:: 3/2022

70 Jahre berufliche Schulen in Baden-Württemberg

Deutlicher Wandel seit Gründung des Landes

Die beruflichen Schulen spielen eine zentrale Rolle in der Berufsausbildung. Auch die Berufsgrundbildung und -vorbereitung sowie die Vermittlung von allgemeinbildenden Abschlüssen und weiterführenden beruflichen Qualifikationen zählen zu ihren Aufgaben. Seit Gründung des Landes Baden-Württemberg vor 70 Jahren hat sich die Gewichtung der verschiedenen Bereiche innerhalb des Bildungsangebots der beruflichen Schulen deutlich verändert. Die duale Berufsausbildung ist nach wie vor der Kernbereich, aber sie spielt nicht mehr die dominierende Rolle wie in früheren Jahren. So haben Bildungsgänge, die eine Hochschulzugangsberechtigung vermitteln, stark an Bedeutung gewonnen. Im Schuljahr 2020/21 wurden in ihnen 72 200 Schülerinnen und Schüler unterrichtet, was einem Anteil von knapp 18 % an der Gesamtschülerzahl entsprach.

Die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg haben seit Gründung des Landes einen tiefgreifenden Wandel vollzogen. Damals zählten neben den Berufsschulen, den Berufsfachschulen, den Berufsoberschulen und den Fach- und Technikerschulen auch die Höheren Fachschulen und die Ingenieurschulen zu den beruflichen Schulen. Die beiden letzteren Schularten wurden zu Beginn der 1970er-Jahre in Fachhochschulen umgewandelt. Bereits zum Schuljahr 1966/67 waren die Schulen des Gesundheitswesens als eigene Schulart aus den Fachschulen ausgegliedert worden und im Schuljahr 1967/68 wurden die damaligen Wirtschaftsoberschulen in berufliche Gymnasien umgewandelt. Die Berufskollegs entstanden im Schuljahr 1976/77 aus den auf einem mittleren Bildungsabschluss aufbauenden Berufsfachschulen.

Dieser Wandel lässt sich mit einem Blick auf die Bildungsziele der einzelnen Bildungsgänge besser verdeutlichen als mit den Schularten. Zu diesem Zweck hat die amtliche Statistik das Instrument der integrierten Ausbildungsberichterstattung (iABE) geschaffen. Hier werden die Schülerinnen und Schüler nicht nach der von ihnen besuchten Schulart unterteilt, sondern danach, ob sie eine Berufsausbildung absolvieren, sich noch in der Berufsvorbereitung oder Berufsgrundbildung befinden oder eine Hochschulzugangsberechtigung anstreben.1 Um die beruflichen Schulen in ihrer Gesamtheit abzubilden, ist hierzu noch der Sektor der beruflichen Fortbildung zu ergänzen. Da es sich bei der iABE um einen relativ neuen Ansatz handelt, gibt es bei der Zuordnung von Bildungsgängen aus weit zurückliegenden Jahrzehnten, die es in dieser Form nicht mehr gibt, gewisse Unschärfen. Auch liegen nicht für alle Jahre hinreichend detaillierte Daten vor. Daher mussten vereinzelt Angaben geschätzt werden. Für die ersten 6 Jahre nach Gründung des Südweststaats war es nicht möglich eine Aufteilung nach der iABE vorzunehmen.

Schülerzahl folgt grundsätzlich der demografischen Entwicklung

Die Entwicklung der Schülerzahl der beruflichen Schulen wird erwartungsgemäß stark von der demografischen Entwicklung beeinflusst (Schaubild 1). Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre ist ein tiefer Einschnitt zu sehen. In diesen Jahren besuchten vor allem Jugendliche aus den Kriegsjahrgängen, in denen nur recht wenige Kinder geboren wurden, die beruflichen Schulen. Dagegen sorgten Mitte der 1980er-Jahre die »Babyboomer« für besonders hohe Schülerzahlen mit dem Spitzenwert von 447 800 im Schuljahr 1984/85.

Aber auch bildungspolitische Entscheidungen beeinflussten die Schülerzahl. Die Ausweitung von Angeboten zur schulischen Berufsbildung, die Schaffung von Bildungsgängen zum Erwerb der Fachschulreife, die Einführung und der Ausbau der beruflichen Gymnasien führten zu einem Anstieg der Bildungsbeteiligung an beruflichen Schulen. So liegt die Schülerzahl der beruflichen Schulen seit dem Schuljahr 2003/04 beständig über dem Wert von 400 000, obwohl deutlich weniger stark besetzte Altersjahrgänge als Mitte der 1980er-Jahre die Schulen besuchen.

Duale Berufsausbildung hat den größten Anteil

Der größte Teil der Schülerinnen und Schüler beruflicher Schulen erlernt einen dualen Ausbildungsberuf und erhält neben der Ausbildung im Betrieb Unterricht an einer Berufsschule oder – seit 1977 – an einem Berufskolleg. Bis zum Schuljahr 1990/91 lag der Anteil der dualen Berufsausbildung an der Gesamtschülerzahl meist über 60 %, mit einem Höchstwert von gut 64 % im Schuljahr 1967/68. Eine Ausnahme von dieser Regel stellten die Jahre von 1974 bis 1978 dar. Damals wurde ein Anstieg der Arbeitslosenquote von Werten unter 1 % auf 3,5 % verzeichnet. Dies wirkte sich auch auf die Zahl der Ausbildungsplätze aus. Der Anteil der dualen Ausbildung verringerte sich somit bis auf gut 57 %.

Der Ausbau von Alternativen zur dualen Berufsausbildung und wohl auch geänderte Präferenzen von Jugendlichen hinsichtlich ihrer Berufswahl führen seit Beginn der 1990er-Jahre zu einem rückläufigen Trend. Im Schuljahr 2008/09 absolvierte zuletzt die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler beruflicher Schulen eine duale Ausbildung. Im Schuljahr 2020/21 lag dieser Anteil etwas unter 47 %. Wegen des Einbruchs beim Abschluss von Ausbildungsverträgen aufgrund der COVID-19-Pandemie war der Anteil gegenüber dem Vorjahr um 1 Prozentpunkt gesunken.

Mit rund 281 700 Auszubildenden war im Schuljahr 1985/86 der bisherige Höchstwert in der dualen Berufsausbildung erreicht worden. Im Schuljahr 2020/21 wurden in diesem Bereich gut 191 100 Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen unterrichtet.

Schulische Berufsausbildung im Aufschwung

Vom Ende der 1960er-Jahre bis kurz vor Ende der 1980er-Jahre lag der Anteil der Bildungsgänge, in denen an beruflichen Schulen ein Beruf außerhalb des dualen Ausbildungssystems erlernt werden konnte, in der Regel zwischen 6 % und gut 8 %. Danach war bis zum Schuljahr 2005/06 ein nahezu kontinuierlicher Anstieg auf knapp 14 % zu beobachten. Nach einer Periode mit eher stagnierenden Anteilswerten stiegen diese in den letzten 5 Jahren wieder an. Im Schuljahr 2020/21 besuchten knapp 16 % der Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen einen Bildungsgang der schulischen Berufsausbildung.

Diese Entwicklung wurde vor allem durch stark steigende Schülerzahlen im Bereich der Ausbildung in Berufen des Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesens bestimmt. Im Schuljahr 1980/81 wurden 20 400 Schülerinnen und Schüler in einem solchen Bildungsgang ausgebildet. Im Schuljahr 2000/01 waren es dagegen 31 000 und im Schuljahr 2020/21 knapp 53 200. In diesem Schuljahr erreichte die Bildungsbeteiligung im Bereich der schulischen Ausbildung mit gut 63 500 Schülerinnen und Schülern den höchsten bisher verzeichneten Wert.

Vielgestaltige Berufsgrundbildung und Berufsvorbereitung

Im Schuljahr 2020/21 besuchten fast 27 % der Schülerinnen und Schüler beruflicher Schulen in Baden-Württemberg einen Bildungsgang, der dem Bereich der Berufsgrundbildung oder Berufsvorbereitung zugeordnet ist. Dies ist im Bundesvergleich ein sehr hoher Wert und könnte auf besondere Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung hinweisen. Allerdings sind bei der Interpretation dieser Daten einige landesspezifische Besonderheiten zu beachten. In vielen Handwerksberufen findet in Baden-Württemberg die Ausbildung im 1. Ausbildungsjahr an einer Vollzeit-Berufsfachschule statt, da vor allem kleinere Betriebe nicht die Möglichkeit haben, den Auszubildenden eine umfassende theoretische und fachpraktische Grundbildung zu vermitteln. Außerdem sind Bildungsgänge, deren Hauptziel der Erwerb der Fachhochschulreife ist, zumeist modular organisiert, wobei das erste der beiden Schuljahre einen eigenen Bildungsgang darstellt, in dem noch kein Abschluss erworben werden kann. Seit Ende der 1970er-Jahre liegt der Anteil dieser Bildungsgänge, die auf eine duale oder schulische Berufsausbildung angerechnet werden können, mit leichten Schwankungen im Bereich von knapp 6 % bis 8 %. Im Schuljahr 2020/21 besuchten fast 26 600 Schülerinnen und Schüler einen solchen Bildungsgang, was einem Anteil von knapp 7 % entsprach. Die höchste Schülerzahl ergab sich im Schuljahr 1983/84 mit gut 33 500.

Berufsfachschulen zum Erwerb der Fachschulreife eröffnen Jugendlichen die Möglichkeit, durch diesen, dem Realschulabschluss entsprechenden Abschluss ihre Chancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu verbessern. Der Anteil dieser Bildungsgänge an der Gesamtschülerzahl lag über viele Jahrzehnte hinweg auf einem ähnlichen Niveau wie die eben genannten. In den letzten 10 Jahren sank er aber um 2 Prozentpunkte auf knapp 5 %. Damit waren es rund 19 300 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2020/21. Hauptgrund hierfür dürfte der deutliche Rückgang der Zahl der Absolventinnen und Absolventen der allgemeinbildenden Schulen mit Hauptschulabschluss in diesem Zeitraum sein.

Viele Jugendliche, die Probleme beim Übergang in die Berufsausbildung haben, besuchen berufsvorbereitende oder -grundbildende Bildungsgänge, die nicht auf eine Ausbildung angerechnet werden können. Ende der 1950er-Jahre lag der Anteil dieser Bildungsgänge an der Gesamtschülerzahl bei rund 20 %. Fast alle diese Schülerinnen und Schüler wurden damals an einer Teilzeit-Berufsschule unterrichtet, wobei unter ihnen viele ungelernte Arbeitskräfte und mithelfende Familienangehörige waren, die noch der Berufsschulplicht unterlagen. Eigene berufsvorbereitende Bildungsgänge wurden erst Mitte der 1970er-Jahre in größerem Umfang eingerichtet. Der niedrigste Anteil dieser Bildungsgänge wurde im Schuljahr 2012/13 mit knapp 3 % verzeichnet, als rund 10 800 Schülerinnen und Schüler gezählt wurden. Maßnahmen zur Eingliederung von jugendlichen Schutzsuchenden in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt führten im Schuljahr 2016/17 zu einer Verdoppelung des Anteils auf rund 6 %. Im Schuljahr 2020/21, in dem fast 17 900 Schülerinnen und Schüler Bildungsgänge ohne Anrechnungsmöglichkeit besuchten, war der Anteil wieder auf gut 4 % zurückgegangen.

Auch berufliche Schulen bahnen den Weg zur Hochschule

Im Gründungsjahr Baden-Württembergs strebten rund 1 900 Schülerinnen und Schüler an einer Wirtschaftsoberschule die Hochschulreife an. Mitte der 1960er-Jahre stieg deren Schülerzahl dann deutlich an und zum Schuljahr 1967/68 wurden sie in Wirtschaftsgymnasien umgewandelt. Bereits im Schuljahr 1969/70 lag die Schülerzahl über der 10 000er-Marke und im Schuljahr 2001/02 besuchten erstmals 10 % aller Schülerinnen und Schüler der beruflichen Schulen ein berufliches Gymnasium. Ihre bislang höchste Schülerzahl erreichte diese Schulart im Schuljahr 2015/16 mit fast 66 700 Schülerinnen und Schülern. Schon lange umfasst sie neben den Wirtschaftsgymnasien Bildungsgänge in technischer, biotechnologischer, agrarwissenschaftlicher, ernährungswissenschaftlicher sowie sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Richtung. Der Erfolg dieses baden-württembergischen Modells zeigt sich auch darin, dass gut ein Drittel aller Abiturzeugnisse von einer beruflichen Schule ausgestellt wird.

Die Fachhochschulreife ist eine Hochschulzugangsberechtigung, die fast ausschließlich an beruflichen Schulen erworben wird. An vielen Berufskollegs besteht die Möglichkeit, bei Bestehen einer Zusatzprüfung neben dem Berufsabschluss auch die Fachhochschulreife zu erhalten. Seit gut einem Jahrzehnt gibt es darüber hinaus auch Bildungsgänge, deren vorrangiges Ziel die Fachhochschulreife ist. Im Schuljahr 2020/21 wurden diese von 12 900 Schülerinnen und Schülern besucht. Zusammen mit den beruflichen Gymnasien strebten somit insgesamt gut 72 200 Schülerinnen und Schüler eine Hochschulzugangsberechtigung an. Seit dem Abgangsjahr 2010 werden über die Hälfte der Hochschulzugangsberechtigungen in Baden-Württemberg an einer beruflichen Schule erworben.

Berufliche Qualifizierung durch Fortbildung

Wer sich nach einiger Zeit der Berufstätigkeit weiter qualifizieren möchte, findet auch an beruflichen Schulen passende Angebote. Fachschulen2 wie die Meister- und Technikerschulen haben eine lange Tradition als Fortbildungsstätten. Bereits 1956 nahmen über 11 600 Fortbildungswillige dieses Angebot in Anspruch. Die geburtenstarken Jahrgänge sorgten Anfang der 1990er-Jahre für hohe Teilnahmezahlen mit dem Spitzenwert von über 17 900 Fortbildungswilligen im Schuljahr 1992/93. Nach einem demografisch bedingten Rückgang der Teilnahmezahlen war im Anschluss an die Finanzkrise 2008 ein deutlicher Wiederanstieg auf über 16 000 Fachschülerinnen und -schüler zu verzeichnen. Anscheinend sahen damals einige Unternehmen Fortbildung als lohnendere Alternative zu Entlassungen an. Bis zum Schuljahr 2020/21 ist die Teilnahmezahl wieder auf 13 000 abgesunken.

Der Bereich der beruflichen Fortbildung umfasst auch Angebote des Zweiten Bildungswegs. Hier kann ein mittlerer Abschluss oder eine Hochschulzugangsberechtigung erworben werden. Ihren Höhepunkt erreichten diese Bildungsgänge im Schuljahr 2009/10 mit 9 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Bis zum Schuljahr 2020/21 hatte sich die Teilnahmezahl auf gut 4 100 mehr als halbiert. Damit befanden sich insgesamt gut 4 % der Schülerinnen und Schüler beruflicher Schulen in einem Bildungsgang der beruflichen Fortbildung.

Berufliche Schulen entwickeln sich stetig weiter

Der Vergleich der Schülerstruktur der beruflichen Schulen der Schuljahre 1960/61 und 2020/21 zeigt, welchen Entwicklungsprozess diese Schulen in den vergangenen Jahrzenten durchlaufen haben (Schaubild 2). Befanden sich vor gut 60 Jahren noch mehr als sechs von zehn Schülerinnen und Schülern in der dualen Berufsausbildung, war es 2020/21 nur noch weniger als die Hälfte. Dagegen hat die schulische Berufsausbildung an Bedeutung gewonnen und ihren Anteil von 12 % auf 16 % erhöht. Jugendlichen Wege zum Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung zu eröffnen, ist mittlerweile eine wichtige Aufgabe der beruflichen Schulen. Diese Bildungsgänge hatten im Schuljahr 2020/21 einen Anteil von 18 % an der Schülerschaft im Vergleich zu nur 1 % 60 Jahre zuvor. Inzwischen wird etwas mehr als die Hälfte der Hochschulzugangsberechtigungen in Baden-Württemberg an einer beruflichen Schule erworben. In der Berufsgrundbildung einschließlich der Berufsvorbereitung wird heute stärker als früher auf eine Anschlussfähigkeit an die duale oder schulische Berufsausbildung geachtet und Jugendlichen die Möglichkeit geboten, mit dem Erwerb der Fachschulreife ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern. Die berufliche Fortbildung ist nach wie vor ein kleiner, aber dennoch unverzichtbarer Baustein im Bildungsangebot der beruflichen Schulen im Land. Sie befinden sich in einem stetigen Entwicklungsprozess, um den Erfordernissen des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts gerecht werden zu können.

1 Ausführliche Erläuterungen zur iABE siehe Landesinstitut für Schulentwicklung und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildung in Baden-Württemberg. Bildungsberichterstattung 2015, Stuttgart 2015, S. 188 ff.

2 Alle Zahlenangaben beziehen sich in diesem Abschnitt auf Fachschulen ohne Ausbildung in Gesundheits- und Sozialberufen sowie erzieherischen Berufen. Diese zählen in der iABE zum Bereich der schulischen Berufsausbildung.