:: 10/2022

Steigender Personalbedarf in der Pflege

Demografischer Wandel: Mehr Pflegebedürftige, weniger Personal

In den nächsten Jahrzehnten wird die Zahl der Pflegebedürftigen kräftig zunehmen. Ausschlaggebend hierfür ist die große Zahl an Menschen aus der sogenannten »Babyboomer-Generation«, die vor allem Anfang der 1960er-Jahre geboren sind und allmählich ein Alter mit erhöhter Pflegebedürftigkeit erreichen. Mit der höheren Zahl an Pflegebedürftigen wird der Bedarf an Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen steigen, die diese Menschen ambulant oder stationär versorgen. Erschwerend kommt hinzu, dass der demografische Wandel auch die Belegschaften der Pflegeeinrichtungen betrifft. So gehört ein nicht unerheblicher Teil des in den Pflegeeinrichtungen tätigen Personals selbst zu der Bevölkerungsgruppe, die in absehbarer Zeit altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden wird. Damit gilt es zum einen, den höheren Bedarf an Pflegekräften zu decken, um die zu erwartende höhere Zahl an Pflegebedürftigen zu versorgen, und zum anderen den Ersatz des ausscheidenden Pflegepersonals sicherzustellen. Die genannten Entwicklungen stellen eine besondere Herausforderung dar, da diese einen Bereich des Arbeitsmarkts betreffen, der wegen eines Fachkräfteengpasses seit Jahren bereits stark angespannt ist. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, die Akteure in der Pflegeplanung mithilfe von Pflegevorausberechnungen frühzeitig über mögliche Entwicklungen zu informieren. Der Beitrag dokumentiert die Entwicklung wichtiger Eckdaten der Pflege in den letzten 20 Jahren und zeigt auf, warum es wieder Zeit ist für eine neue amtliche Pflegevorausberechnung für Baden-Württemberg.

Zunehmende Bedeutung der Pflege im Zeitraum 1999 bis 2019 …

Die Daten aus 20 Jahren amtlicher Pflegestatistik dokumentieren eindrücklich, wie die Pflege in den Fokus der Gesellschaft gerückt ist. Die Zahl der Menschen, die wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen pflegerischer Hilfe bedürfen, hat sich in Baden-Württemberg von 1999 bis 2019 auf fast 472 000 mehr als verdoppelt (+124 %). Die sogenannte Pflegequote, also der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung, verdoppelte sich in Baden-Württemberg im gleichen Zeitraum ebenfalls von 2,0 % auf 4,3 %. Die Zahl der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen im Land erhöhte ich binnen 20 Jahren um 73 % auf 3 115. Ende 2019 standen in diesen Einrichtungen insgesamt 142 357 Beschäftigte im Dienst pflegebedürftiger Menschen. Dies waren 91 % mehr als 1999, dem Startjahr der Pflegestatistiken (siehe Schaubild 1 und i-Punkt).

Mit 103 198 Personen oder einem Anteil von 72 % war im Jahr 2019 der weitaus überwiegende Teil der Beschäftigten in den stationären Pflegeeinrichtungen des Landes tätig. Der prozentuale Zuwachs der Beschäftigten fiel in den letzten 20 Jahren jedoch bei den ambulanten Pflegeeinrichtungen (+104 %) spürbar höher aus als im stationären Bereich (+86 %). Im Jahr 2019 versorgten die Beschäftigten 94 047 Pflegebedürftige vollstationär in Pflegeheimen. Dies entspricht einem Anteil von 20 % der insgesamt 471 913 pflegebedürftigen Menschen im Land. Weitere 20 % wurden durch ambulante Pflegedienste unterstützt (92 467 Pflegebedürftige). Mit einem Anteil von 55 % wurde jedoch der Großteil der Pflegebedürftigen (260 818) ausschließlich von deren Angehörigen versorgt. Die übrigen 5 % erhielten beispielsweise zu Hause Betreuungsdienstleistungen zur Unterstützung im Alltag (24 581 Pflegebedürftige).

… und Gründe für diese Entwicklung

Ausschlaggebend für die dynamischen Entwicklungen im Bereich der Pflege waren die höhere Lebenserwartung, die demografische Entwicklung und gesetzliche Initiativen zur Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen.

So kann gemäß den jüngsten Sterbetafelberechnungen für den Zeitraum 2019 bis 2021 ein neugeborenes Mädchen heute in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84,3 Jahren hoffen, ein neugeborener Junge auf 79,8 Jahre.

Mit der Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze im Jahr 2017 stieg die Zahl der Pflegebedürftigen durch die Einführung eines neuen, deutlich weiter gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriffs stark an. Der Zuwachs betraf vor allem die vorwiegend zu Hause betreuten Pflegebedürftigen (Schaubild 2).

80 % der Pflegebedürftigen mindestens 65 Jahre alt

Die Pflegebedürftigkeit findet erwartungsgemäß in den höheren Altersgruppen statt. 378 000 oder rund 80 % der insgesamt 471 913 Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg waren 2019 mindestens 65 Jahre alt. Fast 268 000 und damit deutlich mehr als jeder zweite Pflegebedürftige hatte sogar bereits das 80. Lebensjahr vollendet (57 % aller Pflegebedürftigen). Innerhalb der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren steigt das Pflegerisiko mit zunehmenden Alter drastisch an. So betrug 2019 die Pflegehäufigkeit, also die Zahl der Pflegebedürftigen je 100 Einwohnerinnen und Einwohner in der Altersgruppe der 65- bis unter 75-Jährigen lediglich 5, unter den 75- bis unter 85-Jährigen bereits 17 und kletterte bei den 85- bis unter 95-Jährigen auf 53. In der Altersgruppe 95 Jahre und älter erreichte die Pflegehäufigkeit sogar 87 Pflege­bedürftige je 100 Einwohner/-innen.

Bevölkerungsvorausberechnung lässt starken Zuwachs an Pflegebedürftigen erwarten

Vor diesem Hintergrund wird es für die künftige Situation auf dem Pflegemarkt insbesondere darauf ankommen, wie sich die Altersgruppe der »Generation 65+« weiterentwickeln wird (Tabelle 1).

Daten der jüngsten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes1 zeigen für die kommenden Jahrzehnte einen weiter steigenden Personalbedarf in der Pflege an. Lebten im Jahr 2010 rund 2,09 Millionen (Mill.) Menschen der Altersgruppe 65+in Baden-Württemberg, erhöhte sich die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in dieser Altersgruppe bis 2020 um 196 000 oder 9,4 % auf fast 2,29 Mill. Alleine bis 2030 dürfte sich den Ergebnissen der Hauptvariante der Bevölkerungsvorausberechnung zufolge die Bevölkerung im Alter 65+ um weitere 420 000 oder 18,4 % auf fast 2,71 Mill. erhöhen. In den Folgedekaden bis 2060 dürfte sich der Alterungsprozess der Bevölkerung abschwächen (2030 bis 2040: +8,6 %, 2040 bis 2050: +0,8 %, 2050 bis 2060: +0,7 %). Für die Pflege bedeutet dies jedoch auch nach 2030 keinesfalls Entwarnung. Für den etwa doppelt so starken Zuwachs der älteren Bevölkerung im Zeitraum 2020 bis 2030 im Vergleich zur Dekade zuvor ist nämlich die sogenannte Generation der »Babyboomer« ausschlaggebend, die vor allem Anfang der 1960er-Jahre geboren wurden. Von den 420 000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Alter 65+, die im Zeitraum 2020 bis 2030 hinzukommen dürften, gehören alleine 337 000 oder 80 % der Altersgruppe 65 bis unter 75 Jahre an. Diese Altersgruppe hat bis zum Jahr 2030 zwar noch ein vergleichsweise geringes Pflegerisiko von lediglich 5 %. Die »Welle« der Babyboomer-Generation wird jedoch in den darauffolgenden Jahrzehnten – wenn auch zahlenmäßig abgeschwächt – sukzessive in Altersgruppen mit exponentiell steigendem Pflegerisiko eintreten (Schaubilder 3 und 4).

Dies bedeutet, dass die Generation der Babyboomer in den kommenden Jahrzehnten zu einem steigenden Pflegebedarf und in der Folge zu einem erhöhten Bedarf an Beschäftigten führen wird.

Demografischer Wandel betrifft auch Personal in Pflegeeinrichtungen

Erschwerend kommt hinzu, dass der demografische Wandel nicht nur die Nachfrage nach ambulanten und stationären Pflegeleistungen in den kommenden Jahrzehnten spürbar ansteigen lässt, sondern darüber hinaus der ohnehin bereits angespannte Arbeitsmarkt für Pflegepersonal aus Gründen der Altersstruktur vor besonderen Herausforderungen steht. So waren im Jahr 2019 von den insgesamt 142 357 Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen 41 858 oder fast 30 % bereits 55 Jahre oder älter. Auch diese Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen zählen zur Generation der Babyboomer, die bis 2030 altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden. Damit dürfte der Arbeitsmarkt im Bereich Pflege vor allem nachfrage-, aber auch angebotsseitig unter Druck geraten (Tabelle 2).

Pflegeberufe bei Fachkräfteengpass schon jetzt auf Platz 1

Die genannten Entwicklungen stellen per se bereits eine große Herausforderung dar. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass der Arbeitsmarkt für Pflegefachkräfte bereits seit geraumer Zeit stark angespannt ist. Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge stand im Jahr 2021 die Berufsgruppe der Pflegeberufe (Fachkräfte in der Alten- und Krankenpflege2) in Baden-Württemberg beim Fachkräfteengpass unter allen untersuchten Berufsgruppen an der Spitze.3 Anders als bei einem Fachkräftemangel setzt ein Fachkräfteengpass kein bestimmtes Soll an Fachkräften voraus. Im Rahmen einer Engpassanalyse bewertet die Bundesagentur für Arbeit unter anderem folgende sechs Engpassindikatoren4:

  • Vakanzzeit: Zeitraum ab dem gewünschten Besetzungstermin bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Vermittlungsgesuch durch die Arbeitgeberin/den Arbeitgeber beendet wird. Eine lange Vakanzzeit deutet auf einen Fachkräfteengpass hin.
  • Arbeitsuchenden-Stellen-Relation: Diese setzt das verfügbare Angebot an Arbeitskräften zu dessen Nachfrage in Beziehung. Ist das Verhältnis der Zahl der Arbeitsuchenden zur Zahl der gemeldeten Arbeitsstellen gering, könnte dies ein Signal für einen Fachkräfteengpass sein.
  • Berufsspezifische Arbeitslosenquote: Eine geringe berufsspezifische Arbeitslosenquote zeigt an, dass Menschen mit dieser Berufsausbildung stark am Arbeitsmarkt nachgefragt werden.
  • Veränderung des Anteils der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer/Ausländerinnen: Arbeitgeberinnen/ Arbeitgeber, die im Inland nur noch bedingt geeignete Fachkräfte finden, weiten ihre Rekrutierungsaktivitäten oft auf das Ausland aus. In Berufen mit Fachkräfteengpass dürfte der Anteil der ausländischen Beschäftigten kräftig steigen.
  • Abgangsrate aus Arbeitslosigkeit: Ein hoher Abgang aus Arbeitslosigkeit aufgrund einer Beschäftigungsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt bezogen auf die Zahl der Arbeitslosen in einer Berufsgruppe spiegelt gute Chancen auf dem Beschäftigungsmarkt wider und ist ein Indiz für eine mögliche Fachkräfteknappheit.
  • Entwicklung der mittleren Entgelte: Gut qualifizierte und stark nachgefragte Fachkräfte haben auf dem Arbeitsmarkt eine gute Position bei Entgeltverhandlungen, sodass deren Entgelte vergleichsweise stark steigen dürften.

Die Einbeziehung mehrerer Indikatoren soll das Risiko einer Fehleinschätzung reduzieren. Je mehr Indikatoren einen Fachkräfteengpass anzeigen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Fachkräfteengpasses.5 Die Werte der einzelnen Indikatoren werden in vier Kategorien klassifiziert, wobei jeder Kategorie ein Wert zwischen 0 (Kategorie 1: »Sehr weit entfernt von Anzeichen eines Engpasses«) und 3 (Kategorie 4: »Anzeichen eines Engpasses«) zugeordnet wird.

Für die Gruppe der Fachkräfte in Pflegeberufen zeigten in Baden-Württemberg im Jahr 2021 alle sechs Engpassindikatoren einen Engpass an und wurden deshalb jeweils mit der Maximalpunktzahl 3 bewertet. Der Gesamtindikator, der als arithmetisches Mittel aus den Einzelindikatoren ermittelt wird, erreichte damit den Maximalwert 3,0.6 Baden-Württemberg stand beim Fachkräfteengpass gemeinsam mit Bayern (ebenfalls 3,0) an der Spitze aller Bundesländer. Berücksichtigt man allerdings, dass Berufsgruppen nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit bereits ab einem Gesamtindikator-Wert von 2,0 zur Gruppe der Engpass-Berufe zählen, ist in dieser Berufsgruppe flächendeckend für ganz Deutschland ein Fachkräfteengpass zu beobachten. Die übrigen Länder zeigten mit Gesamtindikator-Werten von jeweils 2,7 bis 2,8 ebenfalls Engpässe bei den Pflegefachkräften an und lagen nur leicht unter den Werten von Baden-Württemberg und Bayern (Gesamtindikatorwert Deutschland: 2,8).

Günstige Arbeitsmarktperspektiven für Pflegeberufe

Damit bieten sich bereits gegenwärtig und – wie die oben beschriebenen demografischen Entwicklungen zeigen – auch künftig günstige Arbeitsmarktperspektiven für Pflegefachkräfte. Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge betrug die berufsspezifische Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg bei Fachkräften in der Altenpflege im Jahr 2021 durchschnittlich 0,9 %, in der Krankenpflege sogar lediglich 0,6 %. Zum Vergleich: Die entsprechende Arbeitslosenquote für Fachkräfte aller Berufsgruppen lag mit 2,7 % drei- bis viermal so hoch wie in den Pflegeberufen. Auf 100 gemeldete Arbeitsstellen für Fachkräfte in der Altenpflege bzw. Krankenpflege (jeweils ohne Zeitarbeit) kamen 2021 durchschnittlich 42 bzw. 41 Arbeitslose mit dieser Fachausbildung. Bei den Fachkräften insgesamt war das Verhältnis dagegen umgekehrt. Dort übertraf die Zahl der Arbeitslosen die Zahl der gemeldeten Stellen um das Doppelte (216 Arbeitslose je 100 gemeldete Arbeitsstellen).

Neben der demografischen Entwicklung spricht auch die große Bedeutung des Faktors Arbeit im Bereich der Pflege für eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften, denn ein Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch technologische Fortschritte dürfte in den Pflegeberufen auch künftig nur begrenzt möglich sein.7 Damit ist das Substituierbarkeitspotenzial durch digitale Technologien im Bereich der Pflege eher gering. So stieg die Zahl aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Baden-Württemberg Berufe der Altenpflege ausübten, im Zeitraum 2018 bis 20218 um 9,4 % auf 76 240, mehr als viermal so stark wie bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt. Deren Zahl erhöhte sich im gleichen Zeitraum um 2,3 % auf 4 781 050 Beschäftigte. Im Jahr 2021 waren 1,6 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Berufsgruppe der Altenpflege beschäftigt.

Von der dynamischen Personalnachfrage in der Pflege dürften neben den Fachkräften auch Beschäftigte profitieren, die Helfertätigkeiten in der Altenpflege ausüben. Im Zeitraum 2018 bis 2021 stieg die Zahl der im Südwesten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die als Fachkräfte in der Altenpflege tätig sind, um 4,3 % auf 40 480. Die Zahl der Helferinnen und Helfer im Berufsbereich der Altenpflege erhöhte sich sogar um 16,8 % auf 34 400. Auch bei diesen beiden Anforderungsniveaus übertrafen in Baden-Württemberg die Zuwachsraten in der Altenpflege die aller Berufe um das Vielfache (Fachkräfte aller Berufsgruppen: +0,9 %, Helferinnen und Helfer aller Berufsgruppen: +0,4 %).

Auch ausländische Beschäftigte waren in der Pflege stark nachgefragt. Während der Anteil der ausländischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über alle Berufe hinweg im Zeitraum 2018 bis 2021 nahezu konstant blieb (+1 Prozentpunkt auf 17 %), stieg dieser in den Altenpflege-Berufen um 7 Prozentpunkte. Der Anteil der ausländischen Beschäftigten in Berufen der Altenpflege betrug 2021 in Baden-Württemberg 28 % und lag 11 Prozentpunkte höher als bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt. Ohne die zusätzliche Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre der Engpass in der Pflege noch größer ausgefallen. Alleine bei den ausländischen Fachkräften betrug der Zuwachs in der Altenpflege 2018 bis 2021 gut 41 %, bei den Fachkräften aller Berufe lediglich 12 %.

Generell sieht die Bundesagentur für Arbeit drei Potenzialgruppen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen9:

  • Ausbau der Aus- und Weiterbildung sowie Verringerung der Ausbildungs- und Studienabbrüche,
  • Erhöhung der Zuwanderung von Fachkräften und Verbesserung der Integrationsmaßnahmen,
  • Erhöhung des Arbeitszeitvolumens von Frauen sowie Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, insbesondere von Frauen mit Migrationshintergrund.

Zeit für eine neue amtliche Pflegevorausberechnung

Angesichts der beschriebenen Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten sowie den bereits bestehenden Engpässen im Arbeitsmarktsegment der Pflegeberufe stellt eine neue amtliche Pflegevorausberechnung für alle Akteure im Bereich der Pflege eine wichtige Planungsgrundlage dar. Das Statistische Landesamt führt seit vielen Jahren Pflegevorausberechnungen auf der Grundlage sehr differenziert vorliegender Daten der Pflegestatistiken nach Altersjahren, Geschlecht und Leistungsarten sowie eigener Bevölkerungsvorausberechnungen durch. Mit der Einführung der Pflegestärkungsgesetze ist jedoch eine größere Lücke bei den Pflegevorausberechnungen entstanden. Die letzte Pflegevorausberechnung liegt inzwischen einige Jahre zurück und basierte noch auf den Ist-Daten der Pflegestatistiken zum Stichtag 15. Dezember 2015 sowie der Bevölkerungsvorausberechnung auf der Grundlage der Ist-Daten zum 31. Dezember 2017.

Seinerzeit wurde für das Jahr 2030 eine voraussichtliche Zahl von rund 421 000 Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg berechnet. Ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen anhand der amtlichen Pflegestatistiken zeigt, dass dieser Wert bereits im Jahr 2019, also 11 Jahre früher, erreicht und mit 471 913 sogar um mehr als 50 000 Pflegebedürftige überschritten wurde. An dieser Stelle stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Faktoren zu dieser vermeintlichen »Fehleinschätzung« geführt haben. Ausschlaggebend hierfür waren die bereits genannten Pflegestärkungsgesetze 2017, mit denen ein neuer, deutlich weiter gefasster Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wurde, der vor allem zu einer deutlich erhöhten Zahl vorwiegend zu Hause betreuter Pflegebedürftigen führte. So stieg die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt von 2015 auf 2017 sprunghaft um gut ein Fünftel von 328 297 auf 398 612 Pflegebedürftige an (+70 000). Alleine die Zahl der Pflegegeldempfängerinnen und -empfänger, die von ihren Angehörigen gepflegt werden, erhöhte sich um fast 57 000 (+33 %) sowie die Zahl der durch ambulante Pflegedienste Versorgten um gut 9 000 (+14 %). Die Zahl der Pflegebedürftigen, die vollstationär in Heimen betreut werden, nahm dagegen lediglich leicht zu (+4 % bzw. +4 000 Personen).

Mit dem Vorliegen der neuesten Ergebnisse der amtlichen Pflegestatistiken zum Stichtag 15. Dezember 2021 voraussichtlich Ende 2022 sind im Jahr 2023 wichtige Grundlagen für eine neue Pflegevorausberechnung gegeben, da diese mit den Daten einer neuen Bevölkerungsvorausberechnung auf der Grundlage der Ist-Daten für den 31. Dezember 2020 kombiniert werden können. Anders als in den bisherigen Pflegevorausberechnungen soll die Berechnung bis auf die Ebene der Stadt- und Landkreise ausgedehnt werden. Nach Abschluss dieser Pflegevorausberechnung wird den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und den lokalen Akteurinnen und Akteuren vor Ort wieder eine aktuelle Planungsgrundlage der amtlichen Statistik zur Verfügung stehen. Im 3. Erhebungsjahr nach Einführung der Pflegestärkungsgesetze dürfte die Datenbasis der Pflegestatistiken wieder hinreichend belastbar sein. Allerdings können Verzerrungseffekte durch die Corona-Pandemie im Zusammenhang mit der Erhebung zum Stichtag 15. Dezember 2021 nicht ausgeschlossen werden.

1 Brachat-Schwarz, Werner/Böhm, Marcel: Der Alterungsprozess der Bevölkerung schwächt sich langfristig ab – Das Statistische Landesamt legt Ergebnisse einer neuen Bevölkerungsvorausberechnung für Baden-Württemberg vor, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2022, S. 16 ff.

2 In der Klassifikation der Berufe umfasst die Berufsgruppe 821 die Berufe der Altenpflege. Nach Einführung des Pflegeberufereformgesetzes zum 01.01.2020, mit dem die Ausbildungsgänge von Alten- und Krankenpflegefachkräften in einem neuen generalistischen Beruf mit 3-jähriger Ausbildung zur Pflegefachkraft (»Pflegefachfrau/Pflegefachmann«) zusammengeführt wurden (ein gesonderter Abschluss in Altenpflege oder Krankenpflege ist jedoch weiterhin möglich), wird die Fachkräfteengpass-Analyse für die Summe der Pflegeberufe (Berufsgruppen 813 +821) durchgeführt. Zuvor waren diese getrennt den Berufsgruppen 813 »Krankenpflege« (genaue Bezeichnung: Berufsgruppe »Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe«) und 821 »Altenpflege« zugeordnet. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2021. Nürnberg, Mai 2022, S. 12, https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=27096&topic_f=fachkraefteengpassanalyse Datei: 2021_BA-FK-Engpassanalyse.pdf (Abruf: 01.09.2022).

3 Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=27096&topic_f=fachkraefte-engpassanalyse Datei: 2021_Länderergebnisse.xlsx (Abruf: 01.09.2022).

4 Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Indikatoren »Engpassanalyse«, https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Fachkraeftebedarf/Generische-Publikationen/Indikatoren-Engpassanalyse.pdf (Abruf: 01.09.2022).

5 Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2021. Nürnberg, Mai 2022, S. 7 ff., https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=27096&topic_f=fachkraefte-engpassanalyse Datei: 2021_BA-FK-Engpassanalyse.pdf (Abruf: 01.09.2022).

6 Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Interaktive Statistiken, https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Fachkraeftebedarf/Engpassanalyse-Nav.html#epa_tab_anchor_regvgl (Abruf: 01.09.2022).

7 Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden-Württemberg (Hrsg.): Der Arbeitsmarkt in den Pflegeberufen in Baden-Württemberg, Arbeitsmarkt-Dossier 2022/03, Mai 2022, S. 14.

8 Angaben der Bundesagentur für Arbeit jeweils zum Stichtag 30. Juni.

9 Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden-Württemberg (Hrsg.): Fachkräftemangel in Baden-Württemberg: Ohne Partner geht es nicht! Diskussionspapier, 09.08.2022 sowie Presseinformation Nr. 21/2022 vom 25.08.2022, Stuttgart 2022.