150 000 ukrainische Staatsangehörige leben in Baden-Württemberg
Ausgewählte Ergebnisse zur ausländischen Bevölkerung im Südwesten
Bereits im Jahr 2015 rückte die Zuwanderung aufgrund der Flüchtlingskrise zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Insgesamt zogen damals per saldo rund 170 000 Menschen nach Baden-Württemberg; die meisten Menschen kamen im Jahr 2015 aus Syrien (36 000). In den Folgejahren ging die Zuwanderung fast stetig zurück, um dann seit dem Krieg in der Ukraine wieder enorm anzusteigen. Etwa 130 000 Ukrainerinnen und Ukrainer flohen im Jahr 2022 per saldo in den Südwesten, aber auch aus anderen Staaten zogen wieder vermehrt Menschen zu. Mit 2,01 Millionen (Mill.) ausländischen Staatsangehörigen wurde Ende 2022 ein neuer Höchststand in Baden-Württemberg erreicht.
Im folgenden Beitrag soll die zahlenmäßige Entwicklung der Ausländerinnen und Ausländer, die in Baden-Württemberg leben, unter anderem nach deren Herkunft näher betrachtet werden. Die ukrainischen Staatsangehörigen stehen dabei im Fokus der Betrachtung. Neben der Frage, woher und weshalb die Menschen zugezogen sind, ist auch von Bedeutung, wohin sie innerhalb des Landes gezogen sind. Ein Überblick über die regionale Verteilung der ausländischen Bevölkerung rundet deshalb den Beitrag ab.
Blick zurück: Von 60 000 auf 2 Millionen Ausländerinnen und Ausländer
1952, dem Gründungsjahr des Südweststaats, lebten im Südwesten lediglich rund 60 000 Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit.1 Deren Zahl stieg in den folgenden 2 Jahrzehnten fast stetig an. Ursache hierfür war, dass zu dieser Zeit das sogenannte »Wirtschaftswunder« bereits in vollem Gange war. Als Folge dieser ungemein dynamischen Wirtschaftsentwicklung zeichnete sich ein allgemeiner Arbeitskräftemangel ab, der zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte führte. 1955 wurde das erste Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen; in den 1960er-Jahren folgten entsprechende Abkommen mit Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und dem ehemaligen Jugoslawien (1968).2
In den 1970er- und 1980er-Jahre war die Migration – bedingt durch wirtschaftliche Einbrüche, unter anderem durch die »Ölkrise« im Jahr 1973 und der temporären bundesweiten Förderung von Rückwanderungen – sehr wechselhaft. Ende der 1980er-Jahre lag deshalb die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen praktisch unverändert auf dem Niveau Anfang der 1970er-Jahre (Schaubild 1).
Dieser Periode schloss sich eine erneute Phase starker Zuwanderungen aus dem Ausland an. Vor allem steigende Asylbewerberzahlen – sogar von einer »Asylantenflut« war die Rede3 – und der Zustrom von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem auseinanderfallenden Jugoslawien prägten das Bild. Verstärkt wurde der zu Beginn der 1990er-Jahre starke Anstieg der ausländischen Bevölkerungszahl auch dadurch, dass die Zahl der Geburten ausländischer Mütter deutlich über der der Gestorbenen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit lag.4
Von Mitte der 1990er-Jahre bis etwa zum Jahr 2010 dauerte die nächste Phase, die dadurch geprägt war, dass die Zahl der in Baden-Württemberg lebenden ausländischen Staatsangehörigen tendenziell zurückging. Gründe hierfür waren zum einen eine relativ geringere Zuwanderung und zum anderen eine zeitweise hohe Zahl an Einbürgerungen. Allein im Zeitraum 1995 bis 2010 nahmen über 400 000 Ausländerinnen und Ausländer im Südwesten die deutsche Staatsangehörigkeit an. Hinzu kam, dass Kinder von Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit 8 Jahren in Deutschland aufhalten und eine Niederlassungs- oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, seit dem Jahr 2000 aufgrund einer Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) nicht mehr die ausländische, sondern die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten (§ 4 Abs. 3 StAG).
Die Jahre 2011 bis 2014 waren daran anschließend durch einen starken Anstieg der Migration vor allem aus EU-Staaten bestimmt. Insbesondere aus Polen, Ungarn und Rumänien zogen wesentlich mehr Menschen in den Südwesten als in den Jahren zuvor, weil damals Staatsangehörigen aus diesen Staaten die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeräumt wurde.5
Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer innerhalb eines Jahres verneunfacht
In den Jahren 2015 und 2016 war die Entwicklung durch den Zustrom von Flüchtlingen vor allem aus Syrien geprägt. Danach schwächte sich die Zuwanderung etwas ab, um seit dem Februar 2022 mit Beginn des Krieges in der Ukraine stark anzusteigen. Die Zahl der ausländischen Bevölkerung erreichte deshalb einen neuen Höchststand: Ende 2022 lebten 2,01 Mill. ausländische Staatsangehörige in Baden-Württemberg6; darunter waren 150 000 ukrainische und 34 000 russische Staatsangehörige.7 Damit hatte sich die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer innerhalb eines Jahres annähernd verneunfacht, dagegen diejenigen der Russinnen und Russen um weniger als ein Zehntel erhöht. In den Jahren zuvor lag die Zahl der russischen Staatsangehörigen ausnahmslos höher als die der ukrainischen8; so betrug beispielsweise im Jahr 2010 das Zahlenverhältnis 24 000 zu 13 000.
Lediglich fünf Staatsangehörigkeiten sind im Land nicht vertreten
Ende 2022 lebten in Baden-Württemberg Mitbürgerinnen und Mitbürger aus fast allen Staaten der Erde. Von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen9 haben derzeit lediglich Staatsangehörige von den pazifischen Inselstaaten Kiribati, Nauru, Palau, Tuvalu und den Marshallinseln keinen Wohnsitz in Baden-Württemberg.
Türkische Staatsangehörige sind im Südwesten die größte ausländische Bevölkerungsgruppe (256 000)10. Mit deutlichem Abstand folgen Staatsangehörige aus Italien (180 000), die in Baden-Württemberg – nach Buenos Aires und Rio de Janeiro – sogar die zahlenmäßig größte ausländische italienische Gemeinschaft in der Welt bilden.11 Ebenfalls stark vertreten sind Personen aus Rumänen (178 000), und an 4. Stelle folgen bereits Ukrainerinnen und Ukrainer (Schaubild 2a).
Die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in Baden-Württemberg unterscheidet sich nicht unerheblich von der in Deutschland: Zwar bilden türkische Staatsangehörige auch bundesweit die größte ausländische Bevölkerungsgruppe. Auf dem 2. und 3. Platz rangieren dann aber im Gegensatz zu Baden-Württemberg bereits ukrainische und syrische Staatsangehörige (Schaubild 2b). Dagegen sind – relativ betrachtet – im Bundesgebiet insbesondere italienische Staatsangehörige deutlich schwächer als im Südwesten vertreten.
Ausländerinnen und Ausländer im Südwesten sind im Schnitt knapp 39 Jahre alt
Die ausländischen Frauen und Männer in Baden-Württemberg waren Ende 2022 im Durchschnitt knapp 39 Jahre alt und damit wesentlich jünger als die deutsche Bevölkerung mit annähernd 45 Jahren. Schaubild 3 zeigt im Detail, dass bei der ausländischen Bevölkerung die Altersgruppe der Anfang 20-Jährigen bis Anfang 50-Jährigen – gemessen an der Zahl der Ausländerinnen und Ausländer insgesamt – deutlich stärker, die der Älteren dagegen erheblich schwächer als bei der deutschen Bevölkerung vertreten sind.
Allerdings sind auch die ausländischen Staatsangehörigen in den vergangenen Jahrzehnten »gealtert«, und der Altersunterschied zur deutschen Bevölkerung hat sich verringert. So lag das Durchschnittsalter der Ausländerinnen und Ausländer im Jahr 1970 noch bei lediglich 28 Jahren und damit sogar um rund 8 Jahre niedriger als das der Deutschen.
Zwischen den einzelnen ausländischen Staatsangehörigkeiten zeigen sich erhebliche Altersunterschiede: Zu den Nationalitäten mit der ältesten Bevölkerung im Südwesten zählen Staatsangehörige aus den Nachbarstaaten Schweiz und Österreich mit im Schnitt jeweils 55 Jahren. Mit am jüngsten sind Afghaninnen und Afghanen sowie Syrerinnen und Syrer, deren Durchschnittsalter bei lediglich 24 bzw. 25 Jahren liegt.
362 000 Schutzsuchende im Südwesten, …
Die Zuwanderung war vor allem 2015 und 2016 durch Flüchtlinge geprägt, und seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist die Fluchtmigration erneut deutlich stärker in den Fokus gerückt. Doch wie viele der Flüchtlinge leben heute in Deutschland und in den einzelnen Bundesländern? Zur Beantwortung dieser Frage wurde vom Statistischen Bundesamt ein Konzept mit dem Ziel entwickelt, die Zahl der Schutzsuchenden, also diejenigen Ausländerinnen und Ausländern, die sich aus humanitären Gründen in Deutschland aufhalten, zu quantifizieren.12
Nach diesem Konzept lebten Ende 2022 rund 362 000 Schutzsuchende in Baden-Württemberg. Damit hat sich deren Zahl innerhalb von 10 Jahren mehr als verfünffacht. Allein gegenüber dem Jahr 2021 stieg die Zahl der registrierten Schutzsuchenden um 146 000 Personen und damit so stark wie noch nie seit Beginn der Statistik im Jahr 2007 (Schaubild 4). Damit lag der Anteil der Schutzsuchenden an der ausländischen Bevölkerung am Jahresende 2022 bei 18 %; bezogen auf die gesamte baden-württembergische Bevölkerung waren es 3 %.
Schutzsuchende lassen sich nach dem sogenannten Schutzstatus unterscheiden. Unterschieden werden Schutzsuchende, über deren Asylantrag noch nicht entschieden wurde, Schutzsuchende mit einem anerkannten Schutzstatus und Schutzsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde (i-Punkt »Schutzsuchende«).
Am Jahresende 2022 hatten in Baden-Württemberg knapp 87 000 oder 24 % aller Schutzsuchenden einen offenen Schutzstatus. Deren Zahl ist damit gegenüber 2021 deutlich, nämlich um 58 000, angestiegen.
Die Mehrheit der Schutzsuchenden – 241 000 bzw. 67 % – verfügten Ende 2022 über einen humanitären Aufenthaltstitel und damit über einen anerkannten Schutzstatus. Überwiegend war diese Anerkennung jedoch befristet (197 000). Außerdem lebten Ende 2022 knapp 35 000 Schutzsuchende in Baden-Württemberg, deren Antrag abgelehnt wurde (10 %). Diese Personen waren daher ohne Schutzstatus und grundsätzlich ausreisepflichtig. Darunter waren annähernd 32 000 Personen, deren Ausreisepflicht aufgrund einer Duldung jedoch vorübergehend ausgesetzt wurde, weil der Vollstreckung der Abschiebung rechtliche oder tatsächliche Abschiebehindernisse entgegenstehen.13
… darunter die mit Abstand am meisten aus der Ukraine
Die meisten Schutzsuchenden stammen aus der Ukraine (131 000). Mit deutlichem Abstand folgen Schutzsuchende mit einer syrischen (68 000) oder einer afghanischen Staatsangehörigkeit (28 000). Ebenfalls zu den 20 häufigsten Staatsangehörigkeiten zählen russische Schutzsuchende (Tabelle).
Die Schutzsuchenden in Baden-Württemberg sind überwiegend männlich (54 %), bei denjenigen aus Gambia sind es sogar 91 %. Demgegenüber sind annähernd zwei Drittel der ukrainischen Schutzsuchenden weiblich (63 %).
Pforzheim, Heilbronn und Stuttgart mit höchstem Ausländeranteil
Innerhalb des Landes verteilt sich die ausländische Bevölkerung sehr ungleichmäßig. Es ist vor allem ein weiterhin ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle feststellbar, da ausländische Staatsangehörige überdurchschnittlich oft in der Nähe der Arbeitsplatzzentren und damit in den größeren Städten leben. Am höchsten war der Ausländeranteil Ende 2022 im Stadtkreis Pforzheim mit 30,1 %, gefolgt von den Stadtkreisen Heilbronn und Stuttgart (29,2 % bzw. 27,0 %). Dagegen lag dieser Anteil im ländlich geprägten Main-Tauber-Kreis bei lediglich 12,0 % (Schaubild 5).
Die regionalen Unterschiede in der Häufigkeit ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie deren Zusammensetzung nach Staatsangehörigkeiten erklären sich nicht nur damit, dass diese überdurchschnittlich oft in der Nähe der Arbeitsplatzzentren und damit in den größeren Städten leben. Ursächlich ist hierfür außerdem, dass dort, wo bereits viele Menschen einer bestimmten Staatsangehörigkeit leben, häufig auch weitere zuziehen.14 Schließlich haben auch die Schutzsuchenden dazu beigetragen, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung regional sehr unterschiedlich ist: Die Spannweite des Anteils der Geflüchteten an der Gesamtbevölkerung reicht nämlich von lediglich 2,2 % im Zollernalbkreis bis immerhin 6,6 % in Pforzheim.15
Türkische Staatsangehörige stellen zwar in Baden-Württemberg die am stärksten vertretene ausländische Bevölkerungsgruppe; dies gilt aber nicht flächendeckend, sondern nur für 24 der 44 Stadt- und Landkreise. In immerhin 15 Kreisen bilden Staatsangehörige aus Rumänien die zahlenmäßig größte ausländische Bevölkerungsgruppe, in vier Kreisen sind es Staatsangehörige aus Italien.16 In der Kur- und Bäderstadt Baden-Baden waren erstmals Ukrainerinnen und Ukrainer am stärksten vertreten.
Fazit und Ausblick
Die Zahl der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hat sich seit der Gründung des Südweststaats im Jahr 1952 von lediglich 60 000 auf über 2 Mill. erhöht. Die Motive, weshalb Menschen in den vergangenen 7 Jahrzehnten nach Baden-Württemberg gekommen sind, waren vielfältig und änderten sich im Laufe der Dekaden. Stand in den 1960er- und 1970er-Jahren die Zuwanderung von Arbeitskräften im Fokus, prägten in den 1990er-Jahren vor allem steigende Asylbewerberzahlen und der Zustrom von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem auseinanderfallenden Jugoslawien das Bild; seit dem Frühjahr 2022 prägen Schutzsuchenden aus der Ukraine das Migrationsgeschehen.
Aktuell rückt aber auch die Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen – wie bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren – wieder stärker in den Blickpunkt. Zunehmend gehen Arbeitskräfte der geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten »Babyboomer«, in den Ruhestand mit der Folge, dass sich der Fachkräftemangel immer weiter verstärkt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde am 23. Juni 2023 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz durch den Bundestag verabschiedet, das darauf abzielt, dass ausländische Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen können.17 Alexander Merk, Leiter der Arbeitsagentur Freiburg, geht einerseits davon aus, dass die Zuwanderung tatsächlich eine Säule ist, um dem Arbeitskräftemangel zu verringern. Er ist aber andererseits davon überzeugt, dass es nicht ausreicht, den ausländischen Arbeitskräften lediglich einen Arbeitsplatz zu bieten. Vielmehr müsse auch das Thema »bezahlbarer Wohnraum« angegangen und vor allem die soziale Integration stärker gefördert werden.18