:: 9/2020

Ist Herzinsuffizienz eine Todesursache?

Zur Qualität der Todesursachenstatistik und den Chancen einer elektronischen Todesbescheinigung

Herzinsuffizienz gehört zu den zehn häufigsten Todesursachen in Baden-Württemberg und in Deutschland. Allerdings stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Herzinsuffizienz als nichtinformative Todesursache ein, da sie Folge verschiedener Krankheiten sein kann. Der Beitrag erläutert die Vorgänge vom Ausstellen der einzelnen Todesbescheinigung bis zur Todesursachenstatistik. Es wird gezeigt, dass Herzinsuffizienz nur dann als Grundleiden ausgewiesen wird, wenn sich auf der Todesbescheinigung keine anderen belastbaren Angaben finden. Damit ist Herzinsuffizienz als Grundleiden mit dem zentralen Qualitätsproblem der Todesursachenstatistik verknüpft: Das unzureichende Ausfüllen der Todesbescheinigung, wenn bei der Leichenschau keine konkreten Informationen über den Krankheitsverlauf verfügbar sind. Die Einführung einer elektronischen Todesbescheinigung könnte zur Lösung dieses Problems beitragen.

Für gut 4 300 von rund 109 000 Sterbefällen im Jahr 2017 weist die Todesursachenstatistik in Baden-Württemberg als Todesursache »Herzinsuffizienz« aus (Schaubild 1). In der Rangfolge nach der Häufigkeit von Todesursachen war Herzinsuffizienz für Männer aus dem Land mit 3 % aller Sterbefälle die siebthäufigste, für Frauen mit 5 % aller Sterbefälle sogar die dritthäufigste Todesursache. Auch für Deutschland insgesamt weist die Todesursachenstatistik Herzinsuffizienz seit Jahren als siebt- bzw. dritthäufigste Todesursache von Männern bzw. Frauen aus. Nicht zuletzt seit der von der Weltgesundheitsorganisation initiierten Global-Burden-of-Disease-Studie wird an dieser Tatsache zunehmend Kritik laut: Herzinsuffizienz findet sich auf einer Liste sogenannter »nicht informativer« Todesursachen der WHO wieder.1 Sterbefälle mit »nicht informativen« Todesursachen sollen im Rahmen der aktuellen nationalen Studie BURDEN 2020, die das Ziel der krankheitsspezifischen Berechnung verlorener Lebensjahre durch gesundheitliche Einschränkung und vorzeitige Sterblichkeit verfolgt, auf andere Todesursachen umgerechnet werden.2

Todesursachenstatistik dient der Prävention

Die nach dem Regelwerk der WHO3 ermittelte Todesursachenstatistik steht im Dienst der Gesundheitspolitik: Im Kern geht es um die Frage, durch welche präventiven oder medizinisch kurativen Maßnahmen die Lebensqualität und die Lebenserwartung der Bevölkerung am besten erhöht werden können. Die wirkungsvollste Präventivmaßnahme wäre die Ausschaltung der Ursache, die den zum Tode führenden Prozess auslöst. Diese als »Grundleiden« bezeichnete Ursache soll daher in der Todesursachenstatistik nachgewiesen werden. Das Grundleiden ist definiert als

  • a) jene Krankheit oder Verletzung, die den Ablauf der direkt zum Tode führenden Krankheitszustände auslöste, oder
  • b) die Umstände des Unfalls oder der Gewalteinwirkung, die den tödlichen Ausgang verursachten.

Das Grundleiden Herzinsuffizienz ist nach dem Regelwerk der WHO zwar als Grundleiden zugelassen, bietet aber in Bezug auf das Thema Prävention wenig Anhaltspunkte. Herzinsuffizienz tritt häufig im Zusammenhang mit anderen Krankheiten auf, zum Beispiel anderen Krankheiten des Kreislaufsystems, wie ischämischen Herzkrankheiten oder Bluthochdruck. Herzinsuffizienz kann aber auch durch Diabetes mellitus verursacht werden, einer Krankheit aus dem Kapitel der Endokrinen-, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten.3 Daher lässt sich für die in der Todesursachenstatistik ausgewiesenen Fälle mit dem Grundleiden »Herzinsuffizienz« mit einiger Sicherheit nur sagen, dass ein natürlicher Tod in Verbindung mit einem schwachen Herzen vorlag. Die Einordnung in die Rubrik »nicht informative Todesursache« ist insofern berechtigt.

Herzinsuffizienz häufiger bei Sterbefällen Hochbetagter …

Warum wird das Grundleiden »Herzinsuffizienz« dennoch so häufig in der Todesursachenstatistik nachgewiesen? Erste Hinweise darauf gibt die genauere Betrachtung der Sterbefälle mit diesem Grundleiden. Herzinsuffizienz erscheint in der Statistik umso häufiger als Todesursache je älter die Verstorbenen sind (Schaubild 2). Mit fast 9 % aller Sterbefälle wurde die Todesursache Herzinsuffizienz, im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2017, am häufigsten bei 90-jährigen und älteren Frauen nachgewiesen. Für Sterbefälle unter 60-Jähriger ist Herzinsuffizienz als Todesursache nur in Einzelfällen zu beobachten. Bei hochbetagten Gestorbenen, bei denen häufig mehrere schwere Grunderkrankungen vorliegen, ist die Ermittlung des einen Grundleidens oft schwierig. Die Todesbescheinigung der unikausalen Todesursachenstatistik verlangt dies jedoch vom leichenschauenden Arzt.

… und bei Sterbefällen außerhalb des Krankenhauses

Ein weiterer Einflussfaktor für die Häufigkeit von Herzinsuffizienz als Todesursache scheint zu sein, ob die Todesbescheinigung im oder außerhalb des Krankenhauses ausgestellt wird. Bei Sterbefällen im Krankenhaus ist davon auszugehen, dass dem Arzt/der Ärztin bei der Leichenschau eine ausführliche Patientenakte mit Vorerkrankungen und Aufnahmediagnose vorliegt. Dies ist bei der Leichenschau im Pflegeheim, in der Wohnung des Verstorbenen oder an anderen Orten nicht zwangsläufig der Fall. Offenbar begünstigt das Fehlen von Informationen zur Krankengeschichte des/der Verstorbenen die Eintragung unspezifischer Krankheiten auf der Todesbescheinigung.

Die Todesursachenstatistik selbst enthält kein Merkmal, das den Sterbeort erfasst. Dennoch lässt sich der Anteil der im Krankenhaus ausgefüllten Todesbescheinigungen für die Stadt- und Landkreise des Landes durch die Kombination der Todesursachenstatistik nach Sterbeort mit der Krankenhaus-Diagnosestatistik nach Behandlungsort errechnen.4 Schaubild 3 zeigt auf Kreisebene für einen 4-Jahres-Durchschnitt, dass der Anteil der Todesbescheinigungen, die die Todesursache Herzinsuffizienz enthielten, umso höher war, je niedriger der Anteil der im Krankenhaus ausgestellten Todesbescheinigungen ausfiel. Das Spektrum reichte von einem Kreis, in dem nur 23 % aller Sterbefälle im Krankenhaus bescheinigt wurden und der Anteil der »Todesursache Herzinsuffizienz« bei 6,4 % aller im Kreis Gestorbenen lag bis zu einem Kreis mit 73 % Sterbefällen im Krankenhaus und einem Anteil der »Todesursache Herzinsuffizienz« von nur 2,3 %.

Leichenschau und Todesbescheinigungen …

Bei jedem Sterbefall werden die Ergebnisse der Leichenschau im vertraulichen Teil der Todesbescheinigung festgehalten (siehe Abbildung). Der Arzt/die Ärztin soll im Abschnitt »Todesursache«, Teil 1 den Krankheitsverlauf in einer Kausalkette dokumentieren. Dabei ist in Zeile 1a die unmittelbare Todesursache anzugeben sowie in den Zeilen 1b und 1c die vorangegangenen Ursachen. Die letztendliche Ursache, das bereits erwähnte Grundleiden, welches Eingang in die unikausale Todesursachenstatistik findet, soll an unterster Stelle stehen. Teil 2 der Todesbescheinigung enthält andere wesentliche Krankheiten, die nicht im Zusammenhang mit dem Grundleiden stehen.

Fehlt es an Informationen über bestehende Erkrankungen des Verstorbenen oder wird die Leichenschau nicht ordnungsgemäß durchgeführt, so kommt es zu Fehlern beim Ausfüllen der Todesbescheinigung, die sich in der Todesursachenstatistik niederschlagen. Das Thema ist in der Literatur vielfach belegt. Einen guten Überblick bietet das Schwerpunktheft 12/2019 des Bundesgesundheitsblatts, das die Problematik der Leichenschau, das korrekte Ausfüllen der Todesbescheinigung und die Verarbeitung der Angaben der Todesbescheinigung bis zur amtlichen Todesursachenstatistik behandelt.5 Die dort von Weckbecker und Bleckwenn6 beschriebenen Probleme niedergelassener Ärzte bei Leichenschau und Todesbescheinigung sind auch im Zusammenhang mit dem »Grundleiden Herzinsuffizienz« von Interesse:

  • In Bereitschaft oder in Urlaubsvertretung wird ein niedergelassener Arzt zu einem Verstorbenen gerufen, den er nicht persönlich behandelt hat. Es liegen auch keine aktuellen schriftlichen Informationen/Befunde vor.
  • Die Situation der Leichenschau im häuslichen Umfeld unter Anwesenheit der Angehörigen erschweren eine ordnungsgemäße Leichenschau mit Entkleidung des Verstorbenen und Inspizieren aller Körperöffnungen.
  • Der die Leichenschau durchführende Arzt ist in der Regel allein. Eine Konsultation von Kollegen ist nicht möglich. Ebenso würde zum vorschriftsmäßigen Entkleiden und Wenden der Leiche in vielen Fällen eine zweite Person benötigt.
  • Die Leichenschau wird häufig unter Zeitdruck durchgeführt.

… sind Basis der Todesursachenstatistik

Die Todesbescheinigung ist in Deutschland bislang ein von Bundesland zu Bundesland unterschiedliches Papierformular mit mehreren Durchschlägen, die in speziellen Umschlägen an verschiedene Adressaten weitergeleitet werden. Für Baden-Württemberg ist das Verfahren in § 11 der Bestattungsverordnung geregelt.7 Der vertrauliche Teil der Todesbescheinigung geht über die Standesämter an die Gesundheitsämter, die für den jeweiligen Sterbeort zuständig sind. Dort werden die für die Todesursachenstatistik bestimmten Angaben in ein Erfassungsprogramm8 eingegeben und elektronisch an das Statistische Landesamt Baden-Württemberg übermittelt. Die Gesundheitsämter sind gleichzeitig fachliche Kontrollinstanz. Sie sollen die Todesbescheinigungen in ihrem Zuständigkeitsbereich unter anderem auf Plausibilität der Kausalkette prüfen und ggf. durch Nachfragen bei den ausstellenden Ärztinnen und Ärzten sowie bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten die Angaben auf der Todesbescheinigung korrigieren oder ergänzen.9 Gleich u.a.10 verweisen auf die außerordentliche Bedeutung einer ausreichenden personellen Besetzung der Gesundheitsämter mit fachlich qualifiziertem Personal für die Qualitätssicherung der Todesbescheinigung.

In den statistischen Landesämtern werden die Angaben der von den Gesundheitsämtern elektronisch übermittelten Todesbescheinigungen zunächst »eins zu eins« als Klartext übernommen. Im nächsten Schritt der Kodierung wird jeder Angabe ein Kode der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD-10) und damit auch eine standardisierte Bezeichnung zugewiesen. Anschließend werden die Eintragungen anhand des von der WHO vorgegebenen Regelwerks überprüft und die Kausalkette gegebenenfalls korrigiert. In Baden-Württemberg erfolgt dies mit Unterstützung des Kodierprogramms IRIS, in dem mehr als 170 000 Kodierregeln der ICD-10 hinterlegt sind.11

Bei Herzinsuffizienz im Regelwerk der ICD-10 …

Das Regelwerk der ICD-10 ordnet »akute Herzinsuffizienz« den »ungenau bezeichneten Zuständen« zu.12 Damit ist sie als Grundleiden eines Sterbefalls zwar zugelassen, es muss jedoch zuvor untersucht werden, ob sich auf der Todesbescheinigung anhand anderer, genau bezeichneter Zustände eine andere plausible Kausalkette ergibt.13

Daneben existiert eine Vielzahl von Anweisungen, anhand derer versucht wird, aus den Angaben der Todesbescheinigungen ein informativeres Grundleiden als Herzinsuffizienz abzuleiten. Ein Beispiel sind die Kombinationsregeln, die im Kapitel der »speziellen Anleitungen« explizit aufgezählt werden.14 So wird beispielsweise aus Herzinsuffizienz – außer sie ist klassifiziert als terminal, akut, plötzlich – in Kombination mit »essentieller (primärer) Hypertonie (I10)« das Grundleiden »hypertensive Herzkrankheit mit (kongestiver) Herzinsuffizienz (I11.0)«.

… werden nach Möglichkeit andere Grundleiden gewählt

Von den 109 120 Todesbescheinigungen des Berichtsjahres 2017 in Baden-Württemberg waren rund 101 700 multikausal kodiert.15 Anhand dieser Todesbescheinigungen lässt sich daher die Wirkung der konsequenten Anwendung des Regelwerks mit Hilfe des Kodierprogramms IRIS auf die Häufigkeit des Grundleidens »Herzinsuffizienz« näherungsweise demonstrieren. Der Anteil der Sterbefälle mit dem Grundleiden »Herzinsuffizienz« hätte in Baden-Württemberg 2017 ohne die Anwendung des Regelwerkes nicht 4,1 %, sondern 6,3 % betragen. Für fast 2 400 dieser Todesbescheinigungen wurde also ein anderes Grundleiden bestimmt, obwohl sich an der für das Grundleiden vorgesehenen Stelle im Formular16 die Angabe »Herzinsuffizienz« fand. Der Einsatz des Kodierprogramms IRIS für die Bearbeitung der elektronischen Todesbescheinigungen kann kleinere Unzulänglichkeiten vor allem in Bezug auf die Positionierung von Krankheiten in der Kausalkette ausgleichen.

Auswertung von 4 300 Sterbefällen durch »Herzinsuffizienz« …

Bei konsequenter Anwendung des Regelwerks der ICD-10 dürften Todesbescheinigungen, für die das Grundleiden »Herzinsuffizienz« ermittelt wurde, zumindest in Teil 1 kaum verwertbare Informationen enthalten, die auf ein anderes belastbareres Grundleiden hinweisen. Die Auswertung von 4 300 multikausal kodierten Todesbescheinigungen, die mit dem Grundleiden »Herzinsuffizienz« in die Todesursachenstatistik 2017 eingegangen waren, bestätigte dies.

Untersucht wurden alle Angaben in Teil 1 der Todesbescheinigungen.17 Nur in ungefähr der Hälfte der Fälle waren alle drei Zeilen von Teil 1 der Todesbescheinigung ausgefüllt. Die Zahl der angegebenen Krankheiten bzw. Zustände lag bei durchschnittlich 2,6 je untersuchter Todesbescheinigung.

… ergab vor allen ungenaue und sekundäre Krankheiten

So wurden in den Todesbescheinigungen mit dem Grundleiden »Herzinsuffizienz« in Teil 1 rund 11 400 Krankheiten/Zustände ausgewiesen (Tabelle). Etwa 42 % der Angaben entsprachen dem Grundleiden Herzinsuffizienz. Allein mehr als 500 Todesbescheinigungen enthielten nur die Angabe Herzinsuffizienz. Manche Todesbescheinigungen enthielten die Angabe mehrfach. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Bezeichnungen von Zuständen, die nach der ICD-10 mit I50 kodiert werden, sehr groß ist. Hierzu gehören neben »altersbedingte Herzschwäche«, »Altersherz-Kreislaufversagen«, »arterielle Herzinsuffizienz« beispielsweise auch die Angaben wie »alkoholtoxisches Herzkreislaufversagen«, »cardiobronchiales Asthma« oder »pulmonale Venenstauung«.

Rund 22 % der Angaben der untersuchten Todesbescheinigungen entfielen auf Krankheiten, die das Regelwerk der ICD-10 als »ungenau« bezeichnet. Hierunter fallen vor allem Angaben wie Herzstillstand oder Atemstillstand, die einen Endzustand beschreiben und allgemeine Zustandsbeschreibungen, zum Beispiel Senilität.

Darüber hinaus wurden Krankheitszustände genannt, die häufig sekundär in Verbindung mit anderen Krankheiten, wie bösartige Neubildungen oder Gehirnblutungen, auftreten. Teilweise finden sich diese Zustände explizit auf einer im Regelwerk enthaltenen Liste häufig sekundär auftretender Zustände, teilweise lassen die Einzelbestimmungen des Regelwerks darauf schließen. Auffällig sind hier vor allem Niereninsuffizienz, Lungenödem und Lungenentzündung.

Weitere 11 % der Angaben finden sich auf der Liste der nicht-informativen Todesursachen der WHO.18 Insgesamt werden in der Tabelle rund 94 % der Angaben Kategorien zugeordnet, die den Ansprüchen an ein »informatives Grundleiden« sicher oder zumindest tendenziell nicht genügen.

Qualitätsproblem der Todesursachenstatistik

Die Qualität der Todesursachenstatistik hängt entscheidend von der Qualität ihrer Datengrundlage, den Todesbescheinigungen ab. Die Analyse von Teil 1 der Todesbescheinigungen, die 2017 mit dem Grundleiden »Herzinsuffizienz« in die Todesursachenstatistik eingegangen sind, weist auf Probleme hin, die die Qualität der Statistik beeinträchtigen:

Sterbefälle, bei denen der leichenschauende Arzt/die leichenschauende Ärztin keine konkreten Informationen über den Krankheitsverlauf bis zum Tode zur Verfügung hatte19 oder aufgrund mehrerer gleichzeitig bestehender Erkrankungen keine Aussage über ein Grundleiden treffen konnte. Herzinsuffizienz steht hier beispielhaft für die Situation bei hochbetagten Verstorbenen wie sich auch aus dem Spektrum der in der Tabelle aufgeführten Krankheiten ablesen lässt.

Todesbescheinigungen mit unzureichenden Angaben, die an das Statistische Landesamt weitergeleitet werden. Dabei ist (selbst-)kritisch anzumerken, dass nicht informative Todesursachen vor der Kodierung im statistischen Landesamt in den Gesundheitsämtern möglicherweise nicht erkannt werden können. Auf die Vielzahl der Begriffe, die hinter dem Kode I50 stehen können, wurde bereits hingewiesen. Darüber hinaus wurde das Thema »nicht informative Todesursachen« von Seiten der amtlichen Statistik gegenüber den Gesundheitsämtern bislang nicht thematisiert.

Chancen einer elektronischen Todesbescheinigung:

Das Statistische Bundesamt und das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) haben Anfang des Jahres 2020 mit dem »Pilotprojekt zur Umsetzung und Testung einer bundeseinheitlichen elektronischen Todesbescheinigung« begonnen. Die Einführung einer elektronischen Todesbescheinigung als Ersatz für die bisherigen papierbasierten Todesbescheinigungen könnte die Arbeitsprozesse bis zur Erstellung der Todesursachenstatik qualitativ verbessern und beschleunigen.

… weniger personeller Aufwand …

Einerseits würde das handschriftliche Ausfüllen des Formulars durch die leichenschauenden Ärztinnen und Ärzte wegfallen, folglich auch dessen Übertragung durch Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in das Erfassungsprogramm. Letzteres bedeutet für die Gesundheitsämter in Baden-Württemberg zurzeit noch einen erheblichen Aufwand. Nicht zuletzt würde das Einholen bzw. Einspielen von Informationen und Korrekturen in die Todesbescheinigung deutlich erleichtert.

… mehr Datenqualität und mehr Aktualität

Die elektronische Todesbescheinigung (eTB)20 könnte für approbierte Ärztinnen und Ärzte beispielsweise in einem Portal abrufbar sein, das als Teil der Bürgerportale im Rahmen der Digitalisierungsstrategie für die öffentliche Verwaltung21 bis Ende 2022 aufgebaut wird. Für leichenschauende Ärztinnen und Ärzte wäre die elektronische Todesbescheinigung ein kontextsensitives Formular, das nach einer ersten Onlineprüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität an das zuständige Gesundheitsamt versandt wird. Neben einer möglichen Einbindung in Praxis- oder Krankenhausinformationssysteme wäre es auch über mobile Endgeräte erreichbar. Soweit verfügbar und datenschutzkonform könnten vorhandene Angaben im Formular durch den Import aus anderen Systemen ergänzt werden.

Die Gesundheitsämter würden die Todesbescheinigungen in elektronischer Form erhalten. Die fachliche Prüfung wäre nicht durch Probleme der Lesbarkeit erschwert und Rückfragen an den Aussteller oder die Ausstellerin könnten an die elektronische Todesbescheinigung angehängt und über das eTB-Portal übermittelt werden. Da zudem die manuelle Eingabe in das Erfassungsprogramm entfällt, wäre eine zeitnahe Übermittlung an das Statistische Landesamt möglich.

Die am Beispiel des Grundleidens Herzinsuffizienz geschilderten Qualitätsprobleme ließen sich mithilfe der elektronischen Todesbescheinigung zumindest teilweise lösen: Das Einholen von Informationen über den Krankheitsverlauf während der Leichenschau kann durch die Einbindung in Informationssysteme erleichtert werden. Todesbescheinigungen mit eindeutig unzureichenden Angaben könnten von den leichenschauenden Ärztinnen und Ärzten nicht abgesendet werden. Rückfragen und Korrekturen der elektronischen Todesbescheinigungen ließen sich einfacher und schneller abwickeln.

1 WHO-Shortlist: Mikkelsen, Lene/Richards, Nicole/Lopez, Alan D.: Redefining »garbage Codes« or public health policy: Report on the expert group meeting, 27–28 February 2017. CRVS technical outcome group series. Melbourne, Australia: Bloomberg Philantropies Data or Helth Initiative, Civil Registration and Vital Statistics Improvement, Universitiy of Melbourne; 2018. WHO-Longlist: WHO, Department of Health Statistics and Information Systems, WHO methods and data sources for global causes of death 2000–2011, June 2013.

2 Wengler, Annelene/Rommel, Alexander/Plaß, Dietrich et al.: ICD-Codierung von Todesursachen: Herausforderungen bei der Berechnung der Krankheitslast in Deutschland, in: Bundesgesundheitsblatt 62, 1485–1492 (2019), https://doi.org/10.1007/s00103-019-03054-1 (Abruf: 10.07.2020).

3 Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.:) Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision – WHO-Ausgabe – Band 2 Regelwerk.

4 Stolpe/Stang gehen davon aus, dass durch nichtinformative Todesursachen in der Todesursachenstatistik die Mortalitätsrate für ischämische Herzkrankheiten in Deutschland deutlich unterschätzt wird. Vgl. Stolpe, Susanne/Stang, Andreas: Nichtinformative Codierungen bei kardiovaskulären Todesursachen: Auswirkungen auf die Mortalitätsrate für ischämische Herzerkrankungen, in: Bundesgesundheitsblatt 62, 1458–1467 (2019), https://doi.org/10.1007/s00103-019-03050-5 (Abruf: 10.07.2020).

5 Die Zahl der Sterbefälle im Krankenhaus nach Behandlungsort unterliegt auf Kreisebene der statistischen Geheimhaltung. Die Darstellung auf Kreisebene ist daher hier nur ohne Nennung der Kreise möglich.

6 Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Ausgabe 12/2019, Leichenschau, Todesbescheinigung und Todesursachenstatistik: Stand und Perspektiven, https://link.springer.com/journal/103/62/12 (Abruf: 10.07.2020).

7 Weckbecker, Klaus/Bleckwenn, Markus: Leichenschau und Todesbescheinigung durch den Hausarzt: Probleme beim Bescheinigen vor Ort, in: Bundesgesundheitsblatt 62, 1446–1451 (2019), https://doi.org/10.1007/s00103-019-03044-3 (Abruf: 10.07.2020).

8 Für eine detaillierte Darstellung siehe: Häring, Franziska: »Von der Todesbescheinigung zur Todesursachenstatistik«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2015«, S. 18–22.

9 Octoware Gesundheit, Fachmodul Mortalitätsstatistik und Krebsregister.

10 BestattVO vom 15. Mai 2015, § 11 Vertraulicher Teil der Todesbescheinigung, Abs. 6.

11 Gleich, Sabine/Viehöver, Sibylle/Teipel, Anette et al.: Todesbescheinigungen – eine unterschätzte Informationsquelle für Statistik, Rechtspflege, öffentliche Gesundheit und Wissenschaft, in: Bundesgesundheitsblatt 62, (2019), S. 1420, https://doi.org/10.1007/s00103-019-3042-5 (Abruf: 10.07.2020).

12 Eckert, Olaf/Vogel, Ulrich: Todesursachenstatistik und ICD, quo vadis? in: Bundesgesundheitsblatt 61 (2018), S. 797. https://www.springermedizin.de/todesursachenstatistik-und-icd-quo-vadis/15821120 (Abruf: 10.07.2020).

13 Regelwerk der ICD-10, a.a.O., S. 189.

14 Regelwerk der ICD-10, a.a.O., S. 226, Startpunkt 7 zur Bestimmung des Startpunkts der Kausalkette (SP7).

15 Spezielle Anleitungen zu Kombinationen und anderen Bestimmungen (Schritt M1), S.82.

16 Für gut 3 000 Sterbefälle von Baden-Württembergern lag nur ein unikausaler Kode vor. Hierbei handelt es sich um Sterbefälle, die in anderen Bundesländern beurkundet wurden.

17 Erste Position in der jeweils untersten ausgefüllten Zeile von Teil 1.

18 Unter bestimmten Voraussetzungen zieht das Regelwerk der ICD-10 zur Bestimmung des Grundleidens auch Angaben in Teil 2 der Todesbescheinigung heran – zum Beispiel, wenn eine in Teil 2 der Todesbescheinigung angegebene Erkrankung offensichtliche Ursache des in Teil 1 vorläufig bestimmten Grundleidens ist. Aus arbeitsökonomischen Gründen und weil was Formular der Todesbescheinigung die Angabe der zum Tode führenden Kausalkette explizit in Teil 1 vorsieht, beschränkt sich dieser Beitrag auf die Analyse von Teil 1 der Todesbescheinigungen.

19 WHO, Department of Health Statistics and Information Systems, WHO methods and data sources for global causes of death 2000–2011, June 2013.

20 Laut § 7, Absatz 1 der Bestattungsverordnung hat die Ärztin oder der Arzt zu diesem Zweck nötigenfalls Auskünfte über eine dem Tod vorausgegangene Erkrankung und die Todesumstände einzuholen. Allerdings ist die Todesbescheinigung unmittelbar bei der Leichenschau auszustellen. Die Zeit für das Einholen von Zusatzinformationen ist insofern sehr begrenzt. Vergleiche zum Beispiel Peschel, Oliver/Gleich, Sabine/Graw, Matthias/Hofer, Peter: Forensischer Leichenschaudienst: Herausforderungen und Chancen, in: Bundesgesundheitsblatt 62, S. 1434 (2019).

21 Die nachfolgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf: Eckert, Olaf/Kühl, Linda/Vogel, Ulrich/Weber, Stefanie: Entwicklung einer elektronischen Todesbescheinigung für Deutschland. Bundes­gesundheitsblatt 62, 1493–1499 (201), https://doi.org/10.1007/s00103-019-03055-0 (Abruf: 10.07.2020).

22 Online-Zugangsgesetz (OZG) 2017.