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70 Jahre Baden-Württemberg, 122 Jahre Frauenstudium

Die Entwicklung des Frauenanteils an den baden-württembergischen Hochschulen von der Gründung des Südweststaates bis heute

Vor 122 Jahren öffnete das Großherzogtum Baden als erster Bundesstaat des Deutschen Kaiserreichs den Zugang für Frauen zum Hochschulstudium. 1904/05 folgte das Königreich Württemberg mit der Öffnung der Hochschulen für Frauen. Zum Zeitpunkt der Gründung des Landes Baden-Württemberg waren im Wintersemester 1952/53 bereits 4 100 Frauen an 25 Hochschulen eingeschrieben. Der Frauenanteil betrug damit 18 %. 70 Jahre später nahmen zum ersten Mal in der Geschichte Baden-Württembergs mehr Frauen als Männer erstmalig ein Studium an einer Hochschule auf. Dennoch bestehen weiterhin starke Unterschiede im Frauenanteil zwischen den Hochschulen. Heute wie vor 70 Jahren liegt dies vor allem an der geschlechtsspezifischen Fächerwahl der Studierenden.

Öffnung der Hochschulen für Frauen ab 1900

Im Jahre 1900 ermöglichte das Großherzogtum Baden als erster Bundesstaat im Deutschen Kaiserreich den regulären Zugang für Frauen zum Studium an einer Hochschule. Rückwirkend zum Wintersemester 1899/1900 wurde somit die Immatrikulation von Frauen an den Universitäten Freiburg und Heidelberg erlaubt.1 Im darauffolgenden Wintersemester 1900/01 waren an der Universität Freiburg neun und an der Universität Heidelberg drei Frauen immatrikuliert.2 An der Technischen Hochschule Karlsruhe immatrikulierte sich die erste Frau zum Wintersemester 1903/04. Im Jahre 1904 folgte das Königreich Württemberg mit einem Erlass, der das Hochschulstudium für Frauen zunächst an der Universität Tübingen und ab 1905 an der Technischen Hochschule Stuttgart erlaubte. Daraufhin waren im Wintersemester 1905/06 an der Universität Tübingen drei und an der Technischen Hochschule Stuttgart zwei Frauen eingeschrieben.3 In den folgenden Jahren erhöhte sich die Anzahl der weiblichen Studierenden kontinuierlich: Bis zum Wintersemester 1909/10 auf 231 von insgesamt 5 321 Studierenden an den drei badischen Hochschulen und auf 23 von insgesamt 1 760 an der Universität Tübingen.4 Unter den 700 Studierenden der Technischen Hochschule Stuttgart befand sich zu diesem Zeitpunkt eine Frau. An der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim waren noch keine Studentinnen eingeschrieben.

Die Situation am Vorabend der Gründung des Südweststaates

Knapp 40 Jahre später, im Wintersemester 1952/53, dem Gründungsjahr des Landes Baden-Württemberg, waren 4 054 Frauen an 25 Hochschulen eingeschrieben. Frauen machten nun einen Anteil von knapp 18 % an den insgesamt 23 001 Studierenden des neuen Bundeslandes aus. Dabei waren die Studierendenzahlen in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst stark gestiegen. Der Autor mehrerer Monatsheftbeiträge, Alfred Keßler, führt das zurück »auf den verstärkten Andrang der infolge Kriegsdienst und Gefangenschaft am Studium so lange verhinderten Jahrgänge«.5 Als sich 1948 mit der Währungsumstellung auf die D-Mark die finanzielle Lage vieler Menschen verschärfte, gingen die Studierendenzahlen zunächst zurück. Keßler vermutet, dass in der finanziellen Notlage »manche Studierende sich genötigt sahen, ihr Studium vorzeitig zu beenden oder […] auszusetzen, um durch Werkarbeit die Mittel für dessen Fortführung zu sichern.«6 Zeitgleich beendeten bereits die ersten Studierenden, die sich unmittelbar nach Kriegsende an einer Hochschule eingeschrieben hatten, ihr Studium. Ab 1950 stiegen die Studierendenzahlen erneut an und mit ihnen auch die Anzahl der Studentinnen (Schaubild 1).

Erstmals in der Geschichte des Landes mehr Frauen als Männer im 1. Hochschulsemester

Heute, knapp 70 Jahre nach Gründung des Südweststaates, waren im Wintersemester 2020/21 insgesamt 358 654 Studierende an 77 Hochschulen7 eingeschrieben, darunter 175 158 Frauen (49 %). Unter den Studienanfängerinnen und -anfängern im 1. Hochschulsemester betrug der Frauenanteil 50,3 %. Damit begannen zum ersten Mal in der Geschichte des Landes mehr Frauen als Männer erstmalig ein Studium an einer Hochschule.

Bereits vor 70 Jahren war fast die Hälfte der Studierenden an den Kunsthochschulen weiblich

Für das Wintersemester 1952/53 wurden in der amtlichen Hochschulstatistik zunächst nur Universitäten und Kunsthochschulen erfasst.8 Während der Frauenanteil an den Universitäten bei knapp 16 % lag, betrug der Frauenanteil an den Kunsthochschulen knapp 47 %. Fast 70 Jahre später betrug die Differenz im Wintersemester 2020/21 nicht mehr 31 Prozentpunkte, sondern lag nun nur noch bei 7 Prozentpunkten (Universitäten: 49 %, Kunsthochschulen: 56 %).

Über den gesamten Zeitverlauf betrachtet fand sich mit 80 % der höchste Frauenanteil bei den Pädagogischen Hochschulen im Wintersemester 2003/04. Bis zum Wintersemester 2020/21 war zwar ein Rückgang um 1,5 Prozentpunkte auf knapp 79 % zu verzeichnen. Dennoch war der Frauenanteil an den Pädagogischen Hochschulen vom Aufnahmejahr in die Hochschulstatistik 1966/67 bis heute höher als in den anderen Hochschularten. Im Gegensatz dazu gab es keine Hochschulart, die über den gesamten betrachteten Zeitverlauf hinweg den niedrigsten Frauenanteil aufweist. Bis zur Aufnahme der Fachhochschulen, den heutigen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), in die Hochschulstatistik 1973/74 wiesen die Universitäten den niedrigsten Frauenanteil auf. Ab dem Wintersemester 1973/74 bis zum Wintersemester 2018/19 war der Frauenanteil an den HAW am niedrigsten und wurde dann von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) um 0,4 Prozentpunkte minimal unterboten. Im Wintersemester 2020/21 studierten an der DHBW (Frauenanteil: 42 %), an den HAW (45 %) und an den Universitäten (49 %) mehr Männer als Frauen. An den Kunsthochschulen (56 %) und an den Pädagogischen Hochschulen (79 %) waren hingegen mehr Frauen immatrikuliert (Schaubild 2).

Technische Hochschulen Stuttgart und Karlsruhe vor 70 Jahren mit einem Frauenanteil von 5 %

Deutliche Differenzen hinsichtlich des Frauenanteils an den Studierenden gab es nicht nur zwischen den Hochschularten, sondern auch zwischen den einzelnen Hochschulen selbst. Im Folgenden stellen wir dies beispielhaft für die Universitäten dar. Im Wintersemester 1952/53 wurden die Studierendenzahlen der Universitäten Heidelberg, Freiburg, Tübingen, Stuttgart (ehemals Technische Hochschule Stuttgart), Karlsruhe (ehemals Technische Hochschule Karlsruhe), Hohenheim (ehemals Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim) und Mannheim (ehemals Wirtschaftshochschule Mannheim) im Rahmen der Hochschulstatistik erfasst. Mit jeweils knapp 5 % hatten im Wintersemester 1952/53 die damaligen Technischen Hochschulen Karlsruhe und Stuttgart die geringsten Frauenanteile. Nur wenige Prozentpunkte höher lagen die Frauenanteile an den Universitäten Hohenheim (7 %) und Mannheim (9 %). Einen deutlich höheren Frauenanteil wiesen hingegen die Universitäten Heidelberg (27 %), Freiburg (23 %) und Tübingen (22 %) auf.

In den darauffolgenden Jahren erhöhte sich der Frauenanteil an allen Universitäten. Im Zeitverlauf besonders bemerkenswert ist dabei der Sprung des Frauenanteils an der Universität Hohenheim zwischen dem Wintersemester 1952/53 und dem Wintersemester 1972/73. In diesem Zeitraum erhöhte sich der Frauenanteil von knapp 7 % auf gut 30 % und stieg damit um knapp 24 Prozentpunkte an. Der geringste Anstieg des Frauenanteils ist in dieser Zeitspanne an der Universität Karlsruhe (ehemals Technische Hochschule Karlsruhe) zu beobachten. Der Zuwachs betrug hier 5 Prozentpunkte, was allerdings in absoluten Zahlen nahezu eine Versechsfachung der Studentinnenzahl bedeutet (175 Studentinnen im Wintersemester 1952/53 zu 997 im Wintersemester 1972/73).

Über den gesamten betrachteten Zeitverlauf vom Wintersemester 1952/53 bis zum Wintersemester 2020/21 gesehen, haben sich die Frauenanteile an einigen Universitäten verdoppelt (Freiburg) bis nahezu verneunfacht (Hohenheim). Im Wintersemester 2020/21 wies die Universität Tübingen mit knapp 59 % den höchsten und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit gut 29 % den geringsten Frauenanteil unter den staatlichen Universitäten in Baden-Württemberg auf. Abgesehen von der Universität Stuttgart (34 %) und dem KIT (29 %) studieren heute an den staatlichen Universitäten in Baden-Württemberg mehr Frauen als Männer (Tabelle 1).

Trotz deutlichem Zuwachs liegt der Frauenanteil in Maschinenbau und Elektrotechnik heute nur bei 23 %

Die Unterschiede im Frauenanteil an den einzelnen Hochschulen gehen vorrangig auf die unterschiedlichen Fächerprofile der Hochschulen zurück. So wählten damals wie heute Frauen seltener ein ingenieurwissenschaftliches Studienfach. In der historischen Fachrichtung Maschinenbau und Elektrotechnik befanden sich im Wintersemester 1952/53 unter den 3 080 Studierenden gerade einmal neun Frauen. Das entspricht einem Frauenanteil von 0,3 %. Bis zum Wintersemester 2020/21 hatte sich dieser Anteil auf knapp 23 % erhöht und damit versiebenundsiebzigfacht. Im Bau- und Vermessungswesen hat sich der Frauenanteil von 2,5 % auf knapp 34 % nahezu vervierzehnfacht. Dennoch handelt es sich bei den ingenieurwissenschaftlichen Fächern auch heute noch um diejenigen Studienfächer mit den geringsten Anteilen weiblicher Studierender.

Umgekehrt gibt es auch Studienbereiche, in denen der Frauenanteil bereits in den 1950er-Jahren sehr hoch war und sich – gemessen an den Veränderungen in den übrigen Fächern – nur wenig verändert hat. So bestand über die Hälfte der 452 Pharmaziestudierenden des Wintersemesters 1952/53 aus Frauen (51 %). Im Wintersemester 2020/21 betrug der Frauenanteil in diesem Studienbereich knapp 66 %. Unter den hier betrachteten historischen Fachrichtungen war dies die geringfügigste Veränderung innerhalb der letzten 70 Jahre. Auch in der historischen Fächergruppe der Kulturwissenschaften und Sprachen betrug der Frauenanteil im Wintersemester 1952/53 bereits gut 44 % und liegt heute bei knapp 67 %. Im Vergleich zum Frauenanteil an den Universitäten insgesamt (16 %), war auch der Frauenanteil in den beiden medizinischen Fachrichtungen Allgemeinmedizin und Zahnmedizin mit gut 27 % bzw. knapp 24 % in den 1950er-Jahren schon recht hoch. Heute sind rund zwei Drittel der medizinstudierenden Frauen (61 % bzw. 67 %).

Darüber hinaus sind aber vor allem solche Studienbereiche interessant, in denen sich der Frauenanteil von einem – für damalige Verhältnisse – geringen Niveau auf ein hohes Niveau nach heutigen Maßstäben erhöht hat. Dies gilt beispielsweise für die historischen Fachrichtungen Theologie, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften sowie Land- und Forstwirtschaft. In diesen Fachrichtungen lagen die Frauenanteile im Wintersemester 1952/53 noch unterhalb von 15 % bzw. unter­halb von 10 %. Im Wintersemester 2020/21 lag der Frauenanteil in diesen Fachrichtungen in einem Bereich von knapp 43 % bis 56 % (Tabelle 2).

1 Schwarz, Michael (1999): 100 Jahre Frauenstudium – Baden lag an der Spitze. Pressemitteilung der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg vom 14.04.1999. idw – Informationsdienst Wissenschaft, http://idwf.de/-Ch_AA (Abruf: 09.02.2022).

2 Ministerium des Kultus und Unterrichts (1912): Badische Hochschulstatistik. Die Ergebnisse der Ermittlungen aus dem 19. Jahrhundert sowie für die Zeit 1900–1910. Karlsruhe: E. Stietz.

3 Königliches Ministerium des Kirchen- und Schulwesens (1907): Statistik des Unterrichts- und Erziehungswesens im Königreich Württemberg für 1906. Stuttgart: W. Kohlhammer.

4 Königliches Ministerium des Kirchen- und Schulwesens (1911): Statistik des Unterrichts- und Erziehungswesens im Königreich Württemberg für 1910. Stuttgart: C. Grüninger.

5 Keßler, Alfred: (1948): Die Ergebnisse der Hochschulstatistik in Württemberg-Baden im Wintersemester 1947/48, in: Statistisches Monatsheft Württemberg-Baden 12/1948, S. 327.

6 Keßler, Alfred (1954): Der Hochschulbesuch in Baden-Württemberg im Wintersemester 1952/53, in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg 4/1954, S. 98.

7 Nur berichtspflichtige Hochschulen, die im Wintersemester 2020/21 Studierende gemeldet haben. Hochschulen mit mehreren Standorten wurden zusammengefasst.

8 Zur Entwicklung der Hochschullandschaft in Baden-Württemberg siehe auch: Kühn, Axel: »Das Jubiläumsjahr 2012 als Schlüsseljahr für die Hochschulentwicklung«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2012«, S. 41 ff.