:: 7/2022

Vielfältiger Ausbaubedarf in der Kindertagesbetreuung

Nach wie vor ist eine starke Dynamik im Bereich der Kindertagesbetreuung in Baden-Württemberg zu beobachten. Mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf eine Kinderbetreuung ab Vollendung des 1. Lebensjahres im Jahr 2013, wurde der Fokus zunächst auf den Ausbau der Kleinkindbetreuung gelegt. Inzwischen rückt auch die Betreuung älterer Kinder in den Mittelpunkt. Mit der sukzessiven Vorverlegung des Einschulungsstichtags bis zum Schuljahr 2022/23 werden voraussichtlich zahlreiche 6-Jährige bis zu einem Jahr länger Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtung in Anspruch nehmen. Darüber hinaus wird ab dem Schuljahr 2026/27 stufenweise ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eingeführt, welcher teilweise auch durch Betreuungsarrangements in Kindertageseinrichtungen abzudecken sein wird. Wie der Ausbau der Kindertagesbetreuung in den letzten 10 Jahren bezüglich der früheren Betreuung von Kindern im Kleinkindalter, beim Umfang der Betreuungszeiten und schließlich der Schulkindbetreuung vorangeschritten ist, lässt sich anhand der Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik1 darstellen.

Immer mehr Kleinkinder in Kindertagesbetreuung

Am Stichtag 1. März 2021 wurden in Baden-Württemberg rund 456 000 Kinder in knapp 9 500 Kindertageseinrichtungen betreut. Dabei waren 17 % der Kind unter 3 Jahre alt. Seit dem Erhebungsjahr 2012 ist die Anzahl der unter 3-Jährigen in Kindertageseinrichtungen um 46 % auf über 79 000 gestiegen, ein Vielfaches stärker als die Anzahl aller betreuten Kinder (+ 17 %).

Neben den Kindertageseinrichtungen findet Betreuung von Kleinkindern auch in der Kindertagespflege statt. Über 6 000 aktive Kindertagespflegepersonen betreuten im März 2021 über 21 000 Kinder, darunter rund 15 000 Kinder im Alter unter 3 Jahren. Auch in diesem Bereich der Kinderbetreuung ist der Zuwachs der letzten Jahre enorm. Seit 2012 stieg die Zahl der betreuten unter 3-Jährigen um 68 %.

Bei der Betreuung der unter 3-Jährigen insgesamt (Kindertageseinrichtung und Kindertagespflege) gab es einen besonders hohen Anstieg im Berichtsjahr 2014, dem Jahr nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr (+ 12 % gegenüber 2013).2 Im Erhebungsjahr 2021 gab es erstmals seit 2006 einen Rückgang der Anzahl betreuter unter 3-Jähriger. Inwieweit dieser Rückgang auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist, kann anhand der Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht identifiziert werden. Die ebenfalls rückläufige Zahl aller Kinder dieser Altersgruppe zeigt, dass auch die demografische Entwicklung hierbei eine Rolle gespielt hat.

In Baden-Württemberg ist die Anzahl der Kinder im Alter von unter 3 Jahren am Stichtag 31. Dezember 2020 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreswert um 0,4 % gesunken. In Kombination mit der geringeren Zahl der betreuten Kinder in dieser Altersgruppe ergibt sich für 2021 eine Betreuungsquote3 von 28,7 %. Die Betreuungsquote ist gegenüber 2020 zurückgegangen (2020: 30,0 %), lag jedoch deutlich höher als im Jahr 2012 (23,1 %). Den mit Abstand größten Anstieg der Betreuungsquote gab es, wie auch bei der Anzahl der unter 3-Jährigen, im Jahr 2014 (+ 2,9 Prozentpunkte gegenüber 2013), dem 1. Erhebungsjahr seit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kleinkinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr (Schaubild 1).

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Altersjahren sind dabei relativ groß. Von den Kindern die das 1. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und für die somit kein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz besteht, wurden 2021 insgesamt 1,7 % betreut. Bei den Kindern im Alter von 1 bis unter 2 Jahren lag die Betreuungsquote bei 29,4 %. Seit dem Jahr 2012 ist die Quote in dieser Altersgruppe um 8,6 Prozentpunkte gestiegen. Bei den Kindern im Alter von 2 bis unter 3 Jahren betrug die Betreuungsquote sogar 54,4 % und lag 9,1 Prozentpunkte höher als 2012.

Durchschnittliche Betreuungszeit steigt

Neben dem Ausbau der Kleinkindbetreuung der letzten 10 Jahre, hat sich auch der zeitliche Umfang der Betreuung für Kinder aller Altersgruppen erhöht. Der durchschnittliche Be­treuungsumfang in Kindertageseinrichtungen im März 2021 betrug 7,0 Stunden pro Tag (+ 0,3 Stunden seit 2012) und 34,8 Stunden pro Woche (+ 1,8 Stunden seit 2012).

Der höhere Betreuungsumfang spiegelt sich auch in den Öffnungszeiten der Einrichtungen wider. Während im Jahr 2012 noch rund 77 % bis spätestens 7:30 Uhr öffneten, traf das 2021 bereits auf 90 % der Einrichtungen zu. Eine Schließzeit ab 16:30 Uhr oder später hatten im Jahr 2012 noch knapp 40 % und 2021 bereits 47 % der Kindertageseinrichtungen. Allerdings schlossen im März 2021 lediglich 42 Einrichtungen im Land nach 18:00 Uhr.

Bei den Kindern in Kindertagespflege betrug der durchschnittliche Betreuungsumfang pro Tag 5,8 Stunden (+ 0,5 Stunden seit 2012) und pro Woche 22,0 Stunden (+ 4,9 Stunden seit 2012).

Betrachtet man den Betreuungsumfang der Kinder in Kindertagesbetreuung (Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege) 2021 im Vergleich zu 2012 so fällt auf, dass insbesondere der Anteil der Kinder, die pro Woche 40 Stunden und mehr betreut werden, gestiegen ist (+ 8 Prozentpunkte). Der Großteil der Kinder (67 %) wurde am Stichtag 2021 zwischen 26 und 39 Stunden betreut, 8 % erhielten bis zu 25 Stunden Betreuung (Schaubild 2).

Eine Ganztagsbetreuung im Sinne einer durchgehenden Betreuung von mehr als 7 Stunden pro Betreuungstag erhielten im März 2021 insgesamt 28 % der Kinder. Im Erhebungsjahr 2012 waren es noch 19 %. Dabei ist der Unterschied zwischen den Altersgruppen relativ groß. Bei den Kindern unter 3 Jahren lag der Anteil der Ganztagsbetreuten 2021 bei 37 %, bei den 3- bis unter 6-Jährigen waren es 26 %.

Entsprechend dieser Entwicklung steigt auch die Anzahl der Kinder, die in der Betreuung mit einer Mahlzeit versorgt werden. Im Berichtsjahr 2021 erhielt jedes zweite betreute Kind eine Mittagsverpflegung.

Späteres Betreuungsende durch Vorverlegung des Einschulungsstichtags

Häufig endet die Betreuung der Kinder in Tageseinrichtungen mit dem Eintritt in die Schule. Dieser erfolgt in der Regel dann, wenn ein Kind bis zum Einschulungsstichtag das 6. Lebensjahr vollendet hat.

Der Einschulungsstichtag wird in Baden-Württemberg seit dem Schuljahr 2020/21 schrittweise vorverlegt. Bis zum Schuljahr 2019/20 war es der 30. September, im Schuljahr 2020/21 der 31. August, im Schuljahr 2021/22 der 31. Juli und ab dem Schuljahr 2022/23 ist der Einschulungsstichtag am 30. Juni.4

Die Auswirkungen des ersten Schrittes der Vorverlegung um einen Monat im Schuljahr 2020/21 auf die Betreuungszahlen in Kindertageseinrichtungen lassen sich anhand der Erhebung der Kindertageseinrichtungen mit dem Stichtag am 1. März 2021 abbilden. Bei Betrachtung der 6-jährigen Nichtschulkinder in Kindertageseinrichtungen im März 2021 wird ersichtlich, dass deren Anzahl um 11 Prozentpunkte stärker gestiegen ist als in den beiden Vorjahren (2021: + 14 %). Inwieweit dieser Anstieg tatsächlich mit der Vorverlegung des Einschulungsstichtags oder weiterer möglicher Einflussfaktoren wie beispielsweise den Folgen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zusammenhängt, lässt sich anhand der Kinder- und Jugendhilfestatistik letztendlich nicht identifizieren (Schaubild 3).

Bei der Kindertagespflege wird im Zeitvergleich erkennbar, dass sich die Betreuung zunehmend auf die unter 3-Jährigen konzentriert. 2021 waren lediglich 19 % der Kinder älter als 5 Jahre, 2012 traf dies noch auf 36 % der betreuten Kinder zu.

Auch wenn Kinder bereits die Schule besuchen, sind Betreuungsangebote weiterhin gefragt. Mit der geplanten sukzessiven Einführung eines Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung von Kindern der Klassenstufen eins bis vier ab dem Schuljahr 2026/27 soll diesem Bedarf Folge geleistet werden.5 Die Betreuung von Schulkindern im Bereich der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen hat sich in Baden-Württemberg seit 2012 kaum verändert.6 Während im Erhebungsjahr 2012 noch knapp 16 000 Schulkinder in 408 Einrichtungen betreut wurden, waren es 2021 rund 17 000 Schulkinder in 401 Horten. In Kindertageseinrichtungen mit altersgemischten Gruppen wurden im Jahr 2021 gut 7 000 Schulkinder betreut (2012: 13 000 Schulkinder). Insgesamt ist die Anzahl der Schulkinder seit 2012 um 16 % gesunken. In der Kindertagespflege betrug der Anteil an Schulkindern an allen betreuten Kindern im März 2021 lediglich 13 %, im Jahr 2012 waren es noch 23 %. Ein wichtiger Faktor für diese Entwicklung dürfte der Ausbau der Ganztagsschulen sein, durch den sich die Betreuung von Kindern im Schulalter in Einrichtungen unter schulischer Aufsicht verlagert.7

Ausblick

Auch in den kommenden Jahren ist mit einer starken Dynamik im Bereich der Kindertagesbetreuung zu rechnen. In der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg wird in den nächsten Jahren zwar mit einem leichten Rückgang der Kinder unter 3 Jahren wie auch der Kinder im Alter von 3 bis unter 6 Jahren gerechnet.8 Allerdings ermittelte das Deutsche Jugendinstitut (DJI) im Rahmen einer Elternbefragung 2019 einen Betreuungsbedarf von 43 % der unter 3-Jährigen in Baden-Württemberg,9 welcher auch im Jahr 2021 noch um 14 Prozentpunkte über der tatsächlichen Betreuungsquote lag. Für Grundschulkinder ermittelte das DJI sogar einen Betreuungsbedarf außerhalb des Unterrichts von 74 %. Hinzu kommt, dass in der Altersgruppe der Grundschulkinder laut Bevölkerungsvorausberechnung in den nächsten Jahren von einem Anstieg auszugehen ist. Wie sich der Ausbau der Kinderbetreuung weiterentwickelt, wie nah das Angebot an den, vom DJI ermittelten Bedarf reichen wird und inwiefern sich die Sachlage mit dem Inkrafttreten weiterer Rechtsansprüche ändert, werden die Ergebnisse der amtlichen Statistik der kommenden Jahre zeigen.

1 Im Teil III der Kinder- und Jugendhilfestatistik werden unter anderem Daten zu den Kindern und tätigen Personen in Kindertageseinrichtungen und öffentlich geförderter Kindertagespflege erhoben. Stichtag der Erhebungen ist der 01.03. eines jeden Jahres. Dabei ist entscheidend, für wie viele Kinder eine vertragliche Vereinbarung zur Kinderbetreuung vorliegt. Die tatsächliche Anwesenheit der Kinder an diesem Stichtag ist unerheblich.

2 Gesetzlich verankert wurde der Anspruch im Achten Sozialgesetzbuch – SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz), § 24.

3 Anzahl der Kinder in Kindertagesbetreuung je 100 Kinder der gleichen Altersgruppe.

4 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG).

5 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 71: Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (GaFöG).

6 Es handelt sich hierbei lediglich um einen Teil der Schulkindbetreuung. So können beispielsweise schulische Angebote oder ehrenamtlich organisierte Angebote anhand der Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht abgebildet werden.

7 Ganztagsschulstatistik der Kultusministerkonferenz 2019/2020: https://www.ganztagsschulen.org/SharedDocs/Kurzmeldungen/de/m-o/neue-kmk-statistik-fuer-ganztagsschulen-2019-2020.html?nn=605460 (Abruf: 14.04.2022).

8 Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Flüchtlingsbewegung wurde in der Vorausberechnung nicht berücksichtigt.

9 Anton, Jeffrey/Hubert, Sandra/Kuger, Susanne (2021): Der Betreuungsbedarf bei U3- und U6-Kindern. DJI-Kinderbetreuungsreport 2020. München 2021.