Frauen in Baden-Württemberg werden im Schnitt mit 64 Jahren Großmutter
Zum Generationenabstand der Bevölkerung im Südwesten
»My Generation« heißt ein bald 60 Jahre alter Song der britischen Rockband The Who, der das Lebensgefühl der damaligen jungen Generation beschrieb. Und auch heute sind mögliche Generationenunterschiede nicht nur Thema der empirischen Sozialforschung, sondern nehmen auch in den Medien einen breiten Raum ein. Der Generation der Babyboomer und – unter anderem – den Generationen X, Y, Z sowie Alpha werden nämlich spezifische Merkmale und Wertvorstellungen zugeschrieben (i-Punkt: »Die Generationen nach dem gesellschaftlichen Generationenbegriff im Überblick«).
Von diesem gesellschaftlichen Generationenbegriff ist der sogenannte verwandtschaftliche oder auch genealogische Generationenbegriff abzugrenzen, der die Generationen nach Abstammungsfolgen in Familien und verwandtschaftlichen Beziehungen unterscheidet. Kinder, Eltern, Großeltern usw. repräsentieren damit die Generationen innerhalb einer Familie.1 Auf diese Generationenfolgen soll im vorliegenden Beitrag der Fokus gerichtet werden. Konkret wird den Fragen nachgegangen, wie sich der zeitliche Abstand zwischen den Generationen entwickelt hat und ab welcher Generation sich die sogenannten Geburtenbereiche überschneiden, also beispielsweise ein Neffe älter als sein Onkel sein kann. Abschließend wird gezeigt, wie sich die Bevölkerung Baden-Württembergs zahlenmäßig auf die einzelnen Generationen entsprechend dem gesellschaftlichen Generationenbegriff verteilt.
Blick zurück: Erste Ansätze zur Bestimmung des Generationenabstands
Paul Flaskämper, von 1941 bis 1955 ordentlicher Professor für Statistik an der Universität Frankfurt,2 schrieb Anfang der 1960er-Jahre in seinem Standardwerk »Bevölkerungsstatistik«, dass die genealogische Statistik »ein bis jetzt noch wenig ausgebautes Gebiet der Bevölkerungsstatistik« sei.3 Sie habe unter anderem die Aufgabe, »den durchschnittlichen zeitlichen Abstand (…) der aufeinanderfolgenden Generationen zu messen.«4 Aufgrund fehlender Daten könnten entsprechende Ergebnisse aber nur über indirektem Weg ermittelt werden.5
Zum Generationenabstand führte Flaskämper weiter aus, dass darunter Verschiedenes verstanden werden kann: Entweder der zeitliche Abstand zwischen dem Zeitpunkt der Geburt des Vaters (Mutter) und dem Zeitpunkt der Geburt des Sohnes (Tochter) und dass die Ergebnisse deutlich voneinander abweichen können. Alternativ könnte auch die Zeit zwischen dem Tod des Vaters und dem der Kinder zugrunde gelegt werden.6
Ein solcher, von Flaskämper als »indirekt« bezeichneten Weg zur Bestimmung des Generationenabstands wurde von Gustav von Rümelin bereits im Jahr 1875 unternommen, der von 1861 bis 1873 Leiter des Königlich-Württembergischen Statistisch-Topographischen Bureaus und ab 1867 auch Professor für Statistik und vergleichende Staatenkunde an der Universität Tübingen war.7Von Rümelin setzte den Generationenabstand mit dem mittleren Heiratsalter, vermehrt um die Hälfte der Fruchtbarkeitsperiode, gleich.8 Er ermittelte so eine durchschnittliche Generationsdauer von damals 36,5 Jahren für Deutschland.9 Vor allem vor dem Hintergrund der historischen Forschungsergebnisse erscheint dies allerdings unrealistisch hoch (i-Punkt: »Der Generationenabstand in der Geschichte der Menschheit«).
Eine indirekte Bestimmung des Generationenabstands ist zwischenzeitlich aufgrund der deutlich verbesserten Datenlage in Deutschland nicht mehr nötig. Vielmehr kann diese Kenngröße für den Fall direkt bestimmt werden, wenn als Generationenabstand das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder definiert wird. Ergänzend soll aber auch der zeitliche Abstand für die männliche Generationenfolge ermittelt werden. Ergebnisse zum Alter der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder sind ab dem Berichtsjahr 1960 verfügbar; für die Männer liegen entsprechende Ergebnisse ab 1968 vor, allerdings nur für Verheiratete.
Der Generationenabstand beträgt derzeit 32 Jahre
Schaubild 1 zeigt unter anderem, dass sich das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder von 1960 bis etwa 1980 um knapp 1 Jahr verringert hatte und danach stetig auf zuletzt 32 Jahre angestiegen ist. In etwa parallel hierzu hat sich das Durchschnittsalter der verheirateten Männer bei der Geburt ihrer Kinder seit 1980 entwickelt – allerdings lag dieses jeweils etwa 3 Jahre höher als das der Frauen. Für den Generationenabstand in Baden-Württemberg kann deshalb Folgendes festgehalten werden:
- Der Abstand zwischen den Generationen ist unterschiedlich lang und zwar in Abhängigkeit davon, ob Frauen oder Männer betrachtet werden, da Väter bei der Geburt eines Kindes im Schnitt älter sind als Mütter.
- Der Generationenabstand für die weibliche Generationenfolge hat sich in den vergangenen 4 Jahrzehnten von 27 auf 32 Jahre erhöht, bei den Männern etwas schwächer, nämlich von 31 auf 35 Jahre.
In den letzten Jahren ist allerdings das Durchschnittsalter der Männer, aber auch das der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder kaum mehr gestiegen. Wird deshalb unterstellt, dass sich diese Kennziffer auch in den kommenden Jahren allenfalls noch geringfügig ändern wird, bedeutet das, dass eine Frau, die mit 32 Jahren Mutter geworden ist, im Schnitt mit 64 Jahren Großmutter und mit 96 Jahren Urgroßmutter werden könnte.10
Bezüglich des Generationenabstands zeigen sich allerdings nicht nur geschlechtsspezifische, sondern auch regionale Unterschiede: Der Abstand zwischen den Generationen ist per Definition größer, wenn die Eltern bei der Geburt ihrer Kinder älter sind. So lag die Spannweite beim Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder im Jahr 2022 innerhalb Baden-Württembergs bei immerhin knapp 3 Jahren: Im Landkreis Tuttlingen waren die Mütter mit 31 Jahren zuletzt am jüngsten und im Landkreis Tübingen mit annähernd 34 Jahren am ältesten.
Wann kann ein Neffe älter als sein Onkel sein?
Eng im Zusammenhang mit der Frage nach dem Generationenabstand steht die Frage danach, ab welcher Generation sich die sogenannten Geburtenbereiche überschneiden können, also beispielsweise ein Neffe älter als sein Onkel sein kann. Unter Geburtenbereich wird dabei die Länge eines Zeitraums verstanden, auf den sich die Geburten einer Generation verteilen. Wird hierzu auf die derzeit übliche Abgrenzung des gebärfähigen Alters zurückgegriffen, nämlich 15 bis 49 Jahre, ergibt sich das »Überschneiden« der Geburtenbereiche nach folgender Formel:11
X = a / c + 2
Dabei gibt a den Beginn und c die Länge des Geburtenbereichs an.
x = 15 / 35 + 2 = 2,43
Das bedeutet, dass sich schon die dritte Generation teilweise mit der zweiten überdeckt. Beispielsweise kann der Neffe älter als sein Onkel sein. Würde dagegen davon ausgegangen, dass der Geburtenbereich deutlich kleiner wäre, beispielsweise nur von 25 bis 34 Jahre, wäre erst in der fünften Generation ein Neffe älter als sein Onkel.
Abschließend noch ein Blick auf die Besetzungsstärken der Generationen nach dem gesellschaftlichen Generationenbegriff im Südwesten. Zum 31. Dezember 2022 bildete die Generation X die bevölkerungsstärkste Altersgruppe in Baden-Württemberg mit 2,24 Millionen (Mill.) Menschen (Schaubild 2). Hierzu werden die Jahrgänge der 1966 bis 1980 Geborenen gezählt (i-Punkt: »Die Generationen nach dem gesellschaftlichen Generationenbegriff im Überblick«). Knapp dahinter liegt die Generation Y, die zum Erhebungszeitpunkt rund 2,23 Mill. Menschen umfasste. Zur kleinsten Bevölkerungsgruppe, der Generation bis 1945, zählen 1,01 Mill. Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger.
Fazit
Das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder ist in Baden-Württemberg in den vergangenen 4 Jahrzehnten um rund 5 Jahre angestiegen. Der Generationenabstand bei der weiblichen Generationenfolge betrug im Jahr 1980 noch knapp 27 Jahre, im Jahr 2022 waren es bereits rund 32 Jahre. Ähnlich hat sich diese Kenngröße für die Väter – wenn auch auf höherem Niveau – entwickelt.
Wird die Bevölkerung nach dem gesellschaftlichen Generationenbegriff betrachtet, so hat sich gezeigt, dass die Generation X in Baden-Württemberg am stärksten vertreten ist. Ob allerdings die in den Medien oftmals vorgenommenen Charakterisierung der einzelnen Generationen12 zutreffend ist, wird zum Teil bezweifelt. So bestreitet Martin Schröder, Professor für Soziologie an der Universität des Saarlands, dass die Einstellung von Menschen entscheidend von ihrem Geburtsjahr geprägt sei. Autoren, die das behaupten, würden zwei wesentliche Faktoren nicht berücksichtigen, nämlich den Alters- und den Periodeneffekt:13
- Jüngere würden beispielsweise anders über die Arbeit denken als Ältere und zwar unabhängig davon, wann sie geboren wurden (»Alterseffekt«);
- Noch ausgeprägter sei nach Einschätzung von Professor Schröder der Periodeneffekt: Alle Menschen würden heute anders als früher denken. So würden beispielsweise in der heutigen Zeit alle weniger arbeiten wollen als vor Jahrzehnten.
Allerdings räumt Martin Schröder ein, dass es zwischen den Generationen durchaus Unterschied gäbe; diese seien aber statistisch so gering, dass sie im Verhältnis zu den weitaus stärkeren Effekten der Lebensphasen und des Zeitgeistes kaum ins Gewicht fielen.14 So oder so: Mögliche Generationenunterschiede werden sicherlich auch künftig nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in den Medien für anhaltende Diskussionen sorgen.