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Entwicklung der CO2-Emissionen der Industrie in Baden-Württemberg

Die rauchenden Fabrikschlote sind mittlerweile dank moderner Minderungstechnologien weitgehend verschwunden. Auch die Nutzung von Energie und Ressourcen in der industriellen Produktion ist effizienter und nachhaltiger geworden. Nun steht der Industriesektor in Baden-Württemberg vor neuen Aufgaben, der Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040. Die Landesregierung hat sich mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes im Herbst 2021 die neuen Ziele für den Klimaschutz gesetzt: bis 2040 soll Baden-Württemberg klimaneutral werden (i-Punkt »Novelle des Klimaschutzgesetzes«). Bisher waren 90 % bis 2050 das langfristige Ziel. Damit will Baden-Württemberg sogar 5 Jahre schneller sein als der Bund. Zwischen 1990 und 2020 sind die gesamten Treibhausgas-Emissionen der Industrie bereits um 36 % gesunken. Hat der Industriesektor damit die im Klimaschutzgesetz definierten Zwischenziele 2020 erreicht? Welche Wirtschaftsbereiche dominieren beim Treibhausgas-Ausstoß der Industrie?

Mehr als ein Drittel der Emissionen prozessbedingt

Der gesamte Treibhausgas-Ausstoß der Industrie1 in Baden-Württemberg betrug im Jahr 20202 5,7 Millionen Tonnen (Mill. t) (14 %). Damit war die Industrie die viertgrößte Quellgruppe (Schaubild 1). 99 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen der Industrie entfielen auf Kohlendioxid (CO2). Fast 65 % der industriellen Treibhausgas-Emissionen waren 2020 energiebedingt (i-Punkt »Energiebedingte Emissionen/Prozessbedingte Emissionen«). Einige industrielle Prozesse stoßen neben den energiebedingten Emissionen auch die prozessbedingten CO2-Emissionen aus. Diese Emissionen variieren je nach Produktionsprozess und Industriezweig. Die prozessbedingten Emissionen machen ca. 35 % (3 Mill. t) der gesamten Treibhausgas-Emissionen der Industrie aus. Die Herstellung von Zementklinker verursachte innerhalb der prozessbedingten Emissionen den mit Abstand höchsten Anteil an ausgestoßenen CO2-Emissionen (84 %), gefolgt von der Kalkindustrie mit 13 %. Auf die Herstellung von Glas sind lediglich 2 % der prozessbedingten Emissionen zurückzuführen.

Seit 2005 verlangsamter Emissionsrückgang

Im Vergleich zu anderen Sektoren hat der Industriesektor in Baden-Württemberg seit 1990 mit Abstand die größten Minderungen erzielt. Zwischen 1990 und 2020 haben die CO2-Emissionen um 4,9 Mill. t (– 36 %) abgenommen. Gleichzeitig stieg die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes um 28 %. Deutliche Minderungen waren vor allem in den Jahren 1990 und 2004 zu beobachten (Schaubild 2). In diesem Zeitraum gingen die industriellen Emissionen um 4,2 Mill. t zurück. Seit 2005 hat sich der Emissionsrückgang allerdings spürbar verlangsamt. Die Emissionen zeigen aber weiterhin einen leichten Abwärtstrend. Abgesehen vom Jahr 2009, das maßgeblich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise geprägt war, waren seit 2005 keine signifikanten Emissionsrückgänge zu verzeichnen. Nach ersten Schätzungen war die Emissionsentwicklung im Industriesektor auch im Jahr 2020 von Corona-Effekten nicht so stark beeinflusst wie im Krisenjahr 2009. Auch der Rückgang bei der Bruttowertschöpfung war zwischen 2008/2009 deutlich stärker als im Corona-Jahr 2020. Ein Unterschied zwischen 2009 und 2020 besteht darin, dass dem Einbruch während der Finanzkrise von 2008/2009 ein ausgeprägter Wirtschaftsboom vorausging, während sich die Wirtschaft am Ende des Jahres 2019 schon weitgehend im Abschwung befand.3 Das Schaubild 2 zeigt zudem, dass die Emissionen in den Krisenjahren 2009 und 2020 nicht so stark abnahmen wie die Bruttowertschöpfung der Industrie. Während die Bruttowertschöpfung der Industrie 2009 um fast 25 % zurückging, sank der Ausstoß von Treibhausgasen nur um rund 12 %. Und im Jahr 2020 war nur eine leichte Emissionsabnahme (– 0,7 %) zu beobachten, während die Bruttowertschöpfung um fast 10 % schrumpfte. Diese Entwicklung hängt vor allem mit der Auslastung der Produktionsanlagen zusammen. Bei geringer Auslastung fällt die Anlageneffizienz ab, was zu höheren Emissionen führt.

Industriesektor verfehlt seine Sektorziele 2020

Der Ausstoß an energiebedingten Treibhausgasen der Industrie hat sich durch Energieeffizienzmaßnahmen und Brennstoffsubstitution zwischen 1990 und 2020 fast halbiert (– 46 %). Dagegen befinden sich die prozessbedingten Emissionen immer noch auf dem Niveau des Jahres 1990. Im Gegensatz zu den energiebedingten Emissionen lassen sich die prozessbedingte CO2-Emissionen aufgrund der Zusammensetzung der Rohstoffe (vor allem Kalkstein) und deren chemischer Reaktionen im Brennprozess kaum vermeiden und technisch bisher nur schwer reduzieren. Es werden aktuell verschiedene technische Minderungsmöglichkeiten untersucht wie zum Beispiel die Verringerung des Klinkeranteils in Baumaterialien durch klimafreundlichere Alternativen sowie die CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Trotz starkem Rückgang der energiebedingten Emissionen der Industrie überschreitet der Industriesektor das im Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept Baden-Württemberg (IEKK) definierte Sektorziel 2020 von mindestens 55 %. Für prozessbedingte Emissionen wurde im IEKK eine Minderung von 23 % angestrebt. Auch in diesem Bereich wurde das Ziel verfehlt, sogar deutlich. Die prozessbedingten CO2-Emissionen nahmen gegenüber 1990 nur geringfügig (– 0,3 %) ab.

CO2-Emissionen gemäß Verursacherbilanz

In Schaubild 2 sind die Emissionen der Industrie dargestellt, die sich auf das Prinzip der Quellenbilanz stützen. Bei dieser Betrachtung werden nur die direkten Emissionen der Industriebetriebe berücksichtigt. Dabei werden die indirekt durch die von den Energieversorgern bezogenen Mengen an Strom und Fernwärme verursachten CO2-Emissionen nicht betrachtet. Ein vollständiges Bild liefert eine Darstellung auf der Grundlage der Verursacherbilanz, bei der auch die CO2-Mengen des Strom- und Fernwärmeverbrauchs eingerechnet werden (i-Punkt »Quellenbilanz und Verursacherbilanz«).

Die insgesamt durch den Endenergieverbrauch im Industriesektor verursachten CO2-Emissionen belaufen sich für 2020 auf 16,7 Mill. t CO2 (Schaubild 3). Damit ist die nach dem Prinzip der Verursacherbilanz für das Land errechnete CO2-Menge deutlich größer als die Quellenbilanz (5,7 Mill. t). Das hängt damit zusammen, dass die strombasierten Produktionsverfahren einen hohen Anteil am gesamten Energieverbrauch der Industrie haben. Zwischen 1990 und 2020 nahmen die verursacherbezogenen CO2-Emissionen um fast 40 % ab. Der Rückgang fiel damit geringer aus als die Minderung der CO2-Emissionen auf der Grundlage der Quellenbilanz (– 46 %). Dabei ist allerdings der geringe Endenergieverbrauch des Jahres 1990 zu berücksichtigen. In den nachfolgenden 3 Jahren lagen die verursacherbezogenen CO2-Emissionen in Baden-Württemberg höher als 1990. Hauptgrund dafür war die zunehmende Umstellung der Produktion auf strombasierte Verfahren und der damit verbundene Anstieg des Stromverbrauchs.

Endenergieverbrauch: Strom wichtigster Energieträger

Der Endenergieverbrauch der Industrie in Baden-Württemberg betrug im Jahr 2019 rund 216 Petajoule (PJ). Damit hat das Verarbeitende Gewerbe einen Anteil von 20 % am gesamten Endenergieverbrauch in Baden-Württemberg. Der Energieverbrauch bewegt sich seit 1990 auf einem konstanten Niveau. Gegenüber 1990 nahm der Endenergieverbrauch um 11 % ab. Fast 44 % des Endenergiebedarfs der Industrie wurden 2019 durch Strom gedeckt (Tabelle 1). Mit 32 % war Erdgas der zweitstärkste Energieträger im Energiemix der Industrie. In den letzten Jahren war der Rückgang beim Verbrauch von Heizöl leicht und schwer am deutlichsten. Zusammengenommen lag der Anteil am Endenergieverbrauch 1990 bei fast 22 %, 2019 waren es nur noch 3 %. Auch der Verbrauch von Kohle ist seit 1990 rückläufig (– 70 %). Der Anteil der fossilen Energieträger am Endenergieverbrauch der Industriebetriebe ist insgesamt zwischen 1990 und 2019 von 61 % (149 PJ) auf 42 % (92 PJ) gesunken. Gleichzeitig stieg der Stromverbrauch von 84,2 PJ auf 94 PJ (+ 12 %). Auch die Nutzung der erneuerbaren Energien im Industriesektor nimmt seit 2005 kontinuierlich zu. Der Anteil erneuerbarer Energieträger am Endenergieverbrauch hat sich seit 2005 fast verdoppelt. Allerdings hatten die erneuerbaren Energieträger mit einem Anteil von knapp 8 % im Jahr 2019 eine noch vergleichsweise geringe Bedeutung am Energiemix der Industrie.

Zementindustrie verursacht ein Drittel der Industrieemissionen

Die Emissionsrelevanz der Branchen ist sehr unterschiedlich. Der Großteil der energiebedingten CO2-Emissionen der Industrie (Quellenbilanz, ohne Strombezug) im Jahr 2019 stammte aus dem Bereich »Herstellung, Verarbeitung von Glas, Keramik, keramische Baumaterialien« mit hohem Anteil der Kalk- und Zementindustrie. Auf diese Produktionsbereiche sind fast 26 % des gesamten CO2-Ausstoßes der Industrie zurückzuführen (Schaubild 4). Berücksichtigt man neben den energiebedingten Emissionen auch die prozessbedingten CO2-Emissionen der Zementindustrie, verursacht diese Branche mit 29 % die mit Abstand höchsten CO2-Emissionen der Industrie. Auf Platz 2 der größten CO2-Verursacher der Industrie kommt die Papierindustrie mit einem Anteil von 14 %, gefolgt vom Sektor »Ernährung, Futtermittel und Tabak« mit 10 %. Der Fahrzeugbau verursachte 2019 8,5 % der gesamten energiebedingten CO2-Emissionen der Industrie. Dabei liegt dieser Sektor mit einem Umsatzanteil am Verarbeitenden Gewerbe von fast 30 % an der Spitze. Auf Platz 2 der umsatzstärksten Branchen landet der Maschinenbau mit einem Umsatzanteil von 22 %. 2019 stammten aus dieser Branche nur 7,3 % der gesamten energiebedingten CO2-Emissionen der Industrie. Das erklärt sich mit dem unterschiedlichen Energiemix der jeweiligen Branchen. Im Maschinenbau und Fahrzeugbau werden in der Produktion vor allem Strom und Erdgas verbraucht. In der Papierindustrie sowie bei der Herstellung von Glas, Keramik und keramischen Baumaterialien wird noch eine relevante Menge an emissionsintensiver Kohle eingesetzt. Zum Vergleich: Erdgas weist mit 56 t CO2 je Terajoule (CO2/TJ) nur knapp zwei Drittel der spezifischen Emissionen von Steinkohle (93 t CO2/TJ) und knapp die Hälfte von Braunkohle (107 t CO2/TJ) auf.

Papiergewerbe, Textilindustrie sowie der Fahrzeugbau haben seit 2005 durch umgesetzte Effizienzmaßnahmen sowie durch Wechsel zu emissionsärmeren Brennstoffen erkennbare Emissionsminderungen erreicht (Tabelle 2). Dagegen war in der Branche »Metallerzeugung und -bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen« ein Anstieg von 5 % zu verzeichnen.

Fazit

Der Industriestandort Baden-Württemberg ist einer der führenden in Europa. Über ein Drittel der Bruttowertschöpfung des Landes entfällt auf den Industriesektor. Die Industrie sorgt für über 1,3 Mill. Arbeitsplätze. Gleichzeitig sind 20 % des Endenergieverbrauchs und 14 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen in Baden-Württemberg der Industrie zuzuschreiben. Das novellierte Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg sieht vor, dass Baden-Württemberg bis 2040 Klimaneutralität erreicht – statt wie zuvor geplant bis 2050. Nun steht die Industrie vor historischen Transformationsaufgaben.

Im Vergleich zu anderen Sektoren hat der Industriesektor seit 1990 mit Abstand die größten Minderungen erzielt, wenngleich sich diese positive Entwicklung seit 2005 verlangsamt hat. Trotz der deutlichen Minderung wurden die im IEKK definierten sektoralen Zwischenziele für 2020 verfehlt. Fast 42 % des Energiebedarfs wird immer noch mit fossilen Brennstoffen gedeckt. Der Beitrag der erneuerbaren Energien zum Endenergieverbrauch der Industrie ist mit derzeit knapp 8 % noch gering. Eine besondere Herausforderung für die klimaneutrale Industrie besteht vor allem in der Reduktion von prozessbedingten CO2-Emissionen. Das betrifft insbesondere die Kalk- und Zementindustrie. Fast 35 % der Industrieemissionen sind aktuell prozessbedingt. Und diese lassen sich aus chemisch-physikalischen Gründen nur sehr schwer vermeiden.

Die klimaneutrale Gestaltung der Industrie in Baden-Württemberg erfordert vor allem große Mengen an grünem Strom für den weiteren Ausbau der Elektrifizierung in den Produktionsprozessen, CO2-neutrale Brennstoffe und innovative Lösungen für die Umstellung auf eine klimaneutrale Zement- und Kalkproduktion. Und das alles bei einem knappen Zeitbudget. Diese ehrgeizigen Transformationsprozesse müssen spätestens in 19 Jahren umgesetzt werden.

1 Der Sektor Industrie umfasst die Emissionen im Verarbeitenden Gewerbe und im Bereich »Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden«. Emissionen aus Energiegewinnungs- und Umwandlungsbereichen wie zum Beispiel aus Industriekraftwerken oder Raffinerien werden in diesem Beitrag nicht betrachtet.

2 Die Ergebnisse für 2020 stellen eine erste frühe Abschätzung der Treibhausgasentwicklung in Baden-Württemberg dar und weisen eine geringere Genauigkeit als die Ergebnisse des Vorjahres auf. Die detaillierten vorläufigen Daten zu den Treibhausgasemissionen 2020 werden im Frühjahr 2022 veröffentlicht.

3 GdW Information 161, die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland 2020/2021, Januar 2021.