:: 2/2022

Forschung und Entwicklung in Baden-Württemberg – Teil 2

Der Staatssektor – öffentliche, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen

Vor dem Hintergrund eines sich weiter verschärfenden internationalen Wettbewerbs gewinnt die Entwicklung neuer Schlüsseltechnologien zunehmend an Bedeutung. Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den öffentlichen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Staatssektor) leisten hier einen wichtigen Beitrag. Sie schlagen die Brücke zwischen Grundlagenforschung und angewandter industrienaher Forschung und Entwicklung (FuE) und ermöglichen damit den wichtigen Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Insgesamt decken die Forschungseinrichtungen des Staatssektors das gesamte Spektrum von Grundlagenforschung bis hin zur gesellschaftsrelevanten und industrienahen bzw. anwendungsorientierten Forschung ab. Wie hoch sind diese FuE-Ressourcen in Baden-Württemberg und wie haben sich diese in den vergangenen Jahren entwickelt? In welchem Umfang wird im Staatssektor in den Bundesländern geforscht? Der vorliegende Beitrag gibt hierzu einen Überblick.

Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (i-Punkt: »Investitionen in Forschung und Entwicklung«) werden sowohl von privatwirtschaftlichen als auch von öffentlichen Stellen durchgeführt und finanziert. Für die statistische Erhebung wird die Forschungslandschaft in die drei Sektoren Wirtschaft, Staat und Hochschulen gegliedert. Zum Staatssektor werden alle öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen für Wissenschaft, Forschung und Technik außerhalb der Hochschulen, einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck, gezählt. Beispiele für Einrichtungen des Staatssektors sind unter anderem die vier großen Forschungsorganisationen Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. Diese werden gemeinsam von Bund und Ländern nach unterschiedlichen Schlüsseln finanziert. Außerdem umfasst der Staatssektor die sogenannten Bundes- und Landesforschungseinrichtungen.1

Nordrhein-Westfalen stellt die höchsten FuE-Ressourcen im Staatssektor

Die Investitionen in Forschung und Entwicklung im Staatssektor in Baden-Württemberg stiegen im Jahr 2019 im Vergleich zum Jahr 20172 um 9 % und lagen bei rund 2,2 Milliarden (Mrd.) Euro. Von den 15 Mrd. Euro, die 2019 für FuE im Staatssektor in Deutschland ausgegeben wurden, entfielen damit beachtliche 15 % allein auf Institutionen mit Sitz in Baden-Württemberg (Tabelle). Damit wurden die FuE-Kapazitäten des Landes in diesem Sektor nur von Nordrhein-Westfalen übertroffen. Hier wurden 2019 bundesweit die höchsten FuE-Ressourcen (FuE-Ausgaben: 2,4 Mrd. Euro, FuE-Personal: 19 200 Vollzeitäquivalente (VZÄ)) im Staatssektor eingesetzt. Der Anteil der FuE-Ressourcen an den gesamten FuE-Ressourcen in Deutschland lag hier bei 16 %. An dritter und vierter Stelle, mit den bundesweit höchsten FuE-Ressourcen im Staatssektor und einem ebenfalls 2-stelligen Prozentsatz, folgten 2019 die Bundesländer Bayern und Berlin (knapp 14 % bzw. 12 %).

FuE-Ressourcen entwickelten sich im Südwesten unterdurchschnittlich

Die FuE-Kapazitäten befinden sich im Südwesten auf einem hohen Niveau, beim Forschungspersonal im Staatssektor zeigt sich jedoch sowohl im kurzfristigen wie auch längerfristigen Bundesvergleich eine nur unterdurchschnittliche Ausweitung der FuE-Ressourcen. Während deutschlandweit im Jahr 2019 gegenüber 2017 gut 6 % mehr Personal mit FuE-Aufgaben beschäftigt waren, wurde dieser Zuwachs im Südwesten um rund 1 Prozentpunkt unterschritten. Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin haben im Staatssektor trotz bereits hoher Kapazität ihr FuE-Personal absolut betrachtet am stärksten und auch weit überdurchschnittlich ausgebaut. Auch in Sachsen, das unter den neuen Bundesländern die höchsten FuE-Ressourcen stellt, wurden die FuE-Ressourcen im Bundesländervergleich überdurchschnittlich ausgebaut. Die Zahl der mit FuE-Aufgaben betrauten Personen ist inzwischen fast halb so groß wie in Baden-Württemberg.

Wird die Entwicklung der FuE-Ressourcen im Staatssektor über die vergangene Dekade von 2009 bis 2019 betrachtet, fand auch in diesem Zeitraum in Baden-Württemberg nur ein unterdurchschnittlicher Zuwachs statt (Schaubild 1). Während beispielsweise die Zahl des FuE-Personals hierzulande von 2009 bis 2019 um 26 % aufgestockt wurde, belief sich der Zuwachs im Bund auf durchschnittlich 30 %. In Nordrhein-Westfalen fand, bezogen auf das FuE-Personal eine im Bundesvergleich ebenfalls leicht unterdurchschnittliche Entwicklung statt. Dagegen wurde in Bayern der staatliche FuE-Personaleinsatz mit einem Plus von 31 % leicht überdurchschnittlich ausgeweitet. Hier wurde im betrachteten Zeitraum das FuE-Personal auch absolut am höchsten, und zwar um gut 3 600 Personen, ausgebaut (Baden-Württemberg: knapp 3 600). In den neuen Bundesländern nahm nur in Sachsen das FuE-Personal im Staatssektor seit 2009 überdurchschnittlich zu. 2019 waren hier fast 8 500 VZÄ mit FuE-Aufgaben betraut, rund 2 400 VZÄ mehr als noch in 2009 (+ 39 %).

FuE-Intensität: Sachsen belegt Spitzenplatz unter den Flächenländern

Die absolute Höhe oder der Anteil der FuE-Ressourcen bezogen auf die gesamten FuE-Ressourcen eines Landes ist für einen Vergleich von Ländern und Regionen unterschiedlicher Größe oder Wirtschaftskraft nur bedingt geeignet. Aus diesem Grund werden für einen nationalen und internationalen Vergleich die FuE-Ausgaben zum Bruttoinlandsprodukt in Bezug gesetzt und so eine international anerkannte Kennzahl, die sogenannte FuE-Intensität3, ermittelt.

Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt beliefen sich die FuE-Ausgaben des Staatssektors in Baden-Württemberg mit rund 0,4 % knapp unter dem durchschnittlichen Bundesniveau. Im Vergleich mit den Bundesländern belegte Baden-Württemberg bei dieser Kennzahl 2019 einen Platz im Mittelfeld (Schaubild 2). Vor Baden-Württemberg befinden sich neben den Stadtstaaten Berlin und Bremen alle neuen Bundesländer und das Saarland. Den Spitzenplatz belegt Bremen knapp vor Berlin (1,2 %). Aufgrund der häufigen Ansiedlung der FuE-Einrichtungen des Staatssektors in Ballungs­räumen sind die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg bei dieser Kennzahl mit den Flächenländern jedoch nur eingeschränkt vergleichbar. Von den Flächenländern nahm 2019 Sachsen mit einer im Staatssektor beachtlichen FuE-Intensität von rund 0,8 % den Spitzenplatz unter den Flächenländern ein.

In der vergangenen Dekade hat sich diese Kennzahl in den meisten Bundesländern kaum bzw. nur um 0,1 Prozentpunkte verändert. Eine Ausnahme bildet hier Bremen. Gegenüber 2009 ist diese Kenngröße in Bremen um rund 0,3 Prozentpunkte gestiegen. Kein anderes Bundesland weist im Staatssektor eine derart positive Entwicklung auf. Diese hat dazu geführt, dass Bremen im Jahr 2019 Berlin vom Spitzenplatz im Staatsektor verdrängt hat. Im Gegensatz zur dynamischen Entwicklung in Bremen war in Baden-Württemberg im Zeitraum 2009 bis 2019 sogar ein leichter Rückgang der FuE-Intensität festzustellen.

Forschungseinrichtungen des Staatssektors im Blick

Die Forschungsinfrastruktur des Staatssektors in Baden-Württemberg bietet ein breites Spektrum an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Mit zwei der insgesamt 18 in Deutschland ansässigen Großforschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft ist gut ein Fünftel, bezogen auf das FuE-Personal, dieser herausragenden Forschungskapazität in Baden-Württemberg konzentriert.4 Von den bundesweit 75 Instituten und Einrichtungen5 der Fraunhofer-Gesellschaft befinden sich 13 Institute und damit ebenfalls ein Fünftel des FuE-Personals im Südwesten.6 Ferner haben zwölf der 86 in Deutschland ansässigen Max-Planck-Institute7 ihren Hauptsitz in Baden-Württemberg, dies sind 15 % des bundesweiten FuE-Personals dieser Einrichtung. Die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. ist dagegen in Baden-Württemberg zahlenmäßig relativ gering vertreten. Von den derzeit 96 Instituten8 und Serviceeinrichtungen haben nur sieben ihren Sitz in Baden-Württemberg, damit sind rund 5 % des bundesweiten FuE-Personals dieser Forschungseinrichtung im Südwesten aktiv.

Von den 2019 insgesamt rund 17 200 in Baden-Württemberg im Staatssektor mit FuE-Aufgaben betrauten Personen waren allein rund 41 % in den beiden Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) in Heidelberg und Karlsruhe tätig. Ebenfalls ein bedeutender Anteil des Forschungspersonals war im Jahr 2019 in den Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) beschäftigt (24 % bzw. 14 %). Ein deutlich geringer Anteil von 4 % war hierzulande in der Leibniz-Gemeinschaft tätig (Schaubild 3). Insgesamt waren somit 82 % des FuE-Personals im Staatssektor in diesen vier großen Forschungsorganisationen beschäftigt. Zum Vergleich: Fast 112 600 Personen, gemessen in VZÄ, waren 2019 in Deutschland insgesamt im Staatssektor in Forschung und Entwicklung beschäftigt und davon insgesamt 73 % in den vier großen Forschungsorganisationen HGF (30 %), MPG (14 %), Fraunhofer (17 %) und Leibniz (12 %).

Bezogen auf die gemeinsam vom Bund und den Ländern geförderten vier großen Forschungseinrichtungen ist Baden-Württemberg damit stärker auf die Grundlagenforschung ausgerichtet als der Bundesdurchschnitt. Während die Institute der Max-Planck-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft ihre FuE-Aktivitäten überwiegend auf die Grundlagenforschung konzentrieren, sind die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und die der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. primär in der anwendungsorientierten Forschung und im Technologietransfer tätig.9

Naturwissenschaftliche Forschung im Staatssektor führend

Im Staatssektor dominiert die naturwissenschaftliche Forschung. Fast 45 % des FuE-Personals im Südwesten war 2019 in diesem Wissenschaftszweig und knapp ein Drittel (32 %) im ingenieurwissenschaftlichen Bereich tätig. Die verbleibenden Anteile des gesamten FuE-Personals im Staatssektor entfielen 2019 mit 4 % bzw. 9 % auf die Geistes- und Sozialwissenschaften, knapp 6 % auf die Humanmedizin und 4 % auf die agrarwissenschaftliche Forschung. Im Bundesdurchschnitt lag der Schwerpunkt bei den FuE-Ressourcen ebenfalls bei den Naturwissenschaften, mit einem Anteil von gut 45 % war dieser 2019 etwas höher als in Baden-Württemberg. Jedoch nur gut ein Viertel des FuE-Personals (27 %) entfiel im Bundesdurchschnitt auf die Ingenieurswissenschaften. Hingegen war der bundesdurchschnittliche Anteil des FuE-Personals bei den Geistes- (7 %) sowie Agrarwissenschaften (6 %) höher als in Baden-Württemberg (Schaubild 4).

Fazit und Ausblick

Baden-Württemberg nimmt im Bundesländervergleich bei der Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung im Staatssektor einen Platz im Spitzenfeld ein. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ergibt sich jedoch nur eine FuE-Intensität von 0,4 %. Bei dieser international anerkannten Kennzahl befindet sich Baden-Württemberg im Bundesländervergleich damit nur im Mittelfeld. Den Spitzenplatz im Staatssektor bei den Flächenländern belegt Sachsen mit einer beachtlichen FuE-Intensität von gut 0,8 %.

In Baden-Württemberg war die FuE-Dynamik im Staatssektor, bezogen auf die FuE-Intensität und das FuE-Personal, in den vergangenen 10 Jahren im Bundesländervergleich unterdurchschnittlich, jedoch muss bei der Analyse das in absoluten Zahlen sehr hohe Investitionsniveau im Staatssektor in Baden-Württemberg bedacht werden. Generell würde die Stärkung und Ansiedlung neuer innovativer öffentlicher Forschungseinrichtungen sowie der Ausbau bestehender außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Baden-Württemberg die Grundlagenforschung im Südwesten weiter vorantreiben und durch einen nachfolgenden Wissens- und Technologietransfer auch der Wirtschaft im Lande zugutekommen.

Im dritten Teil dieser Veröffentlichungsreihe wird mit dem Hochschulsektor ebenfalls der öffentliche Bereich im Fokus stehen. Die Hochschulen bilden mit der Grundlagenforschung sowie der Ausbildung des wis­senschaftlichen Nachwuchses zusammen mit dem Staatssektor das Fundament des Forschungssystems.

1 https://www.bundesbericht-forschung-innovation.de/files/BMBF_BuFI-2020_Hauptband.pdf (Abruf: 01.12.2021).

2 Wie im Beitrag Teil 1 wird auch hier im Teil 2 ein 2-Jahres- und 10-Jahresvergleich durchgeführt.

3 Die FuE-Personalintensität ist eine weitere wichtige Kenngröße zur Beurteilung der FuE-Aktivitäten. Hier werden das FuE-Personal gemessen in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) bezogen auf die Erwerbstätigen (ET) in VZÄ insgesamt bezogen. Für die Erwerbstätigen in VZÄ liegen keine bundesdeutschen Ergebnisse und keine Ergebnisse für Thüringen vor, daher wird die Analyse in diesem Kurzbeitrag auf die FuE-Ausgabenintensität (kurz FuE-Intensität) begrenzt.

4 https://www.helmholtz.de/ueber-uns/die-gemeinschaft/ (Abruf: 01.12.2021).

5 https://www.fraunhofer.de/de/ueber-fraunhofer/profil-struktur.html (Abruf: 01.12.2021).

6 FuE-Personal nachfolgend jeweils gemessen in Vollzeitäquivalenten.

7 https://www.mpg.de/institute?tab=institutes (Abruf: 01.12.2021).

8 https://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute/leibniz-institute-alle-listen (Abruf: 01.12.2021).

9 Eine detaillierte Beschreibung der Forschungsschwerpunkte der FuE-Einrichtungen des Staatssektors befindet sich im Bundesbericht Forschung und Innovation 2020, https://www.bundesbericht-forschung-innovation.de/files/BMBF_BuFI-2020_Hauptband.pdf (Abruf: 01.12.2021), S. 75 ff.