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Frauen in der Wissenschaft

Zu Entwicklung und Anteil von Frauen in verschiedenen Stadien der wissenschaftlichen Karriere in Baden-Württemberg

Chancengleichheit wird weithin als wichtiges politisches Ziel betrachtet. So fördert das Land Baden-Württemberg die Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jährlich mit etwa 4 Millionen (Mill.) Euro.1,2 Doch obwohl immer mehr junge Frauen ein Hochschulstudium aufnehmen, abschließen und anschließend promovieren, verbleiben noch immer deutlich weniger Frauen als Männer in der Wissenschaft und besetzen dort seltener Führungspositionen.3 Das Phänomen des allmählichen Austretens von Frauen aus der wissenschaftlichen Karriere ist auch als »leaking pipeline«-Effekt bekannt und wird in zahlreichen Berichten und Expertisen zur Situation von Frauen in der Wissenschaft aufgegriffen.4 Unter Rückgriff auf Daten der Hochschulstatistik beschreibt dieser Beitrag die Entwicklung des Frauenanteils in verschiedenen Stadien der wissenschaftlichen Karriere innerhalb der letzten 20 Jahre in Baden-Württemberg und beleuchtet Unterschiede und Gemeinsamkeiten ausgewählter Fächer. Dabei erweisen sich vor allem strukturierte Promotionsprogramme und Juniorprofessuren als erfolgreiche Mittel zur Erhöhung des Anteils von Frauen in der Wissenschaft. In der sogenannten Postdoc-Phase sind Frauen aber weiterhin in stärkerem Maße als Männer von Befristungen und Teilzeitbeschäftigungen betroffen.

Entwicklung des Frauenanteils in der Wissenschaft

Bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends nahmen fast gleich viele Frauen und Männer ein Studium an einer baden-württembergischen Hochschule auf (Schaubild 1). Im Wintersemester 1999/2000 betrug der Frauenanteil an den Studierenden im 1. Hochschulsemester 47,4 %. Beim Betreten der Hochschule trafen diese Erstsemester im Jahr 1999 noch auf eine größtenteils männlich dominierte Professorenschaft, denn der Frauenanteil betrug 8,4 %. 20 Jahre später hatte sich der Frauenanteil an den Studienanfängerinnen und -anfängern auf 49,8 % im Wintersemester 2019/20 erhöht. Zwar bestand die Professorenschaft weiterhin vorrangig aus Männern, doch der Frauenanteil lag mittlerweile bei 22,7 %. Zwischen der Aufnahme eines Hochschulstudiums und der Berufung auf eine Professur stehen eine Reihe persönlicher und beruflicher Entscheidungen, Chancen und Risiken. Die Möglichkeiten, die sich im Anschluss an ein Hochschulstudium bieten, sind vielfältig und nicht alle Absolventinnen und Absolventen interessieren sich in gleichem Maße für eine akademische Karriere. Dennoch bleibt die Frage, warum so wenige Frauen im Wissenschaftssystem verbleiben und auf welchen Stufen der akademischen Karriere sie den Hochschulen den Rücken kehren.

Ein Teil der Frauen verlässt bereits während des Studiums die Hochschule. So betrug der Anteil der Frauen, die im Jahr 1999 ihr Erststudium beendeten 39,8 %. Doch bereits im Jahr 2003 näherte sich der Frauenanteil an den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen dem Frauenanteil an den Studienanfängerinnen und -anfängern an. Mittlerweile schließen sogar mehr Frauen als Männer ihr Erststudium ab. Im Jahr 2019 betrug der Frauenanteil an den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen 52,1 %. Die eigentliche wissenschaftliche Karriere beginnt jedoch mit der Promotion. Sie qualifiziert zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit und ist Voraussetzung für eine wissenschaftliche Tätigkeit an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Im Jahr 2019 registrierten sich 5 764 Personen erstmalig als Doktorand an einer baden-württembergischen Hochschule mit Promotionsrecht. Der Frauenanteil betrug dabei 47,7 %. Im Jahr 2019 waren insgesamt 30 513 Personen mit einem Frauenanteil von 45,9 % als Doktoranden registriert. Im selben Jahr absolvierten 4 276 Personen eine Promotion, nur noch 43,2 % davon waren Frauen. 20 Jahre zuvor betrug der Frauenanteil unter den Promotionsabsolventinnen und -absolventen allerdings nur 29,6 %.

Während der Promotion

Der erfolgreiche Abschluss einer Promotion ist von vielen Faktoren abhängig, wie beispielsweise der Qualität der Betreuung, der Ausstattung mit Ressourcen und der Zeit, die für die Arbeit an der Promotion zur Verfügung steht. In Deutschland werden Promotionen häufig im Rahmen einer wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle am Lehrstuhl bzw. in einem Drittmittelprojekt angefertigt. Dadurch können angestellte Promovierende von der Ausstattung mit Ressourcen und von einem vorhandenen professionellen Netzwerk profitieren. Zudem sammeln sie bereits während der Promotion spezifische Berufserfahrungen, die in späteren Bewerbungen auf Postdoc-Stellen einen Wettbewerbsvorteil darstellen.5 Aufgrund von Lehrverpflichtungen und der Mitarbeit am Lehrstuhl bzw. im Projekt verfügen diese Promovierenden aber auch über weniger Zeit, die sie der eigentlichen Arbeit an der Promotion widmen können. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an strukturierten Promotionsprogrammen, die den Promovierenden eine feste Struktur mit regelmäßigen Lehrveranstaltungen, eine umfassende Betreuung durch mehrere Personen und in einigen Fällen auch eine Finanzierung durch ein Stipendium ermöglichen (i-Punkt »Strukturierte Promotionsprogramme«).

Im Jahr 2019 waren 7 733 Promovierende in Baden-Württemberg an der Hochschule ihrer Promotion beschäftigt. Dies entspricht 25,3 % aller Promovierenden. Der Frauenanteil betrug dabei 38,5 %. 6 018 Personen oder 19,7 % aller Promovierenden waren Mitglied in einem strukturierten Promotionsprogramm, mit einem Frauenanteil von 46,3 %, wobei sich die Mitgliedschaft in einem Programm und die Beschäftigung an der Hochschule nicht gegenseitig ausschließen. Ein Grund für den höheren Frauenanteil an Promovierenden in strukturierten Programmen könnte darin liegen, dass die Aufnahme in diese Programme meist durch ein offenes, wettbewerbliches Verfahren mit Ausschreibung erfolgt, wohingegen die Einstellung als wissenschaftliche oder künstlerische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allein vom jeweiligen Lehrstuhlinhaber abhängig ist. Zudem könnten aber auch die eingangs erwähnten Förderprogramme stärkere Berücksichtigung in den strukturierten Promotionsprogrammen finden.

Auf dem Weg zur Professur

Der größte Verlust an Frauen für die Wissenschaft ereignet sich jedoch in der Phase nach der Promotion und dabei insbesondere während der Habilitation. So stieg zwar der Frauenanteil an den Habilitationen in den letzten 20 Jahren von 16,1 % im Jahr 1999 auf 37,4 % im Jahr 2019 (Schaubild 1).6 Angesichts des Anteils weiblicher Promotionsabsolventinnen und der Motivation weiblicher Promovierender, nach der Promotion auch weiterhin in der Wissenschaft arbeiten zu wollen, schöpfen die baden-württembergischen Hochschulen das weibliche Potenzial noch nicht vollständig aus. So legen Umfragedaten der National Academics Panel Study (Nacaps) nahe, dass 32,8 % der befragten weiblichen und 35 % der 2019 befragten männlichen Promovierenden in Deutschland im Anschluss an ihre Promotion weiter im Wissenschaftsbereich arbeiten wollen. Gleichzeitig streben jedoch nur 27,8 % der Frauen und 34,8 % der Männer eine Professur an, wobei 36,5 % der Frauen und 33,6 % der Männer in diesem Punkt noch unentschlossen sind.7 Umso erfreulicher ist es daher, dass auf die neu geschaffenen Juniorprofessuren mittlerweile fast gleich viele Männer und Frauen berufen werden. So betrug der Frauenanteil an den Juniorprofessorinnen und -professoren 48,9 % im Jahr 2019. Bei den Juniorprofessorinnen und -professoren mit Tenure-Track bzw. mit Tenure-Track und Nachwuchsgruppenleitung waren es sogar 54,2 %.

Gleichzeitig ist mit der Einführung der Juniorprofessur im Jahr 2002 auch die Bedeutung der Habilitation zurückgegangen. Von 407 Habilitationen im Jahr 2002 ging die Anzahl der Habilitationen auf 265 im Jahr 2019 zurück. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Juniorprofessorinnen und -professoren auf 225 an. Bei 59 dieser Stellen handelte es sich um Juniorprofessorinnen und -professoren mit Tenure-Track bzw. um solche mit Tenure-Track und Nachwuchsgruppenleitung. Auf Grund der geringen Anzahl an Juniorprofessorinnen und -professoren ist deren Auswirkung auf den Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren insgesamt aber noch gering. So machten die Juniorprofessorinnen und -professoren im Jahr 2019 gerade einmal 3 %, die Juniorprofessorinnen und -professoren mit Tenure-Track bzw. mit Tenure-Track und Nachwuchsgruppenleitung nur 0,8 % aller Professuren in Baden-Württemberg aus (i-Punkt »Juniorprofessur und Tenure-Track«).

Beschäftigungsbedingungen im akademischen Mittelbau

Neben den Juniorprofessorinnen und -professoren waren im Jahr 2019 noch 30 693 weitere Personen als wissenschaftliches und künstlerisches Personal unterhalb der Professur hauptberuflich an baden-württembergischen Hochschulen beschäftigt. Dazu werden hier sämtliche hauptberuflich beschäftigte Dozenten/-innen und Assistenten/-innen (1,5 %), wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter/-innen (96,9 %) sowie Lehrkräfte für besondere Aufgaben (1,6 %) gezählt. 9 944 dieser Personen oder 32,4 % gaben als höchsten Hochschulabschluss die Promotion an, 1 290 Personen oder 4,2 % waren bereits habilitiert. 365 Personen oder 1,2 % des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unterhalb der Professur befanden sich noch in einem laufenden Habilitationsverfahren. Eine Nachwuchsgruppenleitung hatten 186 Personen oder 0,6 % inne. Der Frauenanteil betrug beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal unterhalb der Professur mit höchstem Abschluss Promotion 43,9 %, bei denjenigen die sich in einem Habilitationsverfahren befanden 36,4 % und bei den bereits habilitierten nur noch 24,3 %. Unter den Nachwuchsgruppenleitungen unterhalb der Professur betrug der Frauenanteil 34,4 %.

In der Wissenschaft tätige Frauen sind zudem häufiger als ihre männlichen Kollegen von Befristungen und von Teilzeitbeschäftigungen betroffen. So waren 25 046 Personen oder 81,6 % des gesamten wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unterhalb der Professur im Jahr 2019 befristet an einer baden-württembergischen Hochschule beschäftigt. Unter den Frauen waren 83 % in einer befristeten Anstellung (Schaubild 2).

Da zum wissenschaftlichen und künstlerischen Personal unterhalb der Professur auch angestellte Promovierende gehören und sich diese noch in einer zeitlich begrenzten Qualifikationsphase befinden, ist es sinnvoll nur den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Postdoc-Phase zu betrachten. Im Jahr 2019 waren demnach 7 185 Personen oder 72,3 % des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unterhalb der Professur mit höchstem beruflichen Abschluss Promotion befristet an einer baden-württembergischen Hochschule beschäftigt. Dabei waren 76,8 % der Frauen, aber nur 68,7 % der Männer befristet beschäftigt. Unter denjenigen mit höchstem Abschluss Habilitation waren noch 411 Personen oder 31,9 % befristet an einer baden-württembergischen Hochschule beschäftigt. Hierbei war jedoch der Anteil der befristet beschäftigten Frauen etwas geringer als der Anteil der befristet beschäftigten Männer (29,3 % vs. 32,7 %).

Darüber hinaus arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit als Männer. Im Jahr 2019 waren insgesamt 14 830 Personen oder 48,3 % des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals unterhalb der Professur teilzeitbeschäftigt. Dabei befanden sich 60,1 % der Frauen und 40 % der Männer in Teilzeit (Schaubild 3). Unter denjenigen mit höchstem beruflichen Abschluss Promotion befanden sich 45 % der Frauen und nur noch 18,9 % der Männer in Teilzeit. Bei denjenigen mit Habilitation waren es 34,1 % der Frauen und 17,4 % der Männer.

Frauen im Hochschulmanagement

Im Hochschulmanagement waren im Jahr 2019 in Baden-Württemberg 274 Personen mit der Leitung einer Hochschule betraut, darunter 73 Frauen.8 Das entspricht einem Anteil von 26,6 %. An den 25 promotionsberechtigten Hochschulen betrug der Frauenanteil in Hochschulleitungspositionen 32,3 %. Die Hochschulräte der baden-württembergischen Hochschulen hatten im Jahr 2019 599 Mitglieder, 257 davon waren Frauen. Das entspricht einem Anteil von 42,9 %. An den Hochschulen mit Promotionsrecht betrug der Frauenanteil in den Hochschulräten 49,8 %.

Große Unterschiede zwischen den Fächern

Bereits bei der Wahl des Studienfachs scheiden sich jedoch die Geschlechter. Schaubild 4 zeigt, wie sich der Frauenanteil am Beginn und am Ende der akademischen Karriere zwischen ausgewählten Studien- bzw. Lehr- und Forschungsbereichen unterscheidet. Ausgewählt wurden dazu die 20 Studienbereiche mit der höchsten Anzahl Promovierender im Jahr 2019. Darunter befanden sich die höchsten Anteile weiblicher Professorinnen und Professoren in Germanistik (51,2 %), Anglistik, Amerikanistik (51,1 %) und Psychologie (43,4 %). Gleichzeitig waren dies auch die Studienbereiche, in denen der Frauenanteil bereits unter den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen, den Promovierenden und den Promotionsabsolventinnen und -absolventen am höchsten war (Schaubild 5). Umgekehrt handelte es sich bei den Studienbereichen, die den geringsten Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren aufwiesen, zumeist auch um die Studienbereiche mit den geringsten Anteilen weiblicher Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen, Promovierender und Promotionsabsolventinnen und -absolventen. Dazu gehörten vor allem die ingenieurwissenschaftlichen Studienbereiche und der Studienbereich Physik, Astronomie.

Trotz großer Unterschiede in der Höhe des Frauenanteils zeigt sich in den meisten Studienbereichen das Muster eines mit jeder weiteren Karrierestufe abnehmenden Frauenanteils. Dabei zeigte sich die größte Diskrepanz zwischen dem Frauenanteil unter den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen und dem Frauenanteil unter den Professorinnen und Professoren in den Rechtswissenschaften mit 63,2 % zu 21,6 % und in der Biologie mit 70,3 % zu 29,6 %. Eine Differenz von über 30 Prozentpunkten zwischen dem Frauenanteil an den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen und dem Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren wiesen auch die Studienbereiche Humanmedizin, Psychologie, Germanistik, Wirtschaftswissenschaften, Zahnmedizin, Chemie und Mathematik auf. Allerdings gab es unter diesen Fächern starke Unterschiede hinsichtlich des Frauenanteils an den Professorinnen und Professoren. Während Germanistik und Psychologie die höchsten Frauenanteile aufwiesen, lag der Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren in Humanmedizin bei 19,2 % und in Chemie bei 15,5 %.

Nicht immer zielt der Erwerb des Doktortitels darauf ab, eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen. So nimmt vor allem in der Medizin die Promotion einen anderen Stellenwert ein als in den meisten anderen Fächern. Der Frauenanteil an den Promotionsabsolventinnen und -absolventen in der Human- und in der Zahnmedizin ist dabei vergleichsweise hoch und lag in etwa gleichauf mit dem Frauenanteil an den Erststudiumsabsolventinnen und -absolventen dieser Studienbereiche. Im Gegensatz zu den anderen Studienbereichen fällt der Frauenanteil in den beiden medizinischen Studienbereichen daher auch erst im Anschluss an die Promotion deutlich ab. So wiesen die Humanmedizin mit 39,2 Prozentpunkten und die Zahnmedizin mit 34 Prozentpunkten unter den hier berücksichtigten Studienbereichen die größte Differenz zwischen dem Frauenanteil an den Promotionsabsolventinnen und -absolventen und dem Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren auf.

Der Frauenanteil in strukturierten Promotionsprogrammen und an den Promovierenden, die an der Hochschule der Promotion beschäftigt sind, unterscheidet sich erheblich zwischen den Studienbereichen (Schaubild 5). In Psychologie und den außereuropäischen Sprach- und Kulturwissenschaften lag der Frauenanteil in strukturierten Promotionsprogrammen bei über 80 % und damit weit über dem Frauenanteil der Promovierenden insgesamt und über dem Frauenanteil an den angestellten Promovierenden dieser Studienbereiche. Höhere Frauenanteile in den strukturierten Promotionsprogrammen fanden sich auch in den Rechtswissenschaften (48,4 %) und in Philosophie (45 %) sowie in den meisten Ingenieur- und Naturwissenschaften. In einigen Studienbereichen lag der Frauenanteil in den strukturierten Promotionsprogrammen aber auch unterhalb des Frauenanteils an den beschäftigten Promovierenden, wie zum Beispiel in den Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Human- und Zahnmedizin, Germanistik und Anglistik, Amerikanistik.

Befristung und Teilzeit stark fächerabhängig

In Bezug auf die Beschäftigungsbedingungen im akademischen Mittelbau zeigen sich ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Fächern bzw. den Lehr- und Forschungsbereichen. Während im Jahr 2019 in den Wirtschaftswissenschaften nur 7,3 % der Frauen mit Promotion als höchstem beruflichen Abschluss unterhalb der Professur unbefristet an einer baden-württembergischen Hochschule beschäftigt waren, hatten in einigen Lehr- und Forschungsbereichen mehr als 30 % der Frauen eine Dauerstelle (Schaubild 6). In Germanistik waren es sogar 40,5 %, in Anglistik, Amerikanistik 52,5 %. Vergleicht man diese Anteile mit denen der Männer, zeigt sich jedoch, dass in fast allen Lehr- und Forschungsbereichen der Anteil der unbefristet beschäftigten Männer über dem Anteil der unbefristet beschäftigten Frauen lag. Einzige Ausnahme bildeten dabei Germanistik, Philosophie und Informatik. Die größten Differenzen von über 20 Prozentpunkten zwischen dem Anteil unbefristet beschäftigter Frauen und dem Anteil unbefristet beschäftigter Männer fanden sich in den Lehr- und Forschungsbereichen Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Maschinenbau/Verfahrenstechnik. Differenzen von mehr als 10 Prozentpunkten fanden sich in Chemie, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Bauingenieurwesen, Biologie und Humanmedizin.

In drei der 20 hier betrachteten Lehr- und Forschungsbereiche lag der Anteil vollzeitbeschäftigter Frauen bei etwa einem Drittel. In sechs Lehr- und Forschungsbereichen betrug der Anteil vollzeitbeschäftigter Frauen über 60 %, in weiteren acht Bereichen noch über 50 % (Schaubild 7). Bis auf den Lehr- und Forschungsbereich der außereuropäischen Sprach- und Kulturwissenschaften lag der Anteil der vollzeitbeschäftigten Männer in allen anderen Bereichen über dem Anteil der vollzeitbeschäftigten Frauen. Der größte Unterschied zwischen Männern und Frauen zeigte sich dabei im Bauingenieurwesen mit einer Differenz von über 50 Prozentpunkten. Differenzen von über 40 Prozentpunkten fanden sich auch in Maschinenbau/Verfahrenstechnik sowie in Elektrotechnik und Informationstechnik.

Die Ergebnisse im Lichte der Forschung

Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass der Frauenanteil mit jedem Stadium der akademischen Karriere abnimmt. Während der Promotion ist der Frauenanteil vor allem bei den angestellten Promovierenden geringer als bei den Promovierenden in strukturierten Programmen. Als Ursache konnten in der Forschung zum einen die geschlechtsspezifische Selbstselektion bei der Wahl des Studienfachs und die unterschiedliche Verbreitung von strukturierten Promotionsformen in den Fächern identifiziert werden.9 Zum anderen wird auf die informelle Rekrutierungspraxis von wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwiesen, bei der Männer bevorzugt und Frauen benachteiligt werden.10 Weibliche Studierende sind demnach für die mehrheitlich männlichen Professoren nicht in gleichem Maße als geeignete Kandidatinnen für eine Mitarbeiterstelle sichtbar, da sie beispielsweise seltener studentische Hilfskraft- und Tutorentätigkeiten ausüben als männliche Studierende. Hinzu kommt, dass die in der Wissenschaft vorherrschenden Arbeitszeitnormen und die weite Verbreitung befristeter Beschäftigungsverhältnisse einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegenstehen.11 Die Möglichkeit an öffentlich finanzierten Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Teilzeit zu arbeiten, vereinfacht dabei die Betreuung von Kindern und die Pflege von Angehörigen. Langjährige Teilzeitbeschäftigungen wirken sich jedoch negativ auf die wissenschaftliche Karriere aus und zwar insbesondere auf die Karriere von Frauen.12 Einige Forscherinnen und Forscher sprechen daher auch von »prekärer Gleichstellung«13 und von einer »Illusion der Chancengleichheit«.14

Aus Sicht der Chancengleichheit stellen die Habilitation und die anschließende Berufung auf eine Lebenszeitprofessur weitere Herausforderungen dar.15 Vielversprechend ist hingegen der hohe Frauenanteil unter den Juniorprofessorinnen und -professoren, insbesondere bei solchen mit Tenure-Track, bei denen eine Kommission in einem formalisierten Bewerbungsverfahren über die Berufung auf eine Juniorprofessur und deren anschließende Evaluation entscheidet. Offen ist allerdings noch, inwiefern sich diese relativ neue Entwicklung auf die Zusammensetzung der Professorenschaft insgesamt auswirken wird. Wenn sich der Frauenanteil an den Professorinnen und Professoren in den nächsten 20 Jahren so wie bisher weiterentwickelt, dann liegt der Frauenanteil im Jahr 2039 bei 37 % und in 40 Jahren bei 51 %. Dabei wird es auch darauf ankommen, inwiefern es gelingt noch vor der Erstberufung auf eine Professur die »leaking pipeline« zu stopfen. Stärker formalisierte Verfahren, wie sie bei der Aufnahme in strukturierte Promotionsprogramme und bei der Vergabe von Juniorprofessuren verbreitet sind, spezifische Maßnahmen zur Entlastung von Promovierenden und Postdocs mit Kindern, gezielte Mentoring-Programme zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und eine stärkere Beteiligung weiblicher Studierender an studentischen Hilfskrafttätigkeiten insbesondere in den MINT-Fächern16 könnten daher bereits in der Frühphase der wissenschaftlichen Karriere zur Reduktion von Geschlechterungleichheit beitragen und talentierte Frauen langfristig in der Wissenschaft halten.

1 Förderprogramme des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. http://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/forschung/forschungsfoerderung/chancengleichheit (Abruf: 25.11.2020).

2 Eine umfangreiche Liste von Förderprogrammen, Stipendien, Netzwerken usw. bietet das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) des GESIS Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften. www.gesis.org/fileadmin/cews/www/download/F%C3%B6rderprogramme_f%C3%BCr_Frauen_in_Wissenschaft_und_Forschung__Stand_Juli_2020_.pdf (Abruf: 25.11.2020).

3 Zur Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen in Baden-Württemberg siehe auch: Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg (2020): Frauen in Führungspositionen – Chancen und Hemmnisse auf dem Weg durch die gläserne Decke, in: Gesellschaftsreport BW, 3/2020. https://www.statistik-bw.de/FaFo/Familien_in_BW/R20203.pdf (Abruf: 25.11.2020).

4 Zum Beispiel der regelmäßig erscheinende Bericht der GWK: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2020): Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung, 24. Fortschreibung des Datenmaterials (2018/2019) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Bonn: GWK.

5 Dies trifft auch auf Promovierende zu, die an einem außeruniversitären Forschungsinstitut beschäftigt sind. Diese Beschäftigungsverhältnisse können von der amtlichen Statistik nicht abgebildet werden.

6 Die starken Schwankungen beim Frauenanteil an den Habilitationen ergeben sich aus der geringen Fallzahl Habilitierter einerseits und aus der langen Dauer von Habilitationsprojekten andererseits. So betrug im Jahr 2017 der Frauenanteil an den Habilitationen 26.3 % und 27.3 % im Jahr 2018.

7 Berechnungen durch das DZHW auf Basis von: Briedis, Kolja/Lietz, Almuht/Ruß, Uwe/Schwabe, Ulrike/Weber, Anne/Birkelbach, Robert/Hoffstätter, Ute (2020). Nacaps 2018: Daten- und Methodenbericht zur National Academics Panel Study 2018 (1. Befragungswelle – Promovierende). Hannover: DZHW.

8 Personal in Hochschulleitungen insgesamt, das heißt Rektorinnen und Rektoren, Präsidentinnen und Präsidenten sowie Prorektorinnen und Prorektoren, Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten, Kanzlerinnen und Kanzler.

9 De Vogel, Susanne (2017): Wie beeinflussen Geschlecht und Bildungsherkunft den Übergang in individuelle und strukturierte Promotionsformen? in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 69(3), S. 437–471.

10 Siehe auch Forschungsüberblick in: Rusconi, Alessandra/Kunze, Caren (2015): Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft, in: Beiträge zur Hochschulforschung, 37(3), S. 10–14.

11 Lange, Janine/Oppermann, Anja/Wegner, Antje (2017): Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Hochschul- und außeruniversitären Forschungssektor. Studien im Rahmen des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN 2017). Berlin: DZHW.

12 Rusconi, Alessandra (2013). Karriereentwicklung in der Wissenschaft im Kontext von Akademikerpartnerschaften, in: Beiträge zur Hochschulforschung, 35(1), S. 78–97.

13 Laufenberg, Mike/Erlemann, Martina/Norkus, Maria/Petschick, Grit (Hrsg.) (2018). Prekäre Gleichstellung. Geschlechtergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.

14 Möller, Christina (2018). Prekäre Wissenschaftskarrieren und die Illusion der Chancengleichheit, in: Laufenberg, Mike/Erlemann, Martina/Norkus, Maria/Petschick, Grit (Hrsg.). Prekäre Gleichstellung (S. 257–278). Wiesbaden: Springer VS.

15 Siehe auch die qualitative Studie: Petrova-Stoyanov, Ralitsa/Altenstädter, Lara/Wegrzyn, Eva/Klammer, Ute (2020). Exzellenz oder Frauenförderung? Gleichstellungswissen und -handeln von Professorinnen und Professoren in Berufungskommissionen, in: Beiträge zur Hochschulforschung, 42(4), S. 50–68.

16 Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik.