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Wer studiert noch in Zeiten von Corona?

Sinkende Studienanfängerzahlen und steigende Studiendauern 2 Jahre nach Beginn der Pandemie

Dieser Beitrag stellt die Entwicklung der Studierendenzahlen an den baden-württembergischen Hochschulen seit Beginn der Pandemie dar. Sinkende Absolventenzahlen und eine erhöhte Anzahl an Studierenden in höheren Semestern lassen darauf schließen, dass sich die Studienzeiten verlängert haben. Gleichzeitig sank im 1. Corona-Wintersemester 2020/21 vor allem die Anzahl der ausländischen Studienanfängerinnen und -anfänger, während bei den deutschen Studienanfängerinnen und -anfängern zunächst nur ein moderater Rückgang zu beobachten war. Erst im Wintersemester 2021/22 brach dann schließlich auch die Anzahl der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger erheblich ein, während sich zu diesem Zeitpunkt die Anzahl der ausländischen Studienanfängerinnen und -anfänger bereits erholte. Bemerkenswert ist, dass nur die Anzahl der deutschen, nicht jedoch die der bildungsinländischen Studienanfängerinnen und -anfänger gesunken ist.

Die seit dem Frühjahr 2020 andauernde Pandemie hat gravierende wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Folgen. Bildungsforscherinnen und -forscher warnen vor Lernrückständen und einer sich verstärkenden sozialen Ungleichheit beim Zugang zu Bildung.1 Auch im tertiären Bildungsbereich sind die Folgen der Corona-Pandemie zu spüren. So konnte bereits im Sommer 2020 mit einer vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz durchgeführten bundesweiten Studierendenbefragung festgestellt werden, dass sich die Studiensituation insgesamt verschlechtert hat, vor allem in Bezug auf den Kontakt zu anderen Studierenden und den Austausch in Lerngruppen.2 Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten, dass sich dadurch das Risiko eines vorzeitigen Studienabbruchs erhöhen könnte. Zwar wurde im Sommersemester 2020 noch kein Hinweis auf eine generelle Erhöhung der Abbruchintention gefunden. Dennoch befürchteten zu diesem Zeitpunkt bereits 47 % der befragten Studierenden, dass sich ihr Studium aufgrund der Pandemie verlängern wird.3 Mehr als die Hälfte der Studierenden (58 %) war der Meinung, dass für sie die Bewältigung von Prüfungsanforderungen durch die Pandemie schwieriger geworden ist.4 Besonders betroffen waren davon Studierende mit Kindern, Studierende mit Beeinträchtigungen und Angehörige der COVID-19-Risikogruppe.

Finanzielle Probleme und befürchtete Verlängerung des Studiums

Weitere Analysen der Studierendenbefragung des DZHW ergaben, dass sich die finanzielle Situation der Studierenden insgesamt merklich verschlechtert hat – zum einen durch den Wegfall studentischer Jobs und Reduzierungen im Arbeitsumfang, zum anderen aufgrund der Verschlechterung der Einkommenssituation der Eltern.5 Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Fortführung des Studiums. So gaben Studierende, deren eigene Erwerbssituation sich verschlechtert hatte, und Studierende, deren Eltern sich in einer schwierigeren Einkommenssituation befanden, häufiger an, über einen Studienabbruch nachzudenken, als andere Studierende. Zudem trat eine erhöhte Abbruchintention infolge einer verschlechterten Erwerbssituation häufiger bei Studierenden aus Nicht-Akademikerfamilien auf als bei Studierenden aus Akademikerfamilien, da Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien in stärkerem Maße auf die eigene Erwerbstätigkeit angewiesen sind als Studierende aus Akademikerfamilien. Außerdem äußerten Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien häufiger als Studierende aus Akademikerfamilien die Befürchtung, ihr Studium ohne zusätzliche finanzielle Hilfen nicht fortsetze n zu können. Entsprechend beantragten auch mehr Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien als Studierende aus Akademikerfamilien die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gewährte Überbrückungshilfe.6

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich für die internationalen Studierenden an den Hochschulen in Deutschland. Sie berichteten häufiger als deutsche Studierende von einer verschlechterten eigenen Erwerbssituation und von einer verschlechterten Einkommenssituation der Eltern.7 Im Unterschied zu den deutschen Studierenden sind internationale Studierende zudem stärker von der Unterstützung durch ihre Eltern abhängig. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Lage infolge der Pandemie in vielen Ländern deutlich schlechter ist als in Deutschland. Die Autoren der Studie vermuten deshalb, dass die Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern internationaler Studierender stärker eingeschränkt sind als die der Eltern deutscher Studierender.8 Entsprechend befürchteten internationale Studierende häufiger als deutsche Studierende, dass sie ihr Studium ohne zusätzliche finanzielle Hilfen nicht fortsetzen werden können und stellten überproportional häufig einen Antrag auf Überbrückungshilfe. Auf Basis des International Student Survey konnte zudem gezeigt werden, dass internationale Studierende mit einer hohen Unsicherheit gegenüber digitalen Prüfungen und Studierende aus dem unteren Leistungsdrittel eher zu einer Verlängerung des Studiums tendierten als internationale Studierende mit mittleren und sehr guten Studienleistungen und mit einer hohen Motivation gegenüber digitalen Lehrformen.9

Wenig überraschend ist daher auch das Ergebnis einer weiteren DZHW-Studie, in der Studierende im Frühjahr 2021 befragt wurden, die einen Antrag auf Überbrückungshilfe gestellt hatten.10 Zwar gab es zwischen Studierenden, die einen erfolgreichen Antrag gestellt hatten, Studierenden, deren Antrag nicht erfolgreich war, und Studierenden, die erst gar keinen Antrag auf Überbrückungshilfe gestellt hatten, nur geringe Unterschiede in der Abbruchintention und beim Nachdenken über eine Studienunterbrechung. Allerdings hielten über die Hälfte der Studierenden, deren Antrag abgelehnt wurde, eine Studienzeitverlängerung für sehr wahrscheinlich (54 %), während nur noch 46 % bzw. 47 % derjenigen, deren Anträge vollständig bzw. zum Teil bewilligt wurden, dieser Meinung waren. Von den Studierenden, die erst gar keinen Antrag auf Überbrückungshilfe gestellt hatten, gaben nur 27 % an, dass sie eine Studienzeitverlängerung für sehr wahrscheinlich halten.

Studienzeitverlängerungen und aufgeschobene Prüfungen

Wie haben sich nun die Studierenden- und Absolventenzahlen in Baden-Württemberg während der Pandemie entwickelt? Im 1. Wintersemester nach Beginn der Corona-Pandemie, dem Wintersemester 2020/21, kam es zunächst zu einer geringfügigen Erhöhung der Studierendenzahl um 0,5 %. Zuvor waren die Studierendenzahlen 3 Jahre lang in Folge gesunken. Mit dem Wintersemester 2021/22 setzte sich dieser Trend weiter fort. Im Vergleich zum Wintersemester 2020/21 gingen die Studierendenzahlen im Wintersemester 2021/22 um gut 1 % zurück, im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Wintersemester 2019/20 um 0,6 %.

Eine naheliegende Vermutung ist, dass der kurzfristige Anstieg der Studierendenzahl im Wintersemester 2020/21 auf die verlängerten Regelstudienzeiten und ausgesetzte Prüfungen an den Hochschulen zurückzuführen ist. Diese würden es den Studierenden erlauben, ihr Studium trotz pandemiebedingter Einschränkungen an den Hochschulen – geschlossene Bibliotheken, Labore, Sportstätten und Mensen – sowie aufgrund von finanziellen Problemen nicht vorzeitig abbrechen zu müssen. Bestätigt wird diese Vermutung dadurch, dass sich im Wintersemester 2020/21 nur die Anzahl der Studierenden in den höheren Semestern11 erhöht hat (+2 %), nicht jedoch die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Hochschulsemester. Zwar sank die Anzahl der Studierenden in den höheren Semestern im Wintersemester 2021/22 wieder um 0,5 %. Dennoch waren immer noch gut 1 % mehr Studierende in höheren Semestern eingeschrieben als im letzten Vor-Corona-Wintersemester 2019/20. Auch die durchschnittliche Hochschulsemesteranzahl erhöhte sich dadurch von 7,0 im Wintersemester 2019/20 auf 7,2 im Wintersemester 2020/21 und 7,4 im Wintersemester 2021/22 (Schaubild 1).

Ein ähnlicher Trend zeigt sich auch in den Absolventenzahlen. Mit Beginn der Corona-Pandemie waren die Absolventenzahlen im Prüfungsjahr 2020 zunächst stark eingebrochen (−7 %). Im Prüfungsjahr 2021 wurden Prüfungen dann vielfach nachgeholt, sodass die Anzahl der Hochschulabsolventinnen und -absolventen wieder um 7 % anstieg. Dennoch konnte das Vor-Corona-Niveau damit noch nicht wieder erreicht werden. Vor allem die Anzahl der Bachelor- und Masterabschlüsse lag 2021 noch unterhalb des Niveaus von 2019. Ganz anders sah es hingegen bei den Lehramtsabschlüssen, den Promotionen und den übrigen Fachhochschul- und Universitätsabschlüssen aus. Zu letzteren zählt vor allem das Staatsexamen.12 Bereits im Prüfungsjahr 2020 waren die Einbußen bei diesen Abschlüssen vergleichsweise gering. Im Prüfungsjahr 2021 wurde das Vor-Corona-Niveau dann sogar noch einmal übertroffen (Schaubild 2).

Weniger Studienanfängerinnen und -anfänger

Gleichzeitig brachen mit Beginn der Corona-Pandemie die Erstsemesterzahlen an den baden-württembergischen Hochschulen ein. Im Wintersemester 2020/21 entschieden sich nur noch knapp 56 800 Studierende dazu, erstmalig ein Studium an einer Hochschule in Baden-Württemberg aufzunehmen. Das waren gut 4 100 Erstsemester oder knapp 7 % weniger als noch im Wintersemester 2019/20. Zwar waren die Studienanfängerzahlen bereits in den 3 Jahren zuvor rückläufig gewesen, doch der Rückgang lag hier nur in einem Bereich von 0,6 % bis gut 3 %. Auch im Wintersemester 2021/22 setzte sich dieser Negativtrend bei den Studienanfängerinnen und -anfängern im 1. Hochschulsemester fort (−4 %). Damit hatten sich im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Wintersemester 2019/20 insgesamt gut 6 500 Studierende oder knapp 11 % weniger erstmalig an einer Hochschule in Baden-Württemberg immatrikuliert.

Vom Rückgang der Erstsemesterzahlen am stärksten betroffen waren die HAW der Landesverwaltung (−33 %) und die privaten wissenschaftlichen Hochschulen (−29 %), gefolgt von den Kunst- und Musikhochschulen (−14 %), den staatlichen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW, −14 %) und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW, −11 %). Auch an den staatlichen Universitäten (−9 %) und den Pädagogischen Hochschulen (−9 %) ging die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Hochschulsemester deutlich zurück. Lediglich an den privaten HAW war der Rückgang gering (−0,7 %) (Tabelle 1).

Starker Rückgang im Bachelor, geringer Rückgang im Master

Betrachtet man die Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Fachsemester, dann zeigt sich, dass die Studienanfängerzahlen vor allem im Bachelor-, aber kaum im Masterstudium eingebrochen sind. So schrieben sich zum Wintersemester 2020/21 zunächst gut 1 300 und zum Wintersemester 2021/22 sogar gut 6 000 Erstsemester weniger für ein Bachelorstudium an einer baden-württembergischen Hochschule ein. Insgesamt lag der Rückgang seit dem Wintersemester 2019/20 damit bei knapp 12 %. Zwar waren die An­fängerzahlen im Bachelor bereits seit dem Wintersemester 2017/18 rückläufig. Doch einen solch starken Rückgang hatte es im Bachelor seit dessen Einführung noch nicht gegeben (i-Punkt).

Ganz anders sieht die Entwicklung der Studienanfängerzahlen im Master aus. Wie in den Jahren zuvor stieg auch im Wintersemester 2020/21 die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger zunächst noch weiter an. Erst im Wintersemester 2021/22 kam es dann zu einem Rückgang um knapp 2 %.

Bei den sonstigen Studiengängen kam es ebenfalls bereits im Wintersemester 2020/21 zu einem starken Einbruch der Studienanfängerzahlen im 1. Fachsemester. Dazu zählen hier vor allem Studierende mit Abschlussziel Staatsexamen und Promotion sowie Studierende ohne Abschlussziel. Weitere Abschlussarten, wie zum Beispiel die kirchliche Prüfung, verschiedene künstlerische Abschlüsse und die staatliche Laufbahnprüfung an den HAW der Verwaltung spielen eine zahlenmäßig untergeordnete Rolle. Im Wintersemester 2020/21 begannen gut 1 100 Studienanfängerinnen und -anfänger einen Promotionsstudiengang an einer Hochschule in Baden-Württemberg. Im Vergleich zum Wintersemester 2019/20 waren das 138 Promotionsstudierende oder 11 % weniger. Allerdings gab es auch schon im Wintersemester 2019/20 einen Rückgang um gut 6 % und ähnlich starke Sprünge bereits in früheren Jahren. Im Wintersemester 2021/22 stieg die Anzahl der Promotionsstudierenden im 1. Fachsemester dann um gut 400 an. Im Vergleich zum Wintersemester 2019/20 ist das ein Plus von knapp 23 %.

Die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Fachsemester im Staatsexamen veränderte sich in den letzten 20 Jahren ebenfalls kaum. Dieser Kontinuität konnte auch die Corona-Pandemie nichts anhaben. Von knapp 3 100 im Wintersemester 2019/20 stieg die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Fachsemester auf gut 3 300 Studierende im Wintersemester 2021/22. Dies entspricht einem Zuwachs von gut 4 % im Vergleich zum Wintersemester 2019/20.

Der »Corona-Knick« in den sonstigen Studiengängen lässt sich daher vorrangig auf Veränderungen bei denjenigen Studierenden zurückführen, die keine Abschlussprüfung in Deutschland anstrebten. Dabei handelt es sich vor allem um ausländische Studierende, die im Rahmen eines Austauschprogramms für wenige Semester zum Studium nach Deutschland kommen. Deren Anzahl lag im Wintersemester 2019/20 noch bei 4 100. Im Wintersemester 2020/21 immatrikulierten sich dann nur noch gut 1 700 ausländische Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Fachsemester ohne Abschlussziel an einer Hochschule in Baden-Württemberg. Das waren gut 58 % weniger als 1 Jahr zuvor. Zwar kamen im Wintersemester 2021/22 bereits wieder gut 3 300 ausländische Studienanfängerinnen und -anfänger im 1. Fachsemester ohne Abschlussziel nach Baden-Württemberg. Doch im Vergleich zum Wintersemester 2019/20 waren das immer noch knapp 19 % weniger (Schaubild 3).

Starker Einbruch bei Bildungsausländer/-innen im 1. Corona-Jahr

Insgesamt waren vor Beginn der Pandemie im Wintersemester 2019/20 gut 48 500 Studierende mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft an den Hochschulen in Baden-Württemberg eingeschrieben. Im Wintersemester 2020/21 waren es dann knapp 3 500 ausländische Studierende oder knapp 8 % weniger. Zum Wintersemester 2021/22 gab es zwar ein Plus von knapp 2 %. Das waren aber immer noch knapp 6 % weniger als im Wintersemester 2019/20.

Gut ein Viertel der Studierenden mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit hat die Hochschulzugangsberechtigung (HZB) in Deutschland erworben. Diese Studierenden werden auch als Bildungsinländerinnen und -inländer bezeichnet. Bei knapp drei Viertel der ausländischen Studierenden handelt es sich jedoch um Bildungsausländerinnen und -ausländer, da sie ihre HZB im Ausland erworben haben. Bei ihnen war im Wintersemester 2020/21 auch der stärkste Rückgang zu beobachten (−10 %). Bei den Bildungsinländerinnen und -inländern war der Rückgang geringer (−2 %). Nur bei den Studierenden mit deutscher Staatsangehörigkeit kam es im Wintersemester 2020/21 zunächst zu einem Anstieg der Studierendenzahl (+2 %).

Im Wintersemester 2021/22 ging dann allerdings die Anzahl sowohl der deutschen (−2 %) als auch die der bildungsinländischen (−3 %) Studierenden zurück. Die Anzahl der bildungsausländischen Studierenden stieg hingegen wieder an (+4 %). Dennoch waren damit im Vergleich zum Vor-Corona-Wintersemester 2019/20 insgesamt noch gut 6 % weniger Bildungsausländerinnen und -ausländer und knapp 5 % weniger Bildungsinländerinnen und -inländer an den baden-württembergischen Hochschulen immatrikuliert. Die Anzahl der deutschen Studierenden blieb nahezu unverändert (+0,2 %) (Schaubild 4).

Rückkehr der Bildungsausländer/-innen im 2. Corona-Jahr

Vom Corona-Rückgang am besten erholt hat sich jedoch die Anzahl der bildungsausländischen Studierenden aus den EU- bzw. EWR-Staaten.13 Während das Wintersemester 2020/21 noch durch einen Rückgang um knapp 7 % geprägt war, kamen zum Wintersemester 2021/22 dann gut 9 % mehr Bildungsausländerinnen und -ausländer aus einem EU- bzw. EWR-Staat nach Baden-Württemberg. Bei den Bildungsausländerinnen und -ausländern aus einem Staat außerhalb der EU bzw. des EWR war der Rückgang im Wintersemester 2020/21 stärker (−10 %) und die Erholung im Wintersemester 2021/22 deutlich schwächer (+2 %).

Dabei erklärt sich der Rückgang der bildungsausländischen Studierenden fast vollständig daraus, dass im Wintersemester 2020/21 die Anzahl der bildungsausländischen Studierenden im 1. Hochschulsemester eingebrochen ist (−33 %), und zwar insbesondere die der Studierenden aus Staaten außerhalb der EU bzw. des EWR (−37 %). Bei bildungsausländischen Studienanfängerinnen und -anfängern aus einem Staat innerhalb der EU bzw. des EWR war der Rückgang zwar geringer, aber dennoch beachtlich (−24 %). Im Wintersemester 2021/22 stieg die Anzahl der bildungsausländischen Studienanfängerinnen und -anfängern sowohl aus den EU-/EWR-Staaten als auch aus Staaten außerhalb der EU bzw. des EWR wieder stark an. Das Vor-Corona-Niveau konnte jedoch noch nicht wieder erreicht werden.

Bei den Bildungsausländerinnen und -ausländern in den höheren Semestern gab es hingegen nur geringfügige Veränderungen im Wintersemester 2020/21. Erst im Wintersemester 2021/22 machte sich der Rückgang der Studienanfängerinnen und -anfänger des vorhergehenden Wintersemesters bemerkbar, und zwar vor allem bei den Bildungsausländerinnen und -ausländern außerhalb der EU bzw. des EWR. Bei den bildungsausländischen Studierenden aus Staaten innerhalb der EU bzw. des EWR wurde im Wintersemester 2021/22 das Vor-Corona-Niveau sogar übertroffen.

Einbruch bei deutschen Studienanfängern und Studienanfängerinnen im 2. Corona-Jahr

Bemerkenswert ist zudem, dass sich im Unterschied zu den bildungsausländischen Studienanfängerinnen und -anfängern die Anzahl der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger im Wintersemester 2020/21 zunächst nur um knapp 2 % und dann im 2. Corona-Jahr um dramatische 9 % verringerte. Zu diesem Zeitpunkt strömten die bildungsausländischen Studierenden bereits wieder zurück an die baden-württembergischen Hochschulen. Auch bei den bildungs­inländischen Studienanfängerinnen und -anfängern – also jenen, die wie die meisten Deutschen ihre HZB in Deutschland erworben hatten14 – erfolgte der größte Rückgang mit gut 4 % bereits im Wintersemester 2020/21. Im Wintersemester 2021/22 gab es dann nur noch geringfügige Veränderungen (−0,4 %) (Schaubild 5, Tabelle 2).

Fazit

Wenn man die oben präsentierten Ergebnisse auf eine griffige Formel bringen möchte, dann könnte man sie überspitzt wie folgt zusammenfassen: Diejenigen, die beim Ausbruch der Corona-Pandemie schon eingeschrieben waren, sind auch eher dabeigeblieben und haben ihr Studium verlängert. Bei denjenigen, die mit Beginn der Pandemie vor der Entscheidung standen, ein Studium zu beginnen oder einen anderen Weg einzuschlagen, ist die Tendenz für ein Studium schwächer geworden.

Bemerkenswert ist dabei, dass sich die Anzahl der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger erst im 2. Corona-Jahr deutlich verringert hat, während die Anzahl der ausländischen Studienanfängerinnen und -anfänger zu dieser Zeit bereits wieder angestiegen ist. Zum einen liegt dies sicherlich an den seit mehreren Jahren rückläufigen Abiturientenzahlen in Baden-Württemberg (2019: −4 %, 2020: −5 %, 2021: −5 %). Zum anderen hatte ein Großteil der Studienanfängerkohorte des Wintersemesters 2021/22 bereits mehr als ein gesamtes Schuljahr unter Corona-Bedingungen verbracht, während die Studienanfängerkohorte des Wintersemesters 2020/21 nur für einen kurzen Zeitraum unter Corona-Bedingungen zur Schule gegangen ist. Dies würde zwar den stärkeren Rückgang der Studienanfängerzahlen im Wintersemester 2021/22 erklären. Allerdings bliebe die Frage ungeklärt, warum der Rückgang vorrangig die deutschen, aber nicht die bildungsinländischen Studienanfängerinnen und -anfänger betrifft, die ihre HZB ja ebenfalls unter Corona-Bedingungen in Deutschland erworben hatten. Dies wiederum könnte daran liegen, dass die Bildungsaspirationen in Familien mit Migrationshintergrund häufig höher sind als in Familien ohne Migrationshintergrund.15 Zudem ist aus der sozialwissenschaftlichen Forschung bekannt, dass Studienanfängerinnen und -anfänger mit Migrationshintergrund bei gleichen schulischen Leistungen und gleicher sozio-ökonomischer Lage eine höhere tatsächliche Studierneigung aufweisen als Studierende ohne Migrationshintergrund.16

Abzuwarten bleibt schließlich, wie sich die Studierendenzahlen in den kommenden Jahren entwickeln werden. Die nächsten Studienanfängerinnen und -anfänger werden jedenfalls für eine noch längere Zeit unter Corona-Bedingungen zur Schule gegangen sein als die hier betrachteten. Abzuwarten bleibt auch, wie nachhaltig die aktuell beobachteten Studienzeitverlängerungen tatsächlich sind. Denn noch wissen wir nichts darüber, wie groß der Anteil der Studienabbrecherinnen und -abbrecher bereits ist und wie sich dieser in den kommenden Jahren entwickeln wird. Die Berechnung von Studienabbruchquoten auf Basis der Studienverlaufsstatistik wird hier Klarheit verschaffen.

1 Kohlrausch, Bettina (2021): Die Corona-Krise verschärft Bildungsungleichheiten. WSI Mitteilungen 6/2021.

2 Blaskó, Zsuzsa/Costa, Patricia da/Schnepf, Sylke V. (2022): Learning losses and educational inequalities in Europe: Mapping the potential consequences of the COVID-19 crisis. Journal of European Social Policy. Mai 2022. doi:10.1177/09589287221091687.

3 Marczuk, Anna/Multrus, Frank/Lörz, Markus (2021): Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. DZHW Brief 1/2021. Hannover: DHZW.

4 Lörz, Markus/Marczuk, Anna/Zimmer, Lena/ Multrus, Frank/Buchholz, Sandra (2020): Studieren unter Corona-Bedingungen: Studierende bewerten das erste Digitalsemester. DZHW Brief 5/2020. Hannover: DHZW.

5 Zimmer, Lena/Lörz, Markus/Marczuk, Anna (2021): Studieren in Zeiten der Corona-Pandemie: Vulnerable Studierendengruppen im Fokus. DZHW Brief 2/2021. Hannover: DHZW.

6 Becker, Karsten/Lörz, Markus (2020): Studieren während der Corona-Pandemie: Die finanzielle Situation von Studierenden und mögliche Auswirkungen auf das Studium. DZHW Brief 9/2020. Hannover: DHZW.

7 Heublein, Ulrich/Hutzsch, Christopher/Peter, Frauke/Buchholz, Sandra (2021): Finanzielle Probleme von Studierenden in der Corona-Pandemie und die Beantragung von Überbrückungshilfe. DZHW Brief 5/2021. Hannover: DZHW.

8 Becker, Karsten/Lörz, Markus (2020): a. a. O.

9 Becker, Karsten/Lörz, Markus (2020): a. a. O.

10 Falk, Susanne (2022): Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die geplante Studiendauer internationaler Studierender an deutschen Hochschulen. Beiträge zur Hochschulforschung 44 (2-3), 144–163.

11 Heublein, Ulrich/Hutzsch, Christopher (2022): Überbrückungshilfe für Studierende – Antragsgründe, Zufriedenheit und Einschätzungen des Studienverlaufs. DZHW Brief 1/2022. Hannover: DZHW.

12 Studierende in höheren Semestern sind hier alle Studierenden ab dem 2. Hochschulsemester.

13 Das Staatsexamen macht einen Anteil von knapp 91 % an den universitären Abschlüssen aus.

14 Ohne das Vereinigte Königreich. Europäischer Wirtschaftsraum (EWR): EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen.

15 Im Wintersemester 2021/22 hatten gut 98 % der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger ihre HZB in Deutschland erworben.

16 Becker, Birgit/Gresch, Cornelia (2016): Bildungsaspirationen in Familien mit Migrationshintergrund, in: Diehl, Claudia/Hunkler, Christian/Kristen, Cornelia (Hrsg.): Ethnische Ungleichheiten im Bildungsverlauf. Wiesbaden: Springer, 73–115.

17 Kristen, Cornelia (2016): Migrationsspezifische Ungleichheiten im deutschen Hochschulbereich, in: Diehl, Claudia/Hunkler, Christian/Kristen, Cornelia (Hrsg.): Ethnische Ungleichheiten im Bildungsverlauf. Wiesbaden: Springer, 643–668.