:: 9/2019

Wachsen oder schrumpfen?

Die regionale Bevölkerungsentwicklung bis 2035

Die Altersstruktur und Bevölkerungszahl in den Kreisen und Gemeinden Baden-Württembergs verändert sich unterschiedlich schnell. Informationen über die Art und Weise dieser Entwicklungen sind bei Planungen auf allen regionalen Ebenen von zentraler Bedeutung. Nachdem bereits ein Artikel zur Methodik der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung1 erschienen ist, werden im folgenden Beitrag die Ergebnisse der Bevölkerungsvorausrechnung auf regionaler Ebene vorgestellt.

Die Bevölkerung Baden-Württembergs wächst bis 2035 voraussichtlich auf 11,37 Mill. Einwohner an, was einem Wachstum von 3,1 % entspricht. Von diesem Wachstum profitieren alle Stadt- und Landkreise. Auch für 1 003 der 1 101 Gemeinden wurde ein Bevölkerungszuwachs bis zum Jahr 2035 errechnet. Ursachen dafür sind die Altersstruktur der Gemeinden, die erhöhte Geburtenrate sowie Zuwanderun­gen. Trotz Zuwanderungen kann der demografische Wandel nur abgeschwächt und nicht aufgehalten werden: Die Bevölkerung altert in allen Gemeinden und Kreisen bis 2035 zunehmend.

Das Wachstum in den Stadt- und Landkreisen

Zwischen den Kreisen Baden-Württembergs gibt es deutliche Unterschiede bezüglich der Bevölkerungszunahme in den nächsten Jahren. Die Bandbreite liegt zwischen 0,2 % und 5,8 % Wachstum von 2017 bis 2035. Unter allen Stadt- und Landkreisen wächst der Stadtkreis Ulm mit einem Plus von 7 200 Personen auf 132 800 Einwohner (+ 5,8 %) voraussichtlich am stärksten (siehe Tabelle). Auch Karlsruhe (+ 5,6 %), Mannheim (+ 4,8 %) und Tübingen (+ 4,7 %) werden 2035 deutlich mehr Einwohner als 2017 zählen. Ebenfalls über 4 % wachsen die Landkreise Biberach, Heilbronn, Hohenlohe und Böblingen sowie der Stadtkreis Freiburg im Breisgau.

Den geringsten Zuwachs verzeichnen der Stadtkreis Baden-Baden mit einem erwarteten Zuwachs von 200 Personen auf 52 900 Einwohner (+ 0,2 %) sowie der Bodenseekreis (+ 1,5 %), der Schwarzwald-Baar-Kreis (+ 1,5 %) und der Landkreis Emmendingen (+ 1,8 %). Doch auch diese Kreise werden 2035 mehr Einwohner haben als 2017.

Die ungleiche Entwicklung der Kreise lässt sich zu großen Teilen mit den deutlichen Unterschieden in der Altersstruktur erklären. Wie in Schaubild 1 ersichtlich, weist zum Beispiel der Stadtkreis Baden-Baden eine gänzlich andere Alterszusammensetzung der Bevölkerung auf als der Stadtkreis Ulm.

Ulm ist eine relativ junge Stadt. Anhand der baumförmigen Bevölkerungspyramide wird deutlich, dass hier die 18- bis 30-Jährigen einen großen Anteil der Bevölkerung stellen. Wie vielerorts, ist auch in Ulm die geburtenstarke Generation der heute 50- bis 60-Jährigen (Babyboomer) gut in der Bevölkerungspyramide erkennbar. Werden die Babyboomer jedoch in rund 10 Jahren in Rente gehen, rücken voraussichtlich relativ viele junge erwerbstätige Personen nach.

Die Altersstruktur des Stadtkreises Baden-Baden hat hingegen eher die Form einer Urne: Viele ältere Einwohner treffen auf wenig junge. In Baden-Baden ist nicht nur der Anteil an Senioren deutlich größer als in Ulm, auch die Babyboomer-Generation ist stärker vertreten. Der demografische Wandel wird sich deshalb auf Baden-Baden voraussichtlich deutlich stärker auswirken. 2

Ob ein Kreis in den nächsten Jahren wächst oder schrumpft, liegt jedoch nicht nur an der Altersstruktur: Gäbe es keine Wanderungsbewegungen, würden insgesamt nur drei Kreise in Baden-Württemberg wachsen – alle anderen würden schrumpfen. Wie die Modellrechnung ohne Wanderungen3 zeigt, würde der Kreis Baden-Baden im Jahr 2035 beispielsweise 12,4 % weniger Einwohner zählen, die Bevölkerungszahl des Stadtkreises Ulm würde stagnieren (Entwicklung ohne Wanderung: 0,0 %). Die Bevölkerungsentwicklung hängt also zu großen Anteilen von der Anzahl an Zu- und Abwanderungen und somit dem Wanderungssaldo der Gebietseinheiten ab.

Die Entwicklung der Gemeinden

Der Einfluss der Wanderungen erklärt teilweise auch die unterschiedliche Entwicklung der Gemeinden in Baden-Württemberg. Insgesamt wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2035 in voraussichtlich 1 003 der 1 101 Gemeinden des Landes zunehmen (siehe Schaubild 2). Gemeinden in der Umgebung von Stuttgart, Ulm, Tübingen und Heilbronn wachsen dabei besonders stark. Aber auch in den Landkreisen Heilbronn, Hohenlohe, Schwäbisch Hall, Böblingen, Tübingen und Biberach wachsen mehr als die Hälfte der Gemeinden um voraussichtlich mindestens 4 %. Auffällig ist dabei, dass teilweise Gemeinden um Großstädte stärker wachsen als die Großstädte selbst, was besonders im Raum Stuttgart und Heilbronn deutlich wird. Dies liegt an den Wanderungen von den Großstädten in das nahe Umfeld, was unter anderem durch die Wohnungsknappheit in den Großstädten verursacht wird. 4

Gemeinden, deren Einwohnerzahl bis 2035 eher stagnieren oder rückläufig sein wird, befinden sich vor allem im Schwarzwald, auf der Schwäbischen Alb, im Odenwald und am Bodensee. Dies liegt neben den bereits vorgestellten demografischen Strukturen auch an der verkehrstechnischen Anbindung und den geografischen Gegebenheiten dieser Gebiete.

Kreise altern unterschiedlich stark

Seit der Gründung Baden-Württembergs im Jahr 1952 ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung von 34,6 Jahren um 8,8 Jahre auf 43,4 Jahre im Jahr 2017 gestiegen. Auch bis 2035 wird das Durchschnittsalter weiter ansteigen. Zwischen den Kreisen gibt und gab es schon immer deutliche Unterschiede beim Durchschnittsalter – so war 2017 die Bevölkerung in Heidelberg mit einem Durchschnittsalter von 40,2 Jahren die jüngste und die in Baden-Baden mit einem Durchschnittsalter von 47,3 Jahren die älteste Bevölkerung eines Kreises des Landes (siehe Schaubild 3).

Je nach Geburten- und Wanderungsverhalten altert die Bevölkerung in den Kreisen unterschiedlich schnell. Entwickeln sich die Kreise diesbezüglich wie in den letzten Jahren, steigt das Durchschnittsalter in den Landkreisen Biberach (+ 3,4 Jahre), Schwäbisch Hall (+ 3,2 Jahre) und Alb-Donau-Kreis (+ 3,1 Jahre) am stärksten an. Am wenigsten werden voraussichtlich die Stadtkreise Karlsruhe (+ 1,1 Jahre), Stuttgart (+ 1,2 Jahre) und Freiburg im Breisgau (+ 1,6 Jahre) altern.

Im Jahr 2035 werden Baden-Baden (Durchschnittsalter: 49,5 Jahre), der Main-Tauber-Kreis (47,1 Jahre) und der Neckar-Odenwald-Kreis (47 Jahre) zu den Kreisen mit der ältesten Bevölkerung in Baden-Württemberg zählen. Die »jüngsten« Stadtkreise werden weiterhin Heidelberg (41,9 Jahre), Freiburg im Breisgau (42 Jahre) und Stuttgart (43 Jahre) sein.

Immer mehr ältere Personen

Hinter dem Anstieg des Durchschnittsalters steckt der demografische Wandel: Relativ niedrige Geburtenraten und steigende Lebenserwartungen wirken sich in Baden-Württemberg ebenso wie im restlichen Deutschland und in anderen Industrienationen auf das Durchschnittsalter aus. Doch es zeigen sich auch hier erneut Unterschiede im Ausmaß des demografischen Wandels zwischen den Gebietseinheiten in Baden-Württemberg. Im Jahr 2017 waren zwischen 16,2 % (Stadtkreis Heidelberg) und 26,2 % (Stadtkreis Baden-Baden) der Bevölkerung in den Kreisen über 65 Jahre alt – der Durchschnitt lag bei 20,2 %. Im Jahr 2035 wird der Anteil an Älteren in den Kreisen bereits zwischen 20,3 % (wiederum Stadtkreis Heidelberg) und 33,2 % (Stadtkreis Baden-Baden) liegen, im Schnitt bei 26,9 %. In 36 der 44 Kreise werden die über 65-Jährigen mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Insgesamt steigt der Anteil an älteren Einwohnerinnen und Einwohnern zwischen 2017 und 2035 um 6,7 %.

Geografisch zeigt sich bereits heute eine regional differenzierte Altersverteilung, die bis zum Jahr 2035 zunehmend stärker hervortritt. Im Schnitt weisen die Kreise, welche im Odenwald, dem Schwarzwald, am östlichen Bodenseeufer und auf der Schwäbischen Alb liegen, einen höheren Anteil an älteren Einwohnerinnen und Einwohnern als im restlichen Baden-Württemberg auf.

Tiefgreifende Veränderung der Altersstruktur

Der demografische Wandel wird gesamtgesellschaftlich bereits seit Jahren diskutiert, unter anderem da er eine Herausforderung für das bestehende Sozialsystem darstellt. Besonders das umlagenfinanzierte Rentensystem ist darauf angewiesen, dass eine ausreichend große Menge an erwerbstätigen Personen denjenigen gegenübersteht, die eine Rente beziehen. Genauso benötigen auch alle staatlichen Einrichtungen steuerliche Einnahmen, um Infrastruktur und Institutionen wie das Gesundheits-, Bildungssystem und vieles mehr finanzieren zu können.

Um das Ausmaß der Veränderung der Altersstruktur besser einordnen zu können, wird der Gesamtquotient, auch Abhängigenquotient genannt, verwendet. Er gibt an, wie viele 20- bis 65-Jährige der restlichen Bevölkerung gegenüberstehen.5 Für ganz Baden-Württemberg lag der Gesamtquotient 2017 bei 64,4, 2035 wird er voraussichtlich bei 83,1 liegen. Das bedeutet, dass 2035 auf 100 potenziell erwerbstätige Personen 83,1 »abhängige« Personen kommen, die finanziert werden müssen, während es 2017 noch 64,4 Personen waren (siehe Schaubild 4).

Der Gesamtquotient unterscheidet sich stark nach Kreisen. 2017 lag der Gesamtquotient zwischen 48,9 (Stadtkreis Heidelberg) und 73,5 (Stadtkreis Baden-Baden). 2035 wird Baden-Baden mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin den höchsten Gesamtquotienten aufweisen: Entwickelt sich der Stadtkreis wie bisher, werden 2035 auf 100 Personen zwischen 20 und 65 Jahren 98,2 »abhängige« Personen kommen. Auch Kreise wie der Main-Tauber-Kreis und der Neckar-Odenwald-Kreis (beide 94) werden fast ein 1:1 Verhältnis zwischen der »abhängigen« und »potenziell erwerbstätigen« Bevölkerung aufweisen. Auf das derzeitige Durchschnittsniveau des Gesamtquotienten werden hingegen jene Kreise kommen, welche sich bereits heute durch eine junge Bevölkerung auszeichnen: Stuttgart (59,2), Heidelberg (62,8), Karlsruhe (63), Freiburg im Breisgau (63,9) und Ulm (65,4).

Welche Folgen hat eine hohe, welche eine niedrige Geburtenrate?

Nachdem die Geburtenrate in Baden-Württemberg über viele Jahre auf einem Niveau von ca. 1,4 Kindern je Frau verblieb, wurden ab dem Jahr 2014 erstmals seit 1973 wieder mehr Kinder geboren. Im Jahr 2016 haben Frauen in Baden-Württemberg im Schnitt 1,59 Kinder geboren.6 Für die Berechnung der Hauptvariante der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung wurde deshalb mit einer weiterhin hohen Geburtenrate gerechnet, die bis 2020 auf 1,55 Kinder je Frau absinkt und dann auf diesem Niveau verbleibt. Wie groß der Unterschied zwischen der derzeitig hohen Geburtenrate und der vorherigen Geburtenrate von 1,4 Kindern je Frau ist, erkennt man an den Ergebnissen der Nebenvariante. Dieser Variante liegen die identischen Annahmen zugrunde wie der bis jetzt beschriebenen Hauptvariante, mit dem Unterschied bei der Höhe der Geburtenrate. Vergleicht man die Karte mit den Ergebnissen der Nebenvariante mit der der Hauptvariante (Schaubild 5), zeigt sich eindrucksvoll, dass auch die Geburtenrate einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Gemeinden Baden-Württembergs hat. Beträgt das Bevölkerungswachstum für Baden-Württemberg bis 2035 in der Hauptvariante 3,5 %, wächst die Bevölkerung bei einer niedrigeren Geburtenrate im Schnitt lediglich um 1,6 %.

Diese niedrigere Geburtenrate hat zur Folge, dass in der Nebenvariante die Bevölkerung nur noch in sehr wenigen Gemeinden um mehr als 4 % zunimmt. Gleichzeitig müssen deutlich mehr Gemeinden bis 2035 mit einem Rückgang der Bevölkerung von mindestens 1 % rechnen. Dies betrifft insbesondere Gemeinden im Schwarzwald. Aber auch im Bereich der Schwäbischen Alb stagniert die Bevölkerung bis 2035 in der Nebenvariante aufgrund der niedrigeren Geburtenrate.

Fazit: Wir werden mehr und älter

Die regionalen Unterschiede zwischen den Gemeinden und Kreisen Baden-Württembergs sind vor allem auf die Unterschiede der Altersstrukturen, der Wanderungsbewegungen und der Geburtenrate zurückzuführen. Landstriche wie der Schwarzwald, der Odenwald, die Schwäbische Alb und das östliche Bodenseeufer weisen bereits heute eine verhältnismäßig ältere Altersstruktur auf, während große Städte und Universitätsstandorte eher durch eine jüngere Altersverteilung gekennzeichnet sind. Die Altersstruktur ist zudem ein maßgeblicher Faktor dafür, wie viele Personen versterben und wie viele Kinder geboren werden: Je mehr ältere Einwohner und Einwohnerinnen, desto mehr Todesfälle und desto größer der Bevölkerungsrückgang. Und je weniger junge Frauen in einer Region leben, desto weniger Kinder können geboren werden. Der demografische Wandel trifft die genannten Gebiete somit früher und stärker als vergleichsweise »junge« Städte. Generell kann jedoch für alle regionalen Einheiten der Effekt der dreifachen Alterung beobachtet werden: Es gibt immer mehr Personen über 65 Jahre, Menschen leben immer länger und unter den Älteren wachst die Gruppe der Hochbetagten (älter als 85 Jahre) am stärksten.

Neben der Altersstruktur haben die Wanderungsbewegungen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Gemeinden und Kreise: Sie sind der am schwierigsten einzuschätzende Faktor, wenn es um die Vorausrechnung der zukünftigen Bevölkerung geht. Für die vorgestellten Ergebnisse wurde deshalb auf die Entwicklung der letzten Jahre zurückgegriffen und somit ein eher hohes Wanderungsgeschehen angenommen.7

Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung mit Basis 2017, dass der demografische Wandel und die damit zusammenhängenden Herausforderungen auch durch vermehrte Zuwanderung und mit einer vorausgerechneten Zunahme der Bevölkerung nicht kleiner, sondern nur leicht abgebremst werden: Wir werden zwar mehr, aber auch immer älter.