:: 2/2023

Anhaltende Teuerung der Lebensmittel- und Energiepreise: Wer ist besonders betroffen in Baden-Württemberg?

Die gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine beschäftigen im Moment die Bevölkerung, die Medien, die Politik und zunehmend auch die Wissenschaft stark. Die aktuellen Inflationsraten sind die höchsten seit Anfang der 1990er-Jahre (Grömling 2022). Besonders Haushalten mit geringem Einkommen stehen somit enorme Belastungen bevor, denn sie sind von der Inflation stärker betroffen, da sie einen größeren Teil ihres Einkommens für die sich verteuernden Güter des täglichen Bedarfs ausgeben. Einige wissenschaftliche Analysen konnten das bereits belegen und haben sich für Gesamtdeutschland mit diesem Thema beschäftigt (Back/Knauz 2022, Beznoska et al. 2022, Genger/Stockhausen 2022, Kritikos et al. 2022).

Diese Kurzanalyse möchte die aktuelle Situation für Baden-Württemberg näher beleuchten und der Frage nachgehen, wie viele Menschen und welche Bevölkerungsgruppen davon in Baden-Württemberg besonders betroffen sind.

Inflation und Konsumausgaben in Baden-Württemberg

Die Inflationsrate in Baden-Württemberg ist derzeit so hoch wie seit Anfang der 1990er-Jahre (im Zuge der deutschen Wiedervereinigung) nicht mehr. Betrachtet man die Teuerungen gemäß der unterschiedlichen Konsumbereiche,1 zeigen sich deutliche Unterschiede. Da Energiepreise besonders im Fokus der Diskussion um die Folgen der anhaltenden Teuerung stehen, werden sie zusätzlich getrennt betrachtet. Dabei wird unterschieden zwischen Haushaltsenergie (Strom, Gas und andere Brennstoffe) und Mobilitätsenergie (Kraft- und Schmierstoffe für Fahrzeuge). Die so differenzierten konsumspezifischen Inflationsraten zeigen, dass die Preise für Energie und Lebensmittel im Vergleich zum Vorjahr am stärksten gestiegen sind. Haushaltsenergie war im August 2022 um 40,7 % teurer als im August 2021, Mobilitätsenergie verteuerte sich um 16,5 % und Nahrungsmittel (sowie alkoholfreie Getränke) um 14,8 %. Andere Konsumgüter sind deutlich weniger von den Preissteigerungen betroffen (Schaubild 1).

Da die unteren Einkommensgruppen generell weniger für Konsum verfügbares Einkommen haben, sind sie stärker als höhere Einkommensgruppen vom Anstieg der Preise betroffen. Die Daten der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS)2 zeigen, dass in Baden-Württemberg 2018 die unteren 10 % der Einkommensverteilung (unteres Dezil) ungefähr 70 % ihrer gesamten Konsumausgaben für Wohnen, Verkehr, Lebensmittel und Energie ausgegeben haben – die oberen 10 % (oberes Dezil) hingegen nur knapp 60 %. Die unteren 10 % geben anteilig an ihrem verfügbaren Einkommen vor allem mehr aus für Lebensmittel, Wohnen und Energie (Schaubild 2). Beim Verkehr zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Hier gaben die oberen 10 % einen höheren Anteil ihres Einkommens aus als die unteren 10 %. Das entspricht den Ergebnissen für Gesamtdeutschland (Kritikos et al. 2022).

Bei der bereits existierenden und noch zu erwartenden starken Verteuerung kann man davon ausgehen, dass das für Konsum verfügbare Einkommen der Menschen mit geringem Einkommen die Kosten dieser Güter und anderer wichtiger Waren und Leistungen des Grundbedarfs nicht mehr decken kann und sie so auf Hilfeleistungen angewiesen sein werden.

Wer ist besonders betroffen in Baden-Württemberg?

Die Frage, wie viele Menschen in Baden-Württemberg von den bereits bestehenden und wohl noch zu erwartenden Teuerungen in besonderem Maß betroffen sein werden, ist nicht so leicht zu beantworten und wird in den Medien und der Öffentlichkeit im Moment intensiv diskutiert. Unterschiedliche Gruppen und Einkommensschwellen werden genannt, unterhalb derer davon ausgegangen wird, dass die Teuerungen Menschenempfindlich treffen werden. Grundsätzlich kann man sagen: Menschen mit einem geringen Haushaltseinkommen sind betroffen. Wer konkret dazu zählt, lässt sich aber nicht ganz so leicht feststellen.

Mithilfe der Daten der amtlichen Statistik kann man Risikogruppen identifizieren. Dazu gehören überschuldete Menschen – diese hatten bereits vor den Verteuerungen Probleme, Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Insgesamt 3 704 Menschen beantragten im Jahr 20203 in Baden-Württemberg Verbraucherinsolvenzen. Menschen, die auf Mindestsicherungsleistungen4 angewiesen sind, gehören sicherlich ebenfalls zur Gruppe der von der Inflation empfindlich getroffenen Menschen. Im Jahr 2020 waren das in Baden-Württemberg 583 721 Personen. Haushalte, die der Mindestsicherung vorgelagerte Leistungen wie Kinderzuschlag und Kindergeld beziehen, liegen mit ihrem gesamten Einkommen nur knapp über der Bemessungsgrenze der Mindestsicherungsleistungen. Auch sie werden stark betroffen sein. Im Jahr 2020 gab es in Baden- Württemberg 62 440 Haushalte, die Wohngeld bezogen haben und 37 062 Bezieherinnen und Bezieher von Kinderzuschlag.5 Auch BAföG-Beziehende sind junge Menschen aus Familien mit geringem Einkommen, die sich noch in einer Ausbildung befinden. In Baden-Württemberg waren das im Jahr 2020 60 256 junge Menschen.6

Schließlich gehören auch Rentnerinnen und Rentner zur Gruppe deren, die teilweise ein geringes Einkommen haben und oft in verdeckter Armut leben (Becker 2012). Von den ungefähr 2,2 Millionen (Mill.) Menschen, die in Baden-Württemberg im Jahr 2021 Rente aus Altersgründen bezogen haben, hatten 28,6 % ein persönliches Nettoeinkommen von weniger als 1 000 Euro.7

Zu beachten ist, dass es hierbei zu Doppelzählungen kommen kann8 und manche Statistiken Haushalte erfassen, andere Personen. Entscheidend für all diesen Gruppen ist aber die schlechte finanzielle Ausstattung des Haushalts, in dem sie leben. Dadurch sind sie in einer Lebenslage, die durch die anhaltenden Teuerungen zu existentiellen Schwierigkeiten führen kann. Betrachtet man also Personen unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle, dürften alle diese Gruppen darunterfallen, ebenso aber auch weitere Gruppen – wie zum Beispiel gering verdienende arbeitende Menschen. Diese Kurzanalyse nähert sich im Folgenden der Frage nach der Anzahl der Betroffenen auf diesem Weg an.

Als Einkommen wird hier das Nettoäquivalenzeinkommen9 herangezogen und sowohl die 60 %-Schwelle (armutsgefährdete Personen) als auch die 70 %-Schwelle betrachtet (einkommensschwache Personen, deren Einkommen nur knapp oberhalb der Armutsgefährdungsschwelle liegt).

Unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle (60 %-Schwelle) lebten 2021 in Baden-Württemberg 1 807 584 Menschen. Legt man die 70 %-Schwelle zugrunde, erhöht sich die Zahl auf 2 633 438 Menschen (572 864 davon waren Kinder). Das entspricht einem Anteil von 23,8 % der baden-württembergischen Bevölkerung (Tabelle 1).

Welche Gruppen bzw. Lebensformen sich besonders häufig unter diesen Schwellen finden, zeigt Tabelle 2. Es sind die bereits aus der Armutsforschung bekannten Risikogruppen: Menschen mit Migrationshintergrund, Kinder, junge Erwachsene, über 65-Jährige, Einpersonenhaushalte, kinderreiche Paarfamilien, Alleinerziehende, Erwerbslose, gering Qualifizierte und Beziehende von Transferleistungen im Sinne einer Mindestsicherung.

Aufgrund der starken Teuerungen der Lebensmittel- und vor allem Energiepreise werden mehr Menschen als die, die unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle leben, stark von der Krise betroffen sein. Deswegen wird hier der Fokus stärker auf die Betrachtung der 70 %-Einkommensschwelle gelegt.

In Baden-Württemberg lebten 2021 gut ein Drittel aller Menschen mit Migrationshintergrund, ca. 30 % aller Kinder sowie über 65-Jährigen und 36,6 % aller Einpersonenhaushalte unterhalb der 70 %-Einkommensschwelle. Bei Alleinerziehenden waren es, je nach Kinderzahl, zwischen ca. 58 % und 77 %. Kinderreiche Paarfamilien waren zu 43 % einkommensschwach. Von den Erwerbslosen waren über die Hälfte (54 %) betroffen, unter den Erwerbstätigen waren es 14,3 %. Auch die Betrachtung des überwiegenden Lebensunterhalts kann Aufschluss über den betroffenen Personenkreis geben. Wer öffentliche Transferleistungen im Sinne einer Mindestsicherung als Quelle des überwiegenden Lebensunterhalts angab, war zu 74,4 % ebenfalls einkommensschwach (Tabelle 2).

Exkurs: Energiearmut

Wenn einkommensschwache Haushalte die Kosten für Energie nicht mehr ohne Hilfe bezahlen können, besteht die Gefahr von Energiearmut. Es gibt weder in Deutschland noch international eine allgemein anerkannte Definition von Energiearmut. Nach der sogenannten Zehn-Prozent-Regel gilt ein Haushalt als energiearm, wenn mehr als 10 % des verfügbaren Einkommens für Energie aufgewendet werden (Strünck 2016). Da das aber bei hohen Einkommen kein Problem darstellt, wird oft auch die Einkommensdimension betrachtet. Die meisten Konzepte verknüpfen Kosten- und Einkommensdimension. Die Art der Verknüpfung fällt dabei zum Teil sehr unterschiedlich aus.10

Im Folgenden soll untersucht werden, wie viele Personen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle (60 %-Schwelle) bzw. unter der 70 %-Schwelle liegen und zusätzlich für Energiekosten11 über 10 % des Haushaltseinkommens aufwenden müssen. Sie gelten als energiearm und sind in besonderem Maß von den Teuerungen im Bereich der Haushaltsenergie betroffen.

Die Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zeigen zunächst, dass Armutsgefährdete sowie einkommensschwache Personen im Jahr 2020 durchschnittlich einen höheren Anteil ihres Nettoäquivalenzeinkommens für Energiekosten ausgegeben haben als die Gesamtbevölkerung (analog zu den Daten der EVS 2018).

Auf Basis dieser Einkommensdaten von 2020 können die Folgen der Verteuerung von Haushaltsenergie zwischen August 2020 und August 2022 (+ 46,1 %) veranschaulicht werden.12 Armutsgefährdete und einkommensschwache Personen haben demnach im August 2022 durchschnittlich 15,4 % bzw. 13,5 % ihres Nettoäquivalenzeinkommens für Energie ausgegeben – ein Anstieg um ungefähr 5 Prozentpunkte des Nettoeinkommens dieser Personen (Tabelle 3).

Verknüpft man die Zehn-Prozent-Regel mit der Armutsgefährdung bzw. Einkommensschwäche zeigt sich im Jahr 2020, dass 32,7 % der einkommensschwachen Personen auch Energieausgaben über 10 % hatten, bei den Armutsgefährdeten waren es 42,9 %.

Nutzt man erneut die Teuerungsrate von Haushaltsenergie um die Energiekosten auf den Stand von August 2022 anzupassen, dann sind geschätzt 64,9 % der einkommensschwachen Personen gleichzeitig energiearm, da sie mehr als 10 % ihres bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens für Haushaltsenergie aufwenden müssen. Bei den Armutsgefährdeten liegt der Anteil bei 72,3 % (Schaubild 3).

Diese Analysen zeigen, dass bereits die Verteuerung, die zwischen August 2020 und August 2022 stattgefunden hat, den Anteil derer, die als energiearm angesehen werden können, stark erhöht hat. Bei einkommensschwachen Personen verdoppelte sich der Anteil und bei Armutsgefährdeten stieg er durch die Verteuerungen um knapp 70 % an.

Es ist davon auszugehen, dass die Preise für Energie noch weiter steigen werden. Dadurch wird auch der Anteil der von Energiearmut betroffenen Menschen weiter erhöhen.

Fazit und Zusammenfassung

Diese Kurzanalyse greift das aktuell intensiv diskutierte Thema der Betroffenheit der Bevölkerung von der starken Inflation und den ökonomischen Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine auf und untersucht für Baden-Württemberg, wer davon in besonderem Maß getroffen wird.

Die Daten zeigen, dass untere Einkommensgruppen mehr von ihrem verfügbaren Einkommen für die sich verteuernden Güter wie Lebensmittel und Energie ausgeben. Da ihnen weniger Einkommen zur Verfügung steht, müssen sie einen größeren Anteil davon für Güter des Grundbedarfs ausgeben. Deswegen werden sie von den anhaltenden Teuerungen sehr stark getroffen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Personenkreis der in besonderem Maße Betroffenen nur grob eingrenzen lässt. Legt man die 70 %-Schwelle zu Grunde, dann sind 23,8 % der baden-württembergischen Bevölkerung einkommensschwach. Das entspricht 2 633 438 Menschen. Innerhalb dieser Gruppe von Menschen finden sich überproportional häufig die aus der Armutsforschung bekannten Risikogruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, Kinder, junge Erwachsene, über 65-Jährige, Einpersonenhaushalte, kinderreiche Paarfamilien, Alleinerziehende, Erwerbslose, gering Qualifizierte und Beziehende von Transferleistungen im Sinne einer Mindestsicherung.

Der Anteil an einkommensschwachen Personen, die zudem als energiearm gelten können, da sie mehr als 10 % ihres Nettoäquivalenzeinkommens für Haushaltsenergie aufwenden müssen, lag nach Daten des SOEP 2020 in Baden-Württemberg bei 32,7 %. Ein Drittel aller einkommensschwachen Personen gab also bereits vor der Krise mehr als 10 % ihres Einkommens für Haushaltsenergie aus. Passt man aber die Kosten für Haushaltsenergie mit Hilfe der Inflationsrate an die Preise von August 2022 an, dann steigt der Anteil auf 64,9 %.

1 Es werden die zwölf Konsumbereiche der internationalen Klassifikation der Verwendungszwecke des Individualverbrauchs zugrundegelegt. Vergleiche dazu zum Beispiel United Nations 2018.

2 Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist die größte freiwillige Haushaltserhebung der amtlichen Statistik. Sie wird alle 5 Jahre durchgeführt. Durch die EVS erfährt man, wie viel Geld den Haushalten in Deutschland zur Verfügung steht und wofür sie es ausgeben.

3 Es werden stets die aktuellsten verfügbaren Daten genutzt.

4 Bezug von Leistungen nach SGB II oder SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

5 Die Zahl der Berechtigten kann höher sein, da nicht alle Berechtigten die Leistung tatsächlich beantragen.

6 Die Zahlen in diesem Abschnitt stammen vor allem aus dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg: Insolvenzstatistik, Wohngeldstatistik, Bafög-Statistik. Die Daten zum Kinderzuschlag stammen von der Familienkasse und Daten zum SGB II von der Bundesagentur für Arbeit.

7 Die Daten basieren auf Angaben aus dem Mikrozensus 2021.

8 Ein Haushalt kann zum Beispiel sowohl Kinderzuschlag als auch Wohngeld beziehen und in beiden Statistiken gezählt werden.

9 EU-weit ist es üblich, Einkommen unterschiedlicher Lebensformen durch die Gewichtung entlang der neuen OECD-Skala vergleichbar zu machen (Pro-Kopf-Bedarfsgewichtung). Dafür wird auf der Basis des Haushaltsnettoeinkommens ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied berechnet, das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen.

10 Dieser Ansatz (»low income-high-cost«-Indikator) stammt aus England und wurde von John Hills im Auftrag der britischen Regierung entwickelt (Hills 2012). Zur Diskussion der unterschiedlichen Konzepte vergleiche Drescher et al. 2021 und Strünck et al. 2016.

11 Die Energiekosten pro Personen werden berechnet aus den monatliche Stromkosten, den monatlichen Heizungskosten (einschließlich Warmwasser) geteilt durch das bedarfsgewichtete Haushaltsnettoeinkommen.

12 Dazu wurden die Kosten für Haushaltsenergie um die Inflationsrate erhöht (um 46 %), um so die Preise von August 2022 abbilden zu können.