:: 12/2020

Beeinflusst »Corona« jetzt auch noch die Entwicklung der Schülerzahlen?

Einblicke in die Methodik der Vorausberechnung der Schüler- und Schulabschlusszahlen 2020

Die Vorausberechnung von Schüler- und Schulabschlusszahlen gehört bereits seit langer Zeit zu den Aufgaben des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg. Die Ergebnisse dieser Berechnung zeigen unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Rahmenbedingungen und Kenntnisse über die Schullandschaft einen plausiblen Entwicklungspfad der künftigen Entwicklung auf und dienen somit auch als Planungsgrundlage. Aber welche Annahmen liegen dieser Berechnung zugrunde und wie kommt man zu diesen Annahmen? Stellt die »Corona-Krise« die Voraus­berechnung vor besondere Herausforderungen und gibt es noch andere Einflussfaktoren, die zwar beachtet werden müssen, für die es aber keine oder nur eingeschränkt aussagekräftige Erfahrungswerte gibt? Auf diese Fragen zur Methodik der Vorausberechnung von Schüler- und Schulabschlusszahlen soll dieser Beitrag Antworten geben.

Das Statistische Landesamt veröffentlicht schon seit einigen Jahrzehnten Vorausberechnungen von Schüler- und Schulabschlusszahlen für die Schulen in Baden-Württemberg.1 In diesem Zeitraum gab es einige Ereignisse, die die Vorausberechnungen vor methodische Probleme stellten. Dies waren schulorganisatorische bzw. schulpolitische Entscheidungen wie beispielsweise die Einführung der Gemeinschaftsschule als neue Schulart, die inklusive Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot, die Aufhebung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung oder die Verlegung des Einschulungsstichtags.

Aber auch außerhalb des Bildungsbereichs gelegene Ereignisse haben die Entwicklung der Schülerzahlen und damit die Methodik der Vorausberechnungen beeinflusst. Hier sind unter anderem die Bevölkerungsbewegungen im Rahmen des Balkan-Kriegs in den 1990er-Jahren und der Zustrom von Schutzsuchenden ab dem Jahr 2015 zu nennen. Die Finanzkrise 2008 hatte erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und dadurch auch auf die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Damit waren Jugendliche gezwungen, Alternativen zu einer dualen Berufsausbildung zu suchen. Dies führte zu einer Verlagerung der Neuzugänge an beruflichen Schulen von der Teilzeit-Berufsschule zu Vollzeit-Bildungsgängen, um dort eine Berufsvorbereitung zu absolvieren, einen Beruf außerhalb des dualen Ausbildungssystems zu erlernen oder einen weiteren allgemeinbildenden Abschluss zu erwerben.

Nun haben wir die »Corona-Krise«. Wird auch die COVID-19-Pandemie Auswirkungen auf die Entwicklung der Schülerzahlen haben? Und wie könnte man diese in der Vorausberechnung der Schüler- und Schulabschlusszahlen berücksichtigen?

Grundidee der Vorausberechnung der Schüler- und Schulabschlusszahlen

Um mögliche Ansatzpunkte für Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Entwicklung der Schülerzahlen zu verdeutlichen, wird zunächst der grundlegende Ansatz der Vorausberechnung beschrieben. Ihre Basis ist derzeit die Hauptvariante der 2019 veröffentlichten Vorausberechnung der Bevölkerungszahl.2 Aufbauend auf diese Bevölkerungszahlen werden Annahmen zum Verhalten der Akteure innerhalb des Bildungswesens getroffen. Diese Annahmen betreffen

  • die Einschulung,
  • den Übergang in die nachfolgende Klassenstufe,
  • das Wiederholen einer Klassenstufe,
  • schulartexterne Zugänge aus anderen Schularten oder anderen Bundesländern und Staaten,
  • den Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen,
  • die inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot,
  • den Eintritt in Bildungsgänge an beruflichen Schulen und
  • den Erwerb von Schulabschlüssen.

Das Modell ist somit im Wesentlichen ein Komponentenverfahren, das den Durchlauf durch das Bildungssystem nachbildet (Simulationsansatz).

Für die Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot – also alle Schülerinnen und Schüler, die ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum besuchen, zuzüglich der inklusiv an allgemeinen Schulen unterrichteten Schülerinnen und Schüler – kommt abweichend hiervon ein Altersquotientenverfahren zum Einsatz. Dabei werden für drei Gruppen von Förderschwerpunkten (Lernen, geistige sowie körperliche und motorische Entwicklung, andere Förderschwerpunkte) und drei Schulstufen (Grundstufe, Hauptstufe und Berufsschulstufe) differenzierte Quoten verwendet. Auch für die Schulen des zweiten Bildungswegs und die Fachschulen im Bereich der beruflichen Weiterbildung werden die Schülerzahlen geschätzt, indem Bildungsbeteiligungsquoten mit der Besetzungszahl relevanter Altersjahrgänge multipliziert werden.

Die Annahmen, die zur Modellierung des Bildungsverlaufs notwendig sind, werden weitgehend aus Erfahrungswerten abgeleitet. Dies sind entweder Durchschnitte mehrerer Schuljahre oder der aktuellste verfügbare Wert. In der Regel werden diese Annahmen über den Modellrechnungszeitraum hinweg konstant gehalten. Die Auswirkungen der Pandemie werfen allerdings die Frage auf, ob diese Regel in manchen Fällen durchbrochen werden muss.

Im Schuljahr 2019/20 gab es kein »Sitzenbleiben«

Die Unterrichtsbedingungen an den Schulen im Land waren seit März 2020 stark von Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr geprägt. Unterricht fand über weite Strecken rein digital statt, Präsenzunterricht war erst gegen Schuljahresende wieder zunehmend möglich. Die Feststellung von Schülerleistungen und damit auch die Entscheidung, ob Schülerinnen und Schüler in die nächste Klassenstufe versetzt werden können, war dadurch stark beeinträchtigt. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, bestimmte das Kultusministerium in der »Corona-Pandemie-Prüfungsverordnung« bereits Ende April: »Bei Versetzungsentscheidungen im Schuljahr 2019/2020 bleiben Leistungen, die geringer als mit der Note »ausreichend« bewertet sind, außer Betracht …«.3 Damit war ein »Sitzenbleiben« in diesem Schuljahr ausgeschlossen. Die freiwillige Wiederholung einer Klassenstufe war aber weiterhin möglich. Hat diese Entscheidung Auswirkungen auf die Vorausberechnung der Schülerzahlen?

Zur Beantwortung diese Frage lohnt sich ein Blick auf die Nichtversetztenzahlen des Schuljahres 2018/19 (Schaubild 1). Dabei zeigt sich, dass die Nichtversetzung durchaus Relevanz besitzt. An Grundschulen waren fast 2 100 Schülerinnen und Schüler nicht versetzt worden, an Werkreal- und Hauptschulen annähernd 2 700, an Realschulen und Gymnasien jeweils knapp 6 200. Die Verteilung über die Klassenstufen war je nach Schulart unterschiedlich. Die Entscheidung des Kultusministeriums zur Versetzung am Ende des Schuljahres 2019/20 ist somit in den grundlegenden Annahmen der Vorausberechnung zu berücksichtigen, um eine möglichst realitätsnahe Abbildung der Verteilung der Schülerzahlen in den Klassenstufen zu erreichen.

Diese Berücksichtigung erfolgt dadurch, dass die Quote der Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2020/21 eine Klassenstufe wiederholen, auf null gesetzt wird. In den Folgejahren bis zum Ende des Vorausberechnungszeitraums werden je Schulart und Klassenstufe wieder die »üblichen« Quoten angesetzt, die zumeist auf Durchschnittswerten der 3 letzten Schuljahre basieren. Freiwillige Wiederholungen werden hierbei nicht berücksichtigt, da keine Information darüber vorliegt, in welchem Ausmaß diese Möglichkeit in Anspruch genommen wird. Eventuell könnte die generelle Versetzung dazu führen, dass im folgenden Schuljahr die Zahl der Nichtversetzungen und damit auch die Zahl der Klassenwiederholungen ansteigt. Aber hierüber kann ebenfalls nur spekuliert werden. Für diese Vorausberechnung werden somit auch für das Schuljahr 2021/22 die gleichen Wiederholerquoten angesetzt wie in den folgenden Schuljahren.

Die Wirtschaftsentwicklung beeinflusst die Zahl der Ausbildungsplätze

Die Corona-Pandemie hinterlässt tiefe Spuren in der Wirtschaft Baden-Württembergs. Das Bruttoinlandsprodukt ist bereits im 1. Quartal 2020 um 1,6 % gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken und sowohl die Inlands- als auch die Auslandsumsätze der Unternehmen sind deutlich zurückgegangen. Der Arbeitsmarkt war zwar noch relativ stabil, wobei der massive Einsatz von Kurzarbeit hierzu beigetragen hat. Bis Juni waren aber schon ein spürbarer Anstieg der Arbeitslosenzahl und ein Rückgang der gemeldeten offenen Stellen zu verzeichnen.4

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zumindest in diesem Jahr zurückgehen wird. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) rechnet je nach Fortgang der Corona-Krise bundesweit mit einem Minus von 5 % bis 7 % – oder vielleicht auch mehr.5 In Baden-Württemberg lag der Rückgang der Neuabschlüsse im Bereich Industrie und Handel bei über 15 % gegenüber dem Vorjahr, wobei bis Jahresende noch mit einem »Aufholen« gerechnet wird.6 Da die Jugendlichen gegebenenfalls eine Alternative zur dualen Berufsausbildung finden müssen, wird sich diese Situation ebenso auf andere Bereiche der beruflichen Bildung auswirken. Berufsvorbereitende oder -grundbildende Bildungsgänge dürften häufiger besucht werden, die Nachfrage nach rein schulischen Berufsausbildungen wird wohl ebenso ansteigen wie die nach Bildungsgängen, in denen zusätzlich ein weiterer allgemeinbildender Abschluss erworben werden kann.7 Wie können diese Erwartungen in der Vorausberechnung berücksichtigt werden? Die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008 können hierbei eine Hilfestellung bieten.

Die Finanzkrise 2008 hatte spürbare Auswirkungen

Zur Modellierung der Neueintritte in Bildungsgänge an beruflichen Schulen werden sogenannte »Als-ob-Übergangsquoten« verwendet. Das bedeutet, dass man die Zahl der Neueintritte in einen Bildungsgang an einer beruflichen Schule auf die Zahl der Schulabgänge im vorangegangenen Schuljahr bezieht und dabei den jeweils erworbenen Schulabschluss berücksichtigt. Da man hierbei vernachlässigt, dass der Schulabschluss auch in einem früheren Schuljahr erworben worden sein kann, sind es keine realen Übergangsquoten.8 Hierdurch kann sich bei der Addition der Teilwerte eine Gesamtsumme von über 100 % ergeben. In den Schuljahren 2008/09 bis 2010/11 ist die Als-ob-Übergangsquote der Berufsausbildung im dualen System für Jugendliche mit Hauptschulabschluss von 62,2 % auf 61,3 % nur recht moderat gesunken (Schaubild 2a). Bei Jugendlichen mit mittlerem Abschluss war der Rückgang im ersten Jahr von 57,7 % auf 51,3 % deutlich ausgeprägter. Im Schuljahr 2010/11 war aber bereits wieder ein Anstieg auf 53,5 % zu verzeichnen. Die Als-ob-Übergangsquote für Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung9 sank von 2008/09 auf 2009/10 von 20,1 % auf 17,3 % und blieb im Folgejahr nahezu gleich.

Als Alternative zur dualen Berufsausbildung kommen hauptsächlich Bildungsgänge der vollzeitschulischen Berufsausbildung und Bildungsgänge der Berufsvorbereitung oder -grundbildung in Frage. In Bildungsgängen, die außerhalb des dualen Systems einen Berufsabschluss vermitteln, stieg zwischen 2008/09 und 2010/11 die Als-ob-Übergangsquote für Jugendliche mit Hauptschulabschluss von 5,7 % auf 9,2 % (Schaubild 2b). Der Anstieg der Quote war für Jugendliche mit mittlerem Abschluss in diesem Zeitraum mit einem Plus von 0,8 Prozentpunkten eher gering. Bei Jugendlichen mit Hochschulzugangsberechtigung war hier nur wenig Bewegung zu erkennen. In Bildungsgängen, die lediglich auf die Aufnahme einer Berufsausbildung vorbereiten oder grundlegende Berufskenntnisse vermitteln stieg die Als-ob-Übergangsquoten der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss von 2008/09 auf 2009/10 von 65,0 % auf 68,5 % an, sank im Jahr darauf aber wieder auf 67,4 % ab (Schaubild 2c). Für Jugendliche mit mittlerem Abschluss lag die Quote fast unverändert bei rund 29 %. Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung sind in diesen Bildungsgängen fast nicht zu finden.

Damit scheint für Jugendliche mit Hauptschulabschluss auf den ersten Blick eine Verlagerung von der dualen Berufsausbildung zu schulischen Ausbildungsgängen und in geringerem Umfang zu berufsvorbereitenden Maßnahmen stattgefunden zu haben. Insbesondere Bildungsgänge im pflegerischen Bereich haben damals verstärkt Jugendliche mit Hauptschulabschluss aufgenommen. Wohin Jugendliche mit mittlerem Bildungsabschluss abgewandert sind, wird aus dieser Darstellung nicht ersichtlich. Jedoch fand in diesen Jahren ein starker Ausbau der beruflichen Gymnasien statt, auf die viele dieser Jugendlichen gewechselt sind.

Allerdings greift eine Analyse zu kurz, die nur die Veränderung der Quoten betrachtet. Es sind auch die Entwicklungen in absoluten Zahlen zu beachten. So ging die Zahl der Neueintritte von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss in die duale Berufsausbildung von 2008/09 bis 2010/11 von knapp 26 800 auf gut 22 000 um fast 18 % zurück. Die Zahl der Ausbildungsanfängerinnen und -anfänger mit Hauptschulabschluss in anderen schulischen Ausbildungsgängen stieg dagegen lediglich von gut 2 400 auf etwas über 3 300 an. Bei den berufsvorbereitenden Bildungsgängen war trotz steigender Als-ob-Übergangsquote ein Rückgang der Zahl der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss von knapp 28 000 auf gut 24 200 feststellbar. Die Zahl der Jugendlichen mit mittlerem Abschluss, die eine duale Ausbildung begonnen hatten, sank zwischen 2008/09 und 2010/11 von knapp 36 100 auf etwas weniger als 33 900. In den beiden anderen betrachteten Bereichen schwankte ihre Zahl nur wenig. Somit entfiel der größte Anteil des Rückgangs in der dualen Ausbildung auf Jugendliche mit Hauptschulabschluss – ohne dass sich dies in der Als-ob-Übergangsquote niedergeschlagen hat. Woran liegt das?

Folgen für die Modellierung in der aktuellen Situation

Eine Quote besteht aus Zähler und Nenner, und der Nenner ist in diesem Fall die Zahl der Schulabschlüsse. Während sich die Zahl der mittleren Schulabschlüsse zwischen 2008 und 2010 nur wenig veränderte und die Zahl der Absolventinnen und Absolventen mit Hochschulzugangsberechtigung um gut 7 300 auf rund 69 000 anstieg, sank die Zahl der Hauptschulabschlüsse von rund 43 000 auf gut 35 900 ab (Schaubild 3). Mit einer solchen Entwicklung, die den Druck auf den Ausbildungsmarkt spürbar abgemildert hat, ist in der jetzigen Zeit nicht zu rechnen. Die Zahl der Hauptschulabschlüsse dürfte gegenüber 2019, als fast 23 900 Jugendliche die Schulen im Land mit dem Hauptschulabschluss verließen, im Jahr 2020 eher ansteigen.

Für die Vorausberechnung der Schülerzahlen wird angenommen, dass die Zahl der neuabgeschlossenen Ausbildungsverträge in Baden-Württemberg 2020 um 10 % niedriger liegt als im Vorjahr. Um dies im Modellansatz umzusetzen, werden die Als-ob-Übergangsquoten für Bildungsgänge im Rahmen der dualen Berufsausbildung (Berufsschule-Teilzeit und duales Berufskolleg) abgesenkt. Dabei werden die Quoten für Übergänge ohne Hauptschulabschluss um 15 %, für Übergänge mit Hauptschulabschluss um 18 % und für Übergänge mit mittlerem Abschluss und Hochschulzugangsberechtigung um 8 % verringert. Im Gegenzug werden die Als-ob-Übergangsquoten für eine Reihe von Bildungsgängen, die der Berufsvorbereitung dienen, zu einem schulischen Berufsabschluss führen oder den Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung zum Ziel haben erhöht. Für Übergänge ohne Hauptschulabschluss beträgt die Erhöhung 10 %, für Übergänge mit Hauptschulabschluss 18 % und für Übergänge mit mittlerem Abschluss 3,5 %. Hierdurch erfolgt für das Schuljahr 2020/21 eine »Umschichtung« von Neueintritten in berufliche Bildungsgänge für Jugendliche ohne und mit Hauptschulabschluss und mit mittlerem Abschluss. Für Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung wird angenommen, dass ihre bevorzugte Alternative zur dualen Ausbildung die Aufnahme eines Hochschulstudiums ist. Diese Anpassungen werden ausschließlich für das Schuljahr 2020/21 vorgenommen. Ab dem Schuljahr 2021/22 werden dann die Als-ob-Übergangsquoten verwendet, die sich ohne pandemiebedingte Verschiebungen ergeben.

Schrittweise Verlegung des Einschulungsstichtags auf den 30. Juni

Aber auch jenseits von »Corona« gibt es Fragen, mit denen man sich bei der Modellierung der Vorausberechnung auseinandersetzen muss und die nicht allein auf Grundlage der Erfahrungen der zurückliegenden Schuljahre beantwortet werden können. Eine davon ist die Wirkung der Verlegung des Einschulungsstichtags. Er wird vom Schuljahr 2020/21 bis zum Schuljahr 2022/23 schrittweise vom 30. September auf den 30. Juni verlegt. In der Vorausberechnung 201910 wurde diese Verlegung noch nicht berücksichtigt, da die gesetzliche Grundlage hierfür zum Zeitpunkt der Erstellung der Vorausberechnung noch nicht in Kraft getreten war. Zwischen den Schuljahren 2005/06 und 2007/08 war der Einschulungsstichtag schon einmal verlegt worden, damals allerdings in umgekehrter Richtung. Bis zum Schuljahr 2004/05 waren Kinder schulpflichtig, die bis zum 30. Juni des Einschulungsjahres das 6. Lebensjahr vollendet hatten. Ab dem Schuljahr 2005/06 wurde dieser Stichtag schrittweise bis zum Schuljahr 2007/08 auf den 30. September verschoben.

Da nicht für alle eingeschulten Kinder in der Schulstatistik das Geburtsjahr gesondert erhoben wird, erfolgt die Berechnung auf Grundlage des Geburtsjahres aller Kinder in der 1. Klassenstufe. Zwischen den Schuljahren 2004/05 und 2007/08 stieg der Anteil der Erstklässlerinnen und Erstklässler, die im Jahr vor ihrer Einschulung das 5. Lebensjahr vollendet hatten, von 54,4 % um 11,7 Prozentpunkte auf 66,1 % an. Mit einem Jahr Verzögerung aufgrund ihrer dann späteren Einschulung sank der Anteil der 6-Jährigen zwischen den Schuljahren 2005/06 und 2008/09 von 40,4 % um 12,1 Prozentpunkte auf 28,3 % (Schaubild 4).

Auf Grundlage der Erfahrungen aus dieser Stichtagsverlegung werden die Anteile dieser beiden Geburtsjahrgänge in der aktuellen Vorausberechnung angepasst. Der Bevölkerungsanteil des jüngeren Jahrgangs wird von 2020/21 bis 2022/23 pro Schuljahr um jeweils 4 Prozentpunkte abgesenkt, der Anteil des älteren Geburtsjahrgangs von 2021/22 bis 2023/24 entsprechend erhöht. Für den weiteren Vorausberechnungszeitraum werden die Werte auf dem dann erreichten Niveau konstant gehalten.

Modellierung der Oberstufe der Gemeinschaftsschule orientiert sich am Gymnasium

Die Gemeinschaftsschule wurde im Schuljahr 2012/13 in Baden-Württemberg eingeführt. Inzwischen gibt es Standorte, an denen die Schülerinnen und Schüler die Sekundarstufe II erreicht haben und sich auf das Abitur vorbereiten. Somit können die Annahmen für die Gemeinschaftsschulen für die meisten Klassenstufen auf Erfahrungswerte der letzten Schuljahre gegründet werden.

Für die Quoten in den beiden letzten Schuljahren fehlen derzeit aber noch solche Erfahrungen. Solange diese nicht vorliegen, wird angenommen, dass die Versetzungs-, Wiederholungs- und externen Zugangsquoten in der Kursstufe der Gemeinschaftsschule den jeweiligen Quoten des Gymnasiums entsprechen. Gleiches gilt für die Abgangsquoten aus den letzten beiden Klassenstufen der Gemeinschaftsschule.

Mehr Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot an der gleichaltrigen Bevölkerung hat sich vom Schuljahr 2010/11 bis zum Schuljahr 2019/20 von 3,6 % auf 4,5 % erhöht. Dieser Anstieg machte sich in allen in der Vorausberechnung betrachteten Gruppen von Förderschwerpunkten11 bemerkbar (Schaubild 5).

Für die aktuelle Vorausberechnung wird ebenso wie in der letztjährigen angenommen, dass dieser Anteil bis zum Schuljahr 2022/23 weiter ansteigt. Die Erhöhung erfolgt spezifisch für die Quoten jeder Stufe12 und jeder Gruppe von Förderschwerpunkten auf Grundlage der Veränderungen zwischen den Schuljahren 2018/19 und 2019/20 in einer Form, dass sich insgesamt ein Anstieg des gesamten Anteils um 0,1 Prozentpunkt pro Schuljahr bis 2022/23 ergibt. Der Anteil läge dann bei 4,8 %. Ab diesem Schuljahr werden die Anteilssätze der einzelnen Stufen und Förderschwerpunkte für den weiteren Vorausberechnungszeitraum konstant gehalten.

Nur noch geringer Anstieg des Inklusionsanteils erwartet

An Gemeinschaftsschulen wurden ab dem Schuljahr 2012/13 Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot inklusiv unterrichtet. Ab dem Schuljahr 2015/16 war dies auch an anderen Schularten möglich. Zunächst stiegen die Anteile inklusiv unterrichteter Kinder und Jugendlicher sowohl in der Grundstufe, die den Klassenstufen 1 bis 4 der Grundschulen entspricht, als auch in der Hauptstufe, die dem Sekundarbereich I der weiterführenden Schulen entspricht, deutlich an. In letzter Zeit ist diese Entwicklung nicht mehr so eindeutig. In der Grundstufe war in den letzten 3 Schuljahren sogar ein leichtes Absinken der Inklusionsquote zu erkennen. In der Hauptstufe hat sich die Dynamik der Entwicklung deutlich abgeschwächt. So stieg die Inklusionsquote zum Schuljahr 2019/20 lediglich um 0,25 Prozentpunkte an und lag bei 16,7 % (Schaubild 6).

Für die Grundstufe wird in der Vorausberechnung davon ausgegangen, dass der Inklusionsanteil das erreichte Niveau beibehält. Als Grundlage dient dabei der Durchschnitt der letzten 3 Schuljahre, der bei 16,1 % liegt. In der Hauptstufe wird angenommen, dass sich der Anstieg des Inklusionsanteils bis zum Schuljahr 2022/23 fortsetzt. Hierfür wird pro Schuljahr eine Erhöhung des Anteils um den Wert des Anstiegs zwischen den Schuljahren 2018/19 und 2019/20 in Höhe von 0,25 Prozentpunkten angesetzt. Ab dem Schuljahr 2022/23 wird der Anteil auf dem dann erreichten Wert von 17,5 % fixiert.

Weiterentwicklung der berufsvorbereitenden Bildungsgänge

Verschiedene derzeit existierende ausbildungsvorbereitende Bildungsgänge werden mittelfristig unter dem Dach der Bildungsgänge »Berufsfachschule Ausbildungsvorbereitung dual« und »Berufsfachschule Ausbildungsvorbereitung« zusammengefasst. Hiervon werden unter anderem das Berufsein­stiegsjahr und die Regelform des Vorqualifizierungsjahrs Arbeit/Beruf (VAB) betroffen sein. Das VAB mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen und das VAB in Kooperation mit einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Lernen werden dagegen weitergeführt. Im Rahmen der Vorausberechnung wird daher schrittweise die Schülerzahl im VAB abgesenkt und entsprechend die Schülerzahl der Berufsfachschulen erhöht.

Eine Vorausberechnung ist keine Vorhersage

Dies war ein Überblick über die Themen, die für die Vorausberechnung der Schüler- und Schulabschlusszahlen relevant sind, die aber nicht allein auf Grundlage der in den letzten Schuljahren beobachteten Entwicklungen modelliert werden können. Darüber hinaus gibt es viele weitere Quoten, die für diese Berechnung bestimmt werden müssen, für die es aber aus heutiger Sicht hinreichend belastbare Erfahrungswerte gibt. Aus diesen Ausführungen dürfte klar ersichtlich werden, dass eine Vorausberechnung der Schüler- und Schulabschlusszahlen nie eine exakte Vorhersage der zukünftigen Entwicklung sein kann. Sie ist auf plausible und mit dem Kultusministerium abgestimmte Annahmen gegründet und ein in sich stimmiges Konstrukt. Die Realität hat aber viele Überraschungen auf Lager und wird daher wohl nie genau mit den Ergebnissen der Vorausberechnung übereinstimmen. Dennoch kann die Vorausberechnung wertvolle Hinweise auf aus heutiger Sicht absehbare Entwicklungen liefern und somit eine Planungsgrundlage sein. Eine regelmäßige Überprüfung der Annahmen in Hinsicht auf die reale Entwicklung ist jedoch selbstverständlich. Daher führt das Statistische Landesamt Baden-Württemberg derzeit jährlich eine Aktualisierung dieser Vorausberechnung durch. Die Ergebnisse der hier beschriebenen Vorausberechnung werden in einem weiteren Beitrag in diesem Monatsheft vorgestellt. 13

1 Vgl. auch Kaeser, Hans: In schulischer Ausbildung befindliche Bevölkerung, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, Heft 10/1970, S. 303-311 mit einer Vorausberechnung der Schülerzahl an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen und Burkard, Reinhard: Der Schülerberg im zeitlichen Verlauf, Baden-Württemberg in Wort und Zahl, Heft 9/1976, S. 281-284 mit einer Vorausberechnung von Schüler- und Absolventenzahlen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen.

2 Brachat-Schwarz, Werner: »Zuwanderung schwächt künftigen Alterungsprozess der Bevölkerung ab«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2019«, S. 3–8.

3 Artikel 1 § 1 (3) der Verordnung des Kultusministeriums zur Regelung der Besonderheiten bei der Leistungsfeststellung der Schulen und der Durchführung der schulischen Abschlussprüfungen im Schuljahr 2019/2020, den Versetzungsentscheidungen und Niveauzuordnungen, den Beratungen schulischer Gremien sowie der Lehrkräfteausbildung und -prüfung (Corona-Pandemie-Prüfungsverordnung) vom 29. April 2020, zuletzt geändert am 15. Mai 2020; https://km-bw.de/,Lde/Startseite/Ablage+Einzelseiten+gemischte+Themen/Corona-Pandemie-Pruefungsverordnung+vom+29_+April+2020 (Abruf: 14.10.2020).

4 Corona-Pandemie und Südwestwirtschaft, Pressemitteilung 194/2020 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg vom 29.07.2020; https://www.statistik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2020194 (Abruf: 14.10.2020).

5 Maier, Tobias: Auswirkungen der »Corona-Krise« auf die duale Berufsausbildung: Risiken, Konsequenzen und Handlungsnotwendigkeiten. Version 1.0, BIBB-Preprint. Bonn 2020, https://bibb-dspace.bibb.de/rest/bitstreams/96df037c-00a5-4894-8b99-7f6d66ab2104/retrieve (Abruf: 14.10.2020).

6 Deutlich weniger Azubis starten heute landesweit ins Berufsleben, Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag, Presseinformation 66/2020 vom 01.09.2020, https://www.bw.ihk.de/_Resources/Persistent/c69aefc6ce8929ed89506b1adbd09a8a9fc3deb9/PM_66_2020_mit_Anlage_Deutlich%20weniger%20Azubis%20starten%20heute%20ins%20Berufsleben_20200901.pdf (Abruf: 14.10.2020).

7 Dohmen, Dieter: Berufsausbildung in Krisenzeiten nachhaltig unter Druck: Was bedeutet die Corona-Krise für die Berufsbildung? FiBS-Forum No. 73. Berlin 2020, https://www.fibs.eu/fileadmin/user_upload/Literatur/FiBS_Forum_073_Berufsausbildung_unter_Druck_200817_final_200817.pdf (Abruf: 14.10.2020).

8 Da es derzeit keine Verlaufsstatistik auf Basis von über die Schullaufbahn hinweg verknüpfbaren Schülerindividualdaten gibt, ist eine Ermittlung der »echten« Quoten nicht möglich.

9 Fachhochschulreife und Hochschulreife.

10 Wolf, Rainer: »Die Zahl der Schülerinnen und Schüler steigt in Baden-Württemberg wieder an«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2019«, S. 25–34.

11 Lernen, geistige Entwicklung sowie körperliche und motorische Entwicklung, andere Förderschwerpunkte.

12 Grundstufe, Hauptstufe und Berufsschulstufe.

13 Wolf, Rainer: »Im Schuljahr 2030/31 ist mit gut 1,61 Millionen Schülerinnen und Schülern zu rechnen«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2020«, S. 22–29.