:: 3/2024

Immer mehr ältere Häftlinge in Baden-Württemberg

Der demografische Wandel macht auch vor den Gefängnistoren nicht halt. Allein seit der Jahrtausendwende hat sich unter den Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten der Anteil der Inhaftierten der Generation 60plus fast verdreifacht. Die Bedürfnisse und die Art des Vollzugs der älteren Gefangenen unterscheiden sich oft erheblich von denen der jüngeren Inhaftierten. Gerade das Thema »Betreuung älterer Häftlinge« wird zunehmend relevant. Mit den sich daraus ergebenden Herausforderungen wird sich das Justizsystem in Zukunft befassen müssen.

Ende März 2023 verbüßten in den 19 Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg 5 033 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte eine Haftstrafe. Unter den Gefängnisinsassen waren 50 Jugendliche im Alter von 14 bis unter 18 Jahren, 211 Heranwachsende im Alter von 18 bis unter 21 Jahren und 4 772 Erwachsene. Unter den Erwachsenen waren insgesamt 1 594 und damit die meisten Inhaftierten der Altersgruppe der 30- bis unter 40-Jährigen zuzuordnen (Tabelle 1).

849 Gefangene und Sicherungsverwahrte, die im März 2023 in den Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg inhaftiert waren, gehörten der Generation 50plus an. Davon waren 556 Männer und Frauen im Alter von 50 bis unter 60 Jahren, 234 Personen waren 60 bis unter 70 Jahre alt und 49 Gefangene waren zwischen 70 und unter 80 Jahre. Zehn Inhaftierte, neun Männer und eine Frau, waren bereits 80 Jahre oder älter (Schaubild 1).

Anteil der älteren Gefangenen deutlich gestiegen

Betrachtet man die zeitliche Entwicklung seit der Jahrtausendwende, so zeigt sich, dass in den letzten gut 20 Jahren die Zahl der jüngeren Inhaftierten im Alter bis unter 50 Jahre um insgesamt 1 390 Personen auf 4 184 Gefangene abgenommen hat, dies entspricht einem Minus von 24,9 %. Demgegenüber erhöhte sich die Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten der Generation 50plus um 286 oder 50,8 % auf insgesamt 849 Inhaftierte. Unter den Älteren war in der Altersgruppe der 50- bis unter 60-Jährigen ein Zuwachs um 29,3 % bzw. 126 Inhaftierte auf 556 Gefangene und Sicherungsverwahrte zu beobachten. Bei der Generation 60plus waren es 2023 insgesamt 293, also 160 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte mehr als im Jahr 2000, was einem Plus von 120,3 % entspricht.

Insgesamt hat sich damit seit der Jahrtausendwende unter den Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten der Anteil der Inhaftierten im Alter ab 50 Jahren von 9,2 % auf 16,9 % annähernd verdoppelt. Betrachtet man die Inhaftierten der Generation 60plus war es fast eine Verdreifachung (2,2 % auf 5,8 %) (Schaubild 2).

Strafvollzug im Alter

Gemessen an allen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten ist der Anteil der älteren Inhaftierten nach wie vor vergleichsweise gering. Dennoch spiegelt sich der demografische Wandel auch in der Altersstruktur der Inhaftierten wider und die Herausforderungen, die sich daraus für den Strafvollzug ergeben, sind beträchtlich (siehe auch i-Punkt »Das Seniorengefängnis Singen«).

Eine zentrale Aufgabe im deutschen Strafvollzug besteht in der Resozialisierung von Straftätern, also im Erlernen einer Lebensführung ohne Straftaten. Die Maßnahmen und Unterstützungsleistungen, die dazu während des Vollzugs angeboten werden, sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Alter der Insassen. Ältere Menschen, die in der Regel nicht mehr berufstätig sind und nicht selten den Großteil ihres Lebens bereits hinter sich haben, benötigen eine spezielle Betreuung. Diese zielt unter anderem darauf ab, dass die Inhaftierten nach der Entlassung ihren letzten Lebensabschnitt eigenständig meistern. Können ältere Gefangene bei Haftentlassung wegen altersbedingten körperlichen Einschränkungen oder gesundheitlichen Problemen nicht mehr in ihr soziales Umfeld zurückkehren oder ist dieses während der Haft vielleicht zerbrochen, müssen die Inhaftierten ggf. auf ein zukünftiges Leben in Altenheimen vorbereitet werden.1

Wird die ältere Bevölkerung krimineller?

Bedeutet die steigende Zahl von älteren Straftätern und dementsprechend mehr Gefangenen in fortgeschrittenem Alter, dass die Älteren immer krimineller werden? Oder ergibt sich die höhere Zahl älterer Gefangener allein aus dem demografischen Wandel in der Gesellschaft? Zur Beantwortung dieser Frage wird eine demografiebereinigte Strafgefangenenziffer berechnet, bei der die Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner im strafmündigen Alter bzw. auf die jeweilige Altersgruppe in der Bevölkerung bezogen wird.

Danach waren zur Jahrtausendwende unter 100 000 Einwohner/-innen im Alter von mindestens 50 bis unter 60 Jahren 35 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte. Im Jahr 2012 und 2013 erreichte die Strafgefangenenziffer in dieser Altersgruppe letztmalig einen Höchststand von 39 und verringerte sich dann bis zum Jahr 2023 auf nunmehr 33. In der Generation 60plus errechnete sich zur Jahrtausendwende eine Strafgefangenenziffer von sechs, die bis zum Jahr 2009 auf neun Strafgefangene und Sicherungsverwahrte je 100 000 Einwohner/-innen stieg und seither mit leichten Schwankungen auf diesem Niveau verharrt.

Im Ergebnis hat sich folglich die Kriminalitätsbelastung in der Altersgruppe der 50- bis unter 60-Jährigen gegenüber der Jahrtausendwende etwas verringert. In der Generation 60plus hat sie dagegen leicht zugenommen. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Kriminalitätsbelastung in der älteren Bevölkerung nach wie vor vergleichsweise sehr gering ist. So war beispielsweise im Jahr 2023 in der Altersgruppe der 25 bis unter 30-Jährigen die Strafgefangenenziffern mit einem Wert von 115 fast viermal so hoch wie die in der Altersgruppe der 50- bis unter 60-Jährigen und rund 13-mal so hoch wie bei der Generation 60plus. Für die Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten insgesamt errechnete sich zur Jahrtausendwende eine Strafgefangenenziffer von 70, im Jahr 2023 lag der entsprechende Wert bei 52 (Tabelle 2).

Freiheitsstrafen über 5 Jahren sind insgesamt eher selten

Grundsätzlich überwiegen bei der voraussichtlichen Dauer des Freiheitsentzugs eindeutig kürzere Haftstrafen. 3 144, also fast zwei Drittel der insgesamt 5 033 Inhaftierten in Baden-Württemberg, verbüßten zum Stichtag März 2023 Haftstrafen mit einer Dauer von bis zu 2 Jahren. Weitere 1 208 Gefangene (24 %) hatten eine voraussichtliche Vollzugsdauer von mehr als 2 bis einschließlich 5 Jahren. Zusammen waren das gut 86 % aller Inhaftierten. Längere Gefängnisstrafen sind in der Regel eher selten. 404 Personen (8 %) verbüßten eine Haftstrafe von mehr als 5 bis einschließlich 15 Jahren. 215 Gefangene (4,3 %) waren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt (siehe auch i-Punkt »Dauert eine lebenslange Freiheitsstrafe wirklich ein Leben lang?«) und 62 Häftlinge (1,2 %) befanden sich in Sicherungsverwahrung, das heißt hier ist die Haftdauer unbestimmt (siehe auch i-Punkt »Was versteht man unter Sicherungsverwahrung?«) (Tabelle 3).

Mehr als die Hälfte der Gefangenen mit lebenslanger Haft und fast drei Viertel der Sicherungsverwahrten im Alter 50plus

Obwohl die Anzahl der Gefangenen mit sehr langen Haftstrafen gemessen an allen Inhaftierten relativ gering ist, fällt auf, dass unter den Inhaftierten mit lebenslanger Haftstrafe und besonders bei den Sicherungsverwahrten der Anteil der älteren Personen besonders hoch ist. So waren am Stichtag 2023 von den insgesamt 215 Gefangenen – 201 Männer und 14 Frauen –, die allesamt wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt waren, 71 Personen der Altersgruppe zwischen 50 und bis unter 60 Jahren zuzuordnen. 31 Inhaftierte waren im Alter von 60 bis unter 70 Jahren. 13 Gefangene waren 70 bis unter 80 Jahre und schließlich waren drei Inhaftierte bereits 80 Jahre und älter. Zusammen waren folglich mehr als die Hälfte der wegen einer lebenslangen Freiheitsstrafe Inhaftierten bereits 50 Jahre oder älter.

Unter den 62 Sicherungsverwahrten – 61 Männer und eine Frau – war der Anteil der Älteren noch deutlich höher. Zum Stichtag der Erhebung am 31. März 2023 waren allein 45 Personen bereits 50 Jahre oder älter, was einem Anteil an allen Sicherungsverwahrten von 72,6 % entspricht. Davon waren 21 Inhaftierte 50 bis unter 60 Jahre alt, 19 Sicherungsverwahrte waren der Altersgruppe 60 bis unter 70 Jahre zuzuordnen und fünf waren im Alter von 70 bis unter 80 Jahren. Der häufigste Grund der Sicherungsverwahrung war die Verurteilung wegen sexuellem Übergriff, sexueller Nötigung und Vergewaltigung2 (26 Fälle), an zweiter Stelle folgte sexueller Missbrauch von Kindern3 (12 Fälle).

Gesundheitsvorsorge im Strafvollzug

Insbesondere bei langen Haftstrafen und zunehmendem Alter der Inhaftierten nimmt in den Justizvollzugsanstalten das Thema »Gesundheitsfürsorge und Pflege im Alter« immer stärkeren Raum ein. Dabei spielt neben der Dauer der bereits verbüßten Haftstrafe die Zeit der voraussichtlich mindestens noch abzuleistenden Vollzugsdauer eine entscheidende Rolle.4 Nicht selten verbringen die Inhaftierten einen Großteil ihres Lebens hinter Gittern, was im Allgemeinen auch ein erhöhtes Gesundheitsrisiko mit sich bringt. Betrachtet man die 215 Gefangenen, die am Stichtag 2023 in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt waren, so gab es beispielsweise bei den 47 Gefangenen der Generation 60plus alleine elf Inhaftierte, die bereits länger als 15 Jahre inhaftiert waren. Darunter waren fünf Personen, die eine Vollzugsdauer von über 20 Jahren hatten. In diesen Fällen liegt die Annahme nahe, dass diese Personen weiterhin in Haft bleiben werden. Auf der anderen Seite waren 2023 auch Gefangene in den baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten, die selbst im Alter von über 70 Jahren erst wenige Jahre ihrer lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt hatten und damit voraussichtlich ihren restlichen Lebensabend im Vollzug verbringen werden.

Die Sicherungsverwahrten haben im Vollzug grundlegend mehr Freiheiten als die Strafgefangenen, befinden sich aber häufig deutlich länger in Unfreiheit. Dies ist darin begründet, dass die Sicherungsverwahrten ihre eigentliche Haftstrafe bereits verbüßt haben und nun »verwahrt« werden. Es geht also nicht mehr darum, dass eine Person für seine begangene Straftat bestraft werden soll, sondern darum, dass dieser Mensch weiterhin als gefährlich eingeschätzt wird. So waren zum Stichtag 2023 allein 24 der insgesamt 62 Sicherungsverwahrten in Baden-Württemberg zwischen 60 und knapp 80 Jahre alt. Darunter waren sieben Inhaftierte, die sich bereits 20 Jahre oder deutlich länger in Sicherungsverwahrung befanden.

Fazit

Der demografische Wandel, der einhergeht mit der deutlichen Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung, wirkt sich gleichzeitig auf die Altersstruktur der Inhaftierten im Strafvollzug aus und bringt sowohl in baulicher, personeller als auch konzeptioneller Sicht Herausforderungen für die Justizvollzugsanstalten mit sich. Obwohl der Anteil der älteren Gefangenen nach wie vor gering ist, stehen die Justizvollzugsanstalten bei der gesundheitlichen Versorgung der Gefangenen und ggf. Pflege im Alter sowie bei psychologischer Betreuung und Seelsorge bereits heute vor vielfältigen und besonderen Herausforderungen.5

1 Medizinische Versorgung im baden-württembergischen Justizvollzug, Abschlussbericht der Expertenkommission, Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, 2021.

2 § 177 StGB.

3 § 176 StGB.

4 Meyer, Liane: Eine empirische Perspektive auf die gesundheitliche Situation älterer Inhaftierter, Bewährungshilfe, vol. 66, Nr. 4, 2019, S. 308–319.

5 Landtag von Baden-Württemberg, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/2252, 29.03.2022, Antrag des Abg. Jonas Weber u. a. SPD und Stellungnahme des Ministeriums der Justiz und für Migration, Seniorinnen und Senioren im baden-württembergischen Strafvollzug.