:: 5/2020

Zur neuen Normalität von Elternschaft

Soziale Herausforderung der biologischen Elternschaft

Weltweit wurden zwischen 1978 und 2018 geschätzt mehr als 8 Millionen (Mill.) Kinder nach einer künstlichen Befruchtung geboren. Jahr für Jahr steigt die Zahl dieser Geburten. Einerseits erleichtern und fördern die Techniken der Reproduktionsmedizin die Bildung von Familie. Sie dienen damit einer Normalität von Elternschaft, also dem, was im Alltag als Elternschaft zunehmend selbstverständlich gelebt und anerkannt wird. Andererseits erfordern der kulturelle Wandel der Familie und die rasanten Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin Anpassungen des Rechts an die familiale und medizinisch-technische Wirklichkeit. Was bleibt, ist ein nicht auflösbarer Dissens über die kulturelle Bedeutung der biologischen Elternschaft und ihrer Diversität.

Einführung

In Baden-Württemberg wohnen 11 Mill. Menschen aus fast allen 193 Staaten der Erde. Sie vertreten Ethnien und Religionen der fünf Kontinente. Sie alle haben Eltern, viele von ihnen sind Eltern. Deshalb glauben sie zu wissen, was Elternschaft ist. Deshalb lösen auch manche Veränderungen der Elternschaft nicht gleichermaßen heftige Emotionen und Diskussionen aus (siehe i-Punkt »Religionsgemeinschaften und Reproduktionsmedizin«). Und dies dürfte erst recht für künftige, schon jetzt absehbare Szenarien gelten. Elternschaft vollzieht einen tiefgreifenden Wandel, der besonders durch das rasante Fortschreiten in der Fortpflanzungsmedizin in seiner Gänze noch nicht zu begreifen ist. Was bedeutet das für Elternschaft, wenn der Prozess von der Zeugung bis hin zur Geburt außerhalb des Mutterleibes technisch möglich würde, wenn zudem die Gameten für die Zeugung künstlich aus Körperzellen erzeugt würden?1

Die Antworten darauf werden immer uneins sein, einen nicht lösbaren Dissens widerspiegeln. Aber sie werden von den Menschen gegeben und nicht von der Natur vorgegeben. Die Antworten ergeben sich im Rahmen eines durch neues Wissen und neue Gewissheiten begründeten Verständnisses, das Menschen »im Spiegel ihrer Lebenswelt« von der Normalität der Familie und Elternschaft haben.2 Sie sind und bleiben soziale Herausforderungen der biologischen Elternschaft.

Was gehört zur neuen Normalität von Elternschaft?

In Deutschland wurden 2017 mindestens 22 000 Kinder nach einer Befruchtung außerhalb des Körpers geboren. Das waren fast 3 % aller in diesem Jahr lebend geborenen Kinder. Anders formuliert: In jeder Schulklasse sitzt im Durchschnitt ein Kind, welches sein Leben einer außerkörperlichen Befruchtung verdankt.3 Seit 1997 sind fast 300 000 Kinder infolge ausgewählter Verfahren der Reproduktionsmedizin in Deutschland lebend auf die Welt gekommen. Diese Anzahl von Leben entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Mannheim oder Augsburg. Laut der European Society of Human Reproduction and Embryology wurden in Europa zwischen 1997 und 2014 mindestens 1,5 Mill. Kinder nach einer künstlichen Befruchtung geboren. Allein 2014 waren es 170 000 Kinder.4 Und weltweit sollen es zwischen 1978 und 2018 geschätzt mehr als 8 Mill. Kinder sein, die künstlich gezeugt wurden.5 Dabei ist die Entwicklung eindeutig. Ob in Deutschland, Europa oder der Welt: Überall gibt es Jahr für Jahr mehr Geburten aufgrund verschiedener Verfahren der Reproduktionsmedizin. Häufiger denn je entstehen in der Gegenwart neben der biologischen und sozialen Einheit von Mutter, Vater und Kind auch andere Strukturen von Elternschaft.6

Die Techniken der Reproduktionsmedizin können als »evolutionäre Errungenschaften« aufgefasst werden, »als Herausforderung dessen, worauf es vor allem ankommt«.7 Sie sollen die Bildung von Familie erleichtern und fördern.8 Sie dienen einer Normalität von Elternschaft, also dem, was im Alltag als Elternschaft zunehmend selbstverständlich gelebt und anerkannt wird. Drei Aspekte gehören zu dieser Normalität von Elternschaft:

(1) Die Selbstherstellung und Selbstgestaltung von Elternschaft.

Was ist damit gemeint? Einst bestimmten politische und rechtliche, ökonomische und religiöse Vorgaben, was Familie zu sein hatte. Als Institution war Familie wesentlich außenorientiert und fremdbestimmt. In der Gegenwart beruht Familie primär auf einer Eigengründung ihrer Familienmitglieder mit einer unregulierten Heiratspraxis und einer Liebe als Eigensinn und alleiniger Grund für Partnerschaft und Familie. Familie ist heute im Wesentlichen innenorientiert und selbstbestimmt.

In ihrer Selbstherstellung und Selbstgestaltung ist Familie und mithin Elternschaft Ausdruck von Überzeugungen jener, die sich als Familie selbst so beschreiben und die erwarten, dass dies von anderen in ihrer sozialen Umwelt anerkannt wird: von Freunden, Verwandten, aber auch von Politik und Recht.

(2) Das Primat der sozialen Elternschaft und die paradoxe Bedeutung von biologischer Elternschaft.

Zwei biologische Sachverhalte sind von kultureller Bedeutung für die familiale Elternschaft. Das Geschlecht der faktischen Eltern und die Abstammung des Kindes mit ihren Aspekten Zeugung und Fortpflanzung, Schwangerschaft und Geburt. Zu beobachten ist derzeit eine zum Teil paradoxe Entwicklung.

Einerseits das Primat der sozialen Elternschaft über die biologische Elternschaft: Es zeigt sich in der Entkopplung von biologischer Abstammung und faktischer Elternschaft, also in ihrer Herauslösung aus der Zweigeschlechtlichkeit der Eltern und der Blutsverwandtschaft. Hierzu gehören Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern wie auch die Bildung von Familien mit Keimzellen Dritter, dem Samenspender und der Eizellspenderin.

Andererseits eine neue herausragende Bedeutung der biologischen Elternschaft; sie zeigt sich in drei Situationen:

1. Wunschkind »aus eigen Fleisch und Blut«:

Der Weg zum Wunschkind, nach einem Kind »aus eigen Fleisch und Blut«, fordert physische, psychische und soziale, besonders partnerschaftliche und finanzielle Anstrengungen. Es gilt die Ontologie der Unfruchtbarkeit zu überwinden, die Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen durch die psychische Macht des Willens und der sozial assistierten Empfängnis.9 Die Möglichkeit, die physiologischen Beeinträchtigungen zu beheben, geht einher mit der selbst gewählten Notwendigkeit, die Fertilität herzustellen. Auch dann, wenn die körperlichen, psychischen und sozialen Reserven aufgebraucht sind.

2. Optimierung des biologischen Materials:

In einer weiteren Situation geht es um den Kontext der extrakorporalen Zeugung. Die assistierte Empfängnis ist nicht mehr allein als Simulation der Zeugung im Körper der Frau aufzufassen, sondern längst als deren Optimierung.10

Da ist zum einen die Präimplantationsdiagnostik: Das Verfahren untersucht die befruchtete Eizelle in der Petrischale auf Erbkrankheiten. Es soll ausgeschlossen werden, dass sich eine Erbkrankheit in dem Kind manifestiert.

Ebenso die penible Auswahl der Samenspende dient einer Optimierung des biologischen Materials. Der Spender muss nicht nur gesund sein, sondern zeitgemäßen Idealen von Attraktivität und Intelligenz entsprechen.

Die präventive Vermeidung von Erbkrankheiten, die sorgfältige Auswahl des fremden Samens, aber auch das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen, Social Freezing, um seinen Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen, oder künftige Verfahren nach der CRISPR/Cas-Technik11 haben eines gemeinsam: Die genetische Abstammung des heranwachsenden Kindes dürfte heute bedeutsamer sein denn je, ausgelöst durch eine neue kulturelle Perspektive mit technischen Optionen im Kontext der Zeugung.

3. Neubewertung der Deszendenz:

Das Prinzip der Deszendenz, also der biologischen Abstammung, erfährt eine Neubewertung durch eine »erstaunliche Sehnsucht« nach Verwandtschaft und Kenntnis der eigenen genetischen Abstammung. Bislang wurde der Spender des Samens verdunkelt, verdeckt, verborgen. Gewarnt wurde vor der »zerstörerischen Sprengladung« seiner Offenlegung. Dagegen gibt es eine neue Tendenz zur Offenheit, »das genetische Patchwork der Familien« freizulegen. Das bisherige Spektrum der Erwartungen an die biologische Verwandtschaft reicht von sporadischen Kontakten über dauerhaften Austausch hin zu Freundschaft oder sogar zu einer Familienbeziehung. Statt Geheimnis und Ausschluss entwickelt sich eine Vorstellung von einer Großfamilie, die »randständige Figuren« wie Samenspender, Eizellspenderin und Halbgeschwister mit den sozialen Eltern zu integrieren versucht.12

In allen drei Situationen vollzieht sich ein zentrales Merkmal der Moderne – eine Umstellung von Fremdorientierung auf Selbstorientierung: von biologischer Ontologie auf Selbstkontrolle, von biologischem Zufall auf Selbstselektion, von selbstverständlicher Blutsverwandtschaft auf optionale Einschließung des ausgeschlossenen Dritten. Die Möglichkeit selbst zu entscheiden, geht jedoch einher mit der Notwendigkeit, entscheiden zu müssen. Kinderlosigkeit, biologische Disposition und Verwandtschaft sind nun weder Schicksal noch Vorgabe. Doch sie haben eine Kehrseite: Sie können umschlagen in ein Diktat der Fruchtbarkeit, einen Zwang zur Prävention und eine Überforderung der multiplen Elternschaft.

(3) Der Dissens in der Frage: »Wie hältst du es mit der Biologie?« und seine bisherige Entfaltung in gesteigerte Möglichkeiten von Elternschaft.

Jede neue Normalität von Elternschaft beginnt mit Enttäuschungen von Erwartungen, über das, was Elternschaft ist und einem Dissens, über das, was Elternschaft sein soll.

Den Enttäuschungen ist gemein: eine Krise der Elternschaft; hier eine Krise »apokalyptischer Dimension« im Auseinanderfallen des Dreiklangs von biologischer, familialer und rechtlicher Elternschaft, dort eine Krise infolge einer bislang versagten allgemeinen Anerkennung der eigenen neuen Form von Elternschaft.

Die Enttäuschungen unterscheiden sich darin, wie sie auf biologische Sachverhalte referieren und welche sozialen, also familialen und rechtlichen Präferenzen dabei zum Ausdruck kommen. Der Dissens spitzt sich zu in der Frage »Wie hältst du es mit der Biologie?«. Die Antworten auf das soziale Problem der biologischen Elternschaft unterscheiden sich darin, wieviel soziale Kontingenz, wie viele andere Möglichkeiten sie schließlich bei Elternschaft anerkennen. Die möglichen Antworten verweisen zugleich auf rechtliche und ethische Aspekte der Elternschaft.

Wie hältst du es mit der Biologie? Reformen auf der politischen Agenda

Auf der politischen Agenda steht eine Reform von zwei Gesetzen: zur Abstammung und zum Embryonenschutz. Die gesetzlichen Reformen wollen Antworten liefern auf die sozialen Herausforderungen durch den kulturellen Wandel der Familie und die rasanten Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin: Das Auseinanderdriften von sozialer und biologischer Elternschaft sowie das Auseinanderfallen der biologischen Trias von Mutter, Vater und Kind. Die beiden vorliegenden Texte, der Diskussionsteilentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zum Abstammungsrecht (siehe i-Punkt »Reform des Abstammungsrechts«) sowie die Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften für eine zeitgemäße Gesetzgebung für die Fortpflanzungsmedizin in Deutschland (siehe i-Punkt »Zeitgemäße Gesetzgebung für die Fortpflanzungsmedizin«), haben Folgendes gemeinsam: Es gilt die rechtlichen Möglichkeiten von Familie zu erweitern und an die faktischen Wirklichkeiten der Familien anzupassen. Dabei orientieren sich beide Texte am Bewährten. Das Abstammungsrecht soll »moderat« fortentwickelt werden, die Empfehlungen der Wissenschaft beschränken sich auf »etablierte« Verfahren der Fortpflanzungsmedizin.

(1) Beim Entwurf zum Abstammungsrecht gehört dazu: das Festhalten an der biologischen und sozialen Einheit von Mutter, Vater und Kind bei der abstammungsrechtlichen Primärzuordnung von Eltern und Kind, die Begrenzung der Elternschaft auf maximal zwei Eltern und die Stellung der Mutter wie die Verwendung der Begriffe Mutter und Vater. Die Erweiterungen beschränken sich wesentlich auf die gleichgeschlechtlichen Paargemeinschaften und eine Stärkung voluntativer Elemente wie die Gleichsetzung der Einwilligung der intendierten Eltern mit dem Zeugungsakt. Diese Erweiterungen wie auch die erweiterten Abweichungen von der primären Zuordnung des Kindes zu den Eltern stärken das Primat der sozialen Elternschaft gegenüber der biologischen Elternschaft. Die biologische Elternschaft behält ihre Bedeutung im Rechtsanspruch des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Abstammung.

Damit dominiert weiterhin eine kulturell überformte biologische Zweigeschlechtlichkeit. Sie zeigt sich besonders in der »Beibehaltung der im allgemeinen Sprachgebrauch und Rechtsverkehr eingeführten Bezeichnungen ‚Vater‘ und ‚Mutter‘« und dem »bewussten« Verzicht, diese Bezeichnungen durch den Begriff »Person« zu ersetzen. Deshalb ist auch nach dem Entwurf eine Frau-zu-Mann-trans-sexuelle Person, die das Kind als personenstandsrechtlicher Mann geboren hat, im abstammungsrechtlichen Sinne weiterhin Mutter.

Dass auch andere rechtliche Eltern-Kind-Zuordnungen möglich wären, die der biologischen Abstammung weniger Bedeutung beimessen und der sozialen Elternschaft mehr Möglichkeiten einräumen, belegen beispielsweise die gesetzlichen Reformen in Schweden und Ontario, Kanada (siehe i-Punkt »Rechtliche Regelungen von Elternschaft in Schweden und Ontario, Kanada«). Die Bezeichnungen »Mother« und »Father« können ersetzt werden durch »Person« oder »Parent« und ein Kind kann auch mehr als zwei rechtliche Eltern haben. Für Deutschland könnte demnach ein Elternteil eine »Person« sein, die ein Kind geboren hat, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der gebärenden Person verheiratet ist oder die die Elternschaft anerkennt. Diese Zuordnung sähe vom biologischen Geschlecht der Eltern ab, ebenso von ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung.

(2) Im Mittelpunkt der Empfehlungen für eine rechtliche Reform zum Embryonenschutz steht die Fortpflanzungsfreiheit der Eltern und das Wohl des Kindes. In die vom Grundgesetz gewährleistete Fortpflanzungsfreiheit darf nur zum Schutz anderer Grundrechte oder sonstiger Verfassungsgüter eingegriffen werden. Das Wohl und die Rechte des geborenen Kindes müssen maßgeblich berücksichtigt werden. Diese Grundgedanken zusammen mit dem heutigen medizinischen und sozialwissenschaftlichen Wissen begründen die Empfehlungen zu einzelnen reproduktionsmedizinischen Verfahren, zur Notwendigkeit der Rechtsicherheit für die soziale Elternschaft, ihrer Erleichterung und damit Erweiterung. Deshalb spricht sich die beteiligte Wissenschaft für die Anwendung bislang verbotener Verfahren aus, zum Beispiel für die Eizellspende. Sie empfiehlt zwar keine Legalisierung der in Deutschland nicht zulässigen Leihmutterschaft, stellt aber das rechtliche Verbot grundsätzlich in Frage: Wie geht man damit um, wenn im Gegensatz zu Deutschland in anderen Ländern bestimmte Formen der Fortpflanzungsmedizin erlaubt sind? Würde dann nicht eine Legalisierung in Deutschland einerseits für mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten sorgen und andererseits durch entsprechende gesetzliche Regelungen einem ökonomischen Missbrauch der Verfahren oder der Ausnutzung sozialer Notlagen vor allem im Ausland entgegenwirken? Die Fragen beschränken sich auf bestehende Verfahren der Reproduktionsmedizin, die Antworten dürften aber auch den Umgang mit künftigen, bereits schon jetzt absehbaren Verfahren bestimmen.

Fazit

Die sozialen Herausforderungen der biologischen Elternschaft spiegeln sich in den Antworten, die sich auf die Frage nach dem kulturellen Verhältnis von biologischer und sozialer Elternschaft ergeben. Die bisherigen Antworten unterscheiden sich darin, welche kulturelle Bedeutung der biologischen Elternschaft und ihren Variationen zugeschrieben werden sollte. Sie unterscheiden sich darin, welchen Gehalt und welche Gestalt der Elternschaft es zu erhalten und zu gestalten gilt.

Würden die geplanten Reformen und Empfehlungen in Gesetze gefasst, dürfte dies nur eine Atempause im rasanten sozialen Wandel ermöglichen. Denn wer sich vornehmlich am rechtlich und medizinisch Bewährten orientiert, dem erschließt sich kaum das am Konkreten Abstrakte der sozialen Veränderungen. Zu diesem gehört eine präzise Unterscheidung von genetischer Beziehung und sozialer Beziehung.

Aus der Natur können keine Maßstäbe für richtiges oder falsches Handeln gewonnen werden. Die Vereinigung von Samen und Ei, die Entwicklungen des Menschen von der Befruchtung bis zur Geburt sind biologisch selbstbezüglich operierende Prozesse. Diese Vorgänge der Natur enthalten keine Gründe für richtige oder falsche, gute oder schlechte Elternschaft. Auch die bislang bekannten, vergleichsweise unauffälligen Familienverläufe nach der Anwendung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen sprechen für eine gewisse Gleichgültigkeit und Gleichberechtigung der verschiedenen Varianten biologischer Elternschaft. Und schließlich erhält diese Distanz eine Offenheit gegenüber künftigen Verfahren zur biologischen Elternschaft.

Das bedeutet keineswegs Unabhängigkeit von den biologischen Bedingungen der Elternschaft. Die sozialen Herausforderungen der biologischen Elternschaft blieben, aber sie stellten sich anders. Der erste Blick gälte der Anerkennung der Diversität der biologischen Entwicklung von der Befruchtung bis zur Geburt, der zweite Blick der gesellschaftlichen Inklusion des Kindes. Im Mittelpunkt stünden ein langes Leben des Kindes auf dieser Welt, sein Wohl und das seiner faktischen Eltern, ungeachtet ihres Geschlechts und ihrer Anzahl, selbst hergestellt und selbst gestaltet, letztendlich das Wohl der Familie.

1 Siehe z. B. Smajdor, Anna (2019): An alternative to sexual reproduction: artificial gametes and their implications for society. British Medical Bulletin, 129: 5–11; Bulletti, Carlo/Simon, Carlos (2019): Bioengineered uterus: a path toward ectogenesis. Fertility and Sterility, 112(3): 446–447, Hudson, Alex (2019): Human babies born using an artificial womb ‘possible in a decade, https://metro.co.uk/2019/05/14/human-babies-born-using-an-artificial-womb-possible-in-a-decade-8156458 (Abruf: 08.01.2020).

2 Habermas, Jürgen (2019): Auch eine Geschichte der Philosophie, Suhrkamp: 28.

3 Deutsches IVF-Register (2019): Jahrbuch 2018. Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, Sonderheft 1.

4 De Geyter, Christian/Calhaz-Jorge, Carlos/Kupka, Markus S. et al. (2018): ART in Europe 2014: results generated from European registries by ESHRE. Human Reproduction, 33(9): 1586–1601.

5 https://www.eshre.eu/Annual-Meeting/Barcelona-2018/ESHRE-2018-Press-releases/De-Geyter (Abruf: 19.12.2019).

6 Siehe Eggen, Bernd: »Ein Kind – zwei Eltern? Vielfalt von Elternschaft«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2019«, S. 9–15.

7 Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp: 517.

8 Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2019): Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung. Halle (Saale).

9 Ontologie als »Lehre des Seienden« geht im Alltag von der Unterscheidung von Sein/Nichtsein aus: Dort das von der Natur vorgegebene Sein der biologischen Unfruchtbarkeit, hier die Überwindung dieser Unfruchtbarkeit durch Kultur und Technik.

10 Siehe Bernard, Andreas (2014): Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie, S. Fischer, besonders: 199, 460–464.

11 Crispr/Cas 9 ist eine biochemische Technik, mit der sich das Erbgut an jeder gewünschten Stelle verändern lässt. Mit dieser Technik kann in die Keimbahn des Menschen eingegriffen und können Spermien oder Eizellen genetisch manipuliert werden.

12 Siehe Bernard, Andreas (2014): Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie, S. Fischer, besonders: 144–156, 249–250.