Die Einführung der Marktwirtschaft in der ehemaligen DDR, die Abwicklung zahlreicher Betriebe und Unternehmen sowie die schlagartige Konfrontation mit nationalen und internationalen Wettbewerbern hatte vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre tiefe Einschnitte in Wirtschaft und Arbeitsleben der neuen Länder zur Folge. Sie waren sehr schmerzhaft und sind trotz bemerkenswerter Aufholphasen nach wie vor sichtbar, wie folgende Zahlen unterstreichen: Die Zahl der Erwerbstätigen in der ehemaligen DDR ist zwischen 1950 und 1989 um 16,9 % angestiegen, nach der Wende in Ostdeutschland (ohne Berlin) zwischen 1991 und 2022 aber um 11,7 % gesunken. Deutlich günstiger war die Entwicklung in der früheren Bundesrepublik Deutschland mit +40,5 % von 1950 bis 1989 bzw. in Westdeutschland (ohne Berlin) mit +23,2 % von 1991 bis 2022.
Die dramatische Entwicklung nach der Wiedervereinigung wurde in bislang fünf Beiträgen anhand von Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) für das Land Thüringen nachgezeichnet und in ihrer Besonderheit und Tragweite durch Vergleiche mit Baden-Württemberg unterstrichen. Danach hat im Gesamtzeitraum 1991 bis 2022 die Zahl aller Erwerbstätigen in Baden-Württemberg um fast ein Viertel (+23,4 %) zu-, aber in Thüringen um ein Sechstel (–16,5 %) abgenommen. Dieses Auseinanderdriften ist vor allem auf unterschiedliche Entwicklungen im Produzierenden Gewerbe zurückzuführen: In diesen 31 Jahren hat sich die Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe in Baden-Württemberg mit –12,3 % erheblich schwächer verringert als in Thüringen mit –43,4 %, und im Baugewerbe stand einer Stagnation in Baden-Württemberg (–0,6 %) ein kräftiger Rückgang in Thüringen (–43,6 %) gegenüber. Ein vergleichbares Bild ergibt sich für den in weiten Teilen wirtschafts- und gewerbenahen Dienstleistungsbereich Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, wo sich die Erwerbstätigkeit in Baden-Württemberg um 29,4 % ausgeweitet, aber in Thüringen um 7,8 % vermindert hat. Lediglich beim Dienstleistungsbereich Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleister, Grundstücks- und Wohnungswesen konnte wenigstens ein gleichgerichtetes Wachstum festgestellt werden: Die Zahl der Erwerbstätigen hat sich innerhalb dieser 31 Jahre in beiden Ländern nahezu verdoppelt (Baden-Württemberg +96,2 %, Thüringen +96,8 %).
Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, wie sich die Situation in einem weiteren Dienstleistungsbereich darstellt, nämlich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte.