:: 8/2020

Vor Corona: Die Industrie und deren Struktur in Baden-Württemberg

Der konjunkturelle Aufschwung der vergangenen Jahre sorgte für ein prosperierendes wirtschaftliches Umfeld in der Südwestindustrie, das den Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes eine wachstumsorientierte Entwicklung ermöglichte. Die Industriestruktur Baden-Württembergs zeichnete sich durch eine breite Branchenvielfalt mit einzelnen Schlüsselindustrien aus. Dabei spielten ins­besondere die Industriezweige »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« sowie »Maschinebau« tragende Rollen. In der Regionalbetrachtung der Südwestindustrie charakterisierte eine gleichmäßige Verteilung auf die einzelnen Regionen mit industrie­spezifischen Schwerpunkten und ein Industriezentrum in der Region Stuttgart die In­dustriestruktur der baden-württembergischen Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes.1

Die verschiedenen Erhebungen über die Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg (i-Punkt) bilden die Basis für Analysen der Industriestruktur auf Landes-, Regional- und Kreisebene, da die amtliche Statistik hier eine regionalscharfe Abgrenzung bei gleichzeitig hoher Datenqualität liefern kann. Neben der räumlichen Verteilung ist insbesondere die branchenspezifische Abgrenzung, in diesem Beitrag auf Ebene der Abteilungen nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, essentiell für die Analyse der Industriestruktur.2 Der Begriff Industriestruktur beschreibt die Verteilung der einzelnen Industriebranchen in einem bestimmten Raum und lässt sich durch verschiedene Kennzahlen wie Anzahl der Betriebe, Beschäftigte oder Umsätze charakterisieren. Ein Gesamtbild ergibt sich allerdings erst durch die Beobachtung der einzelnen Kennzahlen über einen längeren Zeithorizont, da die Entwicklung entscheidend für die Beurteilung der Industriestruktur ist. Hier spielt das Konjunkturgeschehen eine tragende Rolle, da es als Gradmesser die vorherrschende gesamtwirtschaftliche Lage beschreibt und dementsprechend das Konsum- und Investitionsklima sowie das Handeln und die Erwartungshaltung der wirtschaftlichen Akteure nachhaltig beeinflusst.

Schwächephase der Industrie läutet Ende der Expansion ein

Für die Südwestindustrie zeichnet sich die konjunkturelle Entwicklung am Verlauf der zentralen Konjunkturindikatoren des Verarbeitenden Gewerbes ab, die im Jahr 2019 im Vorjahresvergleich deutlich ins Minus drehten. Preis- und arbeitstäglich bereinigt sanken im Jahr 2019 die Auftragseingänge um – 6,8 % (2018: 2 %), die Produktion um – 2,6 % (2018: 1,6 %) und der Umsatz um – 1,6 % (2018: 2,0 %).3 Die Industrieproduktion ist neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) der zentrale Gegenwartsindikator zur Beobachtung des Konjunkturgeschehens. Hinsichtlich des Verlaufs des Produktionsindex für Baden-Württemberg (Schaubild 1) liegt der Fokus in der Konjunkturbeobachtung insbesondere auf der preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Zeitreihe, die einen störungsfreieren Eindruck der konjunkturellen Tendenzen ermöglicht, sowie auf der Trend-Konjunktur-Komponente, die als Schätzung die mittel- und langfristigen auf die Zeitreihe wirkenden Einflussgrößen isoliert darstellt.4 Die Südwestindustrie durchlebte von den Jahren 2005 bis Anfang 2008 eine starke Expansionsphase, die mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ein Ende fand. Zwischen Anfang des Jahres 2008 und Mitte des Jahres 2009 befanden sich die Industriebetriebe Baden-Württembergs in einer rezessiven Phase mit deutlich rückläufiger Industrieproduktion. Anschließend setzte ein starker Aufholprozess ein, den ein von hoher Unsicherheit geprägtes wirtschaftliches Umfeld im Jahr 2012, insbesondere verursacht durch die Auswirkungen der Euro- und Staatsschuldenkrise, bremste. In den Folgejahren zeigte sich die Industrieproduktion in einem stabilen aufwärtsgerichteten Trend. Das Vorkrisenniveau aus dem Februar 2008 erreichte die Südwestindustrie im Hinblick auf die Trend-Konjunktur-Komponente allerdings erst im Dezember 2016 wieder. Gegen Ende 2018 verlor die Industrieproduktion an Tempo und folgte den deutlich absinkenden Auftragseingängen im Jahr 2019 ins Minus. Mit der sich im Jahr 2019 abzeichnenden Schwächephase der Industrie erfolgte eine zyklische Korrekturphase der konjunkturellen Entwicklung.

Das BIP auf Bundesebene zeichnete einen ähnlichen Trend nach und befand sich zwischen dem 2. Quartal 2013 und dem 1. Quartal 2019 in einer 24 Quartale andauernden Wachstumsphase.5 Auch hier verlangsamte sich das Wachstumstempo ab Mitte 2018 merklich. Interne Einflussfaktoren auf das Verarbeitende Gewerbe waren dabei eine deutliche Überauslastung der Produktionskapazitäten im Jahr 2018, die die Unternehmen im Jahresverlauf 2019 abbauten. Im Hinblick auf außenwirtschaftliche Unsicherheiten waren insbesondere die Handelskonflikte der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) mit China und der Europäischen Union (EU) sowie die Unwägbarkeiten im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU von Bedeutung. Diese wirtschaftlichen Unsicherheiten trübten die weltweite Investitionsbereitschaft, was sich am Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, der durch einen überproportional hohen Produktionsanteil von Investitionsgütern geprägt ist, besonders niederschlug. Der signifikante Technologiewandel auf dem globalen Automobilmarkt wirkte sich ebenso negativ auf die Produktion der Südwestindustrie aus.6

Langjähriger Aufschwung sorgte für Rekordwerte im Verarbeitenden Gewerbe

Die bis Mitte des Jahres 2018 andauernde Expansionsphase führte insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg zu einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Seit dem Tiefpunkt nach der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 verbuchten die Betriebe der Südwestindustrie 9 Jahre in Folge höhere Umsätze. Erst im Jahr 2019 blieb der Gesamtumsatz mit 369,9 Milliarden (Mrd.) Euro geringfügig unter dem Rekordwert aus dem Jahr 2018 (370,7 Mrd. Euro) (Tabelle 1). Vor allem die starke Exporttätigkeit der Industriebetriebe Baden-Württembergs trieb diese Entwicklung. So legten die Auslandsumsätze nach dem Einbruch durch die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 bis zum Jahr 2019 um 85,7 % zu, während die Inlandsumsätze im gleichen Zeitraum nur ein Wachstum von 33,8 % verzeichneten. Dieser Trend zu einer stärkeren Auslandsorientierung in der Südwestindustrie manifestierte sich in einer deutlich gestiegenen Exportquote. Schon im Zeitraum der Jahre 1995 (31,5 %) bis 2008 (48,6 %) legte die Exportquote der baden-württembergischen Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes um beachtliche 17,1 Prozentpunkte zu und erreichte schließlich im Jahr 2019 ein Niveau von 55,2 %. Die Expansionsphase sorgte nicht nur für höhere Umsätze und eine stärkere Auslandsorientierung bei den Industriebetrieben Baden-Württembergs, auch die Anzahl der Industriebeschäftigten und die Entgelte stiegen im Zeitablauf deutlich an. So erreichte der Beschäftigungsstand in der Südwestindustrie im Jahr 2019 mit 1,3 Millionen (Mill.) tätigen Personen sein höchstes Niveau im Betrachtungszeitraum seit dem Jahr 1995 und auch die Entgelte kletterten im Jahr 2019 auf ihr Allzeithoch in Höhe von 74,3 Mrd. Euro. Die gestiegene Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg äußerte sich dabei in der Entwicklung des Entgelts pro Kopf. Seit dem Jahr 1995 (33 038 Euro je Beschäftigten) legte die Kennzahl mit Ausnahme des Jahres der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 kontinuierlich zu und erreichte im Jahr 2019 ein Niveau von 55 700 Euro je Beschäftigten. Im Zeitraum der Jahre 2008 bis 2019 wuchs das Entgelt pro Kopf mit einer beachtlichen jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate von 2,3 % pro Jahr (p.a.). Das günstige wirtschaftliche Umfeld sorgte ebenso für Rekordinvestitionen der Südwestindustrie in Höhe von 14,7 Mrd. Euro im Jahr 2018. Insbesondere in den Jahren nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 investierten die Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg signifikant in Sachanlagen, jahresdurchschnittlich wuchs das Investitionsvolumen im Zeitraum der Jahre 2009 bis 2018 um 6,2 % p.a., was ein deutliches Zeichen für die Stärke des Industriestandortes Baden-Württemberg ist. Mit der einsetzenden Rezession im Jahresverlauf 2019, die sich durch die deutlich negativen Konjunkturindizes ankündigte, verschlechterten sich die Aussichten zusehends. Die COVID-19-Pandemie, die die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen ab März 2020 mit einem Schlag grundlegend änderte, läutete eine Zäsur in der Südwestindustrie ein. Die ersten Frühindikatoren, wie beispielsweise Konjunkturumfragen des ifo-instituts, deuteten darauf hin, dass der Konjunktureinbruch sowie die Beschränkung der wirtschaftlichen Aktivität und der Personen- und Gütermobilität zu einer massiven Verschlechterung der Stimmung unter den Unternehmen und einer beispiellosen Zunahme der Verunsicherung führten.7

Mittelstand und Großbetriebe als Grundlage für Wirtschaftstätigkeit

Mit 8 550 Industriebetrieben in Baden-Württemberg im Jahr 2019 im Berichtskreis 20+ wird die zentrale Bedeutung des Verarbeitenden Gewerbes für den Wirtschaftsstandort deutlich. Dies bedeutete mit einem Anteil von 18 % an den Industriebetrieben in Deutschland Platz 2 vor Bayern (7 621 Betriebe bzw. 16,1 %). Lediglich in Nordrhein-Westfalen (10 491 Betriebe bzw. 22,1 %) war eine größere Anzahl an Industriebetrieben ansässig. Die Verteilung der Industriebetriebe im Hinblick auf Beschäftigungsgrößenklassen zeigt die Kennzahlen der Südwestindustrie aus einem differenzierten Blickwinkel. In Baden-Württemberg gilt insbesondere der Mittelstand als tragende Säule der Wirtschaft sowie Motor für Innovationen und Unternehmertum.8 So lag im Jahr 2019 der Anteil der kleinen Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten an der Gesamtzahl der Betriebe bei 46,5 %, der der mittleren Betrieben mit mehr als 50 und weniger als 500 Beschäftigten bei einem Anteil von 48,4 %, während die Großbetriebe mit mehr als 500 Beschäftigten nur 5,1 % ausmachten. Allerdings beschäftigten die Großbetriebe 46,8 % der Industriebeschäftigten in Baden-Württemberg im Jahr 2019, zahlten 56,4 % der Entgelte auf Landesebene und erwirtschafteten mit 223,1 Mrd. Euro 60,3 % der Gesamtumsätze der Südwestindustrie. Besonders im Hinblick auf die Exporttätigkeit dominierten Großbetriebe das Geschehen. Diese verbuchten im Jahr 2019 einen Auslandsumsatz von 147,1 Mrd. Euro und waren damit für 72 % der Umsätze im Auslandsgeschäft verantwortlich, während die kleinen Betriebe lediglich einen Anteil von 1,9 % am Auslandsumsatz der Südwestindustrie verbuchten. Auffällig wird dieser Aspekt in Betrachtung der Betriebe auf Ebene der einzelnen Wirtschaftszweige. So kamen die von wenigen Großbetrieben geprägten Branchen »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« und »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« im Jahr 2019 in der Südwestindustrie auf 826,1 bzw. 630,7 Beschäftigte pro Betrieb, während beispielsweise in der »Herstellung von Metallerzeugnissen« (96,2 Beschäftigte pro Betrieb) oder der »Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau« (30 Beschäftigte pro Betrieb) im Landesdurchschnitt deutlich weniger Personen in den Betrieben beschäftigt waren.

Industriestruktur Baden-Württembergs breit aufgestellt

Die Südwestindustrie im Jahr 2019 zeigte im Hinblick auf die einzelnen Wirtschaftszweige des Verarbeitenden Gewerbes mit Ausnahme der in Baden-Württemberg nicht vorhandenen Industriebranchen »Kohlebergbau«, »Gewinnung von Erdöl und Erdgas«, sowie »Erzbergbau« ein breit gefächertes Wirtschaftsgeschehen (Tabelle 2). Lediglich die Kennzahlen der Branchen »Tabakverarbeitung« und »Kokerei und Mineralölverarbeitung« unterlagen in Baden-Württemberg im Jahr 2019 aufgrund der geringen Anzahl an Betrieben zu einem Großteil der Geheimhaltung. Die Anteile der einzelnen Industriebranchen an der Gesamtaggregation der Südwestindustrie variieren in Betrachtung der untersuchten Kennzahlen, dennoch ist die Grundtendenz klar erkennbar. Schlüsselpositionen in der Südwestindustrie nehmen traditionell insbesondere die Industriezweige »Maschinenbau« und »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« ein, aber auch andere Wirtschaftsbranchen bilden jeweils Schwerpunkte in der Industriestruktur Baden-Württembergs. So verbuchte die Branche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« im Jahr 2019 Umsätze in Höhe von 110,1 Mrd. Euro, was einem Anteil von 29,8 % an den Gesamtumsätzen der Südwestindustrie entsprach, gefolgt von dem »Maschinenbau« mit einem Umsatzanteil von 21,5 % (79,4 Mrd. Euro), der »Herstellung von Metallerzeugnissen« (27,2 Mrd. Euro bzw. 7,4 %) und der »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen« (25 Mrd. Euro bzw. 6,8 %). Dabei erwirtschaftete der Industriezweig »Herstellung von Kraftwagen- und Kraftwagenteilen« im Jahr 2019 70,6 % (77,8 Mrd. Euro) seiner Umsätze im Ausland und zeigte sich somit für 38,1 % der Auslandsumsätze der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg verantwortlich. Einzig der Maschinenbau konnte ebenso einen zweistelligen Anteil an den Auslandsumsätzen der Südwestindustrie in Höhe von 24,6 % (50,2 Mrd. Euro) im Jahr 2019 verbuchen, allerdings bei einer deutlich geringeren Exportquote von 63,2 %. Die starke Auslandsorientierung trat auch in anderen Industriezweigen hervor. So wiesen insbesondere die Branchen »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« (68,4 %), »Sonstiger Fahrzeugbau« (64,2 %) sowie »Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen« (63,5 %) hohe Exportquoten auf. In Betrachtung der Industriebeschäftigung Baden-Württembergs war die beschäftigungsreichste Industriebranche der Südwestindustrie im Jahr 2019 wie schon in den Vorjahren der »Maschinenbau« mit einem Anteil von 25,1 %, gefolgt von den Branchen »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« (17,7 %), »Herstellung von Metallerzeugnissen« (12,1 %) sowie »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen« (8,0 %). Zusammengenommen beschäftigten diese vier Wirtschaftszweige 62,9 % der Industriebeschäftigten der baden-württembergischen Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes und zahlten 68,3 % der Entgelte.

Branche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« als Zugpferd des Aufschwungs und Vorbote des Abschwungs

In der langjährigen Expansionsphase seit dem Einbruch der Konjunktur und der Industrieproduktion im Jahr 2009 verzeichnete das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg einen rasanten Aufstieg (Schaubild 2). Nach dem Konjunkturhöhepunkt im Jahr 2008 erlitten die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2009 einen deutlichen Umsatzeinbruch im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ausgehend von diesem Tiefpunkt setzte ein deutlicher Aufholprozess ein. Allerdings wirkte sich die Expansionsphase in ihrer Intensität innerhalb der einzelnen Branchen unterschiedlich stark aus. Insbesondere die Branche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« verzeichnete einen deutlichen Umsatzanstieg im Vergleich zum Basisjahr 2008. So legten die Umsätze der Betriebe dieses Wirtschaftszweigs zwischen den Jahren 2008 und 2019 um 47,3 % zu, was einer jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate von 3,6 % entsprach. Die im selben Zeitraum noch stärker gestiegenen Auslandsumsätze der Branche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« mit einer Zuwachsrate von insgesamt 66,4 % bzw. einer jahresdurchschnittlichen Rate von 4,7 %, deuteten darauf hin, dass der Wirtschaftszweig nach der Finanz- und Wirtschaftskrise vor allem auf ausländischen Märkten hohes Wachstum verbuchen konnte. Aber auch die anderen Branchen verbuchten ein kontinuierliches Umsatzwachstum, so legte das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg im Zeitraum der Jahre 2008 bis 2019 um jahresdurchschnittlich 2,1 % zu. Allerdings befindet sich die Schlüsselbranche »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« bedingt durch nachfrage- und angebotsseitige Störungen, die sowohl auf strukturelle als auch auf konjunkturelle Faktoren zurückzuführen sind, in einer seit Mitte 2018 andauernden Schwächephase. Während die Industrieproduktion deutlich zurückging, schlägt sich die Schwäche noch nicht in gleichem Ausmaß auf die Beschäftigung nieder. Zwar verfügt der Wirtschaftszweig über eine hohe Innovationskraft, jedoch sind die Herausforderungen nicht erst seit dem Dieselskandal immens. Die im Rahmen der Klimadiskussion geforderten Emissionseinsparungen sorgen für einen beschleunigten Umstieg auf Alternativen zum Verbrennungsmotor. Die chinesische Regierung drängt durch den Aufbau einer starken heimischen Industrie für batteriebetriebene Fahrzeuge in den Wettbewerb, mit dem Ziel Marktanteile zu erobern. Der technologische Fortschritt bei der Batteriezellenfertigung begünstigt zunehmend den wirtschaftlichen Einsatz von Elektrofahrzeugen und die Digitalisierung eröffnet völlig neue Anwendungsmöglichkeiten. Diese und weitere Entwicklungen gehen einher mit der Umstrukturierung bestehender Wertschöpfungsketten.9 Dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg steht wahrscheinlich ein massiver Strukturwandel bevor, der neben Chancen auch eine Vielzahl an Risiken für die Unternehmen der Südwestindustrie mit sich bringt.

Umsatzwachstum in allen Regionen – Industrieschwerpunkt in der Region Stuttgart

In der Regionalbetrachtung10 verfügte die Südwestindustrie im Jahr 2019 über eine breite räumliche Verteilung des Verarbeitenden Gewerbes über alle Regionen mit einem starken Industriezentrum in der Region Stuttgart. Insbesondere die Umsätze legten im letzten Jahrzehnt deutlich zu und stiegen in allen Regionen über das Niveau vor dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 (Schaubild 3). So verzeichnete die Region Stuttgart nach dem Einbruch im Jahr 2009, begünstigt durch starke Aufholeffekte, im Zeitraum der Jahre 2008 bis 2019 einen Anstieg der Industrieumsätze von 29,4 % und baute ihre Vorreiterrolle als Industriezentrum der Südwest­industrie weiter aus. Im Jahr 2019 erwirtschaftete die Region Stuttgart 29,7 % der Gesamtumsätze des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg, beschäftigte 347 000 Personen (Schaubild 4) und damit 26 % der baden-württembergischen Industriebeschäftigten und zahlte 30,9 % der Entgelte. Insbesondere die im Jahr 2019 mit 34,8 % stärkste Branche nach Industriebeschäftigten in der Region Stuttgart, die »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen«, sorgte im Zeitraum der Jahre 2011 bis 2019 mit einem Umsatzwachstum von 37,7 % bzw. einer jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate von 4,1 % und einem Gesamtumsatz im Jahr 2019 von 61,1 Mrd. Euro zusammen mit dem »Maschinenbau«, der mit einem Anteil von 30,5 % an den Industriebeschäftigten zweitgrößten Branche, für einen starken Aufschwung der Region. Deutliche Umsatzsteigerungen über dem Branchenschnitt im Zeitraum 2008 bis 2019 verbuchten außerdem die Regionen Nordschwarzwald (52,3 % bzw. 3,9 % p.a.) mit den Branchen »Metallerzeugung und -bearbeitung«, »Maschinenbau« sowie »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen«, Mittlerer Oberrhein (43,4 % bzw. 3,3 % p.a.) mit den Branchen »Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln«, »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen«, sowie »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen«, Schwarzwald-Baar-Heuberg (36,6 % bzw. 2,9 % p.a.) mit den Branchen »Herstellung von Metallerzeugnissen«, »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen«, »Maschinenbau« sowie »Herstellung von sonstigen Waren«, Neckar-Alb (34,7 % bzw. 2,7 % p.a.) mit den Branchen »Maschinenbau« sowie »Herstellung von sonstigen Waren« und Ostwürttemberg (31,4 % bzw. 2,5 % p.a.) mit den Branchen »Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen« sowie »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen«.

Die Konzentration auf bestimmte Wirtschaftszweige prägte im Jahr 2019 die Verteilung der Industriebranchen nach Industriebeschäftigten auf die einzelnen Regionen (Schaubild 4). Die Beschäftigten der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg gehörten im Jahr 2019 in allen Regionen zu mehr als 65 % den Branchen »Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln«, »Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren«, »Herstellung von Metallerzeugnissen«, »Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen«, »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen«, »Maschinenbau« sowie »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« an. Dabei wies vor allem der »Maschinenbau« eine starke Präsenz in sämtlichen Regionen Baden-Württembergs mit Ausnahme der Region Mittlerer Oberrhein auf. Abweichend von der Verteilung der Industriezweige auf das Land Baden-Württemberg bildeten einzelne Regionen unterschiedliche Branchenschwerpunkte aus. So lag der Anteil der Industriebeschäftigten der Branche »Herstellung von elektrischen Ausrüstungen« in der Region Mittlerer Oberrhein im Jahr 2019 10,4 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt.11 Der Industriezweig »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« wiederum besaß in der Region Stuttgart eine um 17,1 Prozentpunkte höhere Konzentration an Industriebeschäftigten im Vergleich zur Südwestindustrie, dafür wiesen die Regionen Nordschwarzwald, Südlicher Oberrhein, Schwarzwald-Baar-Heuberg, Hochrhein-Bodensee, Neckar-Alb sowie Donau-Iller einen deutlich geringeren Anteil aus als im Landesdurchschnitt. Während in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg die Konzentration der Industriebeschäftigten in den Branchen »Herstellung von Metallerzeugnissen« und »Herstellung von sonstigen Waren« um 13,1 bzw. 10,4 Prozentpunkte höher war als auf Landesebene, lag die Industriebeschäftigung im »Maschinenbau« in der Region Neckar-Alb um 11,6 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt. Einen differenzierten Blick auf die Schwerpunktregionen der einzelnen Industriezweige ermöglicht die Betrachtung der Verteilung der Beschäftigten der Südwestindustrie in den einzelnen Branchen auf die Regionen. Insbesondere die Region Stuttgart beheimatete im Jahr 2019 einige Branchenschwerpunkte im Hinblick auf die Industriebeschäftigten. So beschäftigten die Industriebetriebe der Region Stuttgart im Jahr 2019 einen signifikant hohen Anteil der tätigen Personen der Branchen »Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln« (21,4 %), »Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen« (39,2 %), »Herstellung von Druckerzeugnissen; Vervielfältigung von bespielten Ton-, Bild- und Datenträgern« (26,5 %), »Herstellung von chemischen Erzeugnissen« (25,8 %), »Maschinenbau« (31,6 %), »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« (51,2 %), »Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstungen« (37,1 %). Weitere Branchenschwerpunkte in Baden-Württemberg im Jahr 2019 nach Industriebeschäftigten lagen für die Industriezweige »Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau« (23,4 %) und »Herstellung von Möbeln« in der Region Heilbronn-Franken, für den Industriezweig »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« in den Regionen Donau-Iller (30,2%) und Rhein-Neckar, für den Industriezweig »Herstellung von Bekleidung« (70,7 %) in der Region Neckar-Alb, für den Industriezweig »Sonstiger Fahrzeugbau« (36,5 %) in der Region Bodensee-Oberschwaben, für den Industriezweig »Herstellung von sonstigen Waren« (28 %) in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sowie für den Industriezweig »Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstungen« (20,6 %) in der Region Rhein-Neckar.

Corona-Virus sorgt für einen beispiellosen Konjunktureinbruch mit tiefgreifenden Implikationen

Die Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen stürzten die Südwestindustrie Anfang des Jahres 2020 in eine tiefe Rezession. Die zentralen Konjunkturindikatoren des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg brachen massiv ein. Preis- und arbeitstäglich bereinigt im Vergleich zum Vorjahresmonat fielen im April 2020 die Auftragseingänge um – 43,3 % (März 2020: – 9,2 %), die Produktion um – 35,6 % (März 2020: – 12,7 %) und der Umsatz um – 39,7 % (März 2020: – 11,9 %) erdrutschartig ins Minus. Die Auswirkungen des Einbruchs der Wirtschaftsleistung (BIP-Prognose für das Jahr 2020 in Deutschland: – 6,5 %) sind dabei nicht absehbar. Arbeitsvolumen und Erwerbstätigkeit sehen sich einem deutlichen Rückgang ausgesetzt und auch die Belastung der öffentlichen Haushalte steigt durch ausfallende Einnahmen und des im März von der Bundesregierung verabschiedeten Nachtragshaushaltes mit einem Volumen von 156 Mrd. Euro enorm an.12 Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Maßnahmen zur Unterstützung der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, wie die Auszahlung von Kurzarbeitergeld, auch langfristig Wirkung zeigen und eine Vielzahl an Entlassungen und Insolvenzen in der Südwestindustrie verhindern können. Die Prognosen führender Wirtschaftsforschungsinstitute hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie im Hinblick auf die Industriestruktur sind mit sehr großer Unsicherheit belastet und hängen entscheidend von den zugrundeliegenden Annahmen ab. Insbesondere das weitere Infektionsgeschehens und die darauf aufbauende mögliche wirtschaftliche Erholung sind dabei in der gegenwärtigen Situation nur schwer abschätzbar.

1 Dieser Beitrag analysiert die wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe und die Industriestruktur der Südwestindustrie bis einschließlich Berichtsjahr 2019. Die sich in Folge der umfassenden weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus mit Beginn des Jahres 2020 grundlegend veränderte Lage hatte auf das Ergebnis im Jahr 2019 noch keinen Einfluss.

2 Betriebe werden nach Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ2008) entsprechend ihrer Wertschöpfung einem wirtschaftlichen Schwerpunkt zugeordnet.

3 Die preis- und kalenderbereinigten Veränderungsraten beziehen sich auf die Konjunkturindizes im Verarbeitenden Gewerbe (Basisjahr 2015 = 100) für Baden-Württemberg, deren Datengrundlage die »Monatliche Produktionserhebung im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden« und der »Monatsbericht für Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden« bilden. Zugrunde gelegt ist der Berichtskreis 50+, das heißt Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten. Im Folgenden bezieht sich der Artikel auf den Berichtskreis 20+.

4 Speth, Hans-Theo (2004): Komponentenzerlegung und Saisonbereinigung ökonomischer Zeitreihen mit dem Verfahren BV4.1, in: Statistisches Bundesamt – Schriftreihe Methodenberichte, Heft 3.

5 Statistisches Bundesamt, VGR des Bundes, Bruttoinlandsprodukt Originalwerte preisbereinigt, Kettenindex (Basisjahr 2015=100).

6 Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2019: Industrie in der Rezession – Wachstumskräfte schwinden, in: Ifo Schnelldienst, Heft 19/2019, 72. Jahrgang, S. 27.

7 Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2020: Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen, S. 33.

8 Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg (2020): Positionspapier: Beitrag zur EU-Industriepolitik – Impulse einer führenden Industrieregion für eine europäische Industriestrategie.

9 Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2020: Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen, S. 71-79.

10 Unschärfen durch regionale Überschneidungen möglich.

11 Siehe Tabelle 2 für die Verteilung der Industriebeschäftigten nach Branchen auf Landesebene.

12 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2020) Konjunkturprognose 2020 und 2021, S. 2, 23, 24.