beschäftigung trotz des vergleichsweisen starken Rückgang des BIPs (– 9,1 %) nur leicht reduziert (– 0,6 %). Auch die Erholungsphase nach der Krise verlief in den Ländern unterschiedlich. So lag die Beschäftigung 2017 in Deutschland und dem Vereinigten Königreich gut 8 % über dem Niveau von 2008. Der Südwesten schlug sich sogar noch etwas besser (9 %). Die Schweiz marschierte in der gewählten Ländergruppe voraus und verfügte 2017 über 13 % mehr Beschäftigung als noch 2008. Deutlich schwächer verlief der Beschäftigungsaufbau in Japan und den USA, für die Daten lediglich bis zum Jahr 2016 verfügbar sind. Japan übersprang erst 2016 wieder das Vorkrisenniveau und die Vereinigten Staaten erhöhten ihre Beschäftigung gegenüber 2008 um nur 4 %. Die Eurozone verzeichnete bei der Erwerbstätigkeit die schwächste Dynamik. Bedingt durch die Eurokrise lag die Anzahl der erwerbstätigen Personen erst 2017 und damit 10 Jahre nach Beginn der Wirtschaftskrise über dem Niveau von 2008. Somit entwickelte sich die Erwerbstätigkeit im Südwesten um fast 8 Prozentpunkte besser als in der Eurozone.

Arbeitsstunden sanken deutlich stärker als die Zahl der Erwerbstätigen

Wie aus Schaubild 9 deutlich wird, sanken die Arbeitsstunden deutlich stärker als die erwerbstätigen Personen. Im Vereinigten Königreich lag der Rückgang 2009 bei Personen und Stunden etwa gleichauf (– 1,6 % und – 1,9 %). In der Eurozone reduzierten sich die Arbeitsstunden fast doppelt so stark wie die Erwerbspersonen (– 3,6 % gegenüber – 1,9 %). Noch deutlicher fiel das Minus bei den Arbeitsstunden in Deutschland und Baden-Württemberg aus (– 3,1 % bzw. – 5,4 %). Damit gelang es dank arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie dem verstärkten Einsatz von Kurzarbeit und dem Abbau von Überstunden eine große Entlassungswelle zu verhindern. Durch diese Instrumente konnten in Deutschland und im Südwesten trotz eines sehr starken BIP-Rückgangs, Beschäftigte in den Unternehmen gehalten werden.8 Eine Sonderstellung in der Beschäftigungsentwicklung nehmen die Vereinigten Staaten ein. Hier verlief die Dynamik sowohl bei den Erwerbspersonen als auch den Arbeitsstunden deutlich negativer als es das Minus bei der realen Wirtschaftsleistung hätte vermuten lassen. Das reale BIP sank 2009 um 2,8 %, während die Erwerbspersonen um 3,7 % und die Arbeitsstunden um 5,5 % zurückgingen.

Ganz generell bewegten sich Arbeitsstunden und Erwerbstätige in den anglo-amerikanischen Ländern innerhalb der letzten 10 Jahre synchron, sodass beide Größen am aktuellen Rand etwa ein ähnliches Niveau, gemessen am Stand von 2008, aufwiesen. In den Vereinigten Staaten liegen Arbeitsstunden und Erwerbstätigkeit um 4 % und im Vereinigten Königreich um 9,8 % bzw. 8,2 % über dem Wert von 2008. Nach einem etwas anderem Muster verlief die Dynamik bei beiden Beschäftigungsgrößen in Deutschland und Baden-Württemberg. Hier blieb das Plus an Arbeitsstunden um etwa 5 Prozentpunkte hinter dem Erwerbstätigenzuwachs zurück. Für die Eurozone gilt ein ähnlicher Befund wie für den Südwesten, allerdings liegen die Arbeitsstunden dort noch 2,7 % unter dem Niveau von 2008.

1 Der Konjunkturzyklus befand sich dort bereits in seiner Spätphase, die das Stimmungsbarometer vorwegnahm. So ging der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2007 davon aus, dass der Aufschwung 2008 auslaufen wird. Auch international begann sich die konjunkturelle Dynamik bereits abzukühlen. So senkte die US-Notenbank im Jahresverlauf 2007 ihren Leitzins von 5,25 % auf 4,5 %.

2 Abwertungen einzelner Währungen gegenüber dem US-Dollar können somit auch zu sinkenden Exporten führen.

3 Jeweils ohne Wechselkurseffekte, also direkt in Britischem Pfund und Japanischem Yen gerechnet.

4 Dennoch bedeutet eine viermal höhere Exportquote nicht, dass die Wirtschaftsleistung viermal so stark einbricht. Für die Berechnung der Wirtschaftsleistung ist die im Inland erbrachte Wertschöpfung relevant. Da in den Exporten auch ein hoher Importanteil enthalten ist und die Importe in der Krise ebenfalls stark rückläufig waren, ist der Nettoeffekt aus dem Außenhandel zunächst einmal unbestimmt und abhängig von den Import- und Exportelastizitäten.

5 Bei positiven Zinssätzen zahlt der Kreditnehmer Zinsen an den Kreditgeber. Bei einem negativen Zins drehen sich die Zahlungen um. Dies bedeutet, dass Banken für ihre Einlagen bei der Notenbank Zinsen entrichten müssen. Gleiches gilt bei Privatpersonen, die auf ihre Kontoeinlage nun Zinsen an die Bank zahlen. Allerdings entstehen bei Negativzinsen starke Anreizeffekte, unverzinstes Bargeld anstelle von Buchgeld zu halten.

6 In Form eines Vs (schnelle Rückkehr zum Ausgangsniveau), eines Us bzw. einer Badewanne (nach Stagnation allmähliche Rückkehr zum Vorkrisenniveau) oder eines Ls (lange andauernde Stagnationsphase).

7 Nur in Bremen (– 9,3 %) und im Saarland (– 10,6 %) fiel das Minus noch kräftiger aus.

8 Siehe Herzog-Stein, Alexander/Lindner, Fabian/Sturn, Simon: Explaining the German Employment Miracle in the Great Recession – The Crucial Role of Temporary Working Time Reductions, in: IMK Working Paper 114–2013, 2013. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die robuste Entwicklung am Arbeitsmarkt insbesondere auf Kurzarbeiterregelungen, Arbeitszeitkonten, aber auch diskretionäre Änderungen der Arbeitszeit zurückzuführen sind. Dagegen verhielt sich die Produktivität wie in anderen Rezessionsphasen.