:: 10/2021

Wohin gehen die Studierenden aus Baden-Württemberg?

Im Wintersemester 2020/21 nahmen 27,3 % der Studienfängerinnen und -anfänger, die ihre Hochschulzugangsberechtigung (HZB) zuvor in Baden-Württemberg erworben hatten, ein Studium an einer Hochschule in einem anderen Bundesland auf. Insgesamt waren 123 300 Studierende aus Baden-Württemberg an einer Hochschule in einem anderen Bundesland eingeschrieben. Umgekehrt kamen aber nur 88 100 Studierende aus einem anderen Bundesland zum Studium nach Baden-Württemberg. Beliebteste Fächergruppe sowohl der abgewanderten weiblichen als auch der abgewanderten männlichen Studierenden war die Fächergruppe der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Einleitung

Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Studiums wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Neben dem Studienangebot, der Ausstattung und der Reputation der Hochschule spielt vor allem die Nähe zum Heimatort eine wesentliche Rolle bei der Hochschulwahl. 1,2,3 So hatte unsere Analyse der Herkunft der Studierenden an den Hochschulen in Baden-Württemberg ergeben, dass die Mehrheit der Studierenden ihr Bundesland nicht verlässt.4 Knapp ein Achtel der Studiereden wählte sogar eine Hochschule an dem Ort, an dem zuvor die HZB erworben wurde. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zur Mobilitätsbereitschaft von Studienberechtigten, dass eine Mehrheit der Befragten dazu bereit wäre, für eine Berufsausbildung oder einen Studienplatz an einen anderen Ort innerhalb Deutschlands umzuziehen, der mehr als 50 Kilometer (km) entfernt liegt.5 Sowohl die zu erwartenden höheren finanziellen Kosten als auch die höheren emotionalen Kosten eines Studiums an einer weiter entfernt liegenden Hochschule verringern jedoch die Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Studium aufzunehmen.6 Umso interessanter ist es daher, sich einmal diejenigen Studierenden genauer anzuschauen, die sich dennoch für ein Studium fernab ihrer Heimat entscheiden. Konkret widmen wir uns in diesem Beitrag der Frage, wie groß der Anteil der Studierenden aus Baden-Württemberg an den Hochschulen in den anderen Bundesländern ist.

Dabei lässt die Frage »Wohin gehen die Studierenden aus Baden-Württemberg?« eine Reihe an möglichen Interpretationen zu. So kann damit zum einen die Frage nach den Bildungsentscheidungen von Studienberechtigten gemeint sein: »Wohin gehen die Studienberechtigten aus Baden-Württemberg zum Studium?« Zum anderen kann damit aber auch die Frage gemeint sein, wohin die Studierenden während ihres Studiums gehen, das heißt ob sie ihren Studienort kurzzeitig oder dauerhaft wechseln, um bspw. einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren oder an eine andere Hochschule innerhalb Deutschlands zu wechseln. Schließlich lässt sich die eingangs gestellte Frage auch so verstehen, dass nach den Karrierewegen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen gefragt wird: »Wohin gehen die Studierenden aus Baden-Württemberg nach ihrem Studium?«

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, alle drei möglichen Interpretationen dieser Frage umfassend zu beantworten. Zudem lassen sich auf Basis der amtlichen Hochschulstatistik weder Aussagen über den Verbleib von Hochschulabsolventinnen und -absolventen noch über das Ausmaß der baden-württembergischen Studierenden im Ausland treffen. Im Folgenden konzentrieren wir uns daher auf die Frage nach der Studienortwahl von Studierenden und Studienberechtigten aus Baden-Württemberg innerhalb Deutschlands.

Wie bereits in unserem Beitrag für das Statistische Monatsheft 8/2021 operationalisieren wir die Herkunft der Studierenden erneut als den Ort des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung. Wir sprechen somit immer dann von Studierenden aus Baden-Württemberg, wenn es sich um Studierende handelt, die ihre HZB in Baden-Württemberg erwarben. Entsprechend handelt es sich bei Studierenden aus anderen Bundesländern bzw. aus dem Ausland um Studierende, die ihre HZB in einem anderen Bundesland bzw. im Ausland erwarben.

34 % der Studierenden aus Baden-Württemberg studierten an einer Hochschule in einem anderen Bundesland

Im Wintersemester 2020/21 studierten an den Hochschulen in Deutschland insgesamt gut 360 100 Studierende, die ihre HZB in Baden-Württemberg erworben hatten (i-Punkt). Dies entsprach einem Anteil von 12,2 % an der Gesamtheit aller Studierenden in Deutschland. Die Mehrheit der Studierenden aus dem Südweststaat bevorzugte ein Studium an einer Hochschule ihres Heimatlandes. Hier schrieben sich gut 236 800 Studierende oder 65,8 % der Studierenden mit einer HZB aus Baden-Württemberg ein. Knapp 123 300 Studierende oder 34,2 % der Studierenden aus Baden-Württemberg wählten ein Studium an einer Hochschule eines anderen Bundeslandes. Von den gut 51 000 Studienanfängerinnen und -anfängern aus Baden-Württemberg immatrikulierten sich gut 13 900 Studierende oder 27,3 % an einer Hochschule in einem anderen Bundesland.

Die meisten der Studierenden aus Baden-Württemberg gingen nach Bayern (32 300), Nordrhein-Westfalen (22 400), Hessen (16 500) und Rheinland-Pfalz (11 300). Ebenfalls noch sehr beliebt waren die Berliner Hochschulen, an denen gut 10 100 Studierende mit einer HZB aus Baden-Württemberg Studierten. Relativ wenige Studierende zog es nach Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. An den Hochschulen dieser Bundesländer waren jeweils weniger als 2 000 Studierende aus Baden-Württemberg immatrikuliert, in Bremen nur knapp 800 (Schaubild 1).

Gemessen an der Gesamtheit der Studierenden an den Hochschulen in den anderen Bundesländern machten die Studierenden aus Baden-Württemberg 4,8 % im Wintersemester 2020/21 aus. Die höchsten Anteile von Studierenden aus Baden-Württemberg fanden sich an den Hochschulen in Rheinland-Pfalz (9,2 %), Thüringen (8,2 %) und Bayern (8,0 %), die geringsten in Bremen (2,2 %), Niedersachsen (2,0 %) und Schleswig-Holstein (2,0 %).

Innerhalb der letzten 20 Jahre hat die Anzahl der Studierenden insgesamt stark zugenommen. Auch die Anzahl der Studierenden aus Baden-Württemberg, die sich für ein Studium in einem anderen Bundesland entschieden, hat sich von knapp 63 800 im Wintersemester 2000/01 auf knapp 123 300 im Wintersemester 2020/21 nahezu verdoppelt. Der prozentuale Anteil der Studierenden aus Baden-Württemberg hat sich in den meisten Bundesländern allerdings kaum oder nur geringfügig verändert. Nur an den Hochschulen in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Sachsen-Anhalt erhöhte sich der Anteil der Studierenden aus Baden-Württemberg um mehr als 1 Prozentpunkt (Tabelle 1). An den Hochschulen in Sachsen erhöhte sich deren Anteil um 2,1 Prozentpunkte und an den Hochschulen in Thüringen um 5,6 Prozentpunkte.

Innerhalb der Bundesländer verteilen sich die Studierenden aus Baden-Württemberg unterschiedlich stark auf die einzelnen Hochschulen. Die meisten Studierenden aus Baden-Württemberg, die im Wintersemester 2020/21 in einem anderen Bundesland studierten, waren an der größten deutschen Hochschule, der Fernuniversität Hagen, eingeschrieben (Tabelle 2). Auf Platz 2 der beliebtesten Hochschulen außerhalb Baden-Württembergs folgte die Internationale Hochschule Erfurt, die sowohl Präsenz- als auch Fernstudiengänge anbietet. Ebenfalls großer Beliebtheit erfreuten sich die großen staatlichen Universitäten in den benachbarten Bundesländern. Aber auch Hochschulen mit deutlich weniger Studienplätzen, wie die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Neu-Ulm, die Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und die Steinbeis-Hochschule Berlin, befanden sich unter den 20 beliebtesten Hochschulen der Studierenden aus Baden-Württemberg, die im Wintersemester 2020/21 in einem anderen Bundesland studierten.

Mehr Abwanderungen von Studierenden aus Baden-Württemberg als Zuwanderungen aus anderen Bundesländern

Vergleicht man die Anzahl der Studierenden aus Baden-Württemberg, die zum Studium in ein anderes Bundesland gingen (Abwanderungen), mit der Anzahl der Studierenden aus den anderen Bundesländern, die zum Studium nach Baden-Württemberg kamen (Zuwanderungen), dann zeigt sich, dass der Wanderungssaldo der Studierenden für Baden-Württemberg negativ ist. Das heißt, es gingen mehr Studierende aus Baden-Württemberg in ein anderes Bundesland als Studierende aus anderen Bundesländern nach Baden-Württemberg.

So studierten an den Hochschulen in Baden-Württemberg im Wintersemester 2020/21 zwar insgesamt knapp 88 100 Studierende, die ihre HZB in einem anderen Bundesland erworben hatten. Gleichzeitig studierten aber auch die bereits erwähnten 123 300 Studierenden aus Baden-Württemberg an einer Hochschule eines anderen Bundeslandes. Der Wanderungssaldo der Studierenden für Baden-Württemberg betrug somit – 35 200. Dabei war der Wanderungssaldo bereits unter den Studienanfängerinnen und -anfängern im 1. Hochschulsemester negativ (– 1 500). Die größten »Exportüberschüsse« gingen nach Bayern (– 10 100), Berlin (– 7 900), Nordrhein-Westfalen (– 7 700) und Thüringen (– 6 400). Mit Rheinland-Pfalz (+ 4 900), Niedersachsen (+ 1 900) und Schleswig-Holstein (+ 900) gab es jedoch auch Bundesländer mit einem »Importüberschuss« von Studierenden nach Baden-Württemberg (Schaubild 2).

Was studieren die Studierenden aus Baden-Württemberg?

Sowohl unter den zugewanderten, den abgewanderten als auch unter den daheimgebliebenen Studierenden war die Fächergruppe der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die beliebteste Fächergruppe im Wintersemester 2020/21. Allerdings studierten nur 36,6 % der Daheimgebliebenen und 40,4 % der Zugewanderten ein Fach dieser Fächergruppe, während 45,4 % der Abgewanderten ein Fach der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wählten (Schaubild 3).

Betrachtet man die Studienfachwahl getrennt nach dem Geschlecht der Studierenden, dann zeigt sich auch für die weiblichen Studierenden, dass die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften unter den Daheimgebliebenen (43,6 %), den Abgewanderten (49,2 %) und den Zugewanderten (46,5 %) die beliebteste Fächergruppe im Wintersemester 2020/21 darstellten. Anders sieht es bei den männlichen Studierenden aus. Hier erfreute sich die Fächergruppe der Ingenieurwissenschaften unter den Daheimgebliebenen (45,8 %) und unter den Zugewanderten (38,0 %) größter Beliebtheit. Abgewanderte männliche Studierende hingegen wählten nur zu 31,1 % ein Fach aus der Fächergruppe der Ingenieurwissenschaften. Stattdessen wählten die abgewanderten männlichen Studierenden eher ein Studium der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (41,1 %). Unter den daheimgebliebenen (30,0 %) und unter den zugewanderten (34,2 %) männlichen Studierenden war diese Fächergruppe weniger beliebt.

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Fächergruppe der Mathematik, Naturwissenschaften. Während der Anteil der daheimgebliebenen und der Anteil der zugewanderten Studierenden bei beiden Geschlechtern zwischen 10,2 % und 11,9 % lag, betrug der Anteil der abgewanderten Studierenden 7,9 % (weiblich) bzw. 8,5 % (männlich). Auch die Fächergruppe der Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften, Veterinärmedizin war sowohl unter den weiblichen (3,4 %) als auch unter den männlichen (2,3 %) abgewanderten Studierenden beliebter als unter den daheimgebliebenen (2,2 % bzw. 1,2 %). Bei der Fächergruppe Kunst, Kunstwissenschaft wählten ebenfalls mehr abgewanderte Studierende beider Geschlechter ein Fach dieser Fächergruppe als daheimgebliebene und zugewanderte.

Anders stellt sich die Situation bei der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften dar. Während 6,8 % der daheimgebliebenen weiblichen Studierenden ein Fach aus dem Bereich Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften wählten, war der Anteil der Studierenden dieser Fächergruppe sowohl unter den abgewanderten (11,7 %) als auch unter den zugewanderten (12,5 %) weiblichen Studierenden fast doppelt so hoch. Männliche Studierende entschieden sich insgesamt zwar zu geringeren Anteilen für die Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften. Doch auch hier war das Interesse an dieser Fächergruppe unter den abgewanderten (6,1 %) und zugewanderten (7,0 %) männlichen Studierenden mehr als doppelt so groß wie unter den daheimgebliebenen (2,8 %).

Daheimgebliebene weibliche Studierende entschieden sich stattdessen häufiger für ein Studium der Geisteswissenschaften (16,5 %) als ihre abgewanderten (11,5 %) und ihre zugewanderten (12,6 %) Kommilitoninnen. Unter den männlichen Studierenden war das Interesse an den Geisteswissenschaften insgesamt geringer, und zwar sowohl unter den daheimgebliebenen (6,3 %) als auch unter den abgewanderten (6,7 %) und zugewanderten (5,5 %).

1 Hachmeister, Cort-Denis & Hennings, Mareike (2007): Indikator im Blickpunkt: Kriterien der Hochschulwahl und Ranking-Nutzung. CHE, Centrum für Hochschulentwicklung, Gütersloh.

2 Heine, Christoph, Wilich, Julia & Schneider, Heidrun (2009): Informationsverhalten und Hochschulwahl von Studienanfängern in West- und Ostdeutschland. HIS: Projektbericht. Hannover: HIS.

3 Hückstädt, Malte (2019): Determinanten der subjektiv wahrgenommenen Wichtigkeit von Hochschulrankings bei der Studienortwahl? In: Ringel, Leopold & Werron, Tobias (Hrsg.) Rankings – Soziologische Fallstudien. Springer VS, Wiesbaden.

4 Ruß-Obajtek, Uwe/Bauer , Viktoria: »Woher kommen die Studierenden in Baden-Württemberg?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2021«.

5 Schneider, Heidrun, Franke, Barbara, Woisch, Andreas & Spangenberg, Heike (2017): Erwerb der Hochschulreife und nachschulische Übergänge von Studienberechtigten. DZHW: Forum Hochschule 4/2017. Hannover: DZHW.

6 Helbig, Marcel, Jähnen, Stefanie & Marczuk, Anna (2017): Eine Frage des Wohnorts. Zur Bedeutung der räumlichen Nähe von Hochschulen für die Studienentscheidung in Deutschland, in: Zeitschrift für Soziologie, 46(1), 55–70.