:: 10/2022

Mehr Öko, weniger Weizen

Zwei Forderungen an die Landwirtschaft stehen derzeit (widersprüchlich) im Raum: Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise gewinnt der Aspekt Ernährungssicherung eine neue Relevanz, während schon seit längerem von der Landwirtschaft mehr Nachhaltigkeit gefordert wird. Konkret mündet dies in der Forderung nach mehr ökologischer Landwirtschaft. Aktuell beträgt der Anteil der Ökolandwirtschaft in Baden-Württemberg etwa 12 % bis 13 %, als Zielgröße für das Jahr 2030 werden 30 % ausgegeben. Auswirkungen auf das Ertrags- und damit Versorgungsniveau bleiben nicht aus.

Landwirtschaft ist ein Geschäftszweig unter freiem Himmel. Im Hinblick auf die Ernten und Erträge ist daher die Witterung ein entscheidender Faktor. War das Jahr 2021 zu kühl und zu nass, so ist das Jahr 2022 zu heiß und zu trocken. Im Jahr 2021 gab es in Baden-Württemberg die schlechteste Getreideernte seit langem, wohingegen die Getreideernte im Jahr 2022 in Anbetracht der trocken-heißen Witterung eher positiv überraschte. Vor diesem Hintergrund zeigt die Besondere Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE) ihren Wert, mit der jährlich objektive und zuverlässige Angaben zum Naturalertrag von Getreide und Winterraps gewonnen werden. Die BEE wird vom Sta­tistischen Landesamt mit Unterstützung vieler Erhebungsbeauftragter in allen Teilen des Landes durchgeführt und zusätzlich von qualitativen und quantitativen Analysen des LTZ (Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg) flankiert.

Die BEE wird für ausgewählte Getreidearten und Winterraps nach einem wohldurchdachten, mehrstufigen Stichprobenkonzept zur exakten Ertragsfeststellung durchgeführt. Insgesamt wird im Land an über 800 Probestellen der Ertrag ermittelt. Die meisten Proben gibt es bei Winterweizen (180), die wenigsten bei Sommergerste (80). Die Häufigkeit der Proben bestimmt sich durch den Anbauumfang und die Streuung der Erträge. In der BEE selbst werden zwei unterschiedliche Verfahren angewandt, das Probeschnittverfahren (PS) und der Volldrusch (VD) (siehe i-Punkt).

Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht darin, dass es beim Probeschnittverfahren zusätzlicher Informationen bedarf, der sogenannten Korrektive, um diese verallgemeinern zu können. Da die BEE in ihrer Anlage auf die Gewinnung eines objektiven Durchschnittsertrags von allen Standorten und Anbauformen ausgerichtet ist, werden die Korrektive allerdings nur für die Gesamtheit ermittelt.

Im Rahmen der BEE werden auch einzelne ertragsbestimmende Faktoren wie Sorte, Bodenzahl, Vorfrucht oder auch Bewirtschaftungsform miterfasst. Sie werden aber vor allem als Plausibilitätsmerkmale genutzt. Eine Auswertung nach diesen Merkmalen ist zwar technisch möglich, stößt aber schnell an Grenzen, weil der Umfang der BEE auf einen zuverlässigen Landesdurchschnitt, aber nicht auf faktorielle Wirksamkeit abgestellt ist. Bei Probeschnitten fehlt es zudem an spezifischen Korrektiven, sodass Probeschnitte nur auf relative Ertragsdifferenzen hin analysiert werden können.

Konkret sieht das bei der wichtigsten Getreideart in Baden-Württemberg, dem Winterweizen, dann so aus: Bei ihm werden 180 Proben genommen, um einen für das Land repräsentativen Ertrag zu ermitteln. Der Anteil der Ökobetriebe im Land liegt bei etwa 12 %, man könnte also etwas mehr als 20 Ökoproben darunter erwarten. Diese Annahme trifft allerdings nicht zu, denn Ökobetriebe haben im Durchschnitt deutlich weniger Ackerland und auf diesem Ackerland vielfältigere Fruchtfolgen, in der Folge also auch weniger Winterweizen. Im Ergebnis gab es im Jahr 2022 lediglich elf Ökoproben für Winterweizen in der BEE. Eindeutig zu wenig, um daraus eine belastbare Aussage zu gewinnen. Bei den Ökoproben handelt es sich zudem um Erträge nach dem Probeschnittverfahren.

Besser sieht es bei Hafer aus. Diese Fruchtart wird in Ökobetrieben überproportional häufig angebaut mit der Folge, dass es im Jahr 2022 30 Öko-Haferproben gab (bei insgesamt 120 Proben). Allerdings ist Hafer genauso wie Winterweizen, eine Fruchtart bei der das Probeschnittverfahren zum Einsatz kommt. Es erlaubt also auch keine Gegenüberstellung von absoluten Erträgen, dafür fehlt die erforderliche Anzahl an Volldruschen zur Bestimmung eines verlässlichen Korrektivs. Bei Winterweizen wie bei Hafer ist daher nur ein relativer Vergleich möglich. Das Gleiche gilt für Triticale, die ergänzend dargestellt wird.

Bei der geringen Fallzahl kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass andere Faktoren für die Ertragsdifferenzen (mit-)verantwortlich sind und die Bewirtschaftungseffekte überinterpretiert werden. So könnte es eine regionale Häufung der Ökoproben gegeben haben mit je nach Jahr und Standort vielleicht besseren oder schlechteren Bedingung als im übrigen Land. Auch die Sortenwahl oder die Vorfrüchte könnten einen Teil der Ertragsdifferenzen erklären. Diese Faktoren dürften aber im Hinblick auf die erwartenden Ertragseffekte bedeutungslos sein, denn bei einer Umstellung auf ökologischen Anbau kommen diese Faktoren – andere Fruchtfolgen oder andere Sortenpräferenzen – als systemische Komponenten des Ökoanbaus zur Geltung.

Um die zahlenmäßige Basis zu verbessern, werden die Angaben mehrerer Jahre zusammengefasst. In den Jahren 2019 bis 2022 wurden insgesamt 684 Winterweizenfelder beprobt, davon wurden 34 ökologisch bewirtschaftet. Bei Hafer belaufen sich die vergleichbaren Zahlen auf 497 Haferschläge, davon 112 ökologisch. Auswertungen sind auch für Triticale möglich, eine Kreuzung aus Weizen und Roggen die als Futtergetreide eingesetzt wird. Unter 481 Proben sind 51 Ökoproben. Mit der von Jahr zu Jahr unterschiedlichen Witterung kommt allerdings eine weitere Variable ins Spiel, die es nahelegt, nur die relativen Ertragsdifferenzen und nicht die absoluten Erträge gegenüberzustellen.

In Schaubild 1 werden die Relativerträge für Hafer, Winterweizen und Triticale im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2022 dargestellt. Für Hafer, die Fruchtart mit den meisten Ökoproben, sind nachrichtlich auch die einzelnen Jahre aufgenommen. Das Schaubild zeigt den Durchschnittsertrag für alle Proben (= 100 %), sowie die Abweichungen (nach oben) für konventionelle Bewirtschaftung und (nach unten) für ökologische Bewirtschaftung. Es zeigen sich für alle drei Getreidearten sowohl für die Zusammenfassung nach Jahren wie für die Einzeljahre eklatante Ertragsunterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Wirtschaftsweise.1 Der Unterschied beläuft sich im Minimum auf 21 Prozentpunkte (Hafer, 2021) und einen Maximalwert von 54 Prozentpunkte (Winterweizen, Mittel der Jahre 2019–2022). Die für Triticale ermittelten Werte bewegen sich zwischen den beiden anderen Getreidearten.

Die relative Lage des Mittelwerts ist auch ein Indikator dafür, welche Bedeutung der Ökolandbau bei den einzelnen Getreidearten hat. Bei Hafer hat der Ökolandbau einen viel höheren Anteil, der Mittelwert wird also in größerem Umfang vom Ökolandbau mitbestimmt als beim Winterweizen.

Die Ertragsdifferenzen nach Art der Bewirtschaftung sind bei Hafer deutlich geringer als bei Weizen. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Hafer in konventionellen Betrieben als abtragende Frucht eher am Ende der Fruchtfolge steht und mit entsprechend geringer Intensität bewirtschaftet wird und daher die Unterschiede zum Ökolandbau geringer ausfallen als beim Weizen, der eine tragende Stellung in der Fruchtfolge hat und mit ent­sprechender Intensität (Düngung, Pflanzenschutz) bewirtschaftet wird.

Die ermittelten Ertragsunterschiede können auf die Durchschnittserträge der BEE angelegt und damit in einen zwar rein rechnerischen, aber besser greifbaren Maßstab gebracht werden. Schaubild 2 gibt diese Umsetzung in Naturalerträge wieder. So bemisst sich der Durchschnittsertrag für Hafer im Mittel der Jahre 2019 bis 2022 bei allen Betrieben auf 51,5 Dezitonnen je Hektar (dt/ha), für konventionelle Betriebe errechnet sich der Ertrag mit 54,8 dt/ha und bei Ökobetrieben mit 40,1 dt/ha. Bei Winterweizen sind die vergleichbaren Zahlen: alle 75,2 dt/ha, konventionell 77,0 dt/ha, ökologisch 40,3 dt/ha.

Mit der Umrechnung in Naturalerträge wird eine grobe Abschätzung der Auswirkungen auf die Versorgungslage im Land möglich. Dazu ein Rechenbeispiel: Die Getreideernte in Deutschland wird im Statistischen Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 20212 für das Wirtschaftsjahr 2020/21 mit 22,2 Millionen Tonnen (Mill. t) angegeben, der Selbstversorgungsgrad mit 118 %. Bei einer Gesamtbevölkerung von 83,2 Mill. werden pro Kopf 226 kg Weizen3 benötigt, um einen Selbstversorgungsgrad von 100 % zu erreichen. Bezogen auf Baden-Württemberg würde das eine Weizenernte in Höhe von 2,5 Mill. t erfordern. Tatsächlich bewegt sich die Weizenernte im Land im Mittel der Jahre nur bei 1,6 Mill. t, das Land ist also deutlich entfernt davon, sich bei Weizen selbst zu versorgen. Nimmt der Ökoanbau nun in dem Maße zu, wie sich die Landesregierung das zum Ziel gesetzt hat, ist mit einem Rückgang der durchschnittlichen Erträge zu rechnen. Bei einer Ökoquote von 30 % und ähnlichen Ertragsunterschieden wie jetzt, ist mit einem Rückgang des Durchschnittsertrags von rund 75 dt/ha auf 66 dt/ha zu rechnen und in Folge mit einem Absinken der Weizenernte auf weniger als 1,5 Mill. t. Der Selbstversorgungsgrad im Land würde weiter zurückgehen.

Dies ist nur eine einfache Rechnung, die andere wichtige Faktoren wie klimatische Veränderungen, die Verteuerung von Energie oder Änderungen im Verbraucherverhalten, nicht berücksichtigt. Es gibt allerdings noch eine weitere Komponente, aufgrund derer der Selbstversorgungsgrad für Weizen bei einer großflächigen Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zurückgehen dürfte. Der ökologische Landbau verlangt nach vielfältigeren Fruchtfolgen, in denen die stickstoffbindenden Leguminosen den nachfolgenden Früchten den für das Wachstum wichtigen Nährstoff Stickstoff hinterlassen können. Im Idealfall ist die ökologische Wirtschaftsweise in Kreisläufen aufgebaut, in denen auf dem Feld Futter- und Nahrungsmittel angebaut werden, die in der Viehwirtschaft verwertet werden, die dann wiederum wertvollen organischen Dünger liefert. Beide Faktoren: die extensiveren Fruchtfolgen und der Bedarf an Futtermitteln dürften die für den Weizenanbau zur Verfügung stehende Fläche schmälern.

Fazit

Die vorgestellten Berechnungen können aufgrund der schwachen Zahlenbasis nicht als gesicherte Erkenntnis betrachtet werden. Dazu wäre eine deutlich ausgeweitete und entsprechend konzipierte Stichprobe in der BEE erforderlich. Aber sie können als Fingerzeig verstanden werden, der auf die wahrscheinliche Entwicklung verweist, die neben anderen Wirkungsfaktoren wie Klima, Energiepreise oder technologische Innovationen zu erwarten sind. Bei allen anderen BEE-Getreidearten (Wintergerste, Sommergerste, Körnermais) sowie Winterraps sind keine Auswertungen möglich. Diese Fruchtarten werden in Ökobetrieben so selten angebaut, dass selbst bei einer Zusammenfassung mehrerer Jahre keine nennenswerte Fallzahl zusammenkommt.

1 Konventionell versteht sich hier als Zusammenfassung aller Proben, die nicht explizit als ökologisch gekennzeichnet sind und spiegelt damit auch unterschiedliche Produktionsintensitäten wider.

2 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.), https://www.bmel-statistik.de/archiv/statistisches-jahrbuch (Abruf: 22.09.2022).

3 Die Angaben im Jahrbuch beziehen sich auf die Versorgung mit Hart- und Weichweizen.