:: 7/2022

Einschränkungen und Chancen einer regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung

Rahmenbedingungen und Methodik der Berechnung Basis 2020

Die Entwicklung der Bevölkerung in einer Gemeinde, einer Region oder einem Bundesland hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Sehr vereinfacht ausgedrückt spielen neben der Anzahl der Geburten und Sterbefälle insbesondere die Wanderungsbewegungen sowohl zwischen den betrachteten Gemeinden als auch die Wanderungsverflechtungen mit den anderen Bundesländern sowie dem Ausland eine zentrale Rolle für die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung. Der Versuch, einen »Blick in die Zukunft« zu wagen, ist dabei immer mit Unsicherheit behaftet. Gerade für langfristige Planungen ist ein solcher Zukunftsblick aber mitunter unerlässlich. Die errechneten Zahlen stellen die Entwicklung auf Grundlage bestimmter Annahmen dar. Ändert sich im Laufe der Zeit, zum Beispiel aufgrund ergriffener Maßnahmen oder wegen unvorhersehbarer Ereignisse, einer dieser Faktoren maßgeblich, wird die errechnete Entwicklung sehr wahrscheinlich von der tatsächlichen Entwicklung abweichen.

Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung mit Basis 2020 stellt auf regionaler Ebene eine besondere Herausforderung dar. Während die Corona-Pandemie weiterhin andauert und die sich daraus ergebenden, langfristigen Auswirkungen auf die Geburtenhäufigkeit und die Sterblichkeit innerhalb Baden-Württembergs noch nicht vollumfänglich absehbar sind, ergab sich ab Februar 2022 mit dem Krieg in der Ukraine und den damit einhergehenden Fluchtbewegungen ein weiterer schwer einzuschätzender Einflussfaktor für die zukünftige Bevölkerungsentwicklung im Land. Zum Zeitpunkt der Festlegung der Annahmen der Vorausberechnung war dieser Konflikt noch nicht absehbar, weshalb dessen Auswirkungen nicht berücksichtigt werden konnten. Trotz dieser Einschränkungen bietet die regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung dennoch die Chance, die voraussichtliche Entwicklung der Bevölkerung entsprechend der zugrundeliegenden Annahmen zu betrachten und eventuell erkennbaren Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken. Zudem ermöglicht die einheitliche Berechnungsgrundlage den Vergleich der Ergebnisse verschiedener Gebietseinheiten miteinander.

Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen, die getroffenen Annahmen und die Methode der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Basis 2020 eingehend betrachtet und erläutert. Dabei sollen auch die Einschränkungen und Chancen einer solchen Rechnung in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen behandelt werden.

Regionalisierte Vorausberechnung Basis 2020

Die Basis für die neue regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung bilden die Zahlen der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011 in den Gemeinden des Landes zum 31. Dezember 2020. Die Bevölkerungsstruktur wird gegliedert nach 100 Altersjahren (0 bis 99 und mehr) und dem Geschlecht1 (männlich, weiblich) abgebildet. Für die Vorausberechnung werden bestimmte Annahmen zur Entwicklung der Geburten, der Sterblichkeit und des Wanderungsgeschehens getroffen. Diese stützen sich auf die Entwicklungen in den einzelnen Gemeinden in der Vergangenheit, kombiniert mit Annahmen über die Zukunft. Bei der Vorausberechnung handelt es sich daher um eine sogenannte Status-Quo-Rechnung2. Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass sowohl eine günstige Entwicklung als auch ein Rückgang der Bevölkerung im betrachteten Stützzeitraum einen maßgeblichen Einfluss auf die berechnete Entwicklung ausübt.

Bei der Berechnung werden keine Spezialannahmen für die einzelnen Gemeinden getroffen, sondern globale Erwartungen für das gesamte Land formuliert. Annahmen beispielsweise zu Unternehmensgründungen oder -schließungen sowie Bauprojekten, aber auch Wachstumsrestriktionen, die sich vor allem in den großen Städten aufgrund mangelnder Flächenverfügbarkeit ergeben können, werden nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass Gemeinden und Kreise ihre vorausgerechneten Ergebnisse immer mit Rückgriff auf ihr lokales Wissen interpretieren sollten.

Nach dem Top-Down-Prinzip werden die vorausgerechneten Landesergebnisse auf Gebietstypen verteilt, wodurch schlussendlich Aussagen über einzelne Gemeinden gemacht werden können. Dabei liefern die Ergebnisse der Landesrechnung die Eckwerte für die regionalisierte Vorausberechnung. Für die Berechnung selbst wurde erneut mit dem bereits bewährten Programm SIKURS3 gearbeitet, welches vom KOSIS-Verbund4 für regionale Bevölkerungsvorausberechnungen entwickelt wurde.

Im Gegensatz zur Vorausberechnung auf Landesebene, die Zahlen bis in das Jahr 2060 ausweist, reichen die Ergebnisse der regionalisierten Rechnung bis zum Jahr 2040. Dies hängt damit zusammen, dass kleinräumige Vorausberechnungen aufgrund der kleinen Gebietseinheiten mit höheren statistischen Unsicherheiten verbunden sind. Mit jedem weiteren Jahr, das in die Zukunft gerechnet wird, steigt dabei auch die Unsicherheit.

Einteilung der Gemeinden in Typen

Aufgrund der jährlichen Schwankungen der Geburten- und Wanderungszahlen in den Gemeinden, ist es sinnvoll, für die Berechnung strukturell ähnliche Gemeinden zu größeren Gruppen zusammenzufassen. Bei größeren Gebietseinheiten oder auch auf Landesebene gleichen sich solche Schwankungen tendenziell aus. In kleineren Gemeinden könnte allerdings die Fortschreibung eines Ausreißerwertes in die Zukunft zu einer deutlichen Verzerrung der Ergebnisse führen. Daher werden für die regionalisierte Vorausberechnung Gemeinden mit ähnlicher Struktur zu Gruppen zusammengefasst, um so eine breitere Berechnungsgrundlage zu erhalten. Diese Gruppen werden als Cluster oder Typen bezeichnet, der Vorgang der Zuordnung wird Typisierung genannt.

Bei der Typisierung wird darauf geachtet, dass sich die Gemeinden innerhalb eines Typs bezüglich ihres Wanderungs- und Geburtenverhaltens möglichst stark ähneln (interne Homogenität), während sie sich von Gemeinden anderer Typen möglichst stark unterscheiden (externe Heterogenität). Durch dieses Vorgehen wird die Zuverlässigkeit der Vorausberechnung erhöht. Aufgrund der Zusammenfassung von Gemeinden zu Typen kann es zudem vorkommen, dass eine Gemeinde, die für sich allein betrachtet in den vergangenen Jahren eine eher rückläufige Bevölkerung aufwies, sich dennoch laut Berechnung positiv entwickeln wird, weil sich die anderen, aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit diesem Typ zugeordneten Gemeinden in den letzten Jahren positiver entwickelt haben.

Die Typisierung der Gemeinden wurde mithilfe einer Clusteranalyse in SIKURS durchgeführt. Wie bei vorangegangenen regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnungen wurden drei Einflussfaktoren, welche sich als besonders erklärungsrelevant für die Wanderungsstrukturen von Gemeinden herausgestellt haben, für die Typisierung verwendet: der Anteil an Einfamilienhäusern, das Angebot an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Umland sowie die Pflegeplatzdichte. Der Anteil an Einfamilienhäusern steht als Indikator für die »Ländlichkeit« einer Gemeinde. Beim Arbeitsplatzangebot wurde die Anzahl der Arbeitsplätze innerhalb der Gemeinde sowie Arbeitsplätze in der Umgebung nach Pendelzeit berücksichtigt. Die Pflegeplatzdichte ist bei den Wanderungen von älteren Personen ein relevanter Aspekt.5 Zudem wurden die Ergebnisse der Typisierung kritisch gesichtet, um bei starken Abweichungen einzelne Gemeinden manuell anderen Typen zuzuordnen.

Gemeinden mit ausreichender Größe sowie alle Oberzentren und Hochschulstandorte wurden auf Basis der Wanderungen, Altersgruppen und Geburten gesichtet und manuell zu Gruppen zusammengefügt. Insgesamt ergaben sich durch diese Vorgehensweise 18 Binnenwanderungs- und Geburtentypen sowie vier Sterbetypen. Von den Binnenwanderungstypen waren neun aus der Clusteranalyse hervorgegangen. Die weiteren neun wurden manuell gebildet.

Schaubild 1 gibt einen Überblick über die räumliche Verteilung der Typen innerhalb Baden-Württembergs. Die strukturellen Merkmale der Binnenwanderungstypen sind in der Übersicht zusammengefasst.

Betrachtet man die Ergebnisse der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung getrennt nach Binnenwanderungstypen, wird erkennbar, dass sich diese in ihrer voraussichtlichen Entwicklung mitunter deutlich voneinander unterschieden. Zwar wurde für fast alle Typen bis zum Jahr 2040 ein Zuwachs errechnet, allerdings fallen diese Zugewinne je nach Typ größer bzw. kleiner aus. Lediglich in den Gemeinden, die Typ 3 angehören (vor allem im Schwarzwald gelegene Gemeinden mit eher niedrigerer Arbeitsplatzattraktivität und unterdurchschnittlichem Einfamilienhausanteil), ist bis 2040 ein leichter Rückgang der Bevölkerung zu erwarten. Ein eher schwächeres, aber dennoch klar im positiven Bereich liegendes Ergebnis wurde für die Stadt Karlsruhe (Typ 14) errechnet. Nur minimal besser ist die erwartete Entwicklung in den Kur- und Erholungsorten des Landes, die in Typ 8 zusammengefasst sind. Dagegen wurde für Typ 7 (mehrheitlich sehr kleine Gemeinden, mit sehr niedriger Arbeitsplatzattraktivität und hohem Einfamilienhausanteil) durchschnittlich das größte Wachstum berechnet. Aufgrund der eher geringen Einwohnerzahl der Gemeinden in diesem Typ, haben kleine Zuwächse von absolut gesehen wenigen Personen in der prozentualen Entwicklung eine deutlich größere Auswirkung. Der zweitgrößte Zuwachs bis zum Jahr 2040 wurde für die Städte, die in Typ 11 zusammengefasst wurden (Heilbronn, Pforzheim, Offenburg, Sigmaringen, Immendingen) errechnet.

Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass für Typ 7 zwar einerseits der größte Einwohnerzuwachs berechnet wurde, andererseits aber gleichzeitig die Gemeinden dieses Typs im Mittel den größten Anstieg des Durchschnittsalters im vorausberechneten Zeitraum zu verzeichnen haben. Während in Typ 3, in dem laut Vorausberechnung die Bevölkerung leicht sinken wird, das Durchschnittsalter zwischen 2021 und 2040 lediglich um gut 1 Jahr steigen wird, nimmt das Durchschnittsalter in Typ 7 im gleichen Zeitraum voraussichtlich um mehr als 4 Jahre zu (Schaubild 2 und 3).

Kurzfristige Entwicklungen können meist nicht vorhergesehen werden:6 Die Corona-Pandemie ...

Bezogen auf die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung hatte die Corona-Pandemie im Jahr 2020 aufgrund der damals geltenden Maßnahmen insbesondere Auswirkungen auf das Wanderungsgeschehen. Gezwungenermaßen fanden während dieser Zeit weniger Zu- und Fortzüge statt. Verstärkt wurde dies insbesondere durch die neuen Homeoffice-Möglichkeiten sowie die Durchführung des universitären Betriebs mittels Onlineformaten. Die vorläufigen Bevölkerungszahlen für das Jahr 2021 zeigen allerdings, dass die Wanderungen schneller wieder zum »vor-Pandemie-Niveau« zurückgekehrt sind, als ursprünglich für die Hauptvariante der Landesvorausberechnung angenommen wurde. Aus diesem Grund wurde für die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung nicht die Hauptvariante der Landesvorausberechnung verwendet, sondern direkt die obere Variante als Bezugsgröße herangezogen.7 Die obere Variante unterscheidet sich von der Hauptvariante lediglich bezüglich des angenommenen Wanderungssaldos. Während in der Hauptvariante von einem eher moderaten Wanderungsgewinn8 ausgegangen wurde, nimmt die obere Variante an, dass bereits 2021 ein Wanderungsgewinn von 20 000 Personen erreicht wird und dieser ab dem Jahr 2028 auf einen Zugewinn von 40 000 Personen pro Jahr steigen wird.

Neben dem Einfluss der Pandemie auf das Wanderungsverhalten erscheint auch ein Effekt auf die Geburtenrate aufgrund der Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie plausibel. Allerdings würde sich dieser Einfluss erst ab dem Jahr 2021 deutlich zeigen, da viele Schwangerschaften bereits mit Beginn der Pandemie bestanden. Zudem war im Jahr 2020 für viele noch nicht absehbar, wie lange diese Ausnahmesituation andauern würde, was auch für ein späteres Einsetzen des dämpfenden Effekts auf die Geburtenhäufigkeit sprechen würde. Vorläufige Ergebnisse für das 1. Halbjahr 2021 legen nahe, dass es zu keinem Geburtenrückgang aufgrund von Corona gekommen ist. Insgesamt wurde daher entschieden, die Ergebnisse des Jahres 2020 bei der Parameterfestlegung nur für die ersten Vorausberechnungsjahre heranzuziehen, nicht aber bei der Vorgabe für die mittel- bis langfristige Entwicklung.

… und der Krieg in der Ukraine

Während auf die bereits absehbare, schnellere Erholung der Wanderung im Jahr 2021 reagiert werden konnte, indem für die Berechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung die oberen Variante der Landesvorausberechnung verwendet wurde, bestand diese Möglichkeit in Bezug auf die Fluchtbewegungen aus der Ukraine als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen das Land, nicht. Eine Neudurchführung der Vorausberechnung auf Landesebene sowie der regionalisierten Vorausberechnung wurde aufgrund der nach wie vor unsicheren Lage, bezüglich der weiteren Entwicklungen in diesem Konflikt, nicht durchgeführt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch die Verwendung der oberen Variante der Landesrechnung den Zahlen der nach Deutschland und damit auch nach Baden-Württemberg Flüchtenden nicht gerecht werden wird. Dadurch kann die berechnete Entwicklung insbesondere in den ersten Vorausrechnungsjahren zu niedrig ausfallen.

Annahmen der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Basis 2020:9

Lebenserwartung und Sterblichkeit

Seit vielen Jahren hat die Lebenserwartung in Baden-Württemberg sowohl für Frauen als auch für Männer zugenommen. Neugeborene Jungen haben heutzutage eine durchschnittliche Lebenserwartung von 79,8 Jahren. Mädchen können sogar damit rechnen, durchschnittlich 84,2 Jahren alt zu werden.10 Auch für die Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass sich die Lebenserwartung weiter erhöhen wird. Allerdings mit der Einschränkung, dass sich der Anstieg im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten eher abschwächen wird.11 Bei der Vorausberechnung auf Landesebene, die die Eckwerte der Geburten und Sterbefälle für die regionalisierte Rechnung liefert, wurde daher der Anstieg der Lebenserwartung im Vergleich zu vorangegangenen Vorausberechnungen bis zum Jahr 2060 leicht, um ca. 0,3 Jahre, linear abgesenkt. Bis zum Jahr 2040 ergibt sich dadurch ein Anstieg der Lebenserwartung der Männer um ca. 1,3 Jahre und bei Frauen um ca. 1,1 Jahre.

Die Sterberaten wurden abhängig von der angenommenen Lebenserwartung differenziert nach Geschlecht und Altersjahren berechnet. Die Berechnung erfolgte anhand der Sterbefälle der vorangegangenen Jahre bezogen auf die mittlere Bevölkerung des jeweiligen Jahres. Der Stützzeitraum für die Berechnung der Sterberaten umfasste die Jahre 2017 bis 2020. Im Falle der ersten Vorausberechnungsjahre wurden die Daten des Jahres 2020 stärker gewichtet, um die coronabedingten zusätzlichen Sterbefälle in den höheren Altersgruppen zu berücksichtigen.

Geburtenhäufigkeit

In den Jahren zwischen 2010 und 2016 hatte die Geburtenhäufigkeit in Baden-Württemberg tendenziell etwas zugenommen. Dieser Anstieg lässt sich zu einem Drittel auf die demografische Entwicklung zurückführen, da die Gruppe mit der höchsten Geburtenhäufigkeit (Frauen im Alter von 25 bis 38 Jahren) in den letzten Jahren zugenommen hat.12 Bei zwei Dritteln des Anstiegs handelt es sich folglich um eine tatsächliche Zunahme der Geburtenhäufigkeit. Hierbei können sich sowohl die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, als auch der Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Land günstig ausgewirkt haben. In wirtschaftlich guten Zeiten verwirklichen mehr Paare einen bestehenden Kinderwunsch als in Phasen wirtschaftlicher Ungewissheit. Zudem kamen aufgrund der starken Zuwanderung in diesem Zeitfenster viele Frauen aus Staaten mit deutlich höherer Geburtenhäufigkeit nach Baden-Württemberg, was ebenfalls einen Anstieg der Geburtenrate zur Folge hatte. Im Zeitraum von 2017 bis 2019 verharrte die Geburtenrate der deutschen Frauen bei knapp 1,5 Kindern je Frau, bei den ausländischen Frauen war ein leichter Rückgang auf gut 1,9 Kinder je Frau zu verzeichnen.

Wie sich die Geburtenrate in Zukunft entwickeln wird, kann nur schwer abgeschätzt werden. Bei der Festlegung der Annahmen hierzu spielten insbesondere die Nachwirkungen der Corona-Pandemie sowie die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs eine wichtige Rolle.13 Die gestiegene (wirtschaftliche) Unsicherheit aufgrund der Corona-Pandemie wurde als dämpfender Effekt auf die Geburtenrate angesehen. Gleichzeitig wurde angenommen, dass die Pandemie auf die mittel- bzw. langfristige Geburtenrate keinen nennenswerten Effekt haben wird, weshalb ab dem Jahr 2023 die durchschnittliche Fruchtbarkeitsziffer der Jahre 2017 bis 2019 herangezogen und für den restlichen Vorausrechnungszeitraum konstant gehalten wurde. Insgesamt wurde eine durchschnittliche Kinderzahl je Frau von 1,56 angenommen. Ein weiterer Trend hin zur »späteren Geburt« wurde nicht mehr unterstellt. Zwar hat die Geburtenhäufigkeit unter den älteren Frauen zugenommen, allerdings ist die der jüngeren Frauen nicht gesunken.

Wanderungen

Im Gegensatz zu den Geburten- und Sterbefällen, welche eine gewissen Konstanz aufweisen, ist das Wanderungsgeschehen deutlicheren Schwankungen unterworfen. Da in Baden-Württemberg allein auf Grundlage der natürlichen Bevölkerungsentwicklung (siehe Abschnitt Modellrechnung) ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen wäre, bilden die Zu- bzw. Fortzüge über die Landesgrenze die wichtigste Einflussgröße für die Entwicklung der Bevölkerung (Schaubild 4).

Seit mehreren Jahrzehnten weist Baden-Württemberg einen positiven Wanderungssaldo auf – das heißt pro Jahr ziehen mehr Menschen nach Baden-Württemberg als das Land verlassen. Besonders hoch waren die Zugewinne zuletzt in den Jahren 2015 und 2016, in denen viele Schutzsuchende nach Deutschland und damit auch nach Baden-Württemberg kamen. In den darauffolgenden Jahren waren die Wanderungsgewinne allerdings rückläufig, weshalb für die Hauptvariante der Landesrechnung angenommen wurde, dass die Wanderungsgewinne nach dem »Einbruch« durch Corona nur moderat ansteigen werden und erst im Jahr 2029 wieder einen Wert von 30 000 erreichen. Im Gegensatz dazu wurde bei der oberen Variante davon ausgegangen, dass die Wanderungsgewinne deutlich schneller und stärker zunehmen werden. Hintergrund dieser Annahmen bildet die Überlegung, dass sich Baden-Württemberg auch in Zukunft wirtschaftlich gut entwickeln wird und daher weiterhin sehr attraktiv für Arbeitssuchende aus dem EU-Ausland bleiben wird. Zudem erscheint es plausibel, dass die EU ihre in den letzten Jahren restriktive Flüchtlingspolitik wieder lockern könnte und dadurch der Zustrom von außerhalb der EU, unter anderem auch aufgrund des Klimawandels, wieder zunehmen könnte. Bereits im Jahr 2021 wurde für die obere Variante daher ein Wanderungssaldo bei 20 000 angenommen. Ab dem Jahr 2028 wurde ein jährlicher Wanderungsgewinn von 40 000 Personen unterstellt.

In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine sind die Annahmen über die Wanderungen mit besonderer Unsicherheit behaftet. Es kann davon ausgegangen werden, dass deutlich mehr Menschen, als im letzten Jahr angenommen, nach Baden-Württemberg kommen werden. Ob die Geflüchteten aus der Ukraine längerfristig in Baden-Württemberg bleiben werden, hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Kriegs ab und kann daher aktuell nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es bleibt also abzuwarten, ob nach einem höheren Anstieg der Zuwanderung in diesem Jahr, in der (nahen) Zukunft ein Rückzug der aktuell Geflüchteten erfolgen wird.

Modellrechnung – Natürliche Bevölkerungsentwicklung ohne Wanderungen

Die sogenannte Modellrechnung der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung zeigt, wie sich die Gemeinden Baden-Württembergs entwickeln würden, wenn keine Wanderungen, das heißt absolut keine Umzüge, stattfinden würden. Einzige Einflussgrößen für die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung sind in diesem Szenario die Geburten- und Sterbefälle. Es handelt sich hierbei folglich nicht um die Berechnung einer realistischen Entwicklung und der Nutzen dieser Berechnung liegt daher nicht in der Vorhersage einer wahrscheinlichen Bevölkerungsentwicklung. Stattdessen soll diese Rechnung Aufschluss darüber geben, wie sich die aktuell in einer Gemeinde bestehende Altersstruktur zukünftig auswirken wird. Anhand dieser Berechnung wird vor allem deutlich, wie stark Baden-Württemberg auf den Zuzug von außen angewiesen ist, um den aktuellen Bevölkerungsstand zu halten bzw. weiterhin zu wachsen. Betrachtet man die Ergebnisse der Modellrechnung auf Landesebene, wird auf einen Blick deutlich, dass ohne Zuwanderung aus dem restlichen Bundesgebiet, der EU und anderen Staaten die Bevölkerung Baden-Württembergs sinken würde. Bis zum Jahr 2040 würde die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner um voraussichtlich 3,6 % zurückgehen und nur noch bei knapp 10,7 Millionen Personen liegen.

Warum überhaupt eine neue Rechnung unter diesen Bedingungen veröffentlichen?

Vorausberechnungen sind keine Vorhersagen, sondern stets Momentaufnahmen. Die Ergebnisse beschreiben, wie sich Baden-Württemberg entwickelt, falls die Umstände, die zum Zeitpunkt der Festlegung der Annahmen als wahrscheinlich angesehen wurden, weiterhin gelten. Ändern sich die Umstände, werden sich auch die Bevölkerungszahlen verändern. Die Qualität einer Vorausberechnung zeigt sich deshalb nie darin, ob sie eintrifft. Ergreift eine Gemeinde bestimmte Maßnahmen, um beispielsweise einer schrumpfenden Bevölkerungsentwicklung entgegenzuwirken und ist damit erfolgreich, werden die Bevölkerungszahlen der Vorausberechnung mit der Realität nicht übereinstimmen. Trotzdem war die Vorausberechnung eine wichtige Stütze bei der Planung, um ungewünschte Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken oder um sich auf absehbare Trends, wie beispielsweise eine stark alternde Einwohnerschaft, vorzubereiten. Aus diesem Grund bieten Vorausberechnungen immer die Möglichkeiten, den aktuell eingeschlagenen Weg nochmals kritisch zu betrachten und eventuell getroffene Maßnahmen oder Planungen bei Bedarf entsprechend anzupassen. Eine regelmäßige Neuberechnung ist dabei wichtig, um aktuelle Trends der Bevölkerungsentwicklung berücksichtigen zu können. Dass man dabei im Prozess der Erstellung (wie im Falle des Kriegs in der Ukraine) mitunter trotzdem von der Realität überholt wird, ist leider manchmal unvermeidbar.

Ein weiterer wichtiger Grund für die aktuelle Vorausberechnung liegt in der Durchführung des Zensus 2022. Die Aufbereitung der Daten einer solchen Großerhebung ist mit viel Aufwand verbunden, weshalb auf die Veröffentlichung der Zahlen der Volkszählung erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit gewartet werden muss. Zudem gestaltet sich der Prozess der Erstellung einer regionalisierten Vorausberechnung ebenfalls zeitaufwendig. Daher kann die nächste Vorausberechnung auf Gemeindeebene voraussichtlich nicht vor 2024 veröffentlicht werden. Eine aktualisierte Rechnung, die zumindest die Entwicklungen der Jahre 2017 bis 2020 berücksichtigt, wurde daher als sinnvoll angesehen. Andernfalls würde der Abstand zur vorangegangenen Vorausberechnung (Basis 2017) sehr groß werden, was insbesondere für langfristige Planungsvorhaben problematisch werden könnte.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung Basis 2020 wird in weiteren Beiträgen im Statistischen Monatsheft erfolgen.

1 Das Merkmal Geschlecht kann Fälle mit der Ausprägung »unbestimmt« bzw. ab dem Berichtsjahr 2019 »divers« beinhalten. Diese werden nicht gesondert fortgeschrieben, sondern durch ein definiertes Umschlüsselungsverfahren auf männlich und weiblich verteilt. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Bevoelkerung/bevoelkerungsfortschreibung-2020.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 10.05.2022).

2 Eine Status-Quo-Rechnung bedeutet, dass die Ergebnisse eine Entwicklung abbilden, der die Annahme zugrunde liegt, dass die aktuellen Gegebenheiten auch in Zukunft fortbestehen werden.

3 Software zur kleinräumigen Bevölkerungsprognose.

4 Verbund kommunales Statistisches Informationssystem.

5 Da die Pflegeplatzdichte erst ab Kreisebene veröffentlicht werden darf, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen.

6 Der Nutzen von Bevölkerungsvorausberechnungen liegt nicht in der Vorhersage von Kriegen oder anderen Krisen, sondern darin, »grundlegende demografische Trends fortzuschreiben« (Deschermeier et. al. (2020): Bevölkerungsvorausberechnungen auf nationaler Ebene – Konzepte, Daten, Anwendungsbeispiele, S. 33, in: Deschermeier, Philipp/Fuchs, Johann/Iwanow, Irene/Wilke, Christina Benita (Hrsg.) (2020): Zur Relevanz von Bevölkerungsvorausberechnungen für Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Regionalpolitik, (IAB-Bibliothek, 372)

7 Aus diesem Grund wurde zudem keine Nebenvariante oder untere Variante wie bei vorangegangenen Vorausberechnungen erstellt, da es eher unwahrscheinlich erscheint, dass sich diese Annahmen in den nächsten Jahren doch bewahrheiten werden. In Anbetracht der aktuellen Situation in der Ukraine erscheint diese Entscheidung darüber hinaus sinnvoll, da mit deutlich mehr Zuzug von Schutzsuchenden zu rechnen ist, als im Sommer/Herbst 2021, als die Annahmen der Vorausberechnung festgelegt wurden, vorhergesehen werden konnte.

8 Nach einem »Einbruch« im Jahr 2020 mit einem Wanderungsgewinn von lediglich knapp 14 000 Personen, wird angenommen, dass ab 2029 ein Wanderungssaldo von 30 000 Personen pro Jahr erreicht wird.

9 Siehe hierzu auch: Brachat-Schwarz, Böhm (2022): Der Alterungsprozess der Bevölkerung schwächt sich langfristig ab, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2022, https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20220102 Abruf: 10.05.2022).

10 Sterbetafel für Baden-Württemberg: https://www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/GeburtSterben/sterbetafel.jsp Abruf: 10.05.2022).

11 Dieser Trend war bereits vor der Corona-Pandemie erkennbar. Ob die Pandemie hier zu einer weiteren Abschwächung des Anstiegs der Lebenserwartung führen wird, kann noch nicht abschließend beantwortet werden.

12 Brachat-Schwarz, Werner: Babyboom in Baden-Württemberg? Zur Entwicklung der Geburtenhäufigkeit im Südwesten, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2019, https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20190201 (Abruf: 10.05.2022).

13 Da die Annahmen bereits im Herbst 2021 festgelegt wurden, konnten die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine nicht berücksichtigt werden.