:: 1/2023

Schweinehaltung in der Krise

Die Haltung von Schweinen in Baden-Württemberg befindet sich in der Krise. Seit Jahren gehen die Bestände zurück und mit 1,3 Millionen (Mill.) Schweinen wurde Anfang November 2022 der niedrigste Schweinebestand seit rund 20 Jahren registriert. Ein ähnlich niedriger Schweinebestand war zuletzt in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zu verzeichnen.

Die Haltung von Schweinen als landwirtschaftliche Nutztiere steht unter Druck. Sie findet statt in einem Spannungsfeld zwischen vielfältigen gesellschaftlichen Erwartungen und der realen landwirtschaftlichen Produktion. Ansprüche werden hinsichtlich tierfreundlicher Haltungsformen und umweltgerechter Produktionsverfahren artikuliert, während sich das faktische Verhalten der Verbraucher und Verbraucherinnen an der Ladentheke vor allem an den Preisen zu orientieren scheint. Das Bild der Schweinehaltung in den Medien ist von den Extremen gekennzeichnet: von der Tierquälerei bis zur romantisierten Darstellung rosiger Ferkel in den Armen glücklicher Bäuerinnen und Bauern, die sich aber in der Wirklichkeit für ihr Tun zunehmend rechtfertigen müssen. Zu der gesellschaftlichen Perspektive gesellt sich die ökonomische Krise: Absatz- und Vermarktungsprobleme infolge von Corona und Afrikanischer Schweinpest lassen die Erlöse einbrechen, die Ukraine-Krise sorgt für eine drastische Verteuerung von Futtermitteln und Energie. Die Zeiten für Schweinhalterinnen und -halter sind schwierig geworden. Oftmals Anlass für viele Betriebe die Schweinehaltung zu beenden. Wenig überraschend gab es dazu aus dem Berufsstand ein deutliches Signal. Unter der Überschrift »Gib der Krise ein Gesicht – Schicksale der Familienbetriebe« haben die beiden Bauernverbände im Land einen Brandbrief1 zur Lage der Schweine haltenden Betriebe im Land aufgesetzt. Die Zahlen der amtlichen Statistik (i-Punkt) dokumentieren einen eindrücklichen Wandel in der Schweinehaltung, der sich in den letzten Jahren geradezu dramatisch beschleunigt hat.

Viele Jahre aufwärts, zuletzt kräftig abwärts

Die Geschichte des Landes Baden-Württemberg reicht bis in das Jahr 1952 zurück, dem Gründungsjahr des Landes. Für das Jahr 1952 wird in den Annalen des Statistischen Landesamts ein Schweinebestand von 1,28 Mill. Schweinen vermerkt (zur Einordnung: die Bevölkerung betrug damals knapp 6,7 Mill. Einwohnerinnen und Einwohner). Bis Mitte der 1960er-Jahre vergrößerte sich der Schweinebestand vergleichsweise dynamisch auf etwa 2 Mill. Tiere. Diese Entwicklung korreliert mit dem unter der Bezeichnung »Fresswelle« verbundenem Phänomen einer reichhaltigen und kalorienträchtigen Ernährung in den Aufbaujahren. Es brauchte dann allerdings nochmals mehr als 2 Jahrzehnte um einen vorläufigen Höchststand im Jahr 1986 mit 2,38 Mill. Schweinen zu erreichen. Auf diesem Niveau konnte sich der Schweinebestand fast 20 Jahre halten, bevor ein stetiger, sich im Lauf der Zeit beschleunigender Bestandsabbau einsetzte (Schaubild 1). Das vorläufige Ende dieser Entwicklung markiert das Jahr 2022 mit einem Schweinebestand, der fast dem Bestand zum Zeitpunkt der Gründung des Landes entspricht (bei einer Bevölkerung, die mit 11,1 Mill. deutlich zahlreicher ist als 1952).

Über zwei Zehntel weniger Schweine binnen zweier Jahre

Die aktuellsten Zahlen zur Schweinehaltung in Baden-Württemberg entstammen der repräsentativen Erhebung der Schweinebestände (siehe i-Punkt) zum 3. November 2022. Bei dieser Erhebung wurden noch 1,31 Mill. Schweine ermittelt. Im Vergleich zum Vorjahr, damals wurden noch 1,47 Mill. Schweine gezählt, entspricht dies einem Rückgang von über 11 %. Damit hat der Bestandsabbau in der Schweinehaltung eine neue Dynamik erreicht. Schon Im Vorjahr hatte der Bestandsabbau in Baden-Württemberg mit −10,9 % ein nie zuvor dagewesenes Tempo erreicht. Innerhalb von nur 2 Jahren hat der Schweinebestand um über ein Fünftel (−20,7 %) abgenommen. Im 10-jährigen Vergleich (2012/2022) beläuft sich der Bestandsabbau auf ein Drittel (−33,1 %), in 20 Jahren (2002/2022) blieb nahezu jedes zweite Schwein (−43,3 %) »auf der Strecke«.

Schweinehaltung – von der Normalität zur Ausnahmeerscheinung

Im Gründungsjahr des Landes wurden 374 130 Schweinehaltungen ermittelt. Die Erfassung erfolgte damals im Rahmen von Viehzählungen, bei denen auch Klein- und Kleinstbestände mitgezählt wurden. Diese Klein- und Kleinstbestände werden heute nicht mehr erfasst, das ist im Vergleich mit aktuellen Zahlen zu berücksichtigen. Allerdings spielen Klein- und Kleinstbestände heute auch keine Rolle mehr, da durch immer mehr Vorschriften und Auflagen – insbesondere seuchenhygienischen – die Haltung von Schweinen nicht mehr ohne weiteres möglich ist und faktisch nur noch professionell betrieben werden kann. Die Haltung von Schweinen in Koben und Verschlägen zur Selbstversorgung (»Hausschlachtung«) ist damit nur noch eine Erinnerung an vergangene Zeiten.

Bemerkenswert ist im Rückblick die Verankerung der Schweinehaltung in der Gesellschaft. Bei einer Bevölkerung von 6,7 Mill. im Jahr 1952 und einer angenommenen Haushaltsgröße von etwa drei Personen je Haushalt ergeben sich rechnerisch etwa 2,2 bis 2,3 Mill. Haushalte, das heißt in jedem sechsten Haushalt gab es einen unmittelbaren Bezug zu Schweinen. Für das Jahr 2020 wurden im Rahmen der Landwirtschaftszählung noch etwas mehr als 4 000 landwirtschaftliche Betriebe mit Schweinehaltung in Baden-Württemberg ermittelt. Vergleicht man diese Zahl mit der Zahl der Haushalte insgesamt (2019: 5,36 Mill.), dann hat weniger als jeder 1 000. Haushalt im Land noch einen Bezug zur Schweinehaltung. Da wundert es nicht, dass das gesellschaftliches Bild der Schweinehaltung und tatsächlich praktizierte Schweinehaltung auseinanderfallen. Diese Kluft betrifft im Übrigen nicht nur die Haltung von Schweinen, sondern die Landwirtschaft insgesamt. Der Rückzug in der Breite zeigt sich darüber hinaus auch in der regionalen Perspektive: in immer mehr Gemeinden des Landes gibt es keine Schweinehaltung mehr. Im Jahr 2020 waren 273 Gemeinden »schweinefrei«.

Vor allem die Großen überleben

Während der Schweinebestand im Lauf der Jahrzehnte zunächst deutlich zunahm, dann viele Jahre auf hohem Niveau verharrte um dann abzufallen, kannte die Zahl der Schweinehaltungen nur eine Richtung: stetig abwärts (Schaubild 2). Aufgrund der unterschiedlichen Erfassungsgrenzen ist ein punktgenauer Vergleich nicht möglich, aber die Dimension des stattgefundenen Wandels wird mit minus 99 % hinreichend genau beschrieben. Von rund 374 000 Schweinehaltungen in 1952 auf 4 010 im Jahr 2020. Eine vergleichbare Zahl für 2022 gibt es nicht, weil in den halbjährlichen Schweinebestandserhebungen nur die größeren Betriebe erfasst werden. Aber auch in diesen größeren Betrieben setzt sich der Wandel fort: von November 2020 (2 000) bis November 2022 (1 600) verringerte sich ihre Zahl um −18 % (Schaubild 2 unten).

Das Spiegelbild der unterschiedlichen Entwicklung von Schweinebestand und Schweine haltenden Betrieben ist die durchschnittliche Bestandsgröße. In den Betrieben, die an der Schweinehaltung festgehalten haben, werden im Durchschnitt immer größere Bestände gehalten. Im Jahr 1952 entfielen auf eine Schweinehaltung im Durchschnitt drei bis vier Schweine, Mitte der 1980er-Jahre, dem Zwischenhoch, waren es schon 34 Schweine. Zur Jahrtausendwende wurden im Mittel gut 110 Schweine je Betrieb gehalten, bis zum Jahr 2020 hat sich die Zahl nahezu vervierfacht (417 Schweine je Betrieb). In den größeren Betrieben, die im Rahmen der halbjährlichen Erhebung befragt werden, beläuft sich der Durchschnittsbestand im November 2022 auf fast 800 Schweine.

Vom Ferkelexportland zum Zuschussgebiet

Die strukturelle Entwicklung in der Schweinehaltung in Baden-Württemberg verlief vielfältiger, als es die nackten Betriebs- bzw. Bestandszahlen vermuten lassen. Neben der Herausbildung größerer Bestände haben sich auch die Produktionsausrichtungen verändert. Die Produktion von Schweinen erfolgt meist in einem arbeitsteiligen System, in dem die Betriebe sich auf einzelne Produktionsstufen spezialisiert haben. Die einfachste Unterscheidung ist die in Zucht- und in Mastbetriebe. In Zuchtbetrieben werden Zuchtsauen (und Eber) zur Erzeugung von Ferkeln gehalten, die anschließend in Mastbetrieben bis zur Schlachtreife ausgemästet werden. Daneben gibt es auch Betriebe, die sich noch weiter spezialisiert haben und in denen nur einzelne Produktionsschritte durchlaufen werden oder Betriebe, in denen der komplette Produktionszyklus durchlaufen wird (geschlossenes System).

In der Vergangenheit war Baden-Württemberg ein typisches Ferkelexportland, das heißt, es wurden mehr Ferkel im Land erzeugt, als im Land selbst gemästet werden konnten. Im Jahr 1999 wurden in Baden-Württemberg über 320 000 Zuchtsauen gezählt. Im Jahr 2022 sind es nur noch 103 000. Der Bestand an Ferkeln ging im gleichen Zeitraum ebenfalls deutlich zurück (von 880 000 auf 460 000), allerdings weniger, als es der Rückgang bei den Zuchtsauen erwarten ließe (Tabelle). Der Grund dafür liegt in deutlich verbesserten Aufzuchtleistungen, die in den statistischen Kategorien allerdings nur indirekt abgelesen werden können. Im Jahr 1999 kamen auf eine Zuchtsau im Bestand rechnerisch 2,7 Ferkel, im Jahr 2022 sind es 4,5 Ferkel je Zuchtsau. Ohne diese produktionstechnische Verbesserung wäre in Baden-Württemberg schon früher der Kipppunkt erreicht worden, aus dem aus einem Export- ein Importland wurde. Zumindest für den Bereich des Ferkelhandels in Großgruppen ist Baden-Württemberg nach Einschätzung der Landesanstalt für Landwirtschaft (LEL)2 mittlerweile zu einer Zuschussregion geworden.

Jedes zweite Schnitzel kommt von außerhalb

Mit dem Rückgang der Ferkelerzeugung gewann die Mast von Schweinen in Baden-Württemberg zunächst an Bedeutung. Das gilt sowohl absolut (der Bestand an Mastschweinen nahm bis etwa 2006 zu) als auch relativ (der Anteil von Mastschweinen am Gesamtbestand nahm zu). Mittlerweile verläuft auch hier die Entwicklung rückläufig.

Für das Jahr 2020 wird der Selbstversorgungsgrad für Schweinefleisch in Baden-Württemberg von der LEL nur noch auf knapp 50 % beziffert, das heißt, jedes 2. Kilo Schweinefleisch, das in Baden-Württemberg verzehrt wird, stammt aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland. Zwar hat der Pro-Kopf-Verbrauch an Schweinefleisch in der Vergangenheit kontinuierlich abgenommen – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich an diesem Trend etwas ändert – aber der Bestandsabbau in Baden-Württemberg schreitet schneller voran, sodass der Selbstversorgungsgrad sich weiter verringern wird. Die Abhängigkeit von der Erzeugung in anderen Regionen wird daher weiter zunehmen. Welche Konsequenzen sich aus Abhängigkeiten ergeben können, zeigt die aktuelle Ukrainekrise.

Ausblick

Prognosen sind schwierig. Auf der einen Seite hat die Schweinehaltung in der Vergangenheit ein enormes Anpassungspotential bewiesen, auf der anderen Seite schreitet der Wandel mit einem Tempo voran, dem die politische Entscheidungsfindung trotz zwischenzeitlich erkanntem Handlungsbedarf nicht folgen kann. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat Handlungsansätze wie Tierhaltungslabel oder Flexibilisierung des Baurechts aufgezeigt, aber an konkreten Beschlüssen mangelt es bislang. Auch die Landesregierung3 hat sich im Rahmen eines vor wenigen Monaten initiierten Strategiedialogs zum Ziel einer Erhaltung einer kleinstrukturierten, bäuerlichen Landwirtschaft bekannt.

Dabei bewegt sich die Schweinehaltung in Baden-Württemberg nicht in einem luftleeren Raum. In anderen Bundesländern sind, zum Teil zeitverzögert, ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Und trotz des enormen Strukturwandels bleibt die Schweinehaltung im Land im Vergleich zu den Schwerpunktregionen in Deutschland eher kleinteilig strukturiert. Deutschland, viele Jahre das Land mit dem größten Schweinebestand in der Europäischen Union, wurde in dieser Position mittlerweile deutlich von Spanien abgelöst.

Eine breite Entwicklung in Richtung »Bio« erscheint bei einem aktuellen Anteil von knapp 2 % wenig realistisch. Es ist kaum vorstellbar, dass tausende Betriebe mit der Schweinehaltung beginnen (um diese Größenordnung geht es), um eine kleinteilige, regionale und ökologische Erzeugung auf dem bisherigen Niveau zu ermöglichen. Unter Umständen bleiben am Ende nur die großen, die in der Lage sind, mit aufwendigen technischen Lösungen klima- und tierfreundliche Haltungsverfahren zu realisieren.

Vielleicht gewinnen aber auch ganz andere Entwicklungen entscheidend an Gewicht: Die Verbrauchergewohnheiten verändern sich (vegetarische/vegane Ernährung) drastisch, Fleischersatz kommt aus der Retorte und das wenige »echte« Fleisch wird zur Rarität und kommt (wie früher) allenfalls noch an Sonntagen auf den Tisch.

1 BWagrar vom 31.08.2022: https://www.bwagrar.de/aktuelles/brandbrief-an-die-politik-uebergeben,QUlEPTcyMjI0NjYmTUlEPTUxNjQ0.html?UID=A554BAC7043D50B3474B8424485DB45008CA670B7173E562 (Abruf: 21.12.2022).

2 LEL: Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum, Jahrbuch Agrarmärkte, S. 208.

3 Staatsministerium Baden-Württemberg vom 19.10.2022: https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/zukunft-der-schweinefleischproduktion-in-sueddeutschland (Abruf: 21.12.2022).