:: 10/2019

»E = mc²« oder Die Relativität des Flächenverbrauchs

Indikatoren zur Siedlungs- und Verkehrsfläche in Baden-Württemberg für die Flächenerhebung zum 31. Dezember 2018

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche und insbesondere der sogenannte Flächenverbrauch sind sicherlich der am stärksten nachgefragte Teil der Flächenerhebung. Gleichzeitig wird dieser Punkt gesellschaftlich wohl auch am kontroversesten diskutiert. Der Verbrauch von Fläche bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen der Nachfrage nach Siedlungs- und Verkehrsflächen, zum Beispiel um Wohnraum zur Verfügung stellen zu können, und dem auch politisch verankerten Ziel des Flächensparens, etwa um der Versiegelung von Böden vorzubeugen. Insbesondere bei regionalen Vergleichen führt die reine Betrachtung des (täglichen) Flächenverbrauchs aber nicht immer zu sinnvollen Aussagen. Vielmehr gilt es, die Gesamtsituation der regionalen Einheiten zu betrachten, um einschätzen zu können, ob dort viel oder wenig Fläche verbraucht wird. In diesem Beitrag werden einige Indikatoren vorgestellt, die einen differenzierteren, regionalen Vergleich ermöglichen können.

Zum 31. Dezember 2018 wurden 45,1 % der rund 3,6 Mill. Hektar (ha) Landesfläche Baden-Württembergs für Landwirtschaft genutzt. Flächen für Wald nahmen 37,8 % und die Siedlungs- und Verkehrsflächen 14,6 % der Landesfläche ein.1 Veränderungen zum vorherigen Jahr fanden insbesondere bei der Landwirtschaftsfläche und der Siedlungs- und Verkehrsfläche statt. Fläche für Landwirtschaft nahm als einzige Hauptnutzungsart ab und zwar um knapp 2 000 ha. Demgegenüber nahmen vor allem die Flächen für Siedlungen und Verkehr zu (rund 1 650 ha). Auch Wälder verzeichneten eine moderate Zunahme um 200 ha.

Innerhalb der Siedlung nehmen die Wohnbaufläche sowie die Industrie- und Gewerbefläche den größten Teil ein. Flächen für Verkehr werden im Wesentlichen für Straßenverkehr sowie das Wegenetz genutzt. Eine deutliche Zunahme im Jahr 2018 verzeichneten die Wohnbaufläche (1 300 ha) sowie die Industrie- und Gewerbefläche (587 ha). Die gesamte Verkehrsfläche nahm um 152 ha zu (Schaubild 1).

Die Daten der Flächenerhebung zum Stand 31. Dezember 2018 bestätigen die langfristigen Trends in der Flächenentwicklung, insbesondere der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Diese nimmt seit Jahren stetig zu, das heißt, in Baden-Württemberg nehmen Siedlungs- und Verkehrsflächen immer mehr Raum ein.

Von der Bundesregierung wurde 2002 das Ziel vorgegeben den Flächenverbrauch bundesweit bis 2030 (ursprünglich bis 2020) auf weniger als 30 ha je Tag zu reduzieren.2 Daraus wurde für Baden-Württemberg das Ziel abgeleitet, weniger als 3 ha je Tag zu verbrauchen. Im langfristigen Trend zeigt sich seitdem, dass die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche schwächer wird, der tägliche Flächenverbrauch nimmt also ab.

Die Flächennutzung ist strukturell unterschiedlich …

Wie sich die Flächennutzung auf verschiedene Nutzungsarten verteilt, hängt stark mit der Struktur der jeweiligen regionalen Einheit, zum Beispiel Gemeinde, zusammen. Eins der prägendsten Merkmale einer Gemeinde ist deren Bevölkerungszahl. Um Unterschiede zwischen Gemeinden ganz unterschiedlicher Größen festzustellen und zu analysieren werden diese zu Gemeindegrößenklassen zusammengefasst.

Tabelle 1 gibt einen Überblick, wie sich die verschieden großen Gemeinden strukturell unterscheiden. Je mehr Fläche eine Gemeinde hat, desto mehr Einwohner hat sie tendenziell auch. Das ist wenig überraschend, ist doch das Vorhandensein von Flächen Voraussetzung dafür, dass sich Personen überhaupt ansiedeln können. Gleichzeitig wird die Fläche einwohnerreicher Gemeinde intensiver genutzt, das heißt die Bevölkerungsdichte steigt tendenziell mit zunehmender Bevölkerungszahl einer Gemeinde. Diese intensive Nutzung zeigt sich auch im Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der gesamten Bodenfläche. Je mehr Einwohner eine Gemeinde hat, desto höher ist tendenziell auch der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an ihrer Gesamtfläche. Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern nutzen im Schnitt 41,5 % ihrer Gemeindeflächen für Siedlung und Verkehr. Damit vergeben sie fünf Mal mehr Flächen für Siedlungen und Verkehrsinfrastruktur als Gemeinden mit unter 1 500 Einwohnern (8,2 %).

Dabei steigt mit zunehmender Einwohnerzahl der Flächenanteil für Siedlung deutlich stärker an als der Flächenanteil für Verkehr (Tabelle 2). Bei kleinen Gemeinden mit unter 1 500 Einwohnern nehmen beide Nutzungsarten noch fast denselben Flächenanteil an (4,4 % Siedlung, 4,0 % Verkehr). Bei Gemeinden mit 15 000 bis 50 000 Einwohnern nimmt die Siedlung bereits fast das doppelte der Fläche für Verkehr ein (12,7 % zu 6,7 %). Der Anteil der Siedlung in der größten Gemeindegrößenklasse ist sogar knapp siebenmal so groß, wie in der kleinsten Gemeindegrößenklasse – wohingegen beim Verkehr »nur« der knapp dreifache Anteil vorliegt.

Innerhalb der Siedlung versechsfacht sich die Wohnbaufläche von der kleinsten zur größten Gemeindegrößenklasse. Die Industrie- und Gewerbefläche nimmt gar um das Zwölffache zu. Sie nimmt mit steigender Gemeindegröße anteilig stärker zu als die Wohnbaufläche.

… und auch der aktuelle Flächenverbrauch

Neben der Nutzungsstruktur zeigen sich auch Unterschiede beim aktuellen Flächenverbrauch je Gemeinde einer Größenklasse.3 Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern verbrauchen im Durchschnitt klar am wenigsten Fläche. Bereits in der Gruppe mit Gemeinden zwischen 3 500 und 5 000 Einwohnern steigt der Flächenverbrauch deutlich an und verbleibt auf einem ähnlich hohen Niveau, wobei Gemeinden mit 15 000 bis 100 000 Einwohnern nochmal einen substanziell höheren Verbrauch aufweisen. Bemerkenswert ist, dass die Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern genauso viel Fläche verbrauchen wie eine durchschnittliche Gemeinden mit 5 000 bis unter 6 500 Einwohnern und damit nach den kleinen Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern am wenigsten Fläche in Siedlungs- und Verkehrsfläche umwandeln.

Würden alle Gemeinden ihre Flächen so nutzen, wie Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern, wäre der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Land deutlich geringer. Auch der (tägliche) Flächenverbrauch wäre deutlich geringer – oder?

Betrachtet man nun nicht den absoluten Flächenverbrauch der Gemeinden, sondern setzt diesen in Relation zu den vorhandenen Flächen4, stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Kleine Gemeinden mit weniger als 1 500 Einwohnern verbrauchen von allen Gemeindegrößenklasse den größten Anteil ihrer Gesamtfläche, wohingegen die Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern den mit Abstand geringsten Flächenanteil verbrauchen. In der Tendenz wandeln größere Gemeinden anteilig weniger land- und forstwirtschaftlich genutzte Fläche in Fläche für Siedlung und Verkehr um als kleinere Gemeinden. Eine Ausnahme bilden die Gemeinden mit 1 500 bis 3 500 Einwohnern, die vergleichsweise wenig Fläche neu für Siedlung und Verkehr nutzen (Schaubild 2).

Einwohnerzahl relativiert die Unterschiede …

Ein vergleichbares Bild zeigt sich, wenn man die Flächennutzung in Bezug zu den jeweiligen Einwohnerzahlen setzt. Je größer die Gemeindegrößenklasse, desto mehr Personen leben dort auf derselben Siedlungs- und Verkehrsfläche. Während auf einem Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche der Gemeinden mit unter 1 500 Einwohnern rund zehn Personen leben, sind dies in den Großstädten mehr als 40 Personen. Es gibt also nicht nur mehr Siedlungen und Verkehr in einwohnerstärkeren Gemeinden, sondern diese Flächen werden auch intensiver genutzt.

Zum Vergleich: Aktuell macht die Siedlungs- und Verkehrsfläche 14,6 % der baden-württembergischen Landesfläche aus. Würde jeder Einwohner des Landes so wohnen, wie durchschnittlich in einer Gemeinde mit weniger als 1 500 Einwohnern, wären 31 % der gesamten Landesfläche Siedlungen und Verkehr. Würden alle Personen wiederum so wohnen wie in Großstädten, wären lediglich 7,2 % der Landesfläche entsprechend genutzt.

… insbesondere beim Flächenverbrauch

Auch bezüglich des Flächenverbrauchs je Einwohner festigt sich das Bild. In den Gemeinden mit weniger als 1 500 Einwohnern wurden 2018 je Einwohner 9 Quadratmeter (m2) Fläche verbraucht. Wohingegen in Gemeinden mit 10 000 bis unter 15 000 Einwohnern bereits nur noch 1,5 m2 Fläche für Siedlung und Verkehr hinzukamen. Die Großstädte erreichten sogar einen Wert von nur 0,07 m2 verbrauchter Fläche je Einwohner. Die kleinen Gemeinden haben somit im Jahr 2018 bezogen auf die Einwohnerzahl rund das 129-fache an Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt.

Der Indikator Flächenverbrauch je Einwohner mag allerdings nicht besonders gut geeignet sein, um die Intensität des Flächenverbrauchs zu beschreiben. Denn zusätzliche Siedlungs- und Verkehrsfläche wird vor allem ausgewiesen, wenn die Bevölkerungszahl steigt. Einwohner die bereits in einer Gemeinde leben, wirken sich eher auf die aktuelle Nutzung der Flächen aus als auf neuen Verbrauch. Daher wird im Folgenden zusätzlich analysiert, wieviel Fläche die Gemeinden im Jahr 2018 je neuem Einwohner verbrauchten.

Gemeinden mit weniger als 3 500 Einwohnern haben 2018 klar am meisten Fläche je neuem Einwohner verbraucht. Für jeden zusätzlichen Einwohner wurden dort deutlich über 1 300 m2 Siedlungs- und Verkehrsfläche neu ausgewiesen. Auch Gemeinden mit 5 000 bis 6 500 Einwohnern haben mit knapp 920 m2 je zusätzlichen Einwohner eine vergleichsweise hohe Flächeninanspruchnahme. Mit steigender Größe nimmt der Flächenverbrauch je zusätzlichem Einwohner deutlich ab. Großstädte weisen lediglich einen Verbrauch von rund 17 m2 auf. Gemeinden mit 1 500 bis 2 500 Einwohnern, die den höchsten Verbrauch je zusätzlichem Einwohner haben, verbrauchen somit in etwa das 88-fache an Fläche, verglichen mit den Großstädten (Schaubild 3).

Zusammenfassung

Der erste Blick auf die Ergebnisse der aktuellen Flächenerhebung vermittelt ein scheinbar eindeutiges Bild. Je mehr Einwohner eine Gemeinde hat, desto mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche hat sie absolut und einen desto höheren Anteil an ihrer Gesamtfläche nehmen Siedlung und Verkehr ein. Ebenso haben größere Gemeinden tendenziell einen höheren absoluten Flächenverbrauch. Der auf die Gesamtfläche bezogene Anteil ist allerdings tendenziell in kleinen Gemeinden höher.

Betrachtet man die Flächennutzung und den Flächenverbrauch relativ zu den Einwohnerzahlen einer Gemeinde, kehrt sich der erste Eindruck um. Größere Gemeinden haben mehr Einwohner je Siedlungs- und Verkehrsfläche, sind also dichter besiedelt, und nutzen die vorhandene Fläche somit letztlich intensiver. Dies bestätigt sich auch beim Flächenverbrauch je zusätzlichem Einwohner. Je größer die Gemeinde, desto weniger Fläche wurde 2018 für einen zusätzlichen Bewohner verbraucht.

Diese Ergebnisse beziehen sich lediglich auf die Flächennutzung zum Stand 31. Dezember 2018 und den Flächenverbrauch im Jahr 2018. Sie vermitteln somit eine Momentaufnahme der Flächennutzung und des Flächenverbrauchs in Baden-Württemberg. Als ausführlichere Analyse empfiehlt sich in einem weiteren Schritt die Untersuchung des Verbrauchs der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Zeitverlauf. Bereits das Jahr 2018 kann uns aber zeigen: Es lohnt sich bei der Flächenstatistik genau hinzusehen – der erste Eindruck kann nämlich täuschen.

1 Die restlichen 2,4 % der Landesfläche werden für Gewässer, Bergbaubetrieb, Tagebau, Grube, Steinbruch und sonstige Vegetation genutzt.

2 Bundesregierung (2018): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975292/1559082/a9795692a667605f652981aa9b6cab51/deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-aktualisierung-2018-download-bpa-data.pdf?download=1 (Abruf: 30.09.2019).

3 Dies gibt an, wieviel Hektar einer durchschnittlichen Gemeinde einer Größenklasse von anderen Nutzungsarten in Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) umgewandelt wurden.

4 Die Relation wird durch den Anteil der im Jahr 2018 verbrauchten Fläche je Gemeinde geteilt durch die durchschnittliche Gesamtfläche einer Gemeinde der entsprechenden Gemeindegrößenklasse errechnet. Sie gibt somit an, wieviel Prozent der insgesamt vorhandenen Gemeindefläche in SuV umgewandelt wurde.