:: 8/2019

Herausforderungen der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung

Rahmenbedingungen und Methodik der Berechnung Basis 2017

Im Jahr 2017 stieg die Zahl der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger erstmals über 11 Mill. Seit der Gründung des Bundeslandes hat dessen Bevölkerung damit um mehr als 4 Mill. Personen zugenommen. Ob die Bevölkerung in den nächsten Jahren weiter anwachsen oder wieder zurückgehen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab – maßgeblich sind dabei die Geburten- und Sterberate sowie die Wanderungsbewegungen. Eine Bevölkerungsvorausrechnung stellt aufgrund der Variabilität dieser Faktoren immer eine Herausforderung dar. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie groß der Effekt schwer vorhersehbarer Ereignisse auf die Bevölkerungsentwicklung sein kann und wie politische Entscheidungen die Zuwanderung von Menschen in ein bestimmtes Gebiet beeinflussen können.

Daher ist es wichtig, sich bei der Betrachtung einer solchen Vorausrechnung immer wieder vor Augen zu führen, dass die errechneten Zahlen auf der Grundlage bestimmter Annahmen zustande gekommen sind. Im Folgenden werden die methodischen Grundlagen, die der aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung zugrunde liegen, genauer betrachtet. Die Ergebnisse der Vorausrechnung werden in weiteren Monatsheftartikeln gesondert vorgestellt.

Regionalisierte Vorausrechnung bis 2035

Die neuen Ergebnisse der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung basieren auf dem Stand der Bevölkerungsfortschreibung des Zensus 2011 in den Kommunen zum 31. Dezember 2017. Die verwendeten Bevölkerungszahlen sind dabei nach 100 Altersjahren und dem Geschlecht aufgegliedert, um den Alters- und Geschlechtsstrukturen der Gemeinden bei der Berechnung zu entsprechen. Diese Strukturen werden unter der Annahme von bestimmten Entwicklungen zu Sterblichkeit, Geburten und dem Wanderungsgeschehen in die Zukunft fortgeschrieben. Auf dieser Grundlage werden die Ergebnisse der Bevölkerungsvorausrechnung errechnet. Die getroffenen Annahmen beziehen sich dabei immer auf die Entwicklung der vergangenen Jahre in den jeweiligen Gemeinden und entsprechen demnach einer Status-Quo-Rechnung. Bei der Geburtenrate wurde dabei auf die Entwicklung der Jahre 2015 bis 2017 zurückgegriffen, bei der Sterberate auf die der Jahre 2014 bis 2017 und bei den Wanderungen auf die Entwicklung in den Jahren 2016 und 2017.

Während sich der Vorausrechnungszeitraum der Landesvorausrechnung bis zum Jahr 2060 erstreckt,1 wird für die regionalisierte Vorausrechnung bis zum Jahr 2035 in die Zukunft gerechnet. Dies hängt damit zusammen, dass kleinräumige Vorausrechnungen aufgrund der kleinen Grundgesamtheit mit höheren statistischen Unsicherheiten verbunden sind. Die Landesvorausrechnung spielt eine wichtige Rolle bei der Berechnung der regionalisierten zukünftigen Bevölkerungszahlen: Die Ergebnisse der Landesvorausrechnung dienen als Eckwerte für die regionalisierte Bevölkerungsvorausrechnung. Nach dem Top-Down-Prinzip werden die vorausgerechneten Landesergebnisse auf Gebietstypen verteilt, wodurch schlussendlich Aussagen über einzelne Gemeinden getroffen werden können. Die Berechnung wurde mit dem bereits bewährten Programm SIKURS2 durchgeführt, welches vom KOSIS-Verbund für regionale Bevölkerungsvorausrechnungen entwickelt wurde.

Typisierung: Voraussetzung für regionalisierte Analysen

Um die Zuverlässigkeit der Vorausrechnung zu erhöhen, werden verschiedene Gemeinden mit ähnlichen Strukturen zu Gruppen zusammengefasst. Dies ist notwendig, da Geburten- und Wanderungszahlen einzelner Gemeinden deutlich schwanken können. Diese Schwankungen werden in großen Gebietseinheiten wie dem Land Baden-Württemberg ausgeglichen. In Gemeinden mit wenig Einwohnerinnen und Einwohnern führen diese Schwankungen aber zu unrealistischen Vorausrechnungsergebnissen. Bei der Zusammenfassung der Gemeinden zu Gruppen (=Typisierung) wurde darauf geachtet, dass Gemeinden im Hinblick auf ihre Strukturmerkmale sowie ihr Wanderungs- und Geburtenverhalten innerhalb der Gruppen homogen sind (interne Homogenität), sich aber zwischen den Gruppen so deutlich wie möglich unterscheiden (externe Heterogenität). Dadurch können regionale Besonderheiten ausreichend berücksichtigt werden (Schaubild 1).

Die Typisierung der Gemeinden wurde mithilfe einer Clusteranalyse3 in SIKURS durchgeführt. Wie bei den vorhergehenden Bevölkerungsvorausrechnungen wurden drei Einflussfaktoren, welche sich als besonders erklärungsrelevant für die Wanderungsstrukturen von Gemeinden herausgestellt haben, für die Typisierung verwendet: der Anteil an Einfamilienhäusern, das Angebot an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Umland sowie die Pflegeplatzdichte. Der Anteil an Einfamilienhäusern steht als Indikator für die Ländlichkeit einer Gemeinde. Beim Arbeitsplatzangebot wurde die Anzahl der Arbeitsplätze innerhalb der Gemeinde sowie Arbeitsplätze in der Umgebung nach Pendelzeit berücksichtigt. Die Pflegeplatzdichte ist bei den Wanderungen von älteren Personen ein relevanter Aspekt. Zudem wurden die Ergebnisse der Typisierung kritisch gesichtet, um bei starken Abweichungen einzelne Gemeinden manuell anderen Typen zuzuordnen.4

Jene Gemeinden, die bereits aufgrund ihrer Größe eine ausreichende Fallzahl aufweisen, um plausible Vorausrechnungsergebnisse zu erreichen, wurden manuell als eigene Gruppen eingeführt. Ebenso wurden alle Oberzentren und Hochschulstandorte auf Basis der Wanderungen, Altersgruppen und Geburten gesichtet und manuell zu Gruppen zusammengefügt. Dadurch ergaben sich insgesamt 15 Binnenwanderungstypen, 14 Geburtentypen und vier Sterbetypen. Wie auch bei der Vorausrechnung mit Basis 2014 wurden zudem zwei Außenwanderungstypen unterschieden. Auf diese Weise können die Wanderungsannahmen aus dem restlichen Bundesgebiet von den Wanderungsannahmen aus dem Ausland unterschieden werden: Während die Wanderungen aus dem restlichen Bundesgebiet relativ stabil verbleiben, variiert der Wanderungssaldo aus dem Ausland stark. Die Charakterisierung der Wanderungstypen kann der Übersicht entnommen werden, die räumliche Verteilung in Baden-Württemberg ist in Schaubild 1 dargestellt.

Die strukturellen Unterschiede der verschiedenen Wanderungstypen zeigen sich in der differenzierten Entwicklung der Vorausrechnungsergebnisse. Wie in Schaubild 2 ersichtlich ist, variieren die Vorausrechnungsergebnisse zwischen den Wanderungstypen zum Teil erheblich. Auch wenn die Bevölkerung in allen Typen zwischen 2017 und 2035 wächst, gibt es einige Typen, in denen sich bereits ab Mitte der 2020er-Jahre die Bevölkerung voraussichtlich wieder leicht rückläufig entwickeln wird: Typ 7 (Gemeinden im Schwarzwald mit niedrigem Einfamilienhausanteil und niedriger Arbeitsplatzattraktivität) und Typ 15 (Stuttgart).

Die Bevölkerungsentwicklung der Wanderungstypen zeigt deutlich, dass die Altersstruktur der Gemeinden einen sehr starken Einfluss auf die jeweilige Bevölkerung hat. Wanderungstypen mit einer relativ alten Altersstruktur wie Typ 7 (Gemeinden im Schwarzwald mit niedrigem Einfamilienhausanteil und niedriger Arbeitsplatzattraktivität) und Typ 8 (Kur- und Erholungsorte mit viel Zuzug von Personen in der zweiten Lebenshälfte) weisen im Zeitverlauf eine deutlich schwächere Bevölkerungsentwicklung auf. Wanderungstyp 14 (Karlsruhe) und 13 (Mannheim und Ulm) verfügen hingegen über viele junge Einwohnerinnen und Einwohner, was zu einem deutlich stärkeren Bevölkerungszuwachs führt. Der Einfluss des Wanderungsverhaltens und der Geburtenrate wird besonders bei Typ 10 (Kleinere Hochschulstandorte) und 12 (Größere Hochschulstandorte) ersichtlich. Die Gemeinden dieser Wanderungstypen weisen zwar eine junge Altersstruktur auf, verfügen aber zeitlich gesehen über eine niedrige Geburtenrate und viele Abwanderungen. Ausschlaggebend für die junge Altersstruktur sind die Studierenden, welche jedoch in dieser Lebensphase weniger Kinder bekommen und für den Berufseinstieg oft umziehen.

Annahme: Lebenserwartung steigt weiterhin leicht

Die durchschnittliche Lebenserwartung der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger hat in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugenommen. Jungen, die heute geboren werden, können durchschnittlich mit einer Lebenserwartung von 79,5 Jahren rechnen, Mädchen kommen sogar auf 84,0 Jahre. Damit hat die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 6 Jahrzehnten um rund 15 Jahre zugenommen. Auch für die Zukunft kann angenommen werden, dass die Lebenserwartung in Baden-Württemberg beispielsweise durch medizinischen Fortschritt weiter steigen wird. Allerdings kann damit gerechnet werden, dass sich der Anstieg der Lebenserwartung im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten tendenziell abschwächen wird. Für die regionalisierte Bevölkerungsvorausrechnung wird deshalb von einem Anstieg der Lebenserwartung von circa 2 Jahren bis 2035 ausgegangen. Dies entspräche bei den 2035 geborenen Jungen einer Lebenserwartung von 82,2 Jahren und bei den Mädchen von 86,4 Jahren.

Die Berechnung der Sterberaten wird abhängig von der angenommenen Lebenserwartung differenziert nach Geschlecht und Altersjahren durchgeführt. Basierend auf den Wanderungstypen werden die Sterberaten der Gemeinden zu vier Sterbetypen klassifiziert. Der Stützzeitraum dieser Sterberaten umfasst die Jahre 2014 bis 2017.

Geburtenrate auf hohem Niveau

Nachdem die Geburtenrate über viele Jahre immer weiter abgesunken ist – zu Beginn des Jahrzehnts lag sie bei durchschnittlich rund 1,4 Kindern pro Frau – konnte in den letzten Jahren wieder ein Anstieg auf knapp 1,6 Kinder je Frau verzeichnet werden (Schaubild 3). Analysen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg5 zeigen, dass ein Drittel des Geburtenanstiegs demografisch bedingt ist. Das bedeutet, dass die Gruppe der 25- bis 38-jährigen Frauen, in der die Geburtenhäufigkeit am höchsten ist, in den letzten Jahren größer geworden ist. Zwei Drittel des Geburtenanstiegs ist hingegen auf eine tatsächliche Zunahme der Geburtenhäufigkeit zurückzuführen. Neben dem Ausbau und der damit einhergehenden Verbesserung der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg könnten die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Landes zu diesem Anstieg beigetragen haben. Die Zahl der Erwerbstätigen befindet sich auf einem Höchststand, während die Arbeitslosenquote derzeit relativ niedrig ausfällt. In wirtschaftlich guten Zeiten entscheiden sich mehr Paare dazu, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Ein weiterer, wichtiger Einflussfaktor für den Anstieg der Geburtenrate stellt auch die Zuwanderung junger Frauen aus Staaten dar, in denen erfahrungsgemäß mehr Kinder pro Frau geboren werden. Differenziert man nach der Staatsangehörigkeit der Mütter, zeigt sich, dass bei den deutschen Frauen der Anstieg der Geburtenrate zu 75 % auf Verhaltenseffekten beruht, bei ausländischen Frauen hingegen ist 67 % des Anstiegs der Geburtenrate auf die nun höhere Anzahl an Frauen im gebärfähigen Alter zurückzuführen.

Anhand dieser Einflussfaktoren eine Abschätzung der Geburtenhäufigkeit für die Zukunft vorzunehmen gestaltet sich insofern als schwierig, da sich die Einflussgrößen voraussichtlich in gegenläufige Richtungen entwickeln werden. Einerseits ist anzunehmen, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in den kommenden Jahren günstig entwickeln wird. Dies würde ein weiteres Ansteigen der Geburtenrate wahrscheinlich machen. Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Schutzsuchenden, die nach Deutschland bzw. Baden-Württemberg flüchten, weiter zurückgehen wird. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass ein Teil der hierher Geflüchteten in ihre Heimatländer zurückkehren wird, sobald sich die Lage vor Ort wieder entspannt. Wann dies genau der Fall sein wird, lässt sich nur schwer einschätzen. Zudem kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die ökonomischen Rahmenbedingungen in Baden-Württemberg etwas verschlechtern und dadurch ebenfalls wieder weniger Kinder geboren werden.

Vor diesem Hintergrund kann vermutet werden, dass die Geburtenrate voraussichtlich nicht weiter ansteigen wird. Deshalb wurde für die Hauptvariante der Bevölkerungsvorausrechnung angenommen, dass die Geburtenhäufigkeit weiterhin auf dem relativ hohen Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2017 (Stützzeitraum) verbleibt. Das entspricht einer Geburtenrate von 1,6 Kindern je Frau. Dieser Wert wurde bis zum Jahr 2020 auf 1,55 Kinder je Frau abgesenkt und ab diesem Punkt konstant gehalten.

Da die Geburtenrate in diesen Jahren auf dem höchsten Niveau seit 40 Jahren lag,6 wurde zusätzlich zur Hauptvariante eine Nebenvariante berechnet, die von einer niedrigeren Geburtenrate von 1,4 Kindern je Frau ausgeht. Dieser Wert spiegelt das langjährige Mittel der Geburtenrate Baden-Württembergs wider und zeigt somit die Entwicklung auf, falls die Geburtenrate wieder auf das bisherige Niveau sinken sollte. Auch diese Entwicklung ist nicht unrealistisch, da sich die Geburtenrate schnell verändern kann. Im Jahr 2006 wurde beispielsweise mit einer Geburtenrate von 1,34 noch die zweitniedrigste Geburtenrate seit 1952 gemessen.7

Große Schwankungen bei den Wanderungen erschweren Vorausrechnung

Den größten Einflussfaktor bei der Bevölkerungsveränderung stellen jedoch die Wanderungen dar, da sie deutlichen Schwankungen unterliegen (Schaubild 4). Seit 1952 gab es in Baden-Württemberg drei Phasen, in denen es zu einer Netto-Zuwanderung von über 150 000 Personen kam: Im Zuge der Gastarbeiteranwerbung Anfang der 1970er-Jahre, in der Phase der Wiedervereinigung Anfang der 1990er-Jahre und während der Fluchtbewegungen ab 2014. Zwischen diesen Hochphasen liegen immer wieder längere Phasen, in denen die Netto-Zuwanderung teilweise sogar unter null fiel.

In den letzten beiden Jahrzehnten beeinflussten verschiedene Wanderungsbewegungen, welche auf verschiedenste Prozesse zurückzuführen sind, den Wanderungssaldo von Baden-Württemberg. Zu Beginn der 2000er-Jahre befand sich der Wanderungssaldo auf einem sehr niedrigen Niveau, das mit der Finanzkrise ab 2007 wieder anstieg. In diesen Jahren stieg besonders die Zuwanderung aus südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Im Jahr 2012 kam zur vermehrten Zuwanderung zudem der doppelte Abiturjahrgang, der unter anderem bewirkte, dass deutlich mehr junge Erwachsene innerhalb Deutschlands umzogen und den Wanderungssaldo einmalig erhöhten. Ebenfalls 2012 begann eine verstärkte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien, nachdem die beiden Länder 2007 der EU beigetreten waren und ab diesem Zeitpunkt die teilweise Personenfreizügigkeit für diese Länder eingeführt worden war. Ab 2013 stieg bereits die Zuwanderung aus Syrien und anderen Krisenländern nach Baden-Württemberg, welche sich 2014 steigerte und 2015 ihren bisherigen Höhepunkt erreichte.8 2014 wurde zudem die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgarien und Rumänien eingeführt, wodurch die Zuwanderung aus diesen Ländern nicht mehr limitiert ist. 2016 wurde schließlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien eingeführt. Gleichzeitig kamen zu diesem Zeitpunkt bereits weniger Schutzsuchende nach Baden-Württemberg, da die Balkanroute geschlossen wurde. Hinzu kam, dass in diesem Jahr die Zweitstudiengebühren für ausländische Studierende in Baden-Württemberg eingeführt wurden, was zu einem Rückgang des Zuzugs ausländischer Studierender führte.9

Die Entwicklung des Wanderungsgeschehens – auch des zukünftigen – hängt somit vom politischen Geschehen und politischen Entscheidungen ab. Aus diesem Grund berechnet das Statistische Landesamt Baden-Württemberg die Vorausrechnung in regelmäßigem Abstand, um aktuelle Tendenzen berücksichtigen zu können. Dadurch spiegelt die Vorausrechnung stets die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre wider. Auf Landesebene wird zudem mit einer oberen und unteren Variante, das heißt mit viel und wenig Zuwanderung gerechnet, um diese möglichen Entwicklungen aufzuzeigen.

Der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung liegen hingegen die Wanderungsannahmen der Hauptvariante der Landesvorausrechnung zugrunde (i-Punkt). Diese geht von einem Wanderungssaldo von +1,12 Mill. Personen bis 2060 aus. Für die regionalisierte Bevölkerungsvorausrechnung wird somit ein Wanderungssaldo von 632 700 Personen bis 2035 unterstellt, was einem jährlichen durchschnittlichen Wanderungsplus von 34 600 Personen entspricht. Dabei wird der Wanderungssaldo modelliert, das heißt in den ersten Jahren der Vorausrechnung wird noch von deutlich mehr Netto-Zuwanderung ausgegangen als in den späteren Jahren. Der Rückgang der Zuwanderung ab Mitte der 2020er-Jahre lässt sich aufgrund des bereits einsetzenden Rückzugs von Schutzsuchenden sowie demografischer Faktoren vermuten: Die wanderungsaktive junge Altersgruppe wird nicht nur in Baden-Württemberg und Deutschland, sondern in vielen westlichen Ländern deutlich schrumpfen.

Besondere Herausforderung: unfreiwillige Wanderungen

Der angenommene Wanderungssaldo von 623 700 Personen bis 2035 wird für die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsentwicklung auf die verschiedenen Clustertypen der Gemeinden verteilt. Dabei ist ausschlaggebend, wie viele Zu- und Abwanderungen die einzelnen Gemeinden in den Jahren 2016 und 2017 verzeichneten. Basierend auf diesen Werten werden Zuzugsquoten und Wegzugsraten differenziert nach Alter und Geschlecht berechnet. Dadurch kann berücksichtigt werden, welche Bevölkerungsgruppen hauptsächlich in diese Gemeinden zu- oder wegziehen. Ausschlaggebend für Wanderungsannahmen einer Gemeinde sind somit die Zu- und Abwanderungen, da sie ein Indikator dafür sind, wie attraktiv diese Gemeinde für Zuziehende ist. Voraussetzung dafür ist, dass diese Zu- und Abmeldungen und somit Umzüge auf freiwilligen Entscheidungen basieren.

Ab Beginn des vermehrten Zuzugs der Schutzsuchenden in den Jahren 2014 und 2015 ergab sich nun somit das erste Mal die Schwierigkeit, dass eine größere Menge an unfreiwilligen Wanderungen verzeichnet wurde. Als unfreiwillig können diese Wanderungen insofern bezeichnet werden, da Schutzsuchende nach ihrer Registrierung in Landeserstaufnahmestellen (LEA) per Quotenverfahren auf Stadt- und Landkreise verteilt werden, die die Schutzsuchenden wiederum auf Gemeinden verteilen. Teilweise durchlaufen Schutzsuchende dabei mehrere Gemeinden, bevor sie an einem Ort unterkommen. Diese Umzüge werden dabei jedes Mal als Zu- und Abwanderung erfasst, auch, wenn es sich nur um kurzzeitige Aufenthalte handelt. Da diese Zu- und Abwanderungen aber nicht auf der Entscheidung für eine Gemeinde, sondern der Notwendigkeit eine Unterkunft zu finden, basieren, sind sie kein Indikator dafür, wie viele Zu- und Abwanderungen es in diesen Gemeinden in Zukunft geben wird.

Um die aktuelle Struktur der Wandernden abzubilden und nicht gleichzeitig die unfreiwilligen Wanderungen von Schutzsuchenden in die Zukunft fortzuschreiben, wurden deshalb bei den Wanderungsbewegungen die Wanderungen von Personen zwischen 18 und 35 Jahren mit Staatsangehörigkeiten, deren Inhaber größtenteils Schutzsuchende sind, nicht miteinberechnet.10

Dadurch wird verhindert, dass die Zuweisung von Schutzsuchenden an Gemeinden, welche kurzfristiger Natur war, die Bevölkerungsvorausrechnung beeinflusst. Das bedeutet aber nicht, dass Schutzsuchende bei der Berechnung nicht berücksichtigt wurden: Die Basis der Berechnungen bildet die Bevölkerung zum 31. Dezember 2017, die alle Schutzsuchenden beinhaltet, die zu diesem Zeitpunkt in Baden-Württemberg gemeldet waren. Für die Berechnungen wurde allerdings angenommen, dass diese Schutzsuchenden nicht in andere Gemeinden umziehen. Die vorliegenden Ergebnisse müssen daher immer unter Berücksichtigung dieser speziellen Situation interpretiert werden.

Die Werte jener Clustertypen, welche über einen hohen Anteil ausländischer Bevölkerung verfügen, der nur zu einem kleinen Teil aufgrund der Wanderungsbewegungen Schutzsuchender zustande gekommen ist, werden durch den Ausschluss der Wanderungen bestimmter Gruppen etwas verzerrt. Deshalb mussten im Zuge der Berechnungen Glättungen für die Kreise Mannheim, Stuttgart und Ulm vorgenommen werden.

Was würde geschehen, wenn es keine Zu- und Abwanderungen mehr gäbe?

Auch bei der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung Basis 2017 wird eine Modellrechnung vorgelegt. Die Modellrechnung gibt an, wie sich regionale Einheiten entwickeln würden, wenn es keine Zu- und Abwanderungen mehr gäbe. Sie basiert somit ausschließlich auf der Berücksichtigung der Geburten und Sterbefälle, deren Annahmen der Hauptvariante entsprechen. Diese Variante beschreibt somit keine realistische Entwicklung, sondern hat Modellcharakter, da es in allen Gemeinden zu Wanderungen in erheblichem Umfang aufgrund von Erwerbstätigkeit, Familienbildung und Ausbildungen kommt. Ihr Nutzen ist somit analytischer Natur, da sie einen Orientierungspunkt für politisch Verantwortliche bieten kann. Durch den Ausschluss der Wanderungen zeigt sie an, welche Auswirkungen die aktuelle Altersstruktur einer Gemeinde auf die Zukunft hat.

Eine Vorausrechnung ist keine Vorhersage

Die regionalisierte Vorausrechnung wird für alle Gemeinden Baden-Württembergs methodisch einheitlich und neutral errechnet. Werden für alle Gemeinden dieselben Maßstäbe angelegt, hat dies aber auch zur Folge, dass besondere Entwicklungen in Kommunen nivelliert und nicht beachtet werden können. So können beispielsweise keine Neubauprojekte berücksichtigt werden, was aber insbesondere bei Städten mit großen Bauprojekten zu abweichenden Vorausrechnungsergebnissen führen kann. Der Vorteil dieser Berechnungsweise ist jedoch, dass alle regionalen Einheiten miteinander verglichen werden können, da sie dieselben Grundannahmen teilen. Zudem ist die Bevölkerungsentwicklung der jeweiligen Gemeinden und Kreise immer auch in die Gesamtentwicklung des Landes eingebettet.

Bei der Interpretation der Ergebnisse muss demnach zum einen beachtet werden, dass für die Berechnung – im Gegensatz zu den Vorausrechnungen der jeweiligen Gemeinden, welche unter anderem die bereits angesprochenen Bauprojekte miteinbeziehen können – nur Geburten-, Sterbefälle sowie Wanderungen einfließen. Zum anderen gilt darüber hinaus, dass je kleiner die regionalen Einheiten sind, die Ergebnisse umso größeren Unsicherheiten ausgesetzt sind. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Je weniger Einwohnerinnen und Einwohner eine Gemeinde hat, desto stärker wirken sich beispielsweise größere Wanderungsbewegungen oder Schwankungen in der Geburtenrate auf die Bevölkerungsentwicklung aus.

Die Methodik der Bevölkerungsvorausrechnung verfolgt einen deterministischen Ansatz: Treffen die getroffenen Annahmen zu, entwickelt sich die Bevölkerung entsprechend den Annahmen. Da die Annahmen aus den Entwicklungen der letzten Jahre abgeleitet werden, beschreiben die Ergebnisse folglich, wie sich die Bevölkerung verändert, wenn sie sich weiterhin entsprechend der letzten Jahre entwickelt und zusätzlich altert. Aufgrund von nicht vorhersehbaren Trendbrüchen und politischen Ereignissen besteht aber immer die Möglichkeit, dass die Annahmen nicht in dieser Art eintreffen. Für den jetzigen Zeitpunkt stellt die Vorausrechnung jedoch die wahrscheinlichste Entwicklung unter den gegebenen Umständen dar.

Schlussendlich gilt: Der Erfolg von Vorausrechnungen liegt nicht darin, exakt einzutreffen, denn sie unterliegen immer einer »selbstzerstörerischen« Kraft. Wird für eine Gemeinde beispielsweise vorausgerechnet, dass sie schrumpft, da sie eine ungünstige Altersstruktur aufweist, können Entscheidungsträger Maßnahmen treffen, damit mehr junge Familien in die Gemeinde ziehen. Wächst die Bevölkerung im Zuge dessen, trifft die Vorausrechnung zwar nicht ein, hat aber ihren Zweck erfüllt. Das Statistische Landesamt hat mit der Bevölkerungsvorausrechnung insofern nicht den Anspruch, die zukünftige Entwicklung vorherzusagen, sondern mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und Daten bereitzustellen, damit regionalpolitische Entscheidungen getroffen werden können.