Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte 1991 bis 2022
Die Einführung der Marktwirtschaft in der ehemaligen DDR, die Abwicklung zahlreicher Betriebe und Unternehmen sowie die schlagartige Konfrontation mit nationalen und internationalen Wettbewerbern hatte vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre tiefe Einschnitte in Wirtschaft und Arbeitsleben der neuen Länder zur Folge. Sie waren sehr schmerzhaft und sind trotz bemerkenswerter Aufholphasen nach wie vor sichtbar, wie folgende Zahlen unterstreichen: Die Zahl der Erwerbstätigen in der ehemaligen DDR ist zwischen 1950 und 1989 um 16,9 % angestiegen, nach der Wende in Ostdeutschland (ohne Berlin) zwischen 1991 und 2022 aber um 11,7 % gesunken. Deutlich günstiger war die Entwicklung in der früheren Bundesrepublik Deutschland mit +40,5 % von 1950 bis 1989 bzw. in Westdeutschland (ohne Berlin) mit +23,2 % von 1991 bis 2022.1
Die dramatische Entwicklung nach der Wiedervereinigung wurde in bislang fünf Beiträgen anhand von Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) für das Land Thüringen nachgezeichnet und in ihrer Besonderheit und Tragweite durch Vergleiche mit Baden-Württemberg unterstrichen.2 Danach hat im Gesamtzeitraum 1991 bis 2022 die Zahl aller Erwerbstätigen in Baden-Württemberg um fast ein Viertel (+23,4 %) zu-, aber in Thüringen um ein Sechstel (–16,5 %) abgenommen. Dieses Auseinanderdriften ist vor allem auf unterschiedliche Entwicklungen im Produzierenden Gewerbe zurückzuführen: In diesen 31 Jahren hat sich die Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg mit –12,3 % erheblich schwächer verringert als in Thüringen mit –43,4 %, und im Baugewerbe stand einer Stagnation in Baden-Württemberg (–0,6 %) ein kräftiger Rückgang in Thüringen (–43,6 %) gegenüber. Ein vergleichbares Bild ergibt sich für den in weiten Teilen wirtschafts- und gewerbenahen Dienstleistungsbereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, wo sich die Erwerbstätigkeit in Baden-Württemberg um 29,4 % ausgeweitet, aber in Thüringen um 7,8 % vermindert hat. Lediglich beim Dienstleistungsbereich Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleister, Grundstücks- und Wohnungswesen konnte wenigstens ein gleichgerichtetes Wachstum festgestellt werden: Die Zahl der Erwerbstätigen hat sich innerhalb dieser 31 Jahre in beiden Ländern nahezu verdoppelt (Baden-Württemberg +96,2 %, Thüringen +96,8 %).
Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, wie sich die Situation in einem weiteren Dienstleistungsbereich darstellt, nämlich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte.
Zusammensetzung des Wirtschaftsbereichs
Der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte ist sehr viel stärker als die beiden anderen Dienstleistungsbereiche auf den Bedarf privater Haushalte ausgerichtet. Dies geht aus der Auflistung nach Teilbereichen im i-Punkt hervor.
Daten zur Bruttowertschöpfung, zur Erwerbstätigkeit und zur Arbeitsproduktivität werden in den VGR für die Jahre 1991 bis 2022 nur für den gesamten Bereich nachgewiesen.3 Für die beiden Teilbereiche Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit einerseits sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte andererseits liegen Ergebnisse für 2000 bis 2021 vor. Darüber hinaus gibt es Daten für die Jahre 2008 bis 2020 zu jeweils drei Unterbereichen dieser beiden Teilbereiche, die im i-Punkt näher beschrieben sind.
Bruttowertschöpfung
Umfang und Entwicklung in jeweiligen Preisen
Abgesehen vom Baugewerbe, das vor allem in der 1. Hälfte der 1990er-Jahre in den neuen Ländern durch umfangreiche Neu- und Modernisierungsinvestitionen einen wahren Wirtschaftsboom erfahren hat, ist der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte der einzige große Wirtschaftszweig, der in Thüringen im gesamten Untersuchungszeitraum einen höheren Anteil an der Bruttowertschöpfung erzielt hat als in Baden-Württemberg. Wie Tabelle 1 zeigt, betrug der entsprechende Anteilswert 1991 mit 34,4 % in Thüringen mehr als das Doppelte wie in Baden-Württemberg mit 16 %, 1992 war die Quote in Thüringen mit 33,1 % immerhin noch fast doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg mit 16,7 %. Und in den Folgejahren belief sich der Abstand bei den Anteilen beider Länder durchweg auf 10 Prozentpunkte oder mehr. Eine weitere Gegenüberstellung unterstreicht diese markanten Unterschiede: Während in Baden-Württemberg die Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes immer über derjenigen im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte gelegen ist, war es in Thüringen umgekehrt: 1991 betrug in Thüringen die Wertschöpfung dieses Dienstleistungsbereichs in jeweiligen Preisen mit 5,38 Milliarden (Mrd.) Euro das 2,4-Fache des entsprechenden Werts im Verarbeitenden Gewerbe (2,27 Mrd. Euro), 1992 mit 6,84 Mrd. Euro gegenüber 2,42 Mrd. Euro sogar das 2,8-Fache und bis einschließlich 1996 stets mehr als das Doppelte.
Es gibt drei wesentliche Ursachen für diese beträchtlichen Unterschiede: Zum ersten hat der Zusammenbruch von Industrie und Gewerbe sowie der damit verbundenen Wirtschaftsbereiche in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre bei den betroffenen Bereichen in Thüringen und allen ostdeutschen Ländern zu Anteilsverlusten an der Bruttowertschöpfung geführt, von denen der überwiegend auf personenbezogene Dienstleistungen ausgerichtete Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte entsprechend profitiert hat. Zum zweiten blieben Bereiche wie Verarbeitendes Gewerbe, Handel und Verkehr, Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleister trotz beachtlicher Aufholtendenzen in Thüringen auch in den nachfolgenden Jahren anteilsmäßig hinter Baden-Württemberg zurück. Zum dritten besteht gerade für personenbezogene Dienstleistungen ein von der wirtschaftlichen Situation weitgehend unabhängiger Bedarf, der sich in Thüringen im Umfang der Bruttowertschöpfung von Öffentlichen und sonstigen Dienstleistern, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte niederschlägt.
Tatsächlich hat die Bruttowertschöpfung dieses Wirtschaftsbereichs in Thüringen kräftiger zugenommen als in Baden-Württemberg (Tabelle 1). Unmittelbar nach der Wiedervereinigung, von 1991 auf 1992 war der Anstieg in jeweiligen Preisen in Thüringen mit +27 % fast dreimal so hoch wie in Baden-Württemberg mit +9,9 %, im Zeitraum 1991 bis 1997 waren es +76 % im Vergleich zu +33,4 %. In den anschließenden 25 Jahren, zwischen 1997 und 2022, hat dann in beiden Ländern eine Verdoppelung der Bruttowertschöpfung stattgefunden. Im gesamten Zeitraum 1991 bis 2022 standen +251,7 % in Thüringen (von 5,38 auf 18,93 Mrd. Euro) lediglich +166,7 % in Baden-Württemberg (von 35,28 auf 94,09 Mrd. Euro) gegenüber. Die jährliche Entwicklung ist in Schaubild 1, Teil a) abgebildet. Deutlich wird ein von 1991 bis 1994 in Thüringen erheblich stärkerer nominaler Wertschöpfungsanstieg als in Baden-Württemberg, der danach aber in einen erstaunlich parallelen Verlauf mit nur geringen Abweichungen übergegangen ist.
Entsprechend hat Thüringen in den ersten Jahren nach der Wende im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte seinen Wertschöpfungsanteil an Deutschland insgesamt kontinuierlich ausgebaut, von 1,9 % im Jahr 1991 um jährlich 0,2 Prozentpunkte bis auf 2,5 % im Jahr 1995. Dieses Niveau wurde bis 2016 weitgehend gehalten, danach erfolgte ein leichter Rückgang auf 2,4 %. In Baden-Württemberg haben sich die Anteilswerte zunächst zwischen 12,2 % und 12,6 % bewegt, nach 2018 wurden dann überwiegend Werte in Höhe von 12 % und 12,1 % realisiert. Die Anteilsverluste beider Länder zum Ende des Betrachtungszeitraums waren jeweils das Ergebnis deutlich überproportionaler Wertschöpfungssteigerungen in Berlin, die sich dort auf alle Teilbereiche erstreckt haben. Die Anteilswerte Baden-Württembergs an Westdeutschland ohne Berlin haben sich zunächst deutlich von 14,8 % im Jahr 1991 auf 15,7 % im Jahr 2007 erhöht, sind dann aber wieder leicht bis auf 15,3 % im Jahr 2022 zurückgefallen. In Thüringen haben sich die anteiligen Beiträge zu Ostdeutschland ohne Berlin im Gesamtzeitraum überwiegend zwischen 17 % und 17,3 % bewegt.
Preisbereinigte Entwicklung
Die in jeweiligen Preisen und damit in nominaler Rechnung dargestellte Bruttowertschöpfung hat den Vorteil, dass damit absolute Werte vorgelegt und dementsprechend auch Anteilswerte errechnet werden können (Tabelle 1). Die Entwicklung der Bruttowertschöpfung wird von den VGR außerdem in preisbereinigter Form für Veränderungsraten bzw. Indizes veröffentlicht und kann so die reale Entwicklung nachvollziehen.
Erstaunlicherweise ist das Wachstum der realen Bruttowertschöpfung des Bereichs Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte im Gesamtzeitraum 1991 bis 2022 in Baden-Württemberg mit +45 % etwas stärker ausgefallen als in Thüringen mit +38 %, das sind jahresdurchschnittlich +1,2 % gegenüber +1,1 %. Offensichtlich war also das in Thüringen nominal deutlich höhere Wachstum in erheblichem Ausmaß preisgetrieben. Dabei ist der preisbereinigte Anstieg zwischen 1991 und 1999 in Thüringen mit 25,8 % (jährlich +2,9 %) größer gewesen als in Baden-Württemberg mit 18,1 % (jährlich +2,1 %), dagegen zwischen 1999 und 2013 mit 2,5 % (jährlich +0,2 %) im Vergleich zu 14,3 % (jährlich +1 %) sehr viel geringer. Im Zeitraum 2013 bis 2022 war dann das reale Wachstum in beiden Ländern mit rund 7 % (jährlich +0,8 %) genau gleich hoch.
Erwerbstätige: Umfang und Entwicklung des Gesamtbereichs
Komplett anders als bei der Bruttowertschöpfung stellt sich die Entwicklung bei der Erwerbstätigkeit des Bereichs Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte dar: Während wie ausgeführt von 1991 bis 2022 die nominale Bruttowertschöpfung in Thüringen mit +251,7 % merklich stärker gewachsen ist als in Baden-Württemberg mit +166,7 %, aber umgekehrt die reale Bruttowertschöpfung mit +38 % im Vergleich zu +45 % etwas schwächer, hat sich bei der Entwicklung der Anzahl der Erwerbstätigen in Thüringen eine Stagnation ergeben, in Baden-Württemberg jedoch ein beachtlicher Anstieg. Wie Tabelle 2 zeigt, hat die Zahl der in Baden-Württemberg in diesem Bereich Erwerbstätigen innerhalb dieser 31 Jahre von 1,2 Millionen (Mill.) auf 1,85 Mill. Personen und damit um 54 % zugenommen, während der Personalaufbau in Thüringen von 329 200 auf 341 800 Personen einen Zuwachs um nur 3,8 % ergeben hat. Schaubild 1, Teil b) verdeutlicht, dass Thüringen lediglich in den Anfangsjahren bis 1999 ein nennenswertes Zwischenhoch und ab 2017 einen kleinen, aber kontinuierlichen Anstieg erzielen konnte, während die Entwicklung in Baden-Württemberg ungehindert nach oben ging. Oder anders ausgedrückt: Thüringen musste neben Zunahmen der Erwerbstätigenzahlen auch Abnahmen in Kauf nehmen, vor allem zwischen 1999 und 2006, wogegen die Anzahl der in diesem Bereich erwerbstätigen Menschen in Baden-Württemberg von Jahr zu Jahr angewachsen ist.
Auch bei den Erwerbstätigen hat Thüringen im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte stets höhere Anteile an der Gesamtwirtschaft verzeichnet als Baden-Württemberg (Tabelle 2). Die Zahl der dort erwerbstätigen Menschen ist in beiden Ländern überproportional angewachsen, die sektorale Quote hat sich zwischen 1991 und 2022 in Thüringen von 26,8 % auf 33,4 % und damit um 6,6 Prozentpunkte erhöht, in Baden-Württemberg von 23,2 % auf 28,9 % und damit um 5,7 Prozentpunkte. Bei dieser Gegenüberstellung ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Thüringen die Erwerbstätigkeit insgesamt unmittelbar nach 1991 deutlich abgesunken ist und deshalb 1992, trotz leicht verminderten Erwerbstätigenzahlen im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte, der Anteilswert von 26,8 % auf 31,4 % nach oben geschossen ist. Nach 1992 ist dann die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in diesem Dienstleistungsbereich in Thüringen mehr oder weniger parallel zur gesamten Erwerbstätigkeit verlaufen, die entsprechenden Quoten haben sich innerhalb diese 30 Jahre in einem recht engen Korridor zwischen 31,4 % (1992) und 33,4 % (2022) bewegt. Demgegenüber hat die Zahl der im hier analysierten Dienstleistungsbereich erwerbstätigen Personen in Baden-Württemberg durchgehend überproportional zugelegt, die sektoralen Anteile sind kontinuierlich von 23,7 % (1992) auf 28,9 % (2022) und damit um 5,2 Prozentpunkte angestiegen.
Die Unterschiede beider Länder schlagen sich auch im Anteil der Erwerbstätigkeit des Wirtschaftsbereichs an Deutschland insgesamt nieder. Während Baden-Württemberg die regionalen Quoten zwischen 1991 und 2022 von 11,7 % auf 12,4 % verbessen konnte, musste Thüringen einen Rückgang von 3,2 % auf 2,3 % in Kauf nehmen (Tabelle 2). Hierbei handelt es sich allerdings weniger um Spezifika der beiden Länder als um eine generelle West/Ost-Angelegenheit, das heißt die für Baden-Württemberg und Thüringen beschriebenen Tendenzen sind mehr oder weniger typisch für die jeweiligen Teilgebiete. Tatsächlich sind im genannten Zeitraum die Deutschlandanteile Westdeutschlands (ohne Berlin) kontinuierlich von 76,8 % auf 80,5 % gestiegen, dagegen Ostdeutschlands (ebenfalls ohne Berlin) drastisch von 18,1 % auf 13,9 % gesunken. Dementsprechend bewegten sich die Anteile Baden-Württembergs an Westdeutschland im Gesamtzeitraum innerhalb einer engen Bandbreite von 15,3 % bis 15,7 %. Demgegenüber haben die Anteile Thüringens an den ostdeutschen Flächenländern in den 1990er-Jahren bis zu 18 % betragen, im Anschluss jedoch überwiegend nach unten tendiert und zuletzt nur noch 16,6 % erreicht (Tabelle 2); vor allem Brandenburg und Sachsen haben insofern besser abgeschnitten.
Die großen regionalen Abweichungen im Erwerbstätigenzuwachs (Baden-Württemberg +54 %, Thüringen +3,8 %) relativieren sich erheblich, wenn man zusätzlich die Entwicklung der jeweiligen Bevölkerung in Betracht zieht. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil ja die Dienstleistungen der Öffentlichen und sonstigen Dienstleister, des Erziehungs- und Gesundheitswesens und der Privaten Haushalte überwiegend auf den Bedarf privater Haushalte ausgerichtet sind. Bezogen auf 100 Einwohnerinnen und Einwohner hat die Zahl der in diesem Dienstleistungsbereich erwerbstätigen Personen zwischen 1991 und 2022 in Baden-Württemberg von 12,1 auf 16,4 zugenommen, in Thüringen von 12,7 auf 16,1. Das heißt: Zum einen erklären sich die genannten Unterschiede beider Länder im Erwerbstätigenausbau in großem Maße durch stark abweichende Bevölkerungsentwicklungen im Zeitraum 1991 bis 2022, nämlich Baden-Württemberg +13,5 %, Thüringen –18,1 %. Zum anderen war die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Dienstleistungen in beiden Ländern über die Jahre hinweg in etwa gleich hoch, die beträchtlichen Verbesserungen sind lediglich in Thüringen etwas geringer ausgefallen als in Baden-Württemberg.
Erwerbstätige: Umfang und Entwicklung nach Teilbereichen
Wie bereits erwähnt können für bestimmte Zeitabschnitte auch tiefer gegliederte Ergebnisse analysiert werden. So ermittelt der Arbeitskreis »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« für die beiden Teilbereiche Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit einerseits sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte andererseits Ergebnisse für die Jahre 2000 bis 2021 (i-Punkt). Sie werden vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« übernommen und sind in den Schaubildern 2 und 3 grafisch wiedergegeben. Darüber hinaus werden Ergebnisse von jeweils drei Unterbereichen für die Jahre 2008 bis 2000 veröffentlicht, auf die nachfolgend ebenfalls eingegangen wird.
Gegenüberstellung zu anderen Wirtschaftsbereichen 1991 bis 2022
In Schaubild 2 sind die Entwicklungslinien für Baden-Württemberg aufgezeichnet und zwei etwa gleich großen Wirtschaftsbereichen gegenübergestellt. Deutlich wird der bereits genannte kontinuierliche Erwerbstätigenaufbau des Bereichs Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte von 1,2 Mill. Personen im Jahr 1991 auf 1,85 Mill. Personen im Jahr 2022 und damit um 54 %. Dem steht ein Erwerbstätigenabbau im Verarbeitenden Gewerbe um insgesamt 12,3 % gegenüber, der vor allem in den ersten Jahren des Betrachtungszeitraums erfolgt ist und zwischen 1991 und 1997 zu einem Rückgang von 1,73 auf 1,45 Mill. Personen (–16,2 %) geführt hat; in den Folgejahren haben sich die dortigen Erwerbstätigenbestände in einer vergleichsweise engen Bandbreite zwischen 1,42 Mill. und 1,58 Mill. Personen konsolidiert. Ebenso interessant ist der Vergleich mit dem anderen Dienstleistungsbereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation: 1991 waren dort mit 1,2 Mill. Personen genau gleich viele Menschen erwerbstätig wie im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte, und ebenfalls ist im Anschluss eine relativ kontinuierliche Zunahme erfolgt, allerdings mit +29,4 % auf ein 2022 mit 1,55 Mill. Erwerbstätigen niedrigeres Niveau. Festzuhalten bleibt: Beim Umfang der Erwerbstätigkeit hat der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in Baden-Württemberg nach 1991 den Bereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation stets übertroffen, und ab 2004 auch das Verarbeitenden Gewerbe.
Nur teilweise ähnlich stellt sich die Situation in Thüringen dar, wie Schaubild 3 zeigt. Gemeinsamkeiten zu Baden-Württemberg bestehen insofern, als auch in Thüringen im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte ab 1991 die mit Abstand meisten Erwerbstätigen unter den drei genannten Wirtschaftsbereichen beschäftigt waren, und zwar in einem recht engen Korridor zwischen 324 500 Personen im Jahr 2013 und 345 800 Personen im Jahr 2000. Allerdings hat dieser Dienstleistungsbereich in Thüringen das Verarbeitende Gewerbe bereits 1992 überholt, als die dortigen Erwerbstätigenzahlen von 368 900 auf 217 300 Personen drastisch eingebrochen sind (–41,1 %) und sich nach weiteren Rückgängen (Tiefpunkt 1997: 175 200 Erwerbstätige) im Anschluss nur leicht erholen konnten. Wie in Baden-Württemberg, so hat der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte auch in Thüringen mehr Erwerbstätige beschäftigt als Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, allerdings durchweg mit viel deutlicherem Abstand. Damit hat der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in Thüringen sehr viel stärker gegenüber den beiden anderen Wirtschaftsbereichen dominiert als in Baden-Württemberg, was letztlich auf den in Thüringen nach 1991 massiven Einbruch der Industrie und der wirtschaftlich damit verbundenen Wirtschaft zurückzuführen ist.
Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 2000 bis 2021
Der weitaus größte Teilbereich, für den Ergebnisse für die Jahre 2000 bis 2021 vorliegen, wird durch Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit repräsentiert. In Baden-Württemberg hat innerhalb dieser 21 Jahre die Erwerbstätigkeit von 1,11 Mill. auf 1,45 Mill. Personen und damit um 30,6 % zugenommen, insoweit etwas stärker als im Gesamtbereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte mit +27,4 %. Der Anteil des Teilbereichs am Gesamtbereich ist dadurch von 77,4 % auf 79,4 % angestiegen, der Anteil an der Gesamtwirtschaft von 20,1 % auf 23 %. Aufgrund dieses Ausbaus des Erwerbstätigenstands um gut drei Zehntel konnte der Teilbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit in Baden-Württemberg mit seinen 1,45 Mill. Erwerbstätigen 2021 fast zum Verarbeitenden Gewerbe bzw. zum Bereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation mit 1,51 Mill. bzw. 1,52 Mill. Erwerbstätigen aufschließen (Schaubild 2).
Ziemlich anders stellt sich die Situation in Thüringen dar, wo der Teilbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit zwischen 2000 und 2021 seinen Erwerbstätigenstand mit +2,7 % (von 278 200 auf 285 700 Personen) erheblich schwächer ausgebaut hat als in Baden-Württemberg mit +30,6 %. Da die Erwerbstätigkeit im Gesamtbereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in diesem Zeitraum mit –2,1 % sogar rückläufig war, konnte der Teilbereich in Thüringen seinen schon 2000 mit 80,5 % hohen Anteil bis 2021 weiter auf 84,4 % vergrößern, außerdem seinen Beitrag zur Gesamtwirtschaft von 25,8 % auf 28 %. Im Unterschied zu Baden-Württemberg hat der Teilbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit in Thüringen in allen hier untersuchten Jahren mehr Erwerbstätige in Lohn und Brot gesetzt als das Verarbeitende Gewerbe oder der Bereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation: 2000 waren es 278 200 im Vergleich zu 192 600 bzw. 245 000 Personen, 2021 dann 285 700 gegenüber 207 900 bzw. 216 700 Personen (Schaubild 3).
Der Versorgungsgrad, gemessen an der Anzahl der im Bereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit erwerbstätigen Personen je Bevölkerung, war in den Jahren 2000 bis 2021 in Thüringen jeweils größer. Er hat sich von 11,5 auf 13,5 je 100 Einwohnerinnen bzw. Einwohner erhöht, damit allerdings etwas langsamer als in Baden-Württemberg mit einer Zunahme von 10,7 auf 13.
Unterbereiche von Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 2008 bis 2020
Der Teilbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit kann für die Jahre 2008 bis 2020 in Umfang und Entwicklung für drei Unterbereiche näher analysiert werden, deren Inhalte im i-Punkt wiedergegeben sind. Der in beiden Ländern erwerbstätigenstärkste Unterbereich ist das Gesundheits- und Sozialwesen, der Erwerbstätigenstand konnte zwischen 2008 und 2020 jeweils kontinuierlich ausgebaut werden: In Baden-Württemberg von 579 700 auf 747 900 Personen und damit um 29 %, in Thüringen von 121 500 auf 153 700 Personen und damit um 26,5 %. Der Beitrag zur Erwerbstätigkeit insgesamt hat sich dadurch innerhalb dieser 12 Jahre in Baden-Württemberg von 10,1 % auf 11,9 % und in Thüringen sogar von 11,7 % auf 15 % erhöht.
Während also der Erwerbstätigenstand beim Gesundheits- und Sozialwesen in beiden Ländern zwischen 2008 und 2020 deutlich und etwa gleich stark zugenommen hat, stellt sich die Situation in den beiden anderen Unterbereichen komplett anders dar, nämlich durch eine erheblich geringere Steigerung in Baden-Württemberg und beachtliche Rückgänge in Thüringen. Im Unterbereich Erziehung und Unterricht konnte Baden-Württemberg einen Erwerbstätigenaufbau von 302 200 auf 346 300 Personen (+14,6 %) verzeichnen, Thüringen musste dagegen einen Rückgang von 65 800 auf 59 400 Erwerbstätige (–9,7 %) in Kauf nehmen, der vor allem zwischen 2008 und 2015 erfolgt ist. In gewisser Hinsicht handelt es sich dabei in Thüringen – wie in allen ostdeutschen Flächenländern – um einen gewissen Konsolidierungsprozess; denn trotz einer Verringerung des Anteils an der gesamten Erwerbstätigkeit von 6,3 % auf 5,8 % sind diese Quoten über die Jahre hinweg höher gelegen als beispielsweise in Baden-Württemberg, wo eine leichte Zunahme von 5,3 % auf 5,5 % stattgefunden hat.
Vergleichbare Phänomene lassen sich für den Unterbereich Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung feststellen. Auch bei diesen Dienstleistungen stand einem Erwerbstätigenzuwachs in Baden-Württemberg von 311 300 auf 326 100 Personen (+4,8 %) ein Erwerbstätigenabbau in Thüringen von 82 700 auf 69 900 Personen (–15,5 %) gegenüber, der praktisch jedes Jahr stattgefunden hat. Der Anteil an der Gesamtzahl erwerbstätiger Personen hat in Baden-Württemberg leicht von 5,4 % auf 5,2 % abgenommen, in Thüringen erheblich stärker von 7,9 % auf 6,8 %, blieb damit aber auch in diesem Unterbereich noch deutlich über dem baden-württembergischen Niveau.
Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte 2000 bis 2021
Die Anzahl der Erwerbstätigen in dem recht heterogen zusammengesetzten Teilbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte (i-Punkt) ist zwischen 2000 und 2021 in Baden-Württemberg von 323 400 auf 376 200 Personen und damit um 16,3 % angestiegen, in Thüringen dagegen von 67 600 auf 53 100 Personen und damit um beachtliche 21,5 % zurückgegangen. Der Anteil an der Erwerbstätigkeit insgesamt blieb in Baden-Württemberg mit 5,9 % bzw. 6 % praktisch stabil, in Thüringen hat er sich dagegen deutlich von 6,3 % auf 5,2 % verringert. Weniger dramatisch stellt sich die Situation bei Bezug auf die Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner dar, wo sich aufgrund des Bevölkerungsrückgangs in Thüringen lediglich eine Verminderung von 2,79 auf 2,51 Erwerbstätige je 100 Einwohnerinnen bzw. Einwohner ergeben hat. Baden-Württemberg konnte die Verhältniszahl trotz dortiger Bevölkerungszunahme von 3,12 auf 3,38 ausbauen.
Unterbereiche von Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte 2008 bis 2020
Innerhalb von Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte stellen die ihrerseits sehr heterogen zusammengesetzten Sonstigen Dienstleister den größten Unterbereich dar. Sie sind, zumindest für den Zeitraum 2008 bis 2020, allein für die zwischen beiden Ländern auseinanderlaufende Erwerbstätigenentwicklung des gesamten Teilbereichs verantwortlich. So hat sich innerhalb dieser 12 Jahre in Baden-Württemberg ein Anstieg von 173 800 auf 185 000 Erwerbstätige und damit um 6,4 % ergeben, in Thüringen dagegen ein Rückgang von 40 600 auf 31 500 Personen und damit um 22,4 %. Der Anteil an allen Erwerbstätigen ist in Baden-Württemberg leicht von 3 % auf 2,9 % gefallen, in Thüringen deutlich stärker von 3,9 % auf 3,1 %.
Demgegenüber hat der Unterbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung insoweit in Thüringen einen höheren Stellenwert, als der Beitrag zur gesamten Erwerbstätigkeit dort schon 2008 mit 1,3 % etwas höher ausgefallen ist als in Baden-Württemberg mit 1,2 % und im Anschluss bis 2020 in Thüringen auf 1,5 % kräftiger angestiegen ist als in Baden-Württemberg auf 1,3 %. Ursächlich hierfür ist allerdings allein die in Baden-Württemberg deutlich gestiegene und in Thüringen gefallene Erwerbstätigkeit insgesamt, denn einem Zuwachs bei Kunst, Unterhaltung und Erholung in Thüringen von 13 900 auf 15 000 Erwerbstätige und damit um 7,9 % stand ein erheblich kräftigeres Wachstum in Baden-Württemberg von 68 100 auf 84 700 Erwerbstätige und damit um 24,4 % gegenüber.
Der Unterbereich Private Haushalte führt in Thüringen ein Schattendasein: Die Zahl der dort erwerbstätigen Personen hat sich zwar zwischen 2008 und 2020 leicht von 7 100 auf 7 500 erhöht, der Anteil an allen Erwerbstätigen ist jedoch bei 0,7 % verblieben. In Baden-Württemberg ist diese sektorale Quote 2 ½-mal so hoch (2008: 1,8 %, 2020: 1,7 %), die Anzahl der dort Erwerbstätigen hat sich zwischen 2008 und 2020 von 105 300 auf 110 100 Personen ausgeweitet, das sind +4,6 % und damit nur etwas weniger als in Thüringen mit +5,6 %.
Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen
Umfang und Entwicklung in jeweiligen Preisen
Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen oder Arbeitsproduktivität gilt üblicherweise als Maßstab für die Leistungskraft einer Volkswirtschaft oder eines Wirtschaftsbereichs. Dabei wird die Wertschöpfung auf die Anzahl der Erwerbstätigen und damit auf den Wirtschaftsfaktor Arbeit bezogen, obwohl auch weitere Faktoren wie zum Beispiel Maschinen, andere technische Geräte oder Gebäude ebenfalls zur Gesamtleistung beitragen.
Umfang und Entwicklung dieses Indikators im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte sind im Vergleich beider Länder sehr bemerkenswert: Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, betrug die Arbeitsproduktivität in jeweiligen Preisen 1991 in Baden-Württemberg mit 29 418 Euro je Erwerbstätigen (ET) noch das 1,8-Fache des Wertes für Thüringen in Höhe von 16 349 Euro je ET. Danach hat Thüringen mächtig aufgeholt, die Produktivität 2003 gegenüber 1991 verdoppelt und 2013 sogar Baden-Württemberg überholt. Im Jahr 2022 hat Thüringen mit 55 388 Euro je ET den Wert Baden-Württembergs in Höhe von 50 932 Euro je ET um 8,8 % übertroffen. Damit errechnet sich für Thüringen zwischen 1991 und 2022 ein nominales Produktivitätswachstum um 238,8 %, das ist fast 3,3-mal so viel wie in Baden-Württemberg mit +73,1 % (Tabelle 2). Gemessen an Deutschland = 100 % hat Thüringen seine Produktivität von 58,4 % im Jahr 1991 auf 105,6 % im Jahr 2022 fast verdoppelt, aber Baden-Württemberg von 105,1 % auf 97,1 % verringert. Dabei verlief die Entwicklung in den 31 Jahren in Baden-Württemberg mehr oder weniger parallel zu Westdeutschland (ohne Berlin), wohingegen Thüringen mit einer stetigen Zunahme der Relation von 95,8 % auf 103,2 % zuletzt besser abgeschnitten hat als die Summe der ostdeutschen Flächenländer (Tabelle 2).
Die jährliche Entwicklung geht aus Schaubild 1, Teil c) hervor. Deutlich wird ein recht flaches Wachstum in Baden-Württemberg und in Westdeutschland mit jährlichen Zuwachsraten von meist unter 3,5 %, aber ein kräftiger Anstieg in Thüringen und in den ostdeutschen Flächenländern, insbesondere in den Anfangsjahren: Jeweils gegenüber dem Vorjahr wurde für Thüringen 1992 ein Wachstum um 27,2 %, für 1993 um 15,2 % und für 1994 um 7 % ermittelt. Aber auch in den Folgejahren war der Anstieg in Thüringen und Ostdeutschland (ohne Berlin) überwiegend stärker als in Baden-Württemberg und Westdeutschland.
Eine Gegenüberstellung zu Schaubild 1, Teile a) und b) verdeutlicht die Hintergründe der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung: Während Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit in Baden-Württemberg über die Jahre hinweg kontinuierlich, aber relativ zurückhaltend zugenommen haben, konnte Thüringen im gesamten Untersuchungszeitraum nur bei der Wertschöpfung auf ein Wachstum zurückblicken; es ist in den ersten 3 Jahren sehr deutlich ausgefallen und danach in einen zu Baden-Württemberg weitgehend parallelen Verlauf übergegangen. Demgegenüber ist der Erwerbstätigenstand in Thüringen über die Jahre hinweg sehr stabil geblieben und hat sich 2022 im Vergleich zu 1991 lediglich um 3,8 % ausgeweitet; in Baden-Württemberg waren es +54 %. Insoweit spiegelt der Produktivitätsanstieg in Thüringen ziemlich genau das Wertschöpfungswachstum dieses Landes wider, wie ein Vergleich von Schaubild 1, Teile a) und c) unterstreicht.
Auch in anderen Wirtschaftsbereichen ist zu beobachten, dass zwischen 1991 und 2022 aufgrund abnehmender oder zumindest zurückhaltender Erwerbstätigenentwicklung in Thüringen (bzw. Ostdeutschland) die Arbeitsproduktivität signifikant stärker zugenommen hat als in Baden-Württemberg (bzw. Westdeutschland). Ursächlich hierfür sind die unterschiedlichen Voraussetzungen und Gegebenheiten nach der Wiedervereinigung. Wie ist es aber zu erklären, dass – im Gegensatz zu allen andere Wirtschaftsbereichen – die Arbeitsproduktivität im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in Thüringen seit etwa 10 Jahren über derjenigen in Baden-Württemberg liegt? Am Beispiel des Jahres 2021, zu dem auch Daten für die beiden Unterbereiche vorliegen, sollen nachfolgend ein paar Hinweise gegeben werden.
Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Gesamtbereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte hat 2021 in Thüringen mit 52 151 Euro je ET den Wert in Baden-Württemberg mit 49 205 Euro je ET um 6 % übertroffen. Dabei war der Abstand im Unterbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit mit 2,3 % (53 378 gegenüber 52 163 Euro je ET) deutlich geringer als im Unterbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte mit 20,5 % (45 548 gegenüber 37 812 Euro je ET) – ausschließlich bedingt übrigens durch die Sonstigen Dienstleister. Legt man dagegen die Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde der Erwerbstätigen zugrunde, hatte Baden-Württemberg 2021 im Gesamtbereich mit 39,89 gegenüber 38,59 Euro je Arbeitsstunde der ET die Nase um 3,4 % vorne, im Unterbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit waren es sogar 4,7 % (40,57 zu 38,75 Euro je Arbeitsstunde der ET). Lediglich beim Unterbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte wurde für Thüringen ein um 2,7 % leicht höherer Wert ermittelt (37,61 zu 36,61 Euro je Arbeitsstunde der ET). Verantwortlich für diese Diskrepanz beider Produktivitätsindikatoren beim Gesamtbereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte ist ein 2021 um 10,9 % in Thüringen höheres individuelles Arbeitsvolumen (Arbeitsstunden je Erwerbstätigen).
Ein weiterer Erklärungsfaktor ist das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer4 – immerhin hat beim Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte das Arbeitnehmerentgelt 2022 in Baden-Württemberg mit 77,7 % und in Thüringen sogar mit 79 % zur Bruttowertschöpfung beigetragen, und der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Erwerbstätigen lag bei 92,3 % bzw. 93,7 %. Es verwundert deshalb nicht, wenn der Zuwachs des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer zwischen 1991 und 2022 in Baden-Württemberg mit +79,4 % und in Thüringen mit +232,4 % in etwa gleichem Ausmaß angestiegen ist wie die in Tabelle 3 aufgeführte nominale Arbeitsproduktivität mit +73,1 % bzw. +238,8 %.
Tatsächlich konnten die beim Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (AN) in Thüringen ab 2013 auch beim Arbeitnehmerentgelt höhere Pro-Kopf-Einkommen verbuchen als in Baden-Württemberg; 2021 waren es 43 936 gegenüber 41 774 Euro je AN und damit 5,2 % mehr. Im Unterbereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit waren es 46 251 gegenüber 45 171 Euro je AN (Abstand 2,4 %), im Unterbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte sogar 29 192 gegenüber 27 280 Euro je AN (Abstand 7 %). Allerdings konnte Baden-Württemberg 2021 beim Arbeitnehmerentgelt je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 34,42 Euro je Arbeitsstunde höhere Werte erzielen als Thüringen mit 32,91 Euro je Arbeitsstunde – insoweit eine Parallele zur Bruttowertschöpfung je Arbeitsstunde der Erwerbstätigen.
Schließlich ist grundsätzlich zu konstatieren, dass der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte zum Teil deutlich arbeitsintensiver ist als das Produzierende Gewerbe oder die anderen Dienstleistungsbereiche, Kapitaleinsatz also in geringerem Umfang zum Einsatz kommt. Entsprechend ist die nominale Arbeitsproduktivität dieses Dienstleistungsbereichs, gemessen an der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen wie auch je Arbeitsstunde der Erwerbstätigen, grundsätzlich – also bundesweit – niedriger als in anderen Wirtschaftsbereichen.5 Da gleichzeitig der Kapitaleinsatz im Produzierenden Gewerbe und in den anderen Dienstleistungsbereichen in Westdeutschland nach wie vor höher sein dürfte als in Ostdeutschland,6 nicht aber unbedingt im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte, bestehen insoweit keine Ursachen für strukturelle Abweichungen beider Länder.
Preisbereinigte Entwicklung
Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen wird vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« in Form von Veränderungsraten bzw. Indizes auch in realer, also preisbereinigter Rechnung nachgewiesen. In realer Betrachtung hat sich zwischen 1991 und 2022 die Arbeitsproduktivität des Bereichs Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in Thüringen ebenfalls sehr viel dynamischer entwickelt als in Baden-Württemberg: Einer Steigerung um 32,9 % in Thüringen, im Wesentlichen bedingt durch kräftige Zunahmen in den ersten 3 Jahren um jährlich knapp 4 % bis 6 %, stand eine Abnahme um 5,9 % in Baden-Württemberg gegenüber. Dies ist umso bemerkenswerter, als – wie ausgeführt – das Wachstum der preisbereinigten Bruttowertschöpfung zwischen 1991 und 2022 in Baden-Württemberg mit +45 % kräftiger ausgefallen ist als in Thüringen mit +38 %. Der insoweit stark dämpfende Einfluss auf die reale Arbeitsproduktivität in Baden-Württemberg erklärt sich durch den dort mit +54 % erheblich stärkeren Ausbau der Erwerbstätigkeit im Vergleich zu Thüringen mit +3,8 %.
Zusammenfassende Bewertung
Der Wirtschaftsbereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Beispielsweise hat Thüringen, im Gegensatz zu den meisten anderen Bereichen, in allen Jahren seit 1991 höhere Anteile an der gesamten Erwerbstätigkeit verzeichnen können (1991: 26,8 %; 2022: 33,4 %) als Baden-Württemberg (1991: 23,2 %; 2022: 28,9 %). Zudem hat Thüringen in diesen 31 Jahren seine Anteilswerte überproportional ausgebaut, was umso erstaunlicher ist, als die Anzahl der in diesem Dienstleistungsbereich Erwerbstätigen dort innerhalb einer Bandbreite von 325 000 bis 342 000 Personen praktisch stagniert hat, aber in Baden-Württemberg kontinuierlich von 1,2 Mill. auf 1,85 Mill. Personen und damit um über die Hälfte angestiegen ist. Ursache hierfür ist der drastische Rückgang der gesamten Erwerbstätigkeit in Thüringen um 16,5 % gegenüber einem Anstieg in Baden-Württemberg um 23,4 %.
Trotz der insoweit in Thüringen deutlich ungünstigeren Entwicklung der Erwerbstätigkeit dieses Dienstleistungsbereichs ist der Versorgungsgrad durch Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte, bezogen auf den Umfang der Bevölkerung, aktuell nicht sehr viel schlechter als in Baden-Württemberg – 2022 waren es 16,1 gegenüber 16,4 Erwerbstätigen je 100 Einwohnerinnen und Einwohner, 1991 noch 12,7 gegenüber 12,1. Ursächlich für den Ausbau des Versorgungsgrads war, dass der in Thüringen deutlich schwächeren Zunahme der in diesem Bereich Erwerbstätigen (+3,8 % gegenüber +54 % in Baden-Württemberg) eine spiegelbildliche Entwicklung der Einwohnerzahlen (–18,1 % in Thüringen, +13,5 % in Baden-Württemberg) entgegen gestanden ist .
Wie gewichtig der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte in Thüringen ist, geht auch aus einer Gegenüberstellung mit den beiden anderen besonders beschäftigungsstarken Wirtschaftsbereichen hervor: In allen hier untersuchten Jahren übertraf der Erwerbstätigenstand dieses Dienstleistungsbereichs in Thüringen denjenigen im Bereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation sowie – abgesehen von 1991 – auch im Verarbeitenden Gewerbe, und zwar ganz erheblich. Dagegen lag in Baden-Württemberg der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte bei der Zahl erwerbstätiger Menschen in diesem Zeitraum nur leicht über dem Bereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation und erst ab 2004 auch über dem Verarbeitenden Gewerbe. Thüringen ist also deutlich stärker auf personenbezogene Dienstleistungen ausgerichtet als Baden-Württemberg, allerdings auch als Auswirkung des drastischen Beschäftigungsabbaus in den Waren produzierenden und den damit verbundenen, dienstleistenden Bereichen nach der Wende.
Der weitaus größte und gleichzeitig dynamischere Teilbereich wird durch Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit repräsentiert. Zwischen 2000 und 2021 hat die Zahl der dort Erwerbstätigen in Baden-Württemberg von 1,11 Mill. auf 1,45 Mill. Personen und damit um 30,6 % zugenommen, in Thüringen dagegen nur auf 285 700 gegenüber 278 200 Personen und damit um 2,7 %. Aufgrund der abnehmenden Bevölkerung hat sich der Versorgungsgrad in Thüringen gleichwohl von 11,5 auf 13,5 je 100 Einwohnerinnen bzw. Einwohner ausgeweitet, damit allerdings etwas geringer als in Baden-Württemberg mit einer Zunahme der Verhältniszahl von 10,7 auf 13. Im Teilbereich Kunst, Unterhaltung und Erholung, Sonstige Dienstleister, Private Haushalte ist die Erwerbstätigkeit zwischen 2000 und 2021 in Baden-Württemberg von 323 400 auf 376 200 Personen und damit um 16,3 % deutlich angestiegen, in Thüringen von 67 600 auf 53 100 Personen und damit um satte 21,5 % zurückgegangen. Der Versorgungsgrad hat sich in Thüringen von 2,79 auf 2,51 Erwerbstätige je 100 Einwohnerinnen bzw. Einwohner verringert, in Baden-Württemberg von 3,12 auf 3,38 erhöht.
Während die Erwerbstätigkeit im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte zwischen 1991 und 2022 in Thüringen mehr oder weniger stagniert und in Baden-Württemberg um über die Hälfte zugenommen hat, stellt sich die Entwicklung der Bruttowertschöpfung anders dar: Sie ist in jeweiligen Preisen in Thüringen um 252 % und damit deutlich stärker als in Baden-Württemberg mit 167 % angestiegen, allerdings in einem erheblichem Ausmaß aufgrund kräftigerer Preissteigerungen in Thüringen. Denn preisbereinigt ist das Wachstum in Thüringen mit +38 % geringer ausgefallen als in Baden-Württemberg mit +45 %.
Aufgrund der abweichenden Entwicklung von Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit war die Arbeitsproduktivität, also die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen, in Thüringen dynamischer als in Baden-Württemberg: Nominal standen +239 % in Thüringen lediglich +73 % in Baden-Württemberg gegenüber, und real einer Ausweitung in Thüringen um 33 % ein Rückgang in Baden-Württemberg um 6 %. Dies hat dazu geführt, dass seit 2013 die nominale Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in Thüringen umfangreicher war als in Baden-Württemberg. Im Gegensatz zu allen anderen Wirtschaftsbereichen glänzt also der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte durch eine in Thüringen höhere Produktivität, die sich auch im Pro-Kopf-Arbeitnehmerentgelt niederschlägt – mit begünstigt allerdings durch eine in Thüringen nach wie vor höhere individuelle Arbeitszeit und mit verursacht durch die grundsätzlich sehr arbeitsintensive Ausrichtung dieses Dienstleistungsbereichs.