:: 3/2022

Die Verdienstunterschiede der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie in Baden-Württemberg von 1952 bis heute

Die Verdienste von Frauen und Männern, bzw. deren Unterschiede, gelten als ein Merkmal für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft allgemein. 1952, im Jahr der Gründung des Landes Baden-Württemberg, lag der Verdienstunterschied zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern in der Industrie bei satten 37,8 %. Bis 1975 verringerte sich die Lohnungleichheit zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern in der Südwest-Industrie kontinuierlich bis auf 25,4 %. Danach kamen lange Jahrzehnte der Stagnation. Erst seit 2015 gibt es wieder deutliche Anzeichen dafür, dass die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern weiter abgebaut werden. Im Jahr 2020 betrug der »unbereinigte Gender Pay Gap« für diese Berufsgruppe 20,7 %.

Die Erhebungen zu Löhnen und Gehältern gehören zum Kerngeschäft der amtlichen Statistik. Basierend auf dem Gesetz über Lohnstatistik von 1949 wurde die erste Erhebung der Verdienste für das neue Land Baden-Württemberg im Jahr 1952 durchgeführt. Erfragt wurden Daten aus dem Berichtszeitraum November 1951 in den ehemaligen Ländern Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden. Die Ergebnisse bildeten den Ausgangspunkt und die Grundlage für die Langzeit-Beobachtung der Verdienste in Baden-Württemberg. Das Verdienststatistikgesetz wurde seither mehrfach angepasst, um geänderte Datenbedarfe aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Tarifparteien erfüllen zu können. Die letzte Anpassung fand im August 2020 statt, insbesondere um aktuelle Aussagen zur Auswirkung der Einführung des Mindestlohns und zur angestrebten Angleichung der Verdienste von Frauen und Männern treffen zu können.1

Nach mehreren methodischen Änderungen, der Umstellung von D-Mark auf Euro und Anpassungen von Merkmalsdefinitionen liegen für 70 Jahre Baden-Württemberg Zeitreihen für die Verdienste der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie vor.2 Der Vergleich der Stundenlöhne zeigt eine drastische Entwicklung von 1,51 DM (= 0,77 Euro) 1951/1952 auf 21,84 Euro im Jahr 2020. Diese Zahlen sind nur im Verhältnis zur Entwicklung der Verbraucherpreise wirklich aussagekräftig. Möglich ist die Betrachtung der Entwicklung der Verdienstsituation von Frauen und Männern. Während sich die Gesamtzahl der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie seit 1952 bis 2020 etwa verdoppelt hat, ist der Anteil der Frauen an dieser Gruppe von rund 28 % auf 33 % nur leicht angestiegen. Schon seit den 1950er-Jahren ist es so, dass Frauen insgesamt ein geringeres Bruttoentgelt erhalten als ihre männlichen Kollegen. Im Jahr 1952 betrug der Unterschied3 für Arbeiterinnen und Arbeiter in der Industrie noch ganze 37,8 %. Im Jahr 2020 lag die Höhe des Verdienstunterschieds zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmenden zwar 17 Prozentpunkte unter dem Wert von vor 70 Jahren, betrug jedoch noch immer 20,7 % (vergleiche Schaubild 1).

Der bisherige Abbau der Verdienstunterschiede zwischen Industriearbeiterinnen und -arbeitern im Land verlief nicht stetig. Bis Mitte der 1970er-Jahre sank der Verdienstunterschied kontinuierlich bis auf 25,4 % im Jahr 1975. Danach gab es bis etwa 2014 keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage für die Arbeiterinnen verbesserte, der Verdienstunterschied bewegte sich, mit Schwankungen zwischen den Jahren, zwischen 24,6 % bis 26,7 %. Das Gesetz über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, das 1980 verabschiedet wurde, und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 entfalteten im Hinblick auf den Abbau von geschlechtsspezifischen Verdienstunterschieden offensichtlich keine Wirksamkeit. Im Jahr 2010, das noch von der Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt war, lag der Verdienstunterschied mit 26,1 % sogar höher als im Jahr 1994, als er 25,3 % betrug.

Erst seit 2015 geht es für die Arbeiterinnen in der Industrie wieder voran. Lag der Verdienstunterschied in diesem Jahr noch bei 23 %, verringerte er sich bis zum Jahr 2020 auf 20,7 %. Ein Grund dafür könnte das 2017 verabschiedete Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz) sein. Die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015, von dem auch eine Verbesserung der Lage der Frauen im Niedriglohnsektor erwartet wurde, hatte in der Industrie Baden-Württembergs dagegen keinen sichtbaren Einfluss. Die Löhne und Gehälter lagen schon vorher deutlich über dem damals geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Arbeiterinnen erhielten 2015 im Durchschnitt 16,73 Euro Stundenlohn, ihre männlichen Kollegen 21,74 Euro.

Mit einem um 20,7 % geringeren Verdienst unter dem der männlichen Kollegen liegen die Arbeiterinnen in der Industrie in Baden-Württemberg unter dem landesweiten unbereinigten Gender Pay Gap, der für die Gesamtwirtschaft 2020 bei 23 % liegt, aber immer noch über den 18 %, die für den bundesweiten Gender Pay Gap für die Gesamtwirtschaft errechnet wurden.4 Die Ursachen für die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern werden unter anderem damit erklärt, dass Frauen und Männer unterschiedliche Branchen und Berufe belegen. Die Verdienstunterschiede von in Vollzeit arbeitenden Frauen und Männern innerhalb der Industrie und der gleichen Leistungsgruppe machen deutlich, dass offensichtlich noch eine ganze Reihe weiterer Ursachen zur unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern führen. Dazu gehören zum Beispiel die Dauer der Betriebszugehörigkeit, bei der Frauen durch Unterbrechungen der Erwerbsbiographie bedingt durch Mutterschaft und Kindererziehung oftmals einen beruflichen Nachteil haben. Zum Bruttoverdienst zählen auch steuerfreie Zuschläge für Schicht-, Samstags-, Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit. Hier könnten Frauen ebenfalls finanziell das Nachsehen haben, wenn sie zum Beispiel aufgrund von familiären Aufgaben, wie Kinderbetreuung und Haushalt hier tendenziell weniger solcher Schichten übernehmen können und entsprechend weniger Zuschläge erhalten. Auch wenn gerade in der Industrie in vielen Bereichen Tarifverträge üblich sind, könnte in den Branchen, in denen dies nicht zutrifft, möglicherweise auch der Umstand eine Rolle spielen, dass Frauen bei Vertragsverhandlungen oft ein geringeres Gehalt einfordern (oder bekommen) als Männer.

1 Siehe Croix, de la: »Die Novellierung des Verdienststatistikgesetzes ab 2021«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2021«, S. 43 ff.

2 Als »Industrie« wird das »Verarbeitende Gewerbe« bezeichnet, eine der führenden Branchen in Baden-Württemberg. Betrachtet werden die Verdienste der vollzeitbeschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter einschließlich Sonderzahlungen. Bis 2006 fand eine Unterscheidung in Arbeiter/-innen und Angestellte statt (auch tarifrechtlich und in der Rentenversicherung). Ab 2007 wurden alle Beschäftigten als Arbeitnehmende zusammengefasst, erhoben. Die heutige Leistungsgruppe 4 der Vierteljährlichen Verdiensterhebung entspricht dabei am ehesten den damaligen Arbeiter/-innen in der Industrie.

3 Heute spricht man vom »unbereinigten Gender Pay Gap«. Eine Bereinigung um branchen-, berufs- und qualifikationsspezifische Einkommensunterschiede ist dabei nicht erfolgt.

4 Siehe Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 106 vom 9. März 2021: Gender Pay Gap 2020: Frauen verdienten 18 % weniger als Männer, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/03/PD21_106_621.html (Abruf: 09.02.2022).