:: 9/2019

Regionen in der EU: Wirtschaftsleistung nach wie vor enorm unterschiedlich

Von Inner London-West über Stuttgart und Tübingen nach Severozapaden in Nordwestbulgarien: Die regionale Vielfalt Europas zeichnet sich nicht nur durch vielfältige kulturelle und geografische Unterschiede aus, sondern insbesondere auch durch sehr unterschiedliche ökonomische Entwicklungen und Lebensstandards. Wie sieht die wirtschaftliche Lage in den europäischen Regionen heute aus? Wo war das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr am höchsten? Wie haben sich die Regionen in den vergangenen 20 Jahren entwickelt?

Dieser Beitrag gibt einen aktuellen Überblick über den Stand der gesamtwirtschaftlichen Niveaus der europäischen Regionen und deren Entwicklungen in den zurückliegenden 20 Jahren. Die Analyse beruht auf aktuellen Daten der regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) innerhalb der EU, die vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) veröffentlicht werden. Die VGR-Ergebnisse dienen als essenzielle Grundlage für die Bestimmung des Beitrags der EU-Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt sowie als Grundlage für die Zuweisung der kohäsionspolitischen Ausgaben. In Deutschland führt der Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (AK VGRdL) die Berechnungen der VGR Regionalergebnisse nach Bundesländern und auf Kreisebene durch.

BIP je Einwohner in Inner London-West 20-mal höher als in der schwächsten EU-Region

Die 28 EU-Mitgliedstaaten sind in insgesamt 104 Regionen auf der NUTS-1-Ebene, 281 Regionen auf der NUTS-2-Ebene und 1 348 auf der NUTS-3-Ebene unterteilt.1 In Deutschland sind die NUTS-1-Regionen die Bundesländer, die NUTS-2-Regionen entsprechen der Ebene der Regierungsbezirke und die NUTS-3 den Kreisen und kreisfreien Städten (siehe i-Punkt »NUTS-Klassifikation«). Schaubild 1 gibt einen Überblick über die regionale Verteilung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) je Einwohner 2017 innerhalb der Europäischen Union. Das BIP wird dabei in Kaufkraftstandards (KKS) dargestellt und auf den EU-28-Durchschnitt in Höhe von 30 000 KKS bezogen (siehe i-Punkt »Regionales Bruttoinlandsprodukt«). Die NUTS-2-Regionen mit dem höchsten BIP je Einwohner befanden sich im Jahr 2017 demnach in Luxemburg, dem Vereinigten Königreich, Irland, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Süddeutschland und Österreich. Die schwächeren Regionen Europas lagen an der südlichen, südwestlichen sowie südöstlichen Peripherie.

Die Spannweite des regionalen BIP je Einwohner reichte 2017 von 31 % des EU-28-Durchschnitts (9 300 KKS) in der bulgarischen Region Severozapaden bis hin zum höchsten Wert mit einem BIP je Einwohner von 626 % des EU-Durchschnitts bzw. 188 000 KKS, den die britische Hauptstadtregion Inner London-West verzeichnete. Somit lag das BIP je Einwohner in Inner London-West 20 Mal höher als in Severozapaden. Nach Inner London-West folgten das Großherzogtum Luxemburg mit 253 % über dem EU-Durchschnitt (75 900 KKS), Southern in Irland mit 220 % (66 200 KKS), Hamburg mit 202 % (60 600 KKS) sowie Brüssel mit 196 % (58 700 KKS). In Bezug auf die Wirtschaftsleistung insgesamt ist die Region Île-de-France mit der Hauptstadt Paris mit einem BIP in Höhe von gut 709 Mrd. Euro mit Abstand der größte Wirtschaftsstandort unter den NUTS-2-Regionen in Europa, gefolgt von der Lombardei mit 380 Mrd. Euro und dem Regierungsbezirk Oberbayern mit rund 262 Mrd. Euro.

Knapp drei Viertel der EU-Regionen verzeichnen ein BIP je Einwohner von über 75 % des EU-Durchschnitts

Von den insgesamt 281 NUTS-2-Regionen der 28 EU-Mitgliedstaaten verzeichneten 47 Regionen einen KKS-Wert, der 125 % oder mehr des EU-28-Durchschnitts beträgt. Dazu gehörten 13 Regionen in Deutschland, sechs im Vereinigten Königreich und fünf in Österreich. Jeweils vier Regionen entfielen auf Belgien und die Niederlande sowie je zwei auf Irland, Italien und Finnland. In Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Polen, Rumänien, Schweden, Slowakei, Ungarn und Tschechien lag unter den NUTS-2 Regionen jeweils nur die Hauptstadtregion bei über 125 % der durchschnittlichen EU-Wirtschaftsleistung pro Kopf. Insgesamt 196 NUTS-2-Regionen erreichten mit ihrem BIP pro Kopf gemessen in KKS mindestens 75 % des EU-28-Durchschnitts, darunter alle 38 Regionen in Deutschland. Von den 23 NUTS-2-Regionen, die unter 50 % des EU-28-Durchschnitts lagen, gehörten jeweils fünf zu Bulgarien und Polen, jeweils vier zu Griechenland und Ungarn und drei zu Rumänien sowie zwei zu Frankreichs Überseeregionen.

Große regionale Streuung innerhalb der EU-Länder

Schaubild 2 illustriert, dass im Jahr 2017 innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten beim BIP pro Kopf deutliche Unterschiede zwischen den Regionen herrschten. Bei insgesamt elf der 28 EU-Mitgliedsstaaten mit mehr als einer Region auf der NUTS-2-Ebene war der maximale Wert des BIP je Einwohner mehr als doppelt so hoch wie der niedrigste Wert. Dabei zeigte sich die größte regionale Divergenz im Vereinigten Königreich mit einem Faktor von 9,6, gefolgt von Rumänien und der Slowakei mit einem Faktor von 3,7 bzw. 3,3 zwischen den beiden Extremwerten. Die niedrigste Spanne wies Kroatien mit einem Faktor von 1,1 aus. Seine beiden NUTS-2-Regionen lagen dabei weit unter dem EU-Durchschnitt. Aber auch Finnland, Portugal und Slowenien gehörten mit einem vergleichsweise geringen Faktor von jeweils 1,5 zu jenen Staaten mit der geringsten Differenz zwischen »Minimum- und Maximum-Region«. Mit einem Faktor von 2,4 ordnete sich Deutschland im mittleren Feld der betrachteten EU-Mitgliedsstaaten ein.

In der Regel konzentriert sich die wirtschaftliche Tätigkeit in den EU-Mitgliedsstaaten mit mehreren NUTS-2-Regionen auf deren Hauptstadtregionen, mit Ausnahme von Deutschland (Berlin) und Italien (Latium). So war bei 20 Mitgliedsstaaten die Hauptstadtregion gleichzeitig die Region mit dem höchsten BIP je Einwohner. Herausragende Werte zeigten sich vor allem in den Regionen Inner London-West, Brüssel, Southern in Irland, Prag und Paris. In den Hauptstadtregionen der Mitgliedsstaaten Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Portugal und Slowenien sowie in Estland, Lettland, Malta und Zypern lag dagegen das BIP je Einwohner als maximaler Landeswert unterhalb des EU-Durchschnitts. Vergleicht man die nationalen BIP pro Kopf, so lagen elf Mitgliedsstaaten im Jahr 2017 über dem EU-28-Wert; hierzu zählten Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederland, Österreich, Schweden sowie das Vereinigte Königreich.

Diese Erkenntnisse bilden eine wesentliche Grundlage für politische und wirtschaftliche Entscheidungen auf Bundes- und Länderebene, aber auch im europäischen Kontext. So konzentriert sich die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Kohäsionspolitik bei der Vergabe von Finanzierungsmitteln darauf, die oben aufgeführten regionalen Disparitäten innerhalb der EU zu verringern.

Kohäsionspolitik – die wichtigsten Struktur- und Investitionsmaßnahmen der EU

Die Europäische Union investiert über ihre Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) in die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sämtlicher EU-Regionen und damit in deren Infrastruktur sowie in deren soziale und ökologische Zukunftsfähigkeit. Mit den ESI-Fonds sollen fondsspezifische Aufgaben inklusive wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Kohäsion gefördert und umgesetzt werden. Dabei ist die inhaltliche Ausrichtung an die Strategie »Europa 2020«, die im Vordergrund ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum fördert, angelehnt. Zu den Instrumenten der ESI-Fonds zählen der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Kohäsionsfonds (KF), der Europäische Sozialfonds (ESF), der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sowie der Europäische Meeres- und Fischereifonds (EMFF).

Die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds ergänzen als Kofinanzierung2 nationale und regionale Programme. Die EU stellt dabei die meisten Mittel aus den drei Hauptfonds EFRE, KF und ESF bereit. Im Rahmen der Kohäsionspolitik sollen EU-Regionen, die einen Entwicklungsrückstand aufweisen, unterstützt werden, um regionale Disparitäten innerhalb der EU zu verringern. Hierbei konzentriert sich der EFRE auf Maßnahmen, die die Forschung und Innovation, die Digitale Agenda sowie eine CO2-arme Wirtschaft unterstützen. Ferner wird die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) angestrebt. Programme unter dem ESF zielen auf die Förderung der Beschäftigung und der Mobilität von Arbeitskräften, die Bekämpfung der Armut sowie die Verbesserung der institutionellen Kapazitäten und eine effizientere öffentliche Verwaltung.3 Da die Budgethöhe der Beihilfefonds auf den Ausgleich regionaler Entwicklungsunterschiede ausgerichtet ist, unterscheidet die EU bei ihren Förderkonditionen und Fördersätzen im Rahmen des EFRE und ESF maßgeblich zwischen drei NUTS-2-Regionenkategorien.

Diese sind:

  • Weniger entwickelte Regionen mit einem BIP-Pro-Kopf von unter 75 % des EU-28-Durchschnitts,
  • Übergangsregionen (BIP-pro-Kopf zwischen 75 % bis 90 % des EU-28-Durchschnitts) und
  • stärker entwickelte Regionen mit einem BIP-Pro-Kopf höher als 90 % des EU-28-Durchschnitts.

Als Grundlage für die Einteilung dient für den Förderzeitraum 2014 bis 2020 der Durchschnitt des regionalen BIP pro Einwohner (in KKS) der Jahre 2007 bis 2009.4

Prinzipiell kann jede europäische Region Fördermittel aus dem EFRE und dem ESF erhalten. Aber nur wenige Regionen können Mittel aus dem Kohäsionsfonds beziehen. Der KF verfolgt vordergründig das Ziel einen Ausgleich der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit zu schaffen und damit die Entwicklungsstruktur innerhalb der europäischen Regionen nachhaltig zu fördern. Dabei wurde er speziell für EU-Staaten mit einem Bruttonationaleinkommen pro Einwohner von unter 90 % des EU Durchschnitts eingerichtet.5 6

Milliardenhilfe für die Regionalförderung durch die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds

Um die drängendsten Herausforderungen adäquat zu adressieren und den vielfältigen Entwicklungsbedarf in allen EU-Regionen zu decken, wurden 351,8 Mrd. Euro – fast ein Drittel (32,5 %) des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens der EU (1 082 Mrd. Euro) – für die Regional- und Kohäsionspolitik von 2014 bis 2020 bereitgestellt. Darunter wurde knapp über die Hälfte des Budgets – rund 179,4 Mrd. Euro – den weniger entwickelten Regionen zugewiesen. Den Übergangsregionen wurden circa 37 Mrd. Euro und den stärker entwickelten Regionen 55,8 Mrd. Euro zugeteilt. Aus dem Kohäsionsfonds, der gut 63,3 Mrd. Euro an Fördermitteln enthält, werden die Regionen in den Staaten Bulgarien, Estland, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, die Tschechien, Ungarn und Zypern unterstützt7 (Schaubild 3).

Der finanzielle Umfang des künftigen Finanzrahmens von 2021 bis 2027 dürfte sich nach heutigem Stand auf rund 1 279,4 Mrd. Euro belaufen. Investitionsschwerpunkt soll auf einem intelligenteren und grüneren Europa liegen.8 Erreicht werden soll dies durch Investitionen in Innovation, Digitalisierung, wirtschaftlichen Wandel, in die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, in die Förderung erneuerbarer Energien sowie in den Kampf gegen den Klimawandel. Dabei werden zusätzliche Kriterien wie Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel sowie die Aufnahme und Integration von Migrantinnen und Migranten bei den Förderkonditionen mit berücksichtigt, um die konkrete Realität vor Ort besser abzubilden.

Die Kohäsionspolitik wird in der kommenden Zuwendungsperiode mit einem geplanten Budget von knapp 442,4 Mrd. Euro weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Das Verfahren für die Mittelzuweisung beruht dabei nach wie vor größtenteils auf dem regionalen Indikator »Bruttoinlandsprodukt je Einwohner«. Die Regionen werden weiterhin in drei Kategorien unterteilt, und zwar in weniger entwickelte, im Wandel befindliche und weiterentwickelte Regionen, jedoch mit neuen Schwellenwerten. Die Regionen, die ein »BIP-Pro-Kopf« in KKS von unter 75 % des EU-28-Durchschnitts haben, werden auch in Zukunft als weniger entwickelte Regionen deklariert. Zu den Übergangsregionen zählen weiterhin die Regionen, die ein »BIP-Pro-Kopf« zwischen 75 % und 90 % des EU-28-Durchschnitts aufweisen. Als stärker entwickelte Regionen werden ab 2021 aber nun jene Regionen bezeichnet, die ein BIP je Einwohner höher als 100 % des EU-Durchschnitts erreichen. Nach derzeitigem Stand (Berichtsjahr 2017) zählen dann von den insgesamt 38 deutschen NUTS-2-Regionen 29 zu den stärker entwickelten und sechs zu den Übergangsregionen.

Kontinuierliches Wachstum in allen EU-Regionen

Nachdem sich die EU seit langem darum bemüht, die Lebensverhältnisse innerhalb der Staatengemeinschaft anzugleichen, indem sie strukturschwache Regionen finanziell fördert, stellt sich die Frage, wie sich die Förderpolitik der vergangenen knapp 20 Jahre ausgewirkt hat. Vergleicht man das BIP je Einwohner in KKS der europäischen NUTS-2-Regionen der Jahre 2000 und 2017, stellt man fest, dass das Wirtschaftsniveau in allen Regionen teils deutlich angestiegen ist. Keine der 282 Regionen weist im Jahr 2017 ein geringeres BIP je Einwohner als im Jahr 2000 aus. Im EU-28-Durchschnitt nahm das BIP je Einwohner in KKS seit 2000 um rund 50 % zu. Besonders dynamische Wachstumsprozesse fallen in den osteuropäischen Regionen Rumäniens, Bulgariens, Estland und Lettland auf. In einigen dieser Regionen hat sich das BIP je Einwohner – allerdings ausgehend von einem vergleichsweise sehr geringen Niveau – mehr als verdreifacht. Wachstumsspitzenreiter war die Region Bukarest in Rumänien, deren BIP je Einwohner seit 2000 um 282 % gestiegen ist. Von den zehn am stärksten gewachsenen NUTS-2-Regionen in Europa liegen acht in Rumänien.

Doch nicht in allen Regionen Europas konnte eine derartige Wachstumsdynamik verzeichnet werden. Insbesondere in den bereits stark entwickelten Regionen Westeuropas wurden deutlich geringere Niveausteigerungen seit 2000 erreicht. Besonders augenfällige Beispiele sind die Regionen Griechenlands und Italiens, die derzeit lediglich knapp über ihrem Niveau von 2000 verharren. Der Umstand, dass generell die stärker entwickelten Regionen geringere Wachstumsraten als die weniger entwickelten Regionen aufweisen, ist aber auch dem sogenannten »statistischen Basiseffekt« geschuldet: Bei einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau des BIP je Einwohner der osteuropäischen Staaten genügen schon geringere absolute Zuwächse, um vergleichsweise hohe Wachstumsraten zu erzielen. Daher genügt es nicht, nur einen Blick auf das prozentuale Wirtschaftswachstum zu werfen, sondern auch die jeweilige absolute Wirtschaftskraft der Regionen ist zu betrachten.

Der Osten Europas holt auf

Schaubild 4 zeigt, wie stark sich das BIP je Einwohner (in KKS) zwischen 2000 und 2017 im Vergleich zum EU-28-Durchschnitt verändert hat (ausgedrückt in Prozentpunkten des EU-28-Durchschnitts). Wirtschaftlich dynamischere Regionen mit einer Zunahme des BIP je Einwohner von mehr als 5 Prozentpunkten über dem EU-28-Durchschnittswachstum sind im Schaubild grün gekennzeichnet. Regionen mit schwacher Dynamik bzw. mit einem BIP-Wachstum pro Kopf von 5 Prozentpunkten oder mehr unter dem Durchschnitt der EU erscheinen in Rottönen.

Die Spannweite reicht also von + 93 Prozentpunkten für die aufstrebende Region Southern (Irland) bis zu – 35 Prozentpunkten für die schwächste Region Umbria in Italien. Schaubild 4 belegt deutliche Aufholprozesse in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten Rumänien, Slowakei und Tschechien sowie eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Dynamik in Hauptstadtregionen wie Inner London-West, Bukarest-Ilfov, Bratislava oder Prag. Eine genauere Betrachtung der besonders wachstumsstarken Regionen zeigt, dass von den 44 Regionen, die mehr als 10 Prozentpunkte über dem EU-28-Durchschnitt gewachsen sind, knapp drei Viertel in den östlichen Randgebieten der EU liegen.

Am unteren Ende der Wachstumsskala gibt es ebenfalls eine deutliche regionale Konzentration. Besonders die Regionen in den noch immer von den Auswirkungen der Finanz- und Eurokrise betroffenen Staaten Italien und Griechenland entwickelten sich im Vergleich zum EU-28-Durchschnitt deutlich schwächer, ebenso weite Teile Großbritanniens. Von den insgesamt 76 Regionen, die 2017 im Vergleich zu 2000 mehr als 10 Prozentpunkte gegenüber dem EU-28-Durchschnitt verloren haben, befanden sich 13 in Griechenland, 21 in Italien und 24 in Großbritannien (rund drei Viertel dieser wachstumsschwachen Regionen).

Trotz der eindeutigen Aufholprozesse einiger Regionen zeigt sich bei einem Vergleich der NUTS-2-Regionenkategorien zur Bestimmung der EU Förderkonditionen für die Jahre 2000 und 2017, dass lediglich acht Regionen die 75 %-Schwelle von einer »wenig entwickelten Region« zu einer »Übergangsregion« überschritten haben. Darunter sind vier tschechische Regionen sowie Estland und je eine rumänische, bulgarische und spanische Region. Schaubild 5 gibt einen Überblick über die Regionen, deren BIP je Einwohner (in KKS) die 75 %-Schwelle des EU-28-Durchschnitts 2017 im Vergleich zu 2000 über- oder unterschritten hat.

Große Kluft zwischen Arm und Reich

Nicht nur zwischen den europäischen Staaten ist die Wirtschaftskraft teils sehr heterogen, auch innerhalb der einzelnen EU-Länder gibt es beim BIP pro Kopf große Unterschiede. Besonders auffällig ist dies im Vereinigten Königreich; hier ist der Abstand zwischen der reichsten und der ärmsten Region EU-weit am größten. Im Jahr 2017 kam der Finanzdistrikt Inner London-West mit 188 000 KKS auf ein fast zehnmal höheres BIP pro Kopf (in KKS) als die strukturschwache Region Southern Scotland (19 400 KKS). Gegenüber dem Jahr 2000 hat sich diese Kluft sogar weiter vergrößert; damals war der BIP pro Kopf-Wert Londons nur knapp achtmal höher als in der schottischen Region. Vergleichsweise gering fällt das Wirtschaftsgefälle hingegen in Finnland aus. Hier betrug das BIP je Einwohner (in KKS) der wirtschaftsschwächsten Region Poh-jois-ja Itä-Suomi im Jahr 2017 immerhin gut die Hälfte der Hauptstadtregion Helsinki-Uusimaa (42 400 KKS je Einwohner). Schaubild 6 gibt einen Überblick über das regionale Wirtschaftsgefälle innerhalb eines Landes im Jahr 2017.

Region Stuttgart mit dritthöchster Wirtschaftskraft in Deutschland

Auch Deutschland ist von einem deutlichen regionalen Gefälle der Wirtschaftskraft gekennzeichnet. Im Jahr 2017 bewegte sich das BIP pro Kopf in jeweiligen Preisen im Vergleich zum gesamtdeutschen Durchschnitt (39 650 Euro je Einwohner) von 68 % in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 161 % in Hamburg. Hamburg als Dienstleistungsmetropole ist damit mit Abstand Spitzenreiter unter den deutschen NUTS-2-Regionen und erwirtschaftete 2017 ein BIP pro Kopf von rund 63 930 Euro und damit 24 280 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt. Allerdings dürfte dies auch mit dessen hoher Einpendlerzahl verbunden sein. Nach dem Regierungsbezirk Oberbayern (57 637 Euro) nahm der Regierungsbezirk Stuttgart mit einen BIP je Einwohner von 50 931 Euro und rund 129 % des Durchschnittswerts im innerdeutschen Vergleich den dritten Rang ein.

In insgesamt 13 der 38 NUTS-2-Regionen in Deutschland wurde 2017 eine höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf als im Bundesdurchschnitt erzielt. Darunter drei der vier baden-württembergischen Regionen: Stuttgart (28 % über dem Durchschnitt), Karlsruhe (+ 9 %) und Tübingen (+ 8 %). Gemeinsam mit den vier bayrischen Regierungsbezirken Oberbayern (+ 45 %), Mittelfranken (+ 11 %), Oberpfalz (+ 7 %) und Unterfranken (+ 2 %) gehören damit die süddeutschen Regionen, neben den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, zu den wirtschaftsstärksten Gegenden Deutschlands.

1 NUTS = Nomenclature des unités territoriales statistiques.

2 Mit ihren ESI-Fonds unterstützt die EU die Finanzierung nationaler und regionaler Programme. Diese werden allerdings nie zu 100 % mit Fondmitteln bezahlt, sondern das beantragende Land muss einen nationalen Eigenbeitrag zu den Programmen leisten.

3 Grundsätzlich sind die fünf Zielsetzungen der Kohäsionspolitik: ein intelligenteres Europa, ein grüneres, CO2-freies Europa, ein stärker vernetztes Europa, ein sozialeres Europa sowie ein bürgernäheres Europa.

4 Eurostat Regional Yearbook. Edition 2018.

5 Im Gegensatz zum EFRE und ESF wird für die Förderkonditionen des KF nicht nur ein anderer Indikator genutzt, sondern auch ein anderes Betrachtungszeitfenster. Im Rahmen des KF wurde der Durchschnitt des Bruttonationaleinkommens pro Einwohner (BNI) im Zeitraum von 2008 bis 2010 zugrunde gelegt. Im Jahr 2016 wurde das Zeitfenster für den Durchschnitt des BNI auf 2014 bis 2016 aktualisiert.

6 Eurostat Regional Yearbook. Edition 2018.

7 Weitere Informationen unter https://ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/ (Abruf: 10.07.2019).

8 Europäische Kommission (2018): Ein moderner Haushalt für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt. Mehrjähriger Finanzrahmen2021 bis 2027. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Brüssel.