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Regionales Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg 2000 bis 2016 - Teil 3

Wirtschaftsstruktur und Branchenwachstum

Der dritte Betrag der Veröffentlichungsreihe rund um das Thema »Regionales Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg 2000 bis 2016« widmet sich der Branchenstruktur und dem Branchenwachstum. Wenngleich sich die Wertschöpfungsanteile in Baden-Württemberg insgesamt seit 2000 um maximal 1 Prozentpunkt zwischen den Wirtschaftszweigen verschoben haben, fiel in den Regionen der Strukturwandel teilweise deutlich markanter aus. Dies ist nur möglich, wenn das Branchenwachstum deutlich vom Gesamtwachstum abweicht. Dieser Beitrag geht näher auf die Entwicklungen im Verarbeitenden Gewerbe, im konsumnahen Bereich »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe«, im Bereich Information und Kommunikation sowie bei den Unternehmensdienstleistern ein. Dort haben sich auf Landesebene die auffälligsten Bewegungen ergeben. Am Beispiel des Verarbeitenden Gewerbes wird deutlich, dass Anteilsveränderungen nur zum Teil die Wachstumsunterschiede zwischen den Kreisen erklären können.

Um Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur im Vergleich zu einer Referenzgruppe sichtbar zu machen, kommen Spezialisierungsindizes zur Anwendung. Hierbei wird deutlich, dass die baden-württembergischen Regionen verglichen zum übrigen Land über ähnlich spezialisierte Dienstleistungsbereiche verfügen. Deutlich heterogener ist das Bild beim Verarbeitenden Gewerbe ausgeprägt. Dieses ist anteilsmäßig in den baden-württembergischen Regionen nicht nur der dominierende Bereich unter den zehn wichtigsten Wirtschaftszweigen, sondern weist auch innerhalb der Unterbereiche eine vom übrigen Land abweichende Struktur auf. Kreise, in denen die Wirtschaftsleistung 2008 bis 2016 stärker als der Landesdurchschnitt wuchs, unterschieden sich stärker in ihrer Wirtschaftsstruktur von der des übrigen Landes als Kreise mit geringerem Wirtschaftswachstum.

Strukturwandel der Südwestwirtschaft seit 2000

Der Strukturwandel in einer Volkswirtschaft findet über einen langen Zeitraum hinweg statt, sodass sich die Anteile der Wirtschaftszweige an der Bruttowertschöpfung nur allmählich verändern. Konjunkturelle Schwankungen oder ausgeprägte Wirtschaftseinbrüche wie die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 können dagegen die Wirtschaftsstruktur kurzfristig deutlich verschieben. So sank der Wertschöpfungsanteil im Verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2009 beispielsweise um fast 5 Prozentpunkte gegenüber 2008 (Schaubild 1). Entsprechend gewannen andere Wirtschaftszweige wie die öffentlichen Dienstleister vorübergehend an Bedeutung. Innerhalb von 2 Jahren pendelte sich die Wirtschaftsstruktur wieder nahezu auf dem Niveau von 2007 ein. Insgesamt kann man die Südwestwirtschaft in vier Gruppen unterteilen. An der Spitze steht das Verarbeitende Gewerbe mit einem Wertschöpfungsanteil von knapp einem Drittel im Jahr 2016. Über die Zeit hinweg fand sogar eine leichte Re-Industrialisierung statt (+ 0,4 Prozentpunkte seit 2000). Danach folgen mit deutlichem Abstand die Wirtschaftszweige Öffentliche Dienstleister und »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe« mit jeweils knapp 15 % Anteil an der Wertschöpfung. Auch diese gewannen seit 2000 um 0,5 bzw. 0,8 Prozentpunkte an Gewicht hinzu. Die dritte Gruppe bilden das Grundstücks- und Wohnungswesen sowie die Unternehmensdienstleister. Beide kommen auf einen Anteil von etwa 10 % an der Wertschöpfung im Land. Während das Grundstücks- und Wohnungswesen seinen Anteil seit 2000 konstant halten konnte, büßten die Unternehmensdienstleister 1 Prozentpunkt ein. Die verbleibenden vier Wirtschaftsbereiche (vierte Gruppe) machen einen Anteil von jeweils unter 5 % an der Wertschöpfung aus.1 Hier verschob sich das Gewicht zu Gunsten des Bereichs Information und Kommunikation (+ 0,9 Prozentpunkte), während das Baugewerbe und die Finanz- und Versicherungsdienstleister einen halben Prozentpunkt seit 2000 verloren. Maximal weichen die Wertschöpfungsanteile im Jahr 2016 somit 1 Prozentpunkt von ihren 2000er-Werten ab.

Blick auf ausgewählte Wirtschaftszweige in den baden-württembergischen Regionen

Die nun folgenden Abschnitte gehen auf die Veränderung der Wirtschaftsstruktur ausgewählter Wirtschaftszweige in den baden-württembergischen Regionen ein. Insgesamt werden vier Wirtschaftsbereiche betrachtet, die sich entweder durch ihren hohen Wertschöpfungsanteil auszeichnen oder deren Anteile sich seit 2000 signifikant verschoben haben. Zur ersten Gruppe zählt das Verarbeitende Gewerbe, zur zweiten die Wirtschaftszweige »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe«, Information und Kommunikation sowie die Unternehmensdienstleister. Die Anteile wichtiger Wirtschaftszweige für die baden-württembergischen Regionen sind in der Tabelle zu finden. Zusätzlich ist die Tabelle mit der Standardabweichung der Wertschöpfungsanteile in den Regionen ergänzt. Dies gibt einen Anhaltspunkt, ob sich die Gewichte zwischen den Regionen über die Zeit hinweg verschoben haben. Die Betrachtung der Anteile und deren Veränderung lässt zwei Rückschlüsse zu. Zunächst die naheliegende, nämlich die Bedeutung eines Wirtschaftszweiges für die Region. Des Weiteren tritt eine Verschiebung der Anteile nur durch Wachstumsunterschiede zwischen den Branchen auf. Gewinnt eine Branche über die Zeit hinweg an Bedeutung, so liegt ihr Wachstum zwangsläufig über dem Gesamtwachstum. Das Gegenteil gilt für einen im Zeitverlauf sinkenden Wertschöpfungsanteil (siehe i-Punkt »Veränderung der Bruttowertschöpfung und Branchenwachstum«).

Verarbeitendes Gewerbe: Polarisierung nimmt zu

Der Wertschöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbe ist innerhalb der Regionen von großen Unterschieden gekennzeichnet, die sich über die Zeit hinweg noch verstärkt haben. Zur anschaulicheren Darstellung werden in Schaubild 2 die Regionen nach dem Gewicht ihrer Bruttowertschöpfung in große, mittelgroße und kleine Regionen unterteilt und jeweils mit dem Landeswert verglichen.2 So machte der Anteil 2016 in der Region Rhein-Neckar nur 22,7 % aus, während dieser in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg fast doppelt so hoch lag (44,7 %). Betrachtet man die Veränderung der Wertschöpfungsanteile des Verarbeitenden Gewerbes seit 2000, so wiesen 2016 fünf Regionen wachsende und sieben Regionen sinkende Anteile auf. Diese divergierende Entwicklung zeigt sich auch in einer steigenden Standardabweichung des Wertschöpfungsanteils. Die größte Veränderung nach oben fand in der Region Stuttgart statt. Hier erhöhte sich der Wertschöpfungsanteil um knapp 4 Prozentpunkte. Fast 8 Prozentpunkte niedriger als im Jahr 2000 lag der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes in der Region Hochrhein-Bodensee.

Verschiebung innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes: kein einheitliches Bild erkennbar

Auch innerhalb des für den Südwesten dominierenden Verarbeitenden Gewerbes kam es zu nennenswerten Veränderungen. Daten auf dieser tief gegliederten Ebene sind erst ab 2008 verfügbar und in Schaubild 3 dargestellt. Landesweit stieg der Anteil von 2008 bis 2016 um 0,6 Prozentpunkte, wobei dieser Zuwachs ausschließlich auf Anteilsgewinne im Fahrzeugbau (+ 2,2 Prozentpunkte) zurückzuführen war. Alle anderen Unterbereiche des Verarbeitenden Gewerbes verzeichneten rückläufige Wertschöpfungsanteile. Innerhalb der Regionen im Südwesten ist das Bild heterogen. So lag 2016 der Industrieanteil in fast allen Regionen höher als 2008, wo der Fahrzeugbau an Bedeutung gewann und gleichzeitig das Minus in anderen Branchen dieses Plus nicht überkompensierte. Dieses Muster ist am deutlichsten in den Regionen Stuttgart und Heilbronn-Franken ausgeprägt, etwas abgeschwächt in der Region Bodensee-Oberschwaben. Der Fahrzeugbau konnte seinen Anteil seit 2008 in allen Regionen bis auf Donau-Iller steigern. Mit Ausnahme der Regionen Südlicher Oberrhein und Schwarzwald-Baar-Heuberg hat der Maschinenbau an Bedeutung verloren. Stellenweise trug der Rückgang in diesem Bereich maßgeblich zu dem Minus beim Industrieanteil insgesamt bei. Beispiele sind hier die Regionen Ostwürttemberg oder Rhein-Neckar. Insgesamt folgen die Verschiebungen innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes keinem durchgehenden Muster, da hierfür auch Standortentscheidungen von Unternehmen maßgeblich sind und diese in den Regionen sehr individuell ausfallen.

Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe: Gleichlauf über die Regionen hinweg

Der konsumnahe Bereich »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe« stellt für den Südwesten mit über 14 % Wertschöpfungsanteil die drittwichtigste Säule dar. Diese hat seit 2000 an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in vier Regionen nahm der Anteil stärker als im Landesdurchschnitt zu. Dies gilt für die Regionen Donau-Iller (+ 1,6 Prozentpunkte), Rhein-Neckar (+ 1,8 Prozentpunkte), Nordschwarzwald (+ 2,5 Prozentpunkte) und insbesondere Hochrhein-Bodensee (+ 4,2 Prozentpunkte). Auch vollzogen die vier Regionen mit starken Anteilszuwächsen kein Aufschließen zum Landesdurchschnitt, der als Nachholeffekt zu interpretieren wäre. Diese Regionen bewegten sich bereits im Jahr 2000 etwa um den Landesdurchschnitt. Als Resultat rangierte ihr Anteil 2016 somit deutlich über dem baden-württembergischen Wert.

Wie verteilte sich die Wertschöpfung im Bereich »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe« in den Regionen 2016 auf seine drei Unterbereiche? Schaubild 4 verdeutlicht, dass der Löwenanteil auf den Unterbereich »Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen« entfällt. Zwischen 7,6 % und 12 % der Wertschöpfung werden dort erwirtschaftet. Der bedeutendste Einzelposten dieses Unterbereichs kann in der Mehrzahl der Regionen dem Großhandel zugeordnet werden. Eine Ausnahme stellt die Region Hochrhein-Bodensee dar, wo der Einzelhandel dominiert. Der verglichen zu anderen Regionen hohe Anteil könnte mit der räumlichen Nähe zur Schweiz erklärt werden. Das tendenziell niedrigere Preisniveau in Deutschland sorgt für einen grenzüberschreitenden Einkaufstourismus, der durch die Frankenaufwertung 2009 bis Juli 2011 und nach der Aufgabe der Frankenuntergrenze im Januar 2015 noch verstärkt wurde.3 Erwähnenswert sind die Unterschiede im Unterbereich Gastgewerbe. Hier wiesen 2016 die Urlaubsregionen Nordschwarzwald (1,8 %), Südlicher Oberrhein (2,3 %) sowie Hochrhein-Bodensee (2,5 %) einen verglichen zum Landeswert (1,4 %) überdurchschnittlich hohen Anteil auf.

Information und Kommunikation: in drei Regionen überproportional stark vertreten

Landesweit hat der Wertschöpfungsanteil im Bereich Information und Kommunikation seit 2000 knapp 1 Prozentpunkt zugelegt. Dieser konzentriert sich auf die drei Regionen Stuttgart, Mittlerer Oberrhein und Rhein-Neckar, die deutlich über dem Landesdurchschnitt rangieren und diesen Abstand seit 2000 sogar noch ausbauen konnten. Insbesondere die Regionen Mittlerer Oberrhein und Rhein-Neckar stechen mit Zuwächsen von 2,8 und 2,4 Prozentpunkten heraus, sodass der Wertschöpfungsanteil 2016 dort bei 8,5 % bzw. 9 % lag. Vor dem Hintergrund einer sich nur allmählich wandelnden Wirtschaftsstruktur sind solche Verschiebungen eher außergewöhnlich. An Boden verloren hat die Information und Kommunikation in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. Lag der Anteil 2000 noch etwa auf dem Landesdurchschnitt, so büßte der Bereich bis 2016 rund 1,5 Prozentpunkte ein. Insgesamt ist der Bereich Information und Kommunikation auf Regionen konzentriert, in denen auch Universitäten und Forschungszentren angesiedelt sind. Die übrigen Regionen verzeichnen Wertschöpfungsanteile, die teilweise deutlich unterhalb des Landesdurchschnittes liegen. Diese Heterogenität spiegelt sich in der gestiegenen Standardabweichung seit 2000 wider.

Unternehmensdienstleister: große Regionen geben den Ton an

Im Bereich Unternehmensdienstleister hat die Streuung der Anteile zwischen den Regionen seit 2000 abgenommen (siehe Tabelle). So verzeichneten diejenigen Regionen einen überproportional hohen Anteilsrückgang, die zuvor deutlich über dem Landesdurchschnitt lagen. Dies betraf die Regionen Stuttgart und Rhein-Neckar mit einem Minus von 2 bzw. 2,4 Prozentpunkten. Die Unternehmensdienstleister verloren nicht flächendeckend Anteile, denn in fünf Regionen wies dieser Bereich seit 2000 ein steigendes oder wenigstens stagnierendes Gewicht auf. Teilweise betrugen die Zuwächse sogar fast 1 Prozentpunkt wie in den Regionen Ostwürttemberg oder Donau-Iller. Hier muss aber betont werden, dass trotz des Aufwärtstrends 2016 der Anteil dort immer noch deutlich – nämlich 4 bzw. 2 Prozentpunkte – unter dem Landesdurchschnitt rangierte. Auffällig ist die Entwicklung in der Region Mittlerer Oberrhein. Im Vergleich zu anderen Regionen mit einem zweistelligen Wertschöpfungsanteil bei den Unternehmensdienstleistern, stabilisierte sich dieser seit 2000 dort auf sehr hohem Niveau. Generell sind die Unternehmensdienstleister in den Regionen stark vertreten, die auch im Bereich Information und Kommunikation einen verglichen mit den Landeswert hohen Wertschöpfungsanteil aufweisen. Dies trifft insbesondere auf die Regionen Stuttgart, Mittlerer Oberrhein und Rhein-Neckar zu. In der Region Bodensee-Oberschwaben lagen zwar die Unternehmensdienstleister 2016 leicht über dem baden-württembergischen Durchschnitt von knapp 10 %, der Bereich Information und Kommunikation rangierte da­gegen deutlich unter dem Landesschnitt (2,9 %).

Führt ein höherer Industrieanteil zu einem höheren Wachstum?

Da das Verarbeitende Gewerbe für die Südwestwirtschaft eine wichtige Rolle spielt und sich diese Entwicklung seit 2000 noch verstärkt hat, liegt es nahe, das Durchschnittswachstum im Zeitraum 2000 bis 2016 mit dem veränderten Industrieanteil zu vergleichen (Schaubild 5). Auf den ersten Blick ist ein positiver Zusammenhang erkennbar. Kreise mit seit dem Jahr 2000 rückläufigem Industrieanteil wuchsen tendenziell schwächer und wiesen in ihrer Mehrheit auch ein niedrigeres Wachstum auf als der Landesdurchschnitt (III. Quadrant). Dennoch ist der Zusammenhang bei einer Anteilsveränderung zwischen – 5 und 0 Prozentpunkten lockerer ausgeprägt (Trend verläuft flacher). Ein deutlich rückläufiger Industrieanteil muss allerdings noch kein unterdurchschnittliches Wachstum bedeuten. Der Stadtkreis Heilbronn und der Landkreis Heidenheim verzeichneten zwar ein stagnierendes Wachstum und einen stark rückläufigen Industrieanteil. Auf der anderen Seite fiel der Bedeutungsverlust der Industrie im Landkreis Rhein-Neckar oder im Stadtkreis Ulm ähnlich hoch aus, ihr reales BIP-Wachstum lag im Zeitraum 2000 bis 2016 jedoch über dem Landesschnitt. Die am stärksten ausgeprägte Re-Industrialisierung fand in den Landkreisen Böblingen, Heilbronn und Biberach statt und ging gleichzeitig mit einem überdurchschnittlichen Wachstum einher. Andererseits erzielten die Landkreise Bodenseekreis und Tuttlingen verglichen zu den drei zuvor aufgeführten Kreisen einen nur leicht niedrigeren BIP-Zuwachs. Ihr Industrieanteil erhöhte sich zwar seit 2000, aber nicht so stark wie in den drei wachstumsstärksten Kreisen.

Spezialisierung in den Kreisen und Regionen

Die Wirtschaftsstruktur ist ein wichtiger Faktor für das realisierte Wachstum. In den bisherigen Abschnitten wurden markante Veränderungen einzelner Wirtschaftszweige auf einer hoch aggregierten Ebene identifiziert.4 Nun werden Verschiebungen innerhalb aller Wirtschaftszweige in den Blick genommen. Mithilfe der Krugman-Spezialisierungsindizes (KSI, siehe i-Punkt »Spezialisierungsindex nach Krugman«) können Wirtschaftsstrukturen eines Kreises bzw. einer Region mit der Struktur einer Referenzgruppe – also den übrigen Kreisen bzw. Regionen Baden-Württembergs – verglichen und in einer Kennziffer verdichtet werden. Hierfür gehen Daten auf der in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen tiefsten Ebene der Wirtschaftszweige (WZ-2-Steller) ein, die von 2008 bis 2016 verfügbar sind. Hat sich eine Region in ähnlichen Wirtschaftszweigen spezialisiert wie die übrigen Regionen Baden-Württembergs, dann nimmt der KSI einen niedrigen Wert an und umgekehrt.

Den geringsten KSI-Wert (Schaubild 6, oberer Teil) wiesen 2016 die Regionen Bodensee-Oberschwaben und Heilbronn-Franken auf. Beide Regionen waren damit der Wirtschaftsstruktur des übrigen Landes am ähnlichsten. Am weitesten wich die Struktur in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ab, gefolgt von den Regionen Stuttgart, Hochrhein-Bodensee und Rhein-Neckar. Zwischen 2008 und 2016 hat die Spezialisierung im Durchschnitt der baden-württembergischen Regionen zugenommen. Besonders stark fiel der Zuwachs beim KSI in den Regionen Rhein-Neckar (7,1 Punkte), Schwarzwald-Baar-Heuberg (5,3 Punkte) und Mittlerer Oberrhein (4,9 Punkte) aus. In der Region Stuttgart erhöhte sich der KSI seit 2008 um 4,3 Punkte. Die Regionen Ostwürttemberg und Bodensee-Oberschwaben verzeichneten einen leichten Rückgang des KSI.

Verarbeitendes Gewerbe stärker spezialisiert als Dienstleistungsbereiche

Nun stellt sich die Frage, ob die Spezialisierung im Verarbeitenden Gewerbe oder den Dienstleistungsbereichen stärker ausgeprägt ist und inwieweit sich diese seit 2008 verändert hat.4 Der mittlere Teil von Schaubild 6 macht deutlich, dass die Regionen verglichen zum übrigen Land in den Dienstleistungsbereichen ähnlich spezialisiert sind. Dies zeigt der verglichen zur gesamten Bruttowertschöpfung 13 Punkte niedrigere KSI-Wert an. In den Regionen Donau-Iller und Rhein-Neckar lag die Dienstleistungsstruktur der des übrigen Landes am nächsten. Die Spezialisierung hat sich im Durchschnitt über alle Regionen seit 2008 nur in geringem Maße erhöht. So wies die Hälfte der Regionen einen steigenden und die andere Hälfte entsprechend einen fallenden KSI auf. Die auffälligsten Bewegungen nach oben fanden in den Regionen Mittlerer Ober­rhein (9,5 Punkte) und Neckar-Alb (3,1 Punkte) statt. Beide Regionen verkleinerten damit ihren Abstand zum regionalen Durchschnitt. Betrachtet man die absoluten Werte des KSI in den Dienstleistungsbereichen, so liegen diese deutlich näher beieinander als beim KSI für die gesamte Bruttowertschöpfung.

Die Quelle der höheren Divergenz und Niveaus beim KSI für die gesamte Bruttowertschöpfung muss dementsprechend im Verarbeitenden Gewerbe liegen, was im unterem Teil von Schaubild 6 deutlich wird. Hier lag der Wert für den KSI in den Regionen teilweise um das 2,8-fache über dem KSI in den Dienstleistungsbereichen. In den Regionen Bodensee-Oberschwaben und Heilbronn-Franken ist der KSI am niedrigsten, sodass beide Regionen über eine Industriestruktur verfügen, die der des übrigen Landes am ähnlichsten ist. Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hat im regionalen Vergleich nicht nur den höchsten Industrieanteil an der Wertschöpfung (2016: 44,7 %, siehe Schaubild 2), sondern ist beim Industriemix dem übrigen Land sehr unähnlich und wies damit 2016 den höchsten Industrie-KSI aus. Hohe Werte erreichten ebenfalls die Regionen Stuttgart und Hochrhein-Bodensee. Betrachtet man die Spezialisierung in der Industrie seit 2008, so hat sich diese im Durchschnitt über alle Regionen hinweg um gut 5 Punkte erhöht. Den größten Sprung verzeichnete die Region Donau-Iller (knapp 13 Punkte), gefolgt von Schwarzwald-Baar-Heuberg (knapp 10 Punkte) und Rhein-Neckar (knapp 9 Punkte). Auch in der Region Stuttgart erhöhte sich der Industrie-KSI deutlich (8 Punkte). Rückläufig war der KSI in den Regionen Heilbronn-Franken (– 3,2 Punkte), Mittlerer Oberrhein (knapp – 3 Punkte) und Hochrhein-Bodensee (– 0,6 Punkte), wobei die beiden erstgenannten Regionen bereits 2008 einen verglichen mit anderen Regionen sehr niedrigen Spezialisierungsindex im Industriesektor aufwiesen.

Somit ist der Anstieg des KSI für die gesamte Bruttowertschöpfung maßgeblich auf Spezialisierungstendenzen im Verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen. Die bereits zuvor bei den Wertschöpfungsanteilen identifizierte Polarisierung im Verarbeitenden Gewerbe spiegelt sich damit auch in den Entwicklungen des KSI wider. Während sich der regionale Durchschnitt beim KSI in den Dienstleistungsbereichen seit 2008 nur leicht erhöhte, stieg der bereits sehr hohe Wert des Industrie-KSI nochmals an.5

Weisen wachstumsstarke Kreise eine spezialisiertere Wirtschaftsstruktur auf?

Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob Kreise mit einem überdurchschnittlichen Wachstum eine vom übrigen Land abweichende Wirtschaftsstruktur haben. Hierfür werden die 44 Kreise in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe (27 Kreise) wies von 2008 bis 2016 ein unterdurchschnittliches, die zweite (17 Kreise) ein überdurchschnittliches reales Wachstum verglichen zum Land auf. Die unterschiedliche Größe beider Gruppen ist darauf zurückzuführen, dass der BIP-Zuwachs im untersuchten Zeitraum ungleich unter den Kreisen bzw. Regionen Baden-Württembergs verteilt war.6 Betrachtet man die Durchschnitte der Spezialisierungsindizes nach den zwei Wachstumsklassen, so bewegt sich in beiden Klassen der Industrie-KSI auf einem deutlich höheren Niveau als sein Dienstleistungspendant (Schaubild 7). Des Weiteren fiel der KSI bei dynamisch wachsenden Kreisen höher aus als bei Kreisen mit einem unterdurchschnittlichem BIP-Zuwachs. Interessant ist hierbei, dass der Abstand zwischen den beiden Wachstumsklassen beim KSI in den Dienstleistungsbereichen etwas höher ausfiel als beim Industrie-KSI. Dies spricht dafür, dass ein auf den jeweiligen Kreis abgestimmter Mix in der Wirtschaftsstruktur für ein überdurchschnittliches Wachstum sorgt.7

1 Die verbleibenden Anteile entfallen auf die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, Energieversorgung sowie Wasserversorgung.

2 Die Einteilung in die drei Klassen erfolgte mit dem durchschnittlichen regionalen Anteil an der Bruttowertschöpfung von 2000 bis 2016. Der Anteil der großen Regionen an der Bruttowertschöpfung am Land liegt zwischen 30,0 % und 8,3 %, der mittelgroßen Regionen zwischen 8,3 % und 4,8 % und der kleinen Regionen unter 4,8 %.

3 Siehe auch Scherer, Roland et al. (2019): Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, IMP-HSG, IHK Hochrhein-Bodensee, Februar 2019 sowie Böhm, Uwe (2016): Abhängigkeit des Einzelhandels in der Region Hochrhein-Bodensee vom Einkaufsverhalten der Kunden aus der Schweiz, IHK Hochrhein-Bodensee, Juli 2016.

4 Wie Schaubild 3 zeigt, kann der Anteil im Verarbeitenden Gewerbe nahezu unverändert bleiben wie in der Region Bodensee-Oberschwaben, während die Verschiebungen innerhalb der Industriebereiche sehr stark ausfallen.

5 Für die Berechnung der KSI in den Dienstleistungsbereichen und dem Verarbeitenden Gewerbe werden einzig die Wertschöpfungsanteile in den Dienstleistungsbereichen bzw. dem Verarbeitenden Gewerbe verwendet.

6 Ein ähnliches Muster findet sich auch bei einer Analyse für die Länder der Eurozone. Siehe Mongelli, Francesco et.al. (2016): What‘s so special about specialization in the euro area? In: ECB Occasional Paper Series No 168/February 2016.

7 Siehe Debes, Sebastian: »Regionales Wirtschaftswachstum in Baden-Württemberg 2000 bis 2016«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2019«, S. 50.

8 Teilt man die Kreise alternativ in zwei gleichgroße Gruppen auf, so erzielt man ein ähnliches Ergebnis. Auch hier ist der KSI in der Gruppe mit überdurchschnittlichem Wachstum höher und der Durchschnitt aller KSI liegt dort nahezu bei den in Schaubild 7 dargestellten Werten. 1 bis 2 Punkte niedriger fällt der Durchschnitt bei Kreisen mit unterdurchschnittlichem Wachstum aus.