:: 3/2019

Integrierte Schulden

In Baden-Württemberg findet seit Jahren ein Wandel statt. Öffentliche Aufgaben werden zunehmend nicht mehr von den öffentlichen Gebietskörperschaften (wie Bund, Länder, Gemeinden) selbst wahrgenommen, sondern ausgelagert. Hierdurch wird das Finanzvolumen nicht mehr im Haushalt der einzelnen Gebietskörperschaften nachgewiesen, sondern im Rechnungswesen der ausgelagerten Einrichtungen erfasst. Um die Schulden aller kommunaler Einrichtungen in Baden-Württemberg gleich welcher Rechtsform vollständig abbilden zu können, ist es notwendig die zum Teil komplexen Beteiligungen aufzulösen und die Schulden den Gebietskörperschaften gemäß der Beteiligungsstruktur zuzuordnen. Im folgenden Beitrag wird gezeigt was integrierte Schulden sind und wie sie berechnet werden.

Die Schuldenstatistik wird jährlich erhoben.1 In der Schuldenstatistik werden die Schulden nach Arten zum jeweiligen Stichtag dargestellt. Dazu gehören die Schulden gegenüber dem öffentlichen Bereich und gegenüber dem nicht-öffentlichen Bereich. Bei den integrierten Schulden sind jedoch nur die Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich ausgewiesen. Zu den Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich zählen: Wertpapierschulden, Kredite und Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich.2 Für die integrierten Schulden werden die Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich zugerechnet, die aufgrund von Beteiligungen von Gemeinden und Landkreisen an sogenannten Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (FEU), den Gebietskörperschaften anteilig zugewiesen werden. In der jährlichen Schuldenstatistik werden die Schulden der Gemeinden, Stadtkreise und Kreise, sowie deren Eigenbetriebe und Eigengesellschaften dargestellt. Im Vergleich zu den integrierten Schulden werden hier Schulden in Höhe von 12,7 Mrd. Euro (Ende 2017) nicht auf den kommunalen Bereich zugeordnet. Aufgrund dessen kann es vorkommen, dass eine Gemeinde bei der Schuldenstatistik als schuldenfrei3 gilt aber bei den integrierten Schulden, durch die Schulden der Beteiligungen, Schulden zugewiesen bekommt. Als schuldenfrei gilt eine Gemeinde in der Schuldenstatistik, wenn sie keine Schulden im Kernhaushalt, in den Eigenbetrieben und bei den Eigengesellschaften gegenüber dem öffentlichen und nicht öffentlichen Bereich aufweist. Bei den integrierten Schulden gilt als schuldenfrei wer keine Schulden im Kernhaushalt, bei den Extrahaushalten und bei den FEU verzeichnen kann. Anhand der Schuldenstatistik können die Finanzdaten einer Kommune A, welche umfangreiche Ausgliederungen, nicht nur in Form von Eigenbetrieben, vorgenommen hat, nicht zutreffend mit der Kommune B verglichen werden, welche die Aufgaben nicht ausgegliedert hat sondern selbst wahrnimmt. Durch die integrierten Schulden können die Finanzdaten vergleichbar gemacht werden (siehe i-Punkte).

Auswertungsergebnisse4

Die integrierten Schulden des öffentlichen Bereichs in Baden-Württemberg beliefen sich zum 31. Dezember 2017 auf insgesamt 30,2 Mrd. Euro gegenüber dem nicht-öffentlichen Bereich. Bei 10 989 375 Einwohnern beliefen sich somit die Schulden auf 2 749 Euro je Einwohner. Im bundesweiten Vergleich lag Baden-Württemberg damit im unteren Drittel. Andere Flächenländer mit einer ähnlichen Einwohnerzahl, wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen hatten eine höhere Pro-Kopf-Verschuldung vorzuweisen. Baden-Württemberg schneidet im Vergleich zu Bayern mit einer Verschuldung in Höhe von 2 413 Euro je Einwohner etwas schlechter ab.

In Schaubild 1 sind die integrierten Schulden je Schale zum 31. Dezember 2017 in einem Kreisdiagramm dargestellt. Es ist deutlich sichtbar, dass der größte Teil der Schulden mit einem Anteil von 72 % aus dem Bereich »Sonstige FEU« stammte. Nur rund 20 % der integrierten Schulden in Baden-Württemberg sind den Kernhaushalten zuzurechnen.

Baden-Württemberg untergliedert sich in 35 Landkreise und neun Stadtkreise. Die neun Stadtkreise vereinten zum 31. Dezember 2017 9,6 Mrd. Euro Schulden unter sich. Die Schulden hatten sich zum Vorjahr um 2 % erhöht. Die Landeshauptstadt Stuttgart war der Stadtkreis mit der geringsten Verschuldung je Einwohner in Höhe von 2 871 Euro. Mannheim war nach wie vor der am höchsten verschuldete Stadt­kreis mit knapp 2,4 Mrd. Euro bzw. 7 843 Euro je Einwohner.

Das Schaubild 2 zeigt, dass bei den Stadtkreisen nur rund 14 % der integrierten Schulden aus dem Kernhaushalt stammten. Bei den anderen Gebietskörperschaften bewegten sich die integrierten Schulden aus dem Kernhaushalt zwischen 18 % und 21 %.

Auf die 35 Landkreise in Baden-Württemberg entfielen Schulden in Höhe von 6,4 Mrd. Euro. Je Einwohner entspricht dies gut 720 Euro. Schaubild 3 zeigt die integrierten kommunalen Schulden der Kreisgebiete und Stadtkreise in Baden-Württemberg am 31. Dezember 2017 je Einwohner in Euro. Der Landkreis Lörrach verzeichnete knapp 20,5 Mill. Euro Schulden bzw. 90 Euro pro Einwohner. Damit war dieser Landkreis, wie im Jahr 2016, der am geringsten verschuldete Landkreis je Einwohner in Baden-Württemberg.

Die höchste Pro-Kopf-Verschuldung wies der Alb-Donau-Kreis mit 3 866 Euro auf. Hier ist auffällig, dass der größte Anteil der Schulden wegen FEU außerhalb des Sektors Staat begründet war, bei denen der Kernhaushalt unter 50 % beteiligt ist. Dieselbe Struktur wies der Landkreis Ravensburg auf, der am Absolutwert gemessen am höchsten verschuldete Landkreis mit 820 Mill. Euro. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass beide Landkreise, über Anteile an verschiedenen FEU, an den hohen Schulden der EnBW AG beteiligt sind. Diese hat wiederum selbst Beteiligungen an verschuldeten Unternehmen, wodurch die Schulden dieser FEU entsprechend ihrer Be­teiligung auf die Landkreise verteilt werden.

In der Tabelle wird aufgezeigt aus welcher Schale die Schulden bei den einzelnen Stadt- und Landkreisen stammten. In der Tabelle ist zu sehen, dass die Schulden der sonstigen FEU ungefähr das sechsfache der Schulden aus den Extrahaushalten betrugen. Die Tabelle unterstützt die Aussage des Schaubildes 1, dass der größte Teil der integrierten Schulden aus der Schale der sonstigen FEU stammte.

Insgesamt 8,1 Mrd. Euro Schulden verteilten sich auf die 94 Großen Kreisstädte in Baden-Württemberg. Dies entspricht 2 316 Euro je Einwohner. Die am geringsten verschuldete Große Kreisstadt war wie schon im Vorjahr Ehingen (Donau) mit knapp 1,5 Mill. Euro bzw. 59 Euro je Einwohner. Dem höchsten Schuldenberg sah sich nach wie vor Esslingen am Neckar mit rund 371 Mill. Euro (bzw. 4 004 Euro pro Einwohner) gegenüber. Die größte Pro-Kopf-Verschuldung wies Schwäbisch Hall auf mit 8 287 Euro. Erwähnenswert ist hier, dass der öffentliche Gesamthaushalt (Kernhaushalt und Extrahaushalte) von Schwäbisch Hall schuldenfrei ist. Die kompletten Schulden beruhen auf Beteiligungen an sonstigen FEU außerhalb des Sektors Staat. In Baden-Württemberg hatten 2017 sechs Große Kreisstädte einen schuldenfreien Kernhaushalt.

Die 1 101 Gemeinden in Baden-Württemberg meldeten zusammen 23,2 Mrd. Euro Schulden. Dies entspricht einer Verschuldung je Einwohner von 2 112 Euro. Der Größenunterschied bei der Pro-Kopf-Verschuldung zu anderen Verwaltungsebenen ist unter anderem auf die quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben zurückzuführen. Insgesamt 13 Gemeinden standen Ende des Jahres 2017 ohne Schulden gegenüber dem nicht-öffentlichen Bereich da. Im Jahr 2016 waren es noch 22 Gemeinden. Die Gemeinde Niefern-Öschelbronn war nach wie vor noch die von der Einwohnerzahl größte schuldenfreie Gemeinde in Baden-Württemberg mit 12 009 Einwohnern. 204 Gemeinden und Gemeindeverbände hatten keine Schulden im Kernhaushalt. Dies entspricht knapp einem Fünftel an der Gesamtzahl der Gemeinden und Gemeindeverbände.

Ebenfalls interessant zu sehen ist, auf welche Wirtschaftszweige (WZ) sich die Schulden in Baden-Württemberg verteilen. Allen Berichtstellen wird ein Wirtschaftszweig nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Betätigung zugeordnet.5 Somit können die Schulden nach Wirtschaftszweigen in Schaubild 5 dargestellt werden. Die Darstellung erfolgt nach Abschnitten der WZ-Systematik, dies ist die gröbste Einteilung. Die WZ-Systematik beinhaltet 21 Abschnitte, die mit den Buchstaben A bis U bezeichnet sind. In der vorliegenden Auswertung wurden Schulden von unter 1 % nicht dargestellt.

Hinweise zur Interpretation der Daten

In der vorangegangenen Auswertung wurden mit statistisch-mathematischen Methoden die Schulden aller FEU entsprechend der individuellen Anteile auf die Kernhaushalte zurückgerechnet und dort zu den originären Schulden addiert. Es handelt sich um eine statistische Größe, welche die gesamte Verschuldung des öffentlichen Sektors in Baden-Württemberg ausdrückt.

Die Daten können einen Überblick über das durch Beteiligungen zugerechnete und unmittelbar im Kernhaushalt verbuchte Schuldenvolumen geben. Zudem können so näherungsweise Hinweise über wirtschaftliche Risiken außerhalb des Kernhaushaltes gegeben werden. Die Daten geben aber nicht das Volumen wieder, für das die Kernbereiche also die innerste Schale des Schalenkonzeptes haften müssen, falls eine FEU insolvent wird. Es besteht volle Haftung für die Schulden des Kernhaushaltes und der Eigenbetriebe. Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich nicht insolvenzfähig.6 Bei vollrechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts gibt es in Baden-Württemberg eine Gewährträgerhaftung.7 Für andere öffentliche Einrichtungen mit privatrechtlicher Rechtsform haften die Kernhaushalte nur mit ihren Einlagen. Für die Haftung ist also die Rechtsform der Einrichtungen von Bedeutung. In Schaubild 6 sind die Schulden nach Rechtsformen aufgeteilt. Dort kann man entnehmen, dass über 53 % der Schulden aus der Rechtsform der GmbH stammen. Hier wird nur mit dem Gesellschaftsvermögen gehaftet.8

Des Weiteren sollte bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden, dass einer wirtschaftlichen Beteiligung nicht nur Schulden, sondern auch Vermögenswerte gegenüberstehen können. Diesem Problem könnte durch die statistische Analyse konsolidierter Bilanzen der Kernhaushalte und der FEU begegnet werden. Bis 2020 sollen die Kommunen in Baden-Württemberg vom bisher kameralen auf das doppische Buchungssystem umgestellt haben.9 Nach dieser Umstellung ist es den Kommunen möglich einen konsolidierten Gesamtabschluss vorzulegen. Der konsolidierte Gesamtabschluss hat analog zur integrierten Schuldenstatistik in diesem Beitrag das Ziel, die Gemeinde mit ihren ausgelagerten Einheiten als wirtschaftliche Einheit (»Konzern Kommune«) abzubilden. Das Konzept des Gesamtabschlusses böte deshalb einen guten Ansatzpunkt, um eine konsolidierte Nettoposition abzuleiten und statistisch zu analysieren. Hierdurch wird die Vergleichbarkeit der Gemeinden gesteigert.

Außerdem wichtig mit einzubeziehen in der Interpretation ist, dass nur FEU, die zu mehr als 50 % der öffentlichen Hand gehören, berücksichtigt werden.10 Die Kernhaushalte können zusammen jedoch zum Beispiel auch nur eine Beteiligung von 49 % an einem Unternehmen halten. Hierdurch zählt das Unternehmen nicht zum öffentlichen Bereich, sondern zum privaten. Wenn dieses Unternehmen stark verschuldet ist, wird dies nicht bei den integrierten Schulden abgebildet.

Resümee und Ausblick

Dieser Artikel bekräftigt die anfänglich aufgestellte These, dass öffentliche Aufgaben immer mehr ausgelagert werden, wodurch zahlreiche Beteiligungen an unterschiedlichen Einheiten entstehen. Allein 2017 sind über 200 neue Berichtstellen hinzugekommen.11

Weiter zeigt dieser Artikel in welchen Schalen die Schulden des Landes Baden-Württemberg zu verzeichnen sind. Es ist auffällig, dass die Schulden nur zu etwa 20 % aus dem Kernhaushalt stammen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die integrierten Schulden nicht die kompletten Schulden aufzeigen. Sie weisen nur die Schulden gegenüber dem nicht-öffentlichen Bereich aus, jedoch zusätzlich noch sämtliche Schulden der FEU.

Durch einen Vergleich mit den Vorjahren lässt sich die Tendenz erahnen, dass auch zukünftig die öffentlichen Aufgaben weiter von den Kernhaushalten ausgelagert werden. Hierdurch gewinnt das Thema integrierte Schulden zunehmendes öffentliches Interesse und Präsenz.

1 § 5 Finanz- und Personalstatistik Gesetz (FPStatG).

2 https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentliche-Finanzen/FAQ/FachbegriffeFinanzPersonalstatistiken_pdf.html (Abruf: 02.04.2019).

3 Siehe auch Pressemitteilung 160/2018 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg vom 17. Juli 2018.

4 Datenquelle: destatis.

5 Erfolgt nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008).

6 § 12 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnung (InsO).

7 Gem. § 102a Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO BW) bzw. dem weggefallenen § 102a Abs. 8 S. 4 GemO BW.

8 § 13 Abs. 2 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG).

9 Artikel 13 Abs. 2 Gesetz zur Reform des Gemeindehaushaltsrechts.

10 § 2 Abs. 3 FPStatG.

11 Dies verzeichnet das Berichtskreismanagement (BKM) des statistischen Landesamtes Baden-Württemberg.