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70 Jahre demografische Entwicklung in Baden-Württemberg

Vom »Babyboom« zu den Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft

Rund 6,7 Millionen (Mill.) Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger, die im Durchschnitt knapp 35 Jahre alt waren und von denen nicht einmal jeder Hundertste eine ausländische Staatsangehörigkeit besaß. Frauen, die im Durchschnitt noch 2,1 Kinder zur Welt brachten, von denen nur jedes elfte nicht ehelich geboren wurde. Eine Lebenserwartung, die bei den Frauen lediglich 69 Jahre und bei den Männern sogar nur 65 Jahre betrug; und schließlich: Fast elfmal so viele Eheschließungen im Vergleich zur Zahl der Scheidungen!

Das sind einige demografische Kennzahlen der Bevölkerung Baden-Württembergs im Jahr 1952. Damals wurde das neue Bundesland aus den von den Besatzungsmächten gebildeten Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gegründet.1 Seither haben sich diese demografischen Indikatoren grundlegend geändert: Wir sind mehr und – was die Nationalitäten angeht – »bunter« geworden, die Kinderzahl je Frau ist deutlich zurückgegangen, während die Lebenserwartung enorm angestiegen ist. Die Scheidungshäufigkeit hat sich ebenfalls erheblich erhöht, ebenso wie das Durchschnittsalter der Bevölkerung – und dies trotz einer zeitweise starken Zuwanderung von vor allem jungen Menschen in den Südwesten. Im Folgenden sollen weitere, ausgewählte Aspekte der demografischen Entwicklung Baden-Württembergs vorgestellt werden.

Baden-Württemberg war und ist für Menschen aus anderen Teilen Deutschlands, Europas und der übrigen Welt attraktiv. Anders ist es nicht zu erklären, dass seit Bestehen des Landes per saldo etwa 3,1 Mill. Menschen zugezogen sind. Damit entfielen mehr als zwei Drittel des Einwohnerzuwachses in den vergangenen 7 Jahrzehnten auf Wanderungsgewinne gegenüber dem übrigen Bundesgebiet beziehungsweise dem Ausland. Geburtenüberschüsse trugen dagegen nur zu einem knappen Drittel zum Bevölkerungsanstieg von etwa 6,1 Mill. auf derzeit 11,1 Mill. Einwohner bei. Die Motive für einen Zuzug waren und sind – wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden – vielschichtig und haben sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert.

Der Flüchtlingszustrom prägte das Bild bis in die 1950er-Jahre …

Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten Millionen Menschen in das vom Krieg zerstörte Deutschland. Annähernd 900 000 Flüchtlinge und Vertriebene sind zwischen 1945 und 1950 in das Gebiet des späteren Landes Baden-Württemberg gekommen. Deren Zahl erhöhte sich bis 1961 vor allem durch den Zuzug von Vertriebenen aus der sowjetischen Besatzungszone und durch Umsiedlungen innerhalb Deutschlands auf 1,2 Mill.2 Der Bevölkerungsanteil der Vertriebenen in Baden-Württemberg stieg damit auf immerhin 16 %.3

… und die »Gastarbeiter« in den 1960er-Jahren

Nicht nur Vertriebene, sondern auch Kriegsgefangene kehrten noch bis Mitte der 1950er-Jahre nach Baden-Württemberg und in andere Bundesländer zurück. Zu dieser Zeit war das sogenannte »Wirtschaftswunder« bereits in vollem Gange. Als Folge dieser ungemein dynamischen Wirtschaftsentwicklung zeichnete sich ein allgemeiner Arbeitskräftemangel ab, der zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte führte. Zunächst wanderten »Gastarbeiter« aus Italien zu, ab den 1960er-Jahren vor allem auch aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Spanien, Portugal und der Türkei. Von 1958 bis 1973 sind per saldo etwa 830 000 Ausländerinnen und Ausländer aus dem Ausland nach Baden-Württemberg zugezogen.4 Aufgrund der durch die »Ölkrise« im Jahr 1973 ausgelösten Rezession wurde aber die Anwerbung gestoppt, der Südwesten verzeichnete deshalb in den Folgejahren deutliche Wanderungsverluste (Schaubild 1).

Bürgerkriegsflüchtlinge, Aussiedler und Asylbewerber sowie Zuzüge aus den neuen Ländern

Von Mitte der 1970er- bis Ende der 1980er-Jahre war die Migration – bedingt durch wirtschaftliche Einbrüche und der temporären bundesweiten Förderung von Rückwanderungen – sehr wechselhaft. Dieser Periode schloss sich eine erneute Phase starker Zuwanderungen aus dem Ausland an. Deutschstämmige Spätaussiedler, zunächst vor allem aus Rumänien und Polen, später insbesondere aus der früheren Sowjetunion, strömten verstärkt in den Südwesten. Hinzu kamen steigende Asylbewerberzahlen – sogar von einer »Asylantenflut« war die Rede5 – und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem auseinanderfallenden Jugoslawien. Allein zwischen 1989 und 1992 sind so per saldo rund eine halbe Mill. Menschen aus dem Ausland nach Baden-Württemberg zugezogen.

Die Zeit zwischen dem Ende der 1980er- bis zur Mitte der 1990er-Jahre war aber auch durch den enormen Zuzug aus den neuen Bundesländern nach dem »Mauerfall« geprägt. Allein von 1990 bis 1992 sind per saldo rund 90 000 Personen aus den neuen Ländern nach Baden-Württemberg gezogen.6

Während die Zuwanderung von Mitte der 1990er-Jahre bis 2010 in deutlich ruhigeren Bahnen verlief, waren die Folgejahre durch einen starken Anstieg der Migration vor allem aus EU-Staaten bestimmt. Insbesondere aus Polen, Ungarn und Rumänien zogen wesentlich mehr Menschen in den Südwesten als in den Jahren zuvor, weil damals Staatsangehörigen aus diesen Staaten die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeräumt wurde.7

Schutzsuchende prägten 2015 und 2016 das Migrationsgeschehen

Ab dem Sommer 2015 waren immer mehr Migrantinnen und Migranten auf dem Weg nach Zentraleuropa. Neben Menschen aus Mazedonien, Albanien, dem Kosovo und Montenegro nutzten vor allem auch zunehmend Personen aus Syrien, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, die sogenannte »Balkanroute«.8 Schutzsuchende bestimmten damit vor allem in den Jahren 2015 und 2016 das Migrationsgeschehen auch in Baden-Württemberg. Die Wanderungsbilanz des Landes wies insbesondere deshalb im Jahr 2015 ein Plus von annähernd 171 000 Personen auf. Der Wanderungsgewinn war damit seit Bestehen des Landes nur im Jahr der Wiedervereinigung höher, als per saldo 182 000 Personen zuzogen, darunter auch viele Menschen aus den neuen Bundesländern.

In den Folgejahren gingen die Wanderungsgewinne Baden-Württembergs deutlich zurück. Ursächlich hierfür waren vor allem rückläufige Zuzüge insbesondere aus bzw. eine verstärkte Rückwanderung in Flüchtlingsstaaten, aber auch steigende Wanderungsverluste gegenüber dem übrigen Bundesgebiet.9 Corona hat diesen Rückgang der Wanderungsgewinne aufgrund der eingeschränkten Freizügigkeit weiter verstärkt. Im Jahr 2020 lag der Wanderungssaldo des Landes nur noch bei knapp + 14 000 Personen, nach ersten Ergebnissen könnte der Saldo im Jahr 2021 bei etwa + 30 000 gelegen haben.

Fast alle Nationalitäten sind im Land vertreten

Die zeitweise starke Zuwanderung hat dazu geführt, dass heute rund 1,8 Mill. ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Baden-Württemberg leben10 und damit so viele wie noch nie seit Bestehen des Landes. Damit hat jede sechste Person im Südwesten eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die türkische Bevölkerung bildet hierbei bereits seit 1978 die stärkste ausländische Bevölkerungsgruppe; es folgen Personen mit einer italienischen, rumänischen, kroatischen oder polnischen Staatsangehörigkeit11 (Schaubild 2).

Fast alle Nationalitäten sind im Land vertreten. Von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen12 haben derzeit lediglich Staatsangehörige aus den südamerikanischen Staaten Guyana und Suriname, aus dem südostasiatischen Timor-Leste (Osttimor) sowie von den pazifischen Inselstaaten Kiribati, Nauru, Palau, Tuvalu und den Föderierten Staaten von Mikronesien keinen Wohnsitz in Baden-Württemberg.

Die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind in den letzten Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der baden-württembergischen Gesellschaft geworden. Sie haben das Land bereichert und zwar nicht nur mit ihrer Arbeitskraft, sondern auch kulturell. Viele haben hier eine zweite Heimat gefunden – mehr als 280 000 Personen in Baden-Württemberg mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit leben bereits seit über 40 Jahren in Deutschland; im Durchschnitt sind es immerhin knapp 18 Jahre. Viele Kinder von »Gastarbeitern« sind hier aufgewachsen und des »Fränkischen« oder »Alemannischen« mächtiger als der Sprache ihrer Eltern.13 Ein Beispiel hierfür ist der in Mannheim geborene türkischstämmige Kabarettist Bülent Ceylan mit seinem kurpfälzischen Dialekt.

Vom Babyboom zum »Pillenknick«

»2009 niedrigste Zahl an Geborenen seit 1952«. So lautete im Jahr 2010 eine Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes. Nur noch knapp 90 000 Kinder wurden damals geboren.14 1952 waren es – bei einer wesentlich geringeren Einwohnerzahl – noch 109 000, und im Jahr 1964, dem Jahr mit der höchsten Geborenenzahl seit Bestehen des Landes, gab es sogar 161 000 Babys.

Die Geburtenzahl ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter und der Geburtenrate, also der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau. Im Gründungsjahr des Landes lag die Geburtenrate noch bei 2,1 Kindern je Frau – also genau bei dem Wert, der für eine konstante Bevölkerungszahl ohne Zuwanderung erforderlich ist.15 Bis Mitte der 1960er-Jahre ist die Kinderzahl je Frau dann sogar auf 2,6 angestiegen. In Kombination mit der gleichzeitig hohen Zahl an Frauen im gebärfähigen Alter hatte dies 1964 – wie bereits erwähnt – zur höchsten Geborenenzahl im Land geführt.

Ende der 1960er-Jahre kam es dann aber zum sogenannten »Pillenknick«16: Innerhalb eines Jahrzehnts ging die Geburtenrate drastisch zurück und lag fast 4 Jahrzehnte lang nur noch bei etwa 1,4 Kindern je Frau, um dann zwischen den Jahren 2014 und 2016 erneut anzusteigen (Schaubild 3). Ursächlich für diesen (zwischenzeitlichen) Anstieg war zum einen die Zuwanderung auch von Frauen aus Staaten mit einer deutlich höheren Geburtenhäufigkeit. Zum anderen dürfte hierfür auch die deutlich verbesserte Kinderbetreuung im Land eine Rolle gespielt haben17, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert hat.

Schließlich könnten für den positiven Trend auch die hervorragenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem Höchststand an Erwerbstätigen und einer relativ geringen Arbeitslosenquote einen positiven Einfluss gehabt haben. Erfahrungsgemäß liegt nämlich die Geburtenhäufigkeit bei guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen etwas höher als in unsicheren Zeiten. Dagegen verzichten Paare in gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchsituationen auf die Geburt von Kindern.18

Etwa seit dem Jahr 2016 verharrt die Geburtenhäufigkeit auf dem erreichten Niveau von knapp 1,6 Kindern je Frau. Auch im Jahr 2020 lag sie nur unwesentlich niedriger als in den Vorjahren, wobei ein möglicher »Pandemieeffekt« aufgrund der 9 Monate dauernden Schwangerschaft auch nicht zu erwarten war. Vorläufige Ergebnisse für das Jahr 2021 deuten zumindest nicht auf einen Rückgang der Geburtenrate hin.

Bundesweit höchste Lebenserwartung

Seit der Gründung des Landes hat die Lebenserwartung der Bevölkerung stetig zugenommen. Sie liegt heute für neugeborene Mädchen bei gut 84 Jahren, die eines neugeborenen Jungen beträgt annähernd 80 Jahre (Schaubild 4). Zu Beginn der 1950er-Jahre lagen die Werte bei knapp 69 Jahren für die Frauen und sogar nur bei 65 Jahren für die Männer – also rund 15 Jahre weniger als heute! Bundesweit hat damit die Bevölkerung im Südwesten seit Jahrzehnten die höchste Lebenserwartung. Allerdings hat sich der Anstieg der Lebenserwartung – und zwar bereits vor Corona – in den vergangenen Jahren verlangsamt. Ob diese Abschwächung durch die Pandemie zusätzlich und anhaltend verstärkt wird, ist derzeit noch offen.

Die Sterblichkeit ist in den vergangenen Jahrzehnten in allen Altersgruppen zurückgegangen. Besonders stark war der Rückgang im Säuglingsalter: Heute sterben 3 von 1 000 Neugeborenen im 1. Lebensjahr, 1952 – dem Gründungsjahr des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg – lag die Säuglingssterblichkeit dagegen noch bei 44 Fällen je 1 000 Lebendgeborene.19

Die Gründe für die seit Jahrzehnten steigende Lebenserwartung sind vielfältig. Neben der bereits genannten stark gesunkenen Säuglings- und Kindersterblichkeit hat die Sterblichkeit auch im höheren Alter vor allem aufgrund der verbesserten gesundheitlichen Vorsorge und der medizinischen Versorgungssituation beträchtlich abgenommen.

Frauen leben im Schnitt deutlich länger als Männer

Frauen in Baden-Württemberg haben derzeit im Schnitt eine um 4,3 Jahre höhere Lebenserwartung als Männer. Diese höhere Lebenserwartung ist wohl nur zu einem kleineren Teil biologisch bedingt.20 Ganz überwiegend dürfte sie auf unterschiedliche Verhaltensweisen zurückzuführen sein: Frauen ernähren sich im Schnitt gesünder, sie setzen sich im Alltag weniger Gefahren aus, verüben deutlich seltener Suizid und nehmen häufiger Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen in Anspruch.

Allerdings hat sich der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern in den letzten Jahrzehnten etwas reduziert. So lebten Frauen Anfang der 1970er-Jahre im Schnitt nicht »nur« gut 4 Jahre, sondern sogar 6 Jahre länger als Männer. Zu vermuten ist, dass diese Verringerung auf eine Angleichung der Lebensstile zurückzuführen ist. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen, außerdem hat ihr Tabak- und Alkoholkonsum zumindest vorübergehend zugenommen.

Der Südwesten wird »männlicher«

Dass sich der der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern in den letzten Jahrzehnten verringert hat, ist einer der Gründe dafür, dass der Anteil der männlichen Bevölkerung im Südwesten in den vergangenen Jahrzehnten stetig angestiegen ist. Während dieser noch im Jahr 1950 nur bei 46 % lag, waren es 1970 bereits gut 48 %. Heute zählen immerhin knapp 50 % der baden-württembergischen Bevölkerung zum männlichen Geschlecht.

Ein weiterer Grund für die Angleichung der Geschlechterproportion war, dass der Einfluss kriegsbedingter Übersterblichkeit in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zurückgegangen ist.21 Dagegen ist dieser Trend nicht auf die langfristige Zuwanderung zurückzuführen. In den vergangenen Jahrzehnten sind nämlich in etwa gleich viele Frauen und Männer aus dem Ausland oder aus dem übrigen Bundesgebiet in den Südwesten gezogen.

Enormer Bedeutungsverlust der Ehe

Heiraten war in den 1950er-Jahren »in«. Im Gründungsjahr des Landes wurden noch fast elfmal so viele Ehen geschlossen wie geschieden – heute liegt die Zahl der Eheschließungen nur noch knapp dreimal so hoch – und dies, obwohl seit dem 1. Oktober 2017 auch gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe eingehen oder ihre zuvor geschlossene Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln lassen können. Auch wenn dieser Vergleich die zurückgehende Attraktivität der Ehe aufgrund unterschiedlicher Geburtsjahrgangsstärken überzeichnet – die »Institution Ehe« hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zweifelsfrei an Bedeutung verloren. Waren beispielsweise im Jahr 1970 noch mehr als 80 % der 50-jährigen Männer und sogar über 90 % der 50-jährigen Frauen nicht mehr ledig, so gilt dies derzeit nur noch für etwas mehr als der Hälfte der Männer und rund 60 % der Frauen.

Vor dem Hintergrund, dass die »Institution Ehe« im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an Bedeutung verloren hat, ist es aber beachtlich, dass sich dieser Trend zumindest bei der deutschen Bevölkerung in den vergangenen Jahren nicht mehr fortgesetzt hat.22

Nicht nur die »Heiratsneigung« der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger hat langfristig abgenommen; vielmehr sind die Ehen im Laufe der Jahre auch deutlich instabiler geworden: Von den Paaren, die 1960 geheiratet haben, haben sich nur rund 15 % scheiden lassen. Für den Heiratsjahrgang 1970 traf dieses Schicksal auf jedes vierte Ehepaar zu und für den Jahrgang 1980 bereits auf jede dritte Ehe. Bei den Paaren, die 1995 den Bund der Ehe eingingen, könnte die Scheidungshäufigkeit sogar bei knapp 40 % liegen (Schaubild 5). Damit hat sich die Scheidungshäufigkeit jüngerer Heiratsjahrgänge im Vergleich zu den in den 1960er-Jahren geschlossenen Ehen mehr als verdoppelt.

Erfreulich ist, dass die Ehen jüngerer Heiratsjahrgänge im Südwesten wieder etwas stabiler geworden sind. So wurden beispielsweise von den im Jahr 2005 geschlossenen Ehen bislang »nur« 25 % geschieden – für die Heiratsjahrgänge 1995 und 2000 lag der entsprechende Anteil nach den ersten 15 Ehejahren dagegen bereits bei jeweils 27 %.

Immer mehr alte Menschen

Eine seit Jahrzehnten deutlich zu geringe Geburtenhäufigkeit und eine enorm gestiegene Lebenserwartung – das sind die Hauptgründe für die stetige Alterung der baden-württembergischen Bevölkerung. Parallel hierzu hat das Land zwar von einer zeitweise erstaunlich hohen Zuwanderung insbesondere von jüngeren Menschen profitiert – doch auch diese konnte die Alterung der Bevölkerung lediglich abmildern, nicht aber stoppen.

1952 lebten im Südwesten knapp 2,1 Mill. Einwohnerinnen und Einwohner, die unter 20 Jahre alt waren; damit zählte damals immerhin fast ein Drittel der Bevölkerung zu dieser Altersgruppe. 60-Jährige und Ältere gab es dagegen erst etwas mehr als 900 000 und damit nicht einmal halb so viele wie junge Menschen. Und auch noch 1980 lag der Anteil der Jüngeren um rund die Hälfte höher als der der Älteren (Schaubild 6). Im Laufe der folgenden Jahrzehnte hat sich dieses Verhältnis allerdings immer stärker zugunsten der Älteren verschoben. Im Jahr 2000 war es erstmals so, dass es geringfügig mehr Menschen im Alter von 60 und mehr Jahren als unter 20-Jährige gab. Aktuell liegen die Zahl und der Anteil der Älteren um mehr als 40 % über denen der Jüngeren.

Besonders deutlich wird der Alterungsprozess der baden-württembergischen Bevölkerung anhand der Entwicklung der Hochbetagten: 1952 gab es lediglich knapp 18 000 Männer und vor allem Frauen, die 85 Jahre oder älter waren; derzeit zählen rund 321 000 zu dieser Altersgruppe – ein Anstieg auf das 18-fache in knapp 7 Jahrzehnten!

Ausblick: Alterung schwächt sich ab …

7 Jahrzehnte haben Baden-Württemberg in demografischer Hinsicht ein anderes »Gesicht« gegeben. Neben dem enormen Anstieg der Einwohnerzahl um über 60 % – so viel wie in keinem anderen Bundesland – auf derzeit rund 11,1 Mill. ist das wohl entscheidende Charakteristikum die völlig veränderte Altersstruktur der Bevölkerung im Vergleich zu der im Gründungsjahr des Landes (Schaubild 7). Trotz dieser enormen Alterung weist Baden-Württemberg die jüngste Bevölkerung unter den Flächenländern Deutschlands auf.

Auch in den kommenden 20 Jahren könnte die Einwohnerzahl des Landes noch weiter ansteigen, und auch die Alterung der Gesellschaft wird sich zumindest mittelfristig fortsetzen. So dürfte sich der Bevölkerungsanteil der 60-Jährigen und Älteren bereits bis zum Jahr 2030 nochmals deutlich erhöhen, weil in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten »Babyboomer«, verstärkt in diese Altersgruppe aufrücken. Danach wird dieser Anteil nur noch geringfügig ansteigen.

… dennoch sind die Herausforderungen groß

Länger wird allerdings die Zahl der Hochbetagten, also die der 85-Jährigen und Älteren, zunehmen. Allein in den 2040er-Jahren, wenn ein Großteil der »Babyboomer« in diese Altersgruppe »hineinwachsen« wird – wird sie sich um rund 40 % vergrößern. Bis zum Jahr 2050 könnte sich deren Zahl im Vergleich zu heute nochmals verdoppeln.23 Da es sich hierbei um eine Bevölkerungsgruppe mit einem hohen Pflegerisiko handelt, dürfte auch die Zahl der Pflegebedürftigen künftig weiter deutlich ansteigen.

Die Gestaltung des demografischen Wandels zählt damit neben der Bewältigung des Klimawandels sicherlich zu einer der größten Herausforderungen für Politik und Gesellschaft. Diese betrifft zweifelsohne nicht nur die Pflegeversicherung, sondern vor allem auch die Renten- und Krankenversicherungssysteme sowie den Arbeitsmarkt, da die Bevölkerungszahl im erwerbsfähigen Alter längerfristig abnehmen wird.

1 Die Entstehung des Südweststaats, in: Baden-Württemberg – Eine kleine politische Landeskunde; Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), 2003, S. 14 ff.

2 Vergleiche Glass, Christian: Die Vertriebenen in Baden-Württemberg, in: Alltagskultur in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), 2003, S. 38.

3 Vergleiche Walla, Wolfgang: Eine Völkerwanderung ohnegleichen, in: Baden-Württemberg im Wandel – 40 Jahre in Wort und Zahl, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.), 1992, S. 21.

4 Vergleiche Meister-Scheufelen, Gisela/Cornelius, Ivar: Die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg, in: Baden-Württemberg – Gesellschaft, Geschichte, Politik, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), 2006, S. 190.

5 Vergleiche Bausch, Susanne: Ein Gastland oder Wie man hier mit Fremden umgeht, in: Das Land im Südwesten, herausgegeben von Willy Reschl, 1987, S. 31.

6 Brachat-Schwarz, Werner: »Wanderungen von Ost nach West – und wieder zurück?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2015«, S. 3 ff.

7 Brachat-Schwarz, Werner: »Baden-Württembergs Wanderungsverflechtung mit der Europäischen Union«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2016«, S. 9 ff.

8 Alexander, Robin: Die Geschehnisse des Septembers 2015 – Oder: Sprachkämpfe um die Flüchtlingskrise, in: Bundeszentrale für politische Bildung vom 17.07.2020, https://www.bpb.de/apuz/312828/sprachkaempfe-um-die-fluechtlingskrise (Abruf: 05.01.2022).

9 Zu den möglichen Gründen für die verstärkte Abwanderung in das übrige Bundesgebiet vergleiche Brachat-Schwarz, Werner: »Geburtenhoch und geringere Zuwanderung«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2020«, S. 12 ff.

10 Ergebnis der Bevölkerungsfortschreibung.

11 Ergebnisse des Ausländerzentralregisters.

12 UNRIC - Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen: UN-Mitgliedstaaten (Stand: 2. März 2020), https://unric.org/de/mitgliedstaaten/ (Abruf: 05.01.2022).

13 Dies gilt gerade auch für Menschen mit einem Migrationshintergrund; hierzu zählen neben den Ausländern auch (Spät-)Aussiedler und Eingebürgerte. Ebenso gehören Personen dazu, die zwar mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind, bei denen aber mindestens ein Elternteil Ausländer, (Spät-)Aussiedler oder eingebürgert ist. Die Zahl der Personen mit einem Migrationshintergrund liegt derzeit nach Ergebnissen des Mikrozensus in Baden-Württemberg bei rund 3,7 Mill., das heißt jeder Dritte zählt zu diesem Personenkreis.

14 Danach lag allerdings die Geborenenzahl in den Jahren 2011 und 2012 nochmals etwas niedriger.

15 Eine Geburtenrate von 2,0 Kindern je Frau wäre hierfür, auch wenn dies auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, aus zwei Gründen nicht ausreichend: Zum einen werden weniger Mädchen als Jungen geboren; die Geschlechterproportion lag seit dem Jahr 2000 in Baden-Württemberg bei 1 000 zu 1 054. Zum anderen ist die Sterblichkeit der Mädchen und Frauen vor Erreichen bzw. während des gebärfähigen Alters zu berücksichtigen.

16 Der Geburtenrückgang wird zwar als »Pillenknick« bezeichnet, aber dieser Name täuscht. Denn die Verfügbarkeit der »Pille« erleichterte es lediglich, den seit den 1960er-Jahren gewachsenen Wunsch nach weniger Kindern zu realisieren. Die eigentlichen Ursachen des Geburtenrückgangs stellten veränderte Präferenzen der Menschen dar; vor allem der Wunsch nach Erwerbstätigkeit und die schlechten Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, ließen die Geburtenhäufigkeit damals sinken; vergleiche Hradil, Stefan: Historischer Rückblick, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) vom 31.05.2012, https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138003/historischer-rueckblick (Abruf: 05.01.2022).

17 So hat sich in Baden-Württemberg die Betreuungsquote der Kinder im Alter von unter 3 Jahren von 8,8 % im Jahr 2006 auf 30 % im Jahr 2020 mehr als verdreifacht.

18 Beispielsweise sank die Geburtenrate in den ostdeutschen Bundesländern nach dem Zusammenbruch der DDR vorübergehend auf einen Wert von unter einem Kind je Frau.

19 Brachat-Schwarz , Werner: »Zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2020«, S. 12

20 Luy, Marc: Warum Frauen länger leben – Erkenntnisse aus einem Vergleich von Kloster- und Allgemeinbevölkerung, in: Materialien zur Bevölkerungswissenschaft des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Heft 106, 2002.

21 Dorbritz, Jürgen: Geschlechterproportion im Wandel, in: Bevölkerungsforschung Aktuell, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.), 4/2016, S. 23.

22 Brachat-Schwarz, Werner/Binder, Sascha: »Geben sich Paare wieder häufiger das »Ja-Wort«?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2021«, S. 16 ff.

23 Ergebnisse der Bevölkerungsvorausberechnung auf Basis 31.12.2020 (Hauptvariante), vergleiche Brachat-Schwarz, Werner/Böhm, Marcel: »Der Alterungsprozess der Bevölkerung schwächt sich langfristig ab«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2022«, S. 13 ff.176