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Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bruttolöhne und -gehälter 1991 bis 2022

In insgesamt sechs Beiträgen dieser Schriftenreihe wurden die für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bedeutsamen Entwicklungslinien Baden-Württembergs und Thüringens seit 1991 nachgezeichnet und so beispielhaft die unterschiedlichen Gegebenheiten in West- und Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung dargestellt. Dabei wurde deutlich, dass trotz teilweise beachtlicher Aufholprozesse und Stabilisierungserfolge Thüringens bzw. der ostdeutschen Flächenländer weiterhin erhebliche Unterschiede bei Wirtschaftskraft und Erwerbstätigkeit bestehen.1 Dies trifft insbesondere auch für die Löhne und Gehälter zu, wo eine nach wie vor beachtliche Lücke zwischen West- und Ostdeutschland vorliegt. Sie wird von weiten Teilen der ostdeutschen Bevölkerung als schmerzhaft empfunden und gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen.2 Im vorliegenden Beitrag sollen Hintergründe ausgeleuchtet und Zusammenhänge dargestellt werden, und zwar anhand von Daten des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«.3 Die hierzu verwendeten Begriffe werden im i-Punkt beschrieben.

Gesamtwirtschaft

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer

In Schaubild 1 ist die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer in Baden-Württemberg und Thüringen von 1991 bis 2022 aufgezeichnet. Nicht überraschend lagen die Pro-Kopf-Werte im gesamten Betrachtungszeitraum in Baden-Württemberg über und in Thüringen unter dem Bundesdurchschnitt. Die Abstände zwischen beiden Ländern waren in den ersten 4 Jahren besonders hoch. Sie haben sich bis 1997 deutlich verringert, blieben bis 2002 ziemlich konstant, sind danach wieder leicht angestiegen, dann aber nach 2019 merklich zurückgegangen. Im gesamten Betrachtungszeitraum hat das Lohn- und Gehaltsniveau Baden-Württembergs das westdeutsche übertroffen, wogegen Thüringen unter dem Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer geblieben ist.

Tabelle 1 untermauert diesen ersten Befund mit konkreten Zahlen. Dort sind im oberen Block die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (AN) wiedergegeben, und zwar für die besonders ereignisreichen ersten 5 Jahre und die aktuellen 3 Jahre in jährlicher Darstellung, im unteren Block je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer (ASt) für die ab 2000 nachgewiesenen Jahre.

Zwischen 1991 und 2022 sind die Bruttolöhne und -gehälter in Baden-Württemberg von 22 472 auf 42 331 Euro je AN angestiegen und damit um 88,4 %. In Thüringen hat sich das Lohn- und Gehaltsniveau von 10 891 auf 34 087 Euro je AN erhöht, damit mehr als verdreifacht (+213 %). Besonders ausgeprägt waren die Unterschiede in den ersten Jahren: Jeweils gegenüber dem Vorjahr belief sich die Zunahme in Baden-Württemberg 1992 auf 6,5 %, 1993 und 1994 auf nur noch 1,8 % und 1,7 % und 1995 auf 2,9 %. Dem standen in Thüringen Zuwachsraten in Höhe von 28,3 % (1992), 14 % (1993), 5,7 % (1994) und 5,4 % (1995) gegenüber. Diese Unterschiede haben sich in den Folgejahren fortgesetzt, wenn auch in abgeschwächter Form. Für den Zeitraum 1991 bis 2000 hat sich dadurch in Thüringen mit +77,2 % eine fast viermal so hohe Erhöhung ergeben wie für Baden-Württemberg mit 19,4 %. Von 2000 bis 2022 war der Anstieg in Thüringen mit +76,6 % zwar immer noch stärker als in Baden-Württemberg mit +57,7 %, die Wachstumsunterschiede waren jedoch erheblich geringer. Insbesondere zwischen 2006 und 2011 gab es sogar einige Jahre mit höheren Veränderungsraten in Baden-Württemberg. Die insoweit differenzierten Entwicklungslinien spiegeln sich auch im Indikator »Deutschland = 100« wider: Für Baden-Württemberg ist er von 113,1 % im Jahr 1991 kontinuierlich auf 106 % im Jahr 1998 gefallen, um bis auf 109,5 % im Jahr 2007 anzusteigen. In den Folgejahren hat es sich zwischen 106 % und 109 % bewegt. Im Falle von Thüringen hat er sich nahezu ungebremst nach oben orientiert, besonders kräftig natürlich in den Jahren 1991 (54,8 %) bis 1995 (74 %), wie Tabelle 1 zeigt.

Die Lohn- und Gehaltslücke, gemessen über die absoluten Abweichungen zwischen beiden Ländern, war 1991 und 1992 mit 11 581 bzw. 9 950 Euro je AN besonders ausgeprägt, sie ging bis 1997 mit 7 452 Euro je AN kontinuierlich zurück und ist danach tendenziell wieder leicht angestiegen. Relativ betrachtet, hier bezogen auf das Lohn- und Gehaltsniveau Baden-Württembergs, hat sich eine nahezu ungebrochene Verringerung der Abweichungen ergeben. Sie beliefen sich 1991 noch auf über die Hälfte (51,5 %), 1992 auf gut zwei Fünftel (41,6 %), 1993 und 1994 nur noch auf etwa ein Drittel (34,6 bzw. 32 %). Nach drei Zehntel in den Jahren 1995 und 1996 (30,4 bzw. 29,5 %) sind die relativen Abweichungen bis auf etwa ein Fünftel (2022: 19,5 %) zurückgegangen (Tabelle 1). Aber auch dies ist noch ein beachtlicher Abstand. Wie hoch der Nachholbedarf Ostdeutschlands ist, lässt sich aus folgender Gegenüberstellung erkennen: Das in Baden-Württemberg 1991 erzielte Lohn- und Gehaltsniveau (22 472 Euro je AN) wurde in Thüringen erst 2009 (22 404 Euro je AN) erreicht, und das für Thüringen 2022 mit 34 087 Euro je AN ermittelte Lohn- und Gehaltsniveau entspricht ungefähr dem in Baden-Württemberg für 2013 errechneten Wert von 34 229 Euro je AN.

  • Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer

Bezogen auf die geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer sind die Bruttolöhne und -gehälter zwischen 2000 und 2022 in Thüringen noch deutlicher angestiegen, wie eine Gegenüberstellung der Zahlen im unteren und im oberen Block von Tabelle 1 zeigt: Einer Zunahme um 101,6 % (von 12,78 auf 25,77 Euro je ASt) in Thüringen stand ein Zuwachs in Baden-Württemberg um 62,4 % (von 19,92 auf 32,35 Euro je ASt) gegenüber, bezogen auf die Anzahl der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer waren es wie ausgeführt +76,6 % und +57,7 % und damit jeweils weniger. Das in Baden-Württemberg 2000 gemessene Niveau wurde in Thüringen erst 2016 (19,93 Euro je ASt) realisiert, und auch bei dieser Größe entspricht das Niveau für 2022 in Thüringen (25,77 Euro je ASt) ungefähr demjenigen in Baden-Württemberg für 2013 (25,82 Euro je ASt). Die Lücke zwischen dem Lohn- und Gehaltsniveau in Baden-Württemberg und Thüringen hat sich, bezogen auf die Arbeitsstunden, bei relativer Betrachtung ebenfalls verringert (2000: 35,8 %; 2023: 20,3 %), und zwar deutlicher als je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer. In absoluten Zahlen hat sich der Abstand zunächst tendenziell ausgeweitet (2000: 7,14 Euro je ASt, 2012: 8,00 Euro je ASt), ging dann aber vor allem in den letzten Jahren merklich nach unten (2022: 6,58 Euro je ASt).

Auch beim Indikator »Deutschland = 100« offenbaren sich bemerkenswerte Unterschiede: Für Baden-Württemberg errechnet sich bei Bezugnahme auf die geleisteten Arbeitsstunden für 2000 mit 109,3 % eine höhere Relation als je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer mit 106,9 %, allerdings erfolgte danach eine Angleichung beider Größen. Umgekehrt verhält es sich in Thüringen, wo die Vergleichswerte mit Bezug auf die geleisteten Arbeitsstunden (2000: 70,1 %; 2022: 84,4 %) durchweg niedriger ausgefallen sind als je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer (76,9 % und 85,7 %), allerdings auch hier mit tendenzieller Angleichung. Ursache für diese unterschiedlichen Gegebenheiten bzw. Entwicklungen ist eine nach wie vor höhere individuelle Arbeitszeit in Thüringen, beispielsweise wegen tariflicher Vereinbarungen oder weniger Teilzeitarbeit. Tatsächlich haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2000 in Baden-Württemberg 1 347,4 ASt je AN gearbeitet, in Thüringen dagegen 1 510 ASt je AN und damit 162,6 ASt je AN mehr oder, bezogen auf den Wert Baden-Württembergs, 12,1 %. 2022 war der Unterschied mit 1 308,4 zu 1 322,8 ASt je AN schon deutlich geringer, der Abstand ist auf 14,4 ASt je AN oder 1,1 % erheblich geschrumpft.

Produktivitätsunterschiede

Als wesentliche Ursache für die Lohn- und Gehaltslücke zulasten ostdeutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird oft die nach wie vor zurückbleibende Produktivität genannt. Bei der volkswirtschaftlichen Arbeitsproduktivität wird üblicherweise die Bruttowertschöpfung auf die Anzahl der erwerbstätigen Personen und damit auf den Wirtschaftsfaktor Arbeit bezogen, obwohl auch andere Faktoren wie vor allem Kapital, also Maschinen und andere technische Einrichtungen sowie Grund und Boden, zur Gesamtleistung beitragen. Tatsächlich lassen die entsprechenden Daten der VGR4 bei der Betrachtung »Deutschland = 100« zum einen beträchtliche Niveauunterschiede zwischen Baden-Württemberg und Thüringen erkennen, zum anderen in der Entwicklung der jeweiligen Länder eine erstaunliche Parallelität von Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer einerseits und nominaler Bruttowertschöpfung je erwerbstätiger Person andererseits. Im Einzelnen zeigt Schaubild 2, dass die Linien beider Indikatoren in Baden-Württemberg fast deckungsgleich verlaufen sind, während in Thüringen das Lohn- und Gehaltsniveau über die Jahre hinweg über der so gemessenen Arbeitsproduktivität gelegen ist. Dies trifft vor allem für die die Anfangsjahre zu, als der Abstand 1991 über 20 Prozentpunkte, 1992 noch 15 Prozentpunkte und zwischen 1993 und 2001 jeweils 7 bis 11 Prozentpunkte betragen hat. Für die nachfolgenden Jahre wurden dann Unterschiede zwischen 3 und 6 Prozentpunkten gemessen. Dieser Befund lässt sich dahingehend interpretieren, dass die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gezahlten Bruttolöhne und -gehälter unmittelbar nach der Wende in Thüringen die volkswirtschaftliche Arbeitsproduktivität noch deutlich übertroffen haben und sich erst 10 Jahre später eine merklich geringere Abweichung eingestellt hat.

Allerdings ist es so, dass die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer den Wert der über die Bruttowertschöpfung je erwerbstätiger Person ermittelte Arbeitsproduktivität definitionsgemäß maßgeblich selbst bestimmen. So waren 1991 in Thüringen 94,4 % aller erwerbstätigen Personen unselbstständige Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, 2022 waren es mit 91 % nur geringfügig weniger. In Baden-Württemberg ist die Arbeitnehmerquote zwischen 1991 und 2022 leicht von 90,2 % auf 91,9 % angestiegen, bewegte sich also auch auf sehr hohem Niveau. Etwas anders sieht es beim Arbeitnehmerentgelt aus, das neben den Bruttolöhnen und -gehältern noch die tatsächlichen und unterstellten Sozialbeiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber umfasst. Immerhin hat das Arbeitnehmerentgelt in Baden-Württemberg sowohl 1991 mit 57,9 % als auch 2022 mit 58,3 % überdurchschnittlich stark zur gesamten Bruttowertschöpfung beigetragen, die anderen Wertschöpfungsbeiträge entfielen auf Betriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen, Abschreibungen sowie Gütersteuern und Produktions- bzw. Importabgaben abzüglich Subventionen. Die so definierte Arbeitnehmerentgeltquote belief sich in Thüringen 2022 mit 59,5 % auf nur leicht höherem Niveau als in Baden-Württemberg, 1991 waren es mit 95,4 % jedoch erheblich mehr. Dies ist Ausdruck der 1991 in Thüringen noch ausgesprochen geringen Einkommen aus Selbstständigkeit, niedrigeren Betriebsgewinnen oder gar -verlusten sowie weniger hohen Abschreibungen als Indikator für Kapitaleinsatz und damit technischen Fortschritt. In den Folgejahren hat sich diese Quote auch in Thüringen verringert und schließlich an das Niveau Baden-Württembergs angenähert. Folgerichtig hat sich die in Schaubild 2 ersichtliche Lücke zwischen Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer zur Bruttowertschöpfung je erwerbstätiger Person bereits im Laufe der 1990er-Jahre auch in Thüringen merklich geschlossen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es angemessener, die Arbeitsproduktivität über die reale, also preisbereinigte Bruttowertschöpfung je erwerbstätige Person zu messen; diese Größe liegt allerdings nicht in absoluten Werten, sondern nur in Form von Veränderungsraten oder Indizes vor. Aber auch mit Hilfe dieses Indikators kann der Aufholprozess Thüringens bei der Produktivität und beim Pro-Kopf-Niveau von Bruttolöhnen und -gehältern erhärtet werden: Zwischen 1991 und 2000 ist die reale Arbeitsproduktivität in Thüringen mit +96,5 % um ein Mehrfaches stärker angewachsen als in Baden-Württemberg mit +5,5 %; zu dieser Diskrepanz hat allerdings auch ein erheblicher Abbau der Erwerbstätigenzahlen in Thüringen um 12 % gegenüber einem Aufbau in Baden-Württemberg um 6,5 % beigetragen. Wie auch immer: Angesichts dieser erstaunlichen realen Produktivitätsausweitung Thüringens lässt sich der zwischen 1991 und 2000 mit +77,2 % dort ausgesprochen hohe Anstieg der (nominalen) Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer volkswirtschaftlich durchaus rechtfertigen, auch im Vergleich zur Zunahme in Baden-Württemberg um nur 19,4 %. Diese unterschiedlichen Entwicklungstendenzen haben nach 2000 weiter angehalten, wenngleich in deutlich abgeschwächter Form: Bis 2022 ist die reale Arbeitsproduktivität in Thüringen um 32,2 % und in Baden-Württemberg um 13,6 % gewachsen, die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer um 76,6 % gegenüber 57,7 %.

Komponenten der Lohn- und Gehaltslücke

Die auf makroökonomischer Ebene festgestellte Parallelität zwischen Lohn- und Gehaltsniveau und Produktivität erklärt nicht die Ursachen der Lohn- und Gehaltslücke. Hierzu sind mikroökonomische Ansätze erforderlich, so beispielsweise eine Untersuchung des ifo-Instituts, die mithilfe einer mathematisch-statistischen Komponentenzerlegung die relative Bedeutung struktureller Unterschiede für die Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland im Jahr 2010 herausgearbeitet hat.5 Dabei wurden sieben Einflussfaktoren identifiziert, die zusammen etwa zwei Fünftel des Lohn- und Gehaltsabstands erklären, sich inhaltlich allerdings teilweise überschneiden. Nachfolgend werden die wichtigsten Faktoren in der Reihenfolge ihrer Bedeutung aufgeführt:

  • Betriebsgröße: Größere Betriebe und Unternehmen können aufgrund höherer Produktivität in der Regel höhere Arbeitnehmerentgelte zahlen und sind gleichzeitig aufgrund besserer Bezahlung attraktivere Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber; dies trifft insbesondere auf das Produzierenden Gewerbe zu. Tatsächlich machen große und größere Betriebe bzw. Unternehmen in Ostdeutschland einen deutlich geringeren Anteil bei der Gesamtbetriebszahl und der Beschäftigung aus als in Westdeutschland, allein schon wegen ihrer kürzeren Firmengeschichte und aufgrund weniger Unternehmenszentralen. Zudem ist die Tarifbindung in größeren Betrieben stärker als in kleineren.
  • Regionale Preisniveaus: Bedingt durch überwiegend niedrigere Lebenshaltungskosten, etwa für Miete, Konsumgüter und Freizeitangebote, können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland mit weniger Löhnen und Gehältern begnügen, gleichzeitig bewirken niedrigere Löhne und Gehälter geringere Produktionskosten und damit Angebotspreise.
  • Arbeitsproduktivität auf Betriebsebene: Nicht zuletzt wegen der beim Faktor Betriebsgröße aufgeführten Argumente ist von einer in Ostdeutschland niedrigeren betrieblichen Arbeitsproduktivität auszugehen.
  • Unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern: Der Anteil weiblicher Beschäftigten ist schon historisch bedingt in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland, 2010 noch um rund 5 Prozentpunkte. Gleichzeitig war der (bereinigte) Gender-Pay-Gap 2010 im Osten mit 9 % umfangreicher als im Westen mit 7 %; hinzu kommt die Tatsache, dass Frauen häufiger in geringer entlohnten Tätigkeiten beschäftigt sind.6
  • Tarifbindung: Tarifgebundene Unternehmen zahlen in der Regel höhere Löhne und Gehälter als nicht tarifgebundene. Tatsächlich hat 2022 für 52 % der Beschäftigten im früheren Bundesgebiet ein Branchen- oder Firmentarifvertrag gegolten, aber nur für 45 % in den neuen Ländern; allerdings ist die Tendenz allgemein rückläufig, 1998 waren es noch 76 % bzw. 63 %.7
  • Branchenstruktur: Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe und in unternehmensorientierten Dienstleistungsbereichen werden überdurchschnittlich hohe Löhne und Gehälter gezahlt, beispielsweise aufgrund überdurchschnittlicher Produktivität oder besonders ausgeprägtem Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Diese Wirtschaftsbereiche sind in Westdeutschland stärker vertreten als in Ostdeutschland. Darüber hinaus kommen innerhalb dieser Wirtschaftsbereiche höherbezahlte Tätigkeiten im Westen mehr zum Zuge als im Osten, nicht zuletzt im Bereich der Unternehmensführung.
  • Siedlungsstruktur: Viele Firmen zahlen in dicht besiedelten Räumen eine Art Agglomerationszulage, beispielsweise wegen unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in städtisch und ländlich geprägten Räumen. Da in den ostdeutschen Flächenländern ein deutlich geringerer Teil der Beschäftigten in städtischen Gebieten arbeitet als in Westdeutschland (2010: 50 % gegenüber 76 %), kann der Lohn- und Gehaltsabstand auch auf abweichende Siedlungsstrukturen zurückgeführt werden.

Produzierendes Gewerbe

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer

Die Ergebnisse der Komponentenanalyse legen den Schluss nahe, dass die Lohn- und Gehaltslücke im Produzierenden Gewerbe besonders hoch ist. Tatsächlich war der Abstand zwischen Baden-Württemberg und Thüringen bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe im Betrachtungszeitraum deutlich größer als in der jeweiligen Gesamtwirtschaft, und er hat in den letzten Jahren tendenziell noch zugenommen. Wie Schaubild 3 und Tabelle 2 zeigen, war die Differenz 1991 mit 15 209 Euro je AN besonders umfangreich und hat sogar das damalige Pro-Kopf-Niveau Thüringens in Höhe von 10 411 Euro je AN übertroffen; oder anders betrachtet: Der Unterschied hat 59,4 % des Wertes von Baden-Württemberg betragen. Bis 1994 ist die Differenz kontinuierlich auf 11 353 Euro je AN zurückgegangen, ist danach aber wieder angestiegen und hat trotz einer anschließenden Entspannung 2022 mit 15 748 Euro je AN den Wert von 1991 wieder übertroffen. Der größte Abstand wurde für 2017 mit 17 100 Euro je AN gemessen. Bezogen auf die Höhe der in Baden-Württemberg gezahlten Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer hat die Differenz tendenziell abgenommen und 2022 mit 29,9 % bereits weniger als drei Zehntel erreicht – 1991 waren es, wie ausgeführt, mit 59,4 % noch fast drei Fünftel. Wie aus dem Vergleich der Tabellen 1 und 2 hervorgeht, war die Lohn- und Gehaltslücke zu Ungunsten Thüringens – sowohl absolut als auch relativ gesehen – im Produzierenden Gewerbe in allen Jahren durchweg größer als in der Gesamtwirtschaft.

Interessanterweise hat in Thüringen das Pro-Kopf-Niveau der Bruttolöhne und -gehälter 1991 im Produzierenden Gewerbe mit 10 411 Euro je AN noch leicht unter dem der Gesamtwirtschaft (10 891 Euro je AN) gelegen, danach ging es mit Wachstumsraten von +37,9 % (1992), +11 % (1993) und +10,1 % (1994) überdurchschnittlich steil nach oben, erheblich stärker außerdem als beim Produzierenden Gewerbe in Baden-Württemberg mit +7,2 % (1992), +1,8 % (1993) und +3,4 % (1994). In den folgenden 1990er-Jahren hat sich die kräftigere Zunahme in Thüringen fortgesetzt, allerdings deutlich abgeflacht (Schaubild 3). Zwischen 1991 und 2000 haben sich die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe in Thüringen mit +96,9 % fast verdoppelt, in Baden-Württemberg waren es nur +28,9 %. Auch zwischen 2000 und 2022 war der Anstieg in Thüringen mit +80,1 % stärker als in Baden-Württemberg mit +59,6 %. Im Gesamtzeitraum 1991 bis 2022 waren es +254,7 % gegenüber +105,6 %. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass der Indikator »Deutschland = 100« bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe in Thüringen recht kontinuierlich von 47,3 % auf 76,9 % zu- und in Baden-Württemberg von 116,5 % auf 109,7 % tendenziell abgenommen hat (Tabelle 2).

Wie Schaubild 3 zeigt, ist das Pro-Kopf-Niveau der Bruttolöhne und -gehälter im Produzierenden Gewerbe – wie auch in der Gesamtwirtschaft – über die Jahre hinweg in Baden-Württemberg über dem Durchschnitt Westdeutschlands gelegen, aber in Thüringen unter dem Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer. Außerdem verdeutlicht Schaubild 3 für beide Länder eine ähnliche, wenn auch in Baden-Württemberg stärker ausgeprägte konjunkturelle Entwicklung in den 2000er-Jahren.

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer

Auch beim Produzierenden Gewerbe haben die Bruttolöhne und -gehälter je geleisteter Arbeitsstunde zwischen 2000 und 2022 kräftiger zugenommen als je Kopf der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer, und zwar wiederum in Thüringen intensiver als in Baden-Württemberg; dies geht aus einem Vergleich der Zahlen im unteren und im oberen Block von Tabelle 2 zeigt. Im Einzelnen haben sich die Bruttolöhne und -gehälter je geleisteter Arbeitsstunde innerhalb dieser 22 Jahre in Thüringen mehr als verdoppelt (von 12,93 auf 26,26 Euro je ASt oder +103,1 %), für Baden-Württemberg wurde ein Anstieg um zwei Drittel gemessen (von 22,53 auf 37,44 Euro je ASt oder + 66,2 %). Bezogen auf die Anzahl der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer sind die Zuwächse mit +80,1 % bzw. +59,6 % merklich geringer ausgefallen. Ursächlich für diese differenzierte Entwicklung waren erneut die unterschiedlichen Gegebenheiten bei der individuellen Arbeitszeit, die im Übrigen in beiden Ländern beim Produzierenden Gewerbe immer über der Gesamtwirtschaft gelegen ist. Konkret haben die im Produzierenden Gewerbe beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2000 in Baden-Württemberg 1 464,9 ASt je AN gearbeitet, in Thüringen mit 1 585,2 ASt je AN dagegen 120,3 ASt je AN mehr – das sind, bezogen auf den Wert Baden-Württembergs – immerhin 8,2 %. 2022 lagen beide Länder mit 1 406,8 ASt je AN in Baden-Württemberg und 1 405,8 ASt je AN jedoch schon auf gleicher Höhe.

Das in Baden-Württemberg für 2000 ermittelte Niveau (22,53 Euro je ASt) wurde in Thüringen erst 2018 (22,58 Euro je ASt) erreicht, bei der Gesamtwirtschaft ist dies wie ausgeführt bereits 2016 geschehen. Und der für 2022 in Thüringen gemessene Wert von 26,26 Euro je ASt liegt nur leicht unter demjenigen für Baden-Württemberg im Jahr 2007 (26,46 Euro je ASt). Der Abstand zwischen dem Lohn- und Gehaltsniveau je Arbeitsstunde in Baden-Württemberg und Thüringen hat sich, wie in der Gesamtwirtschaft, zunächst vergrößert (zwischen 2000 und 2017 von 9,60 auf 12,84 Euro je ASt) und erst danach verringert, allerdings ziemlich rasch auf 11,18 Euro je ASt im Jahr 2022. Relativ gesehen, also bezogen auf die jeweiligen Werte in Baden-Württemberg, hat sich die Lücke ziemlich kontinuierlich geschlossen (Tabelle 2).

Dienstleistungsbereiche

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer

Wie ausgeführt war die Lohn- und Gehaltslücke zwischen Baden-Württemberg und Thüringen beim Produzierenden Gewerbe im gesamten Betrachtungszeitraum überdurchschnittlich hoch, dementsprechend war sie bei den Dienstleistungsbereichen kleiner als in der Gesamtwirtschaft. 1991 belief sich der Abstand bei den Dienstleistungsbereichen auf 8 801 Euro je AN, beim Produzierenden Gewerbe betrug er mit 15 209 Euro je AN und damit rund 73 % mehr. Aus Schaubild 4 und aus Tabelle 3 geht weiter hervor, dass sich die Differenz bei den Dienstleistungen von 1991 bis 1993 sehr stark und danach nur noch recht schwach verringert hat. Zwischen 1991 und 2000 erfolgte ein Rückgang von 8 801 auf 4 520 Euro je AN, anschließend jedoch in der Tendenz ein leichter Anstieg bis auf 5 335 Euro je AN im Jahr 2012; bei dann eher fallender Tendenz wurde schließlich im Jahr 2022 ein Wert von 4 684 Euro je AN erzielt. Oder anders betrachtet: Ab 1995 verlief die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer in beiden Ländern fast parallel (Schaubild 4). Relativ betrachtet, also bezogen auf die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer in Baden-Württemberg, hat sich der Lohn- und Gehaltsunterschied zwischen 1991 und 2022 nahezu stetig reduziert, und zwar recht deutlich von 43,9 % auf 12,4 %. Hervorzuheben ist schließlich, dass in beiden Ländern die Entwicklung bei den Dienstleistungen deutlich ruhiger verlaufen ist als im Produzierenden Gewerbe, und dies sowohl bei den Löhnen und Gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer als auch bei der entsprechenden Differenz (Schaubilder 3 und 4).

In Baden-Württemberg ist das Lohn- und Gehaltsniveau in den Dienstleistungsbereichen im gesamten Betrachtungszeitraum unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt geblieben. Wie ein Vergleich der Tabellen 1 und 3 zeigt, ist der Rückstand im Laufe der Jahre angewachsen, und zwar von 2 428 Euro je AN im Jahr 1991 auf 4 529 Euro je AN im Jahr 2022. Demgegenüber haben in Thüringen die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer in den Dienstleistungsbereichen 1991 mit 11 243 Euro je AN den gesamtwirtschaftlichen Wert in Höhe von 10 891 Euro je AN noch um 3,2 % übertroffen und in den beiden folgenden Jahren teils leicht über-, teils leicht unterboten. Ab 1994 ist dann auch in Thüringen das Lohn- und Gehaltsniveau bei den Dienstleistungen hinter der Gesamtwirtschaft zurückgeblieben: 2022 standen 33 118 Euro je AN in den Dienstleistungsbereichen 34 087 Euro je AN in der Gesamtwirtschaft gegenüber. Gleichwohl war damit der Abstand bei den Dienstleistungen 2022 in Thüringen mit 969 Euro je AN erheblich geringer als in Baden-Württemberg mit den genannten 4 529 Euro je AN.

Auch bei den Dienstleistungsbereichen hat Thüringen in den ersten Jahren nach der Einheit besonders stark aufgeholt: Jeweils gegenüber dem Vorjahr beliefen sich die Zuwachsraten 1992 auf 22,8 % und 1993 auf 15,9 %, sie waren aber auch in Baden-Württemberg mit 6,3 % und 2,5 % höher als in den folgenden 1990er-Jahren.

Zwischen 1991 und 2000 sind die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer bei den Dienstleistungsbereichen in Thüringen um gut zwei Drittel (+67,1 %) angestiegen, in Baden-Württemberg waren es gerade einmal +16,3 %. Schon deutlich geringer waren die Wachstumsunterschiede zwischen 2000 und 2022 mit +76,2 % in Thüringen und +62,2 % in Baden-Württemberg, wobei übrigens die Zunahmen 2022 gegenüber 2021 mit +6,1 % bzw. +4,6 % so kräftig ausgefallen sind wie zuletzt unmittelbar nach der Wende. Im gesamten Betrachtungszeitraum 1991 bis 2022 hat sich in Thüringen ein Wachstum des Lohn- und Gehaltsniveaus in den Dienstleistungsbereichen um 194,6 % und in Baden-Württemberg um 88,6 % eingestellt, wodurch sich beim Indikator »Deutschland = 100« für Thüringen ein ziemlich kontinuierlicher Anstieg von 60,1 % auf 88,6 % und in Baden-Württemberg ein Rückgang von 107,1 % auf 101,2 % ergeben hat (Tabelle 3). Schließlich hat in jedem der 32 Jahre das Pro-Kopf-Niveau der Bruttolöhne und -gehälter in den Dienstleistungsbereichen Thüringens den Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer knapp verfehlt – hier lagen von Anfang an Brandenburg und Sachsen ganz vorne; Baden-Württemberg ist dagegen bis 2002 leicht hinter dem Durchschnitt Westdeutschlands zurückgeblieben und hatte erst danach insoweit die Nase vorn (Schaubild 4).

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer

Wie beim Produzierenden Gewerbe haben die Bruttolöhne und -gehälter je geleisteter Arbeitsstunde zwischen 2000 und 2022 auch bei den Dienstleistungsbereichen stärker zugenommen als je Kopf der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer, und erneut war der Unterschied in Thüringen besonders ausgeprägt. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, haben sich die Bruttolöhne und -gehälter je geleisteter Arbeitsstunde in Thüringen mehr als verdoppelt (von 12,81 auf 25,78 Euro je ASt oder +101,3 %), Baden-Württemberg konnte auf einen Anstieg um knapp zwei Drittel zurückblicken (von 18,23 auf 29,91 Euro je ASt oder +64,1 %). Je Anzahl der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer waren die Zuwächse bei den Bruttolöhnen und -gehältern mit +62,2 % in Baden-Württemberg nur leicht, in Thüringen mit +76,2 % dagegen deutlich geringer als beim Bezug auf das Arbeitsvolumen. Diese Abweichungen erklären sich durch die Höhe und die Entwicklung der individuellen Arbeitszeiten: 2000 haben die in den Dienstleistungsbereichen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Baden-Württemberg 1 278,6 ASt je AN gearbeitet, in Thüringen 1 466,5 ASt je AN, das ist eine Abweichung um absolut 187,9 ASt je AN oder, bezogen auf den Wert Baden-Württembergs, um satte 12,8 %. 2022 lagen beide Länder mit 1 263,7 ASt je AN in Baden-Württemberg bzw. 1 284,4 ASt je AN in Thüringen und damit einem Unterschied von 20,7 ASt je AN oder 1,6 % schon viel näher beieinander.

Das in Baden-Württemberg für 2000 gemessene Niveau (18,23 Euro je ASt) wurde in Thüringen bereits 2014 (18,37 Euro je ASt) erzielt und damit deutlich früher als im Produzierenden Gewerbe (2018) und in der Gesamtwirtschaft (2016). Oder in einer anderen Vergleichsrechnung: Mit dem 2022 erzielten Niveau von 25,78 Euro je ASt hat Thüringen mit einem ähnlich hohen Wert von Baden-Württemberg (25,65 Euro je ASt) im Jahr 2017 gleichgezogen, beim Produzierenden Gewerbe hat Thüringen 2022 gerade mal das vergleichbare Niveau Baden-Württembergs zum Jahr 2007 erreicht. Die insoweit raschere Aufholjagd Thüringens bei den Dienstleistungen dürfte vor allem mit den dort höheren Tarifbindungen zusammenhängen, nicht zuletzt im Öffentlichen Dienst.

Dieses Phänomen offenbart sich auch bei einer weiteren Betrachtungsweise: Während sich der Abstand zwischen dem Lohn- und Gehaltsniveau je Arbeitsstunde in Baden-Württemberg und Thüringen im Produzierenden Gewerbe und in der Gesamtwirtschaft zwischen 2000 und 2017 bzw. 2020 zunächst tendenziell vergrößert hat, kann bei den Dienstleistungsbereichen für den Zeitraum 2000 bis 2021 eine deutlich geringere Bewegung zwischen 4,95 und 5,57 Euro je ASt und vor allem eine fallende Tendenz festgestellt werden; 2022 wurde mit 4,13 Euro je ASt der bis dahin geringste Abstand gemessen. Bezogen auf die jeweiligen Werte in Baden-Württemberg hat sich die Lücke sogar ungebremst verringert (Tabelle 2).

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer

Zur Abrundung sei noch kurz auf den Wirtschaftssektor Land- und Forstwirtschaft, Fischerei eingegangen.8 Er beschäftigt zwar nur einen Bruchteil aller Arbeitnehmer (2022 in Baden-Württemberg 0,6 %, in Thüringen 1,6 %; 1991 in Baden-Württemberg 0,8 %, in Thüringen damals immerhin noch 4,8 %), er zeichnet sich jedoch durch bemerkenswerte Unterschiede in beiden Ländern aus. So betrug der Anteil der unselbstständig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an allen Erwerbstätigen im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 2022 in Baden-Württemberg 42,9 %, das sind deutlich mehr als 1991 mit nur 14,7 %; in Thüringen waren die Quoten mit 90 % (2022) und 94,6 % (1991) erheblich stabiler, aber eben auch durchgehend höher. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich in Baden-Württemberg die zunehmende Bedeutung größerer Landwirtschaftsbetriebe als Folge des Verschwindens zahlreicher kleiner Höfe, und in Thüringen der auch nach der Wende noch hohe Anteil an großen, industriell geführten Agrargenossenschaften.

In der Folge haben sich die Bruttolöhne und -gehälter der im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei beschäftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen mit einem Zuwachs zwischen 1991 und 2022 um 110,8 % erheblich besser entwickelt als in Baden-Württemberg mit einer Ausweitung um nur 12,7 %. Dabei zeigt Schaubild 5 für Baden-Württemberg einen wellenförmigen Verlauf mit dem Höhepunkt 1996 und dem Tiefpunkt 2010, während für Thüringen in den Anfangsjahren bis 1996 ein steiler und danach ein jährlich kleinerer, aber kontinuierlicher Anstieg bis 2022 festzustellen ist. Bemerkenswert ist außerdem, dass die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei in Baden-Württemberg im gesamten Betrachtungszeitraum unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt gelegen sind, so 1991 mit 16 035 Euro je AN um 28,7 % und 2022 mit 18 074 Euro je AN sogar um 57,3 %. Ganz anders war die Situation in Thüringen, wo die im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei gezahlten Bruttolöhne und -gehälter 1991 mit 11 483 Euro je AN den Durchschnitt um 5,4 % übertroffen und 2022 mit 24 209 Euro je AN um nur 29 % unterschritten haben, also um deutlich weniger als in Baden-Württemberg (Tabelle 4 im Vergleich zu Tabelle 1). Vor allem aber hat sich im Laufe der Jahre in diesem Bereich ein Lohn- und Gehaltsrückstand Thüringens gegenüber Baden-Württemberg in einen Lohn- und Gehaltsvorsprung gedreht, wie aus Tabelle 4 und Schaubild 5 eindrücklich hervorgeht. Lag die Differenz zwischen Baden-Württemberg und Thüringen 1991 und 1992 noch bei +4 552 bzw. +5 053 Euro je AN oder, bezogen auf den baden-württembergischen Wert, bei +28 ½ %, hat sie sich ab 2001 im negativen Bereich bewegt, ist dort kontinuierlich gewachsen und hat 2022 mit –6 135 Euro je AN den bisherigen Höhepunkt erreicht; relativ betrachtet waren es bereits ab 2010 ein Drittel oder mehr. Im Zuge dessen hat Baden-Württemberg bei der Betrachtung »Deutschland = 100« seinen Vorsprung gegenüber dem Bundesdurchschnitt mit 1991 noch 29,5 % bis 2002 kontinuierlich abgebaut und danach in einen Rückstand verkehrt mit zuletzt –10,4 % im Jahr 2022. Für Thüringen kann eine genau entgegengesetzte Entwicklung festgestellt werden mit 1991 –7,3 %, 1996 –0,5 % und 2022 +20 %.

Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer

Während bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei der Kipppunkt im Baden-Württemberg/Thüringen-Vergleich im Jahr 2001 lag, fand er bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer erst 2008 und damit 7 Jahre später statt. Damals hat Thüringen mit 11,39 Euro je ASt Baden-Württemberg mit 10,42 Euro je ASt erstmals überholt. 2000 wurden in Baden-Württemberg mit 13,24 Euro je ASt genau 3,00 Euro je ASt oder um 22,7 % höhere Löhne und Gehälter gezahlt als Thüringen mit 10,24 Euro je ASt; 2022 hat dann Thüringen mit 16,51 Euro je ASt Baden-Württemberg mit 14,55 Euro je ASt um 1,96 Euro je ASt oder 13,5 % überboten (Tabelle 4). Ursache hierfür war der in diesen 22 Jahren in Thüringen (+61,2 %) erheblich kräftigere Anstieg als in Baden-Württemberg (+9,9 %). Dass die Zuwächse jeweils ausgeprägter waren als bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer und die Umkehr im Vorzeichen der Lohn- und Gehaltslücke bei den Bruttolöhnen und -gehältern je Arbeitsstunde erst 7 Jahre später stattgefunden hat, resultiert aus der Verkürzung der Arbeitszeit, die auch in diesem Bereich in Thüringen stärker ausgefallen ist als in Baden-Württemberg.

Lohn- und Gehaltslücke: Zusammenfassung

Eines der am meisten diskutierten Themen im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland ist die Lohn- und Gehaltslücke. Trotz deutlichem Aufholen der neuen Länder bei der Lohn- und Gehaltsentwicklung existiert sie nach wie vor in erheblichem Umfang, wie beispielhaft eine Gegenüberstellung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer zwischen Baden-Württemberg und Thüringen zeigt. 1991, im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung, war der Abstand beider Länder mit 11 581 Euro je AN sogar höher als die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter in Thüringen mit 10 891 Euro je AN. In den beiden nachfolgenden Jahren, also bis 1993, hat sich diese Lücke auf 8 418 Euro je AN verringert, blieb aber in den Folgejahren bis 2022 in etwa auf diesem Niveau.

Höhe und Entwicklung dieser Lohn- und Gehaltslücke spiegeln die nach wie vor bestehenden Produktivitätsunterschiede wider, erklären lässt sich der Abstand jedoch nur durch ein ganzes Bündel an Einflussfaktoren wie Unterschiede in den Betriebsgrößen, den regionalen Preisniveaus, der Produktivität auf Betriebsebene, der Bezahlung von Frauen und Männern, dem Grad der Tarifbindung, der Branchenstruktur und der Siedlungsstruktur.

Ein Großteil dieser Faktoren betrifft vor allem das Produzierende Gewerbe bzw. erklärt, dass die Lohn- und Gehaltslücke dort besonders ausgeprägt ist, wie die Situation in den beiden Eckjahren zeigt: 1991 belief sich der Unterschied zwischen den Bruttolöhnen und -gehältern beider Länder auf 15 209 Euro je AN und damit auf das fast 1 ½-fache des Lohn- und Gehaltsniveaus in Thüringen (10 411 Euro je AN). Nach zunächst deutlichen Verringerungen bis auf 11 353 Euro je AN im Jahr 1994 hat sich der Abstand anschließend wieder vergrößert und 2022 mit 15 748 Euro je AN sogar den Umfang von 1991 übertroffen.

Stärker als durch das Produzierende Gewerbe, das 1991 in beiden Ländern noch 44 % und 2022 etwa drei Zehntel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt hat, wurde die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Löhne und Gehälter durch die Dienstleistungsbereiche geprägt; bereits 1991 arbeiteten dort in beiden Ländern über die Hälfte und 2022 jeweils rund 69 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das zunehmende Gewicht der Dienstleistungen hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass der Abstand der Löhne und Gehälter zwischen beiden Ländern gesamtwirtschaftlich nicht so drastisch ausgefallen ist wie im Produzierenden Gewerbe. Bei den Dienstleistungsbereichen hat sich die Lücke von 8 801 Euro je AN im Jahr 1991 bis 2000 mit 4 520 Euro je AN fast halbiert, hat danach wieder nach oben tendiert und schließlich 2022 bei 4 684 Euro je AN gelegen.

Eine Sonderentwicklung hat aufgrund sehr unterschiedlicher Betriebsstrukturen der Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei genommen, der allerdings in Baden-Württemberg im gesamten Betrachtungszeitraum weniger als 1 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt hat, in Thüringen 1991 noch 4,8 % und 2022 auch nur 1,6 %. In diesem Bereich wurden 1991 in Baden-Württemberg 4 552 Euro je AN mehr gezahlt als in Thüringen. Danach hat Thüringen bei der Entlohnung im Bereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei mächtig aufgeholt, 2001 mit Baden-Württemberg gleichgezogen und anschließend jährlich höhere Löhne und Gehälter erzielt als Baden-Württemberg; 2022 waren es 6 135 Euro je AN mehr.

Die Unterschiede im Lohn- und Gehaltsniveau erscheinen bei relativer Betrachtung weniger dramatisch, also wenn sie beispielsweise auf den Wert von Baden-Württemberg bezogen werden. Die so definierte relative Lohn- und Gehaltslücke hat sich zwischen 1991 und 2022 bei den Dienstleistungsbereichen von 43,9 % auf 12,4 % verringert, beim Produzierenden Gewerbe von 59,4 % auf 29,9 %, also jeweils um rund 30 Prozentpunkte.

Noch deutlicher schrumpft der Abstand bei einer Betrachtung je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, hierzu konkrete Daten liegen allerdings erst ab 2000 vor. Bis 2022 hat sich die relative Lohn- und Gehaltslücke bei dieser Größe in den Dienstleistungsbereichen von 29,7 % auf 13,8 % reduziert, bei Bezug auf die Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren es 19,4 % und 12,4 %. Nicht ganz so drastisch waren die Unterschiede in der Entwicklung beider Indikatoren beim Produzierende Gewerbe: Je Arbeitsstunde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde die relative Lohn- und Gehaltslücke in diesen 22 Jahren von 42,6 % auf 29,9 % abgebaut, je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer von 37,5 % auf ebenfalls 29,9 %. Hintergrund für die kräftigere Verringerung bei Bezugnahme auf das Arbeitsvolumen ist, dass die je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden in Thüringen zwar immer noch höher ausfallen als in Baden-Württemberg, der Unterschied jedoch merklich abgenommen hat.

1 Unter dem Titel »Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich« wurden in Statistischen Monatsheften Baden-Württemberg folgende Themen behandelt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit 1991 bis 2021 (Heft 4/2023); Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe 1991 bis 2021 (Heft 5/2023); Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Baugewerbe 1991 bis 2022 (Heft 6+7/2023); Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit in Handel, Verkehr und Lagerei; Gastgewerbe, Information und Kommunikation 1991 bis 2022 (Heft 8/2023); Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit bei Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleistern, Immobilienwesen 1991 bis 2022 (Heft 11+12/2023); Bruttowertschöpfung und Erwerbstätigkeit im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit, Private Haushalte 1991 bis 2022 (Heft 1/2024).

2 Zum Beispiel: Der Graben zwischen Ost und West – welche Politik hilft gegen Ungleichheit? In: ifo Schnelldienst, Heft 16/2019, S. 3–18.

3 Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (Hrsg.): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 1, Länderergebnisse Band 2, Arbeitnehmerentgelt, Bruttolöhne und -gehälter in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2022, Berechnungsstand August 2023, Stuttgart, Dezember 2023.

4 Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (Hrsg.): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 1, Länderergebnisse Band 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2022, Berechnungsstand August 2022/Februar 2023, Stuttgart, März 2023.

5 Luge, Jan/Weber, Michael: Was erklärt die Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland? in: ifo Dresden berichtet, Heft 2/2016, S. 3–9. Verwendet wurde die Kitagawa-Oaxaca-Blinder-Zerlegung, womit der Lohn- und Gehaltsabstand zwischen Ost- und Westdeutschland in zwei Komponenten zerlegt wird, nämlich den Einfluss der Strukturunterschiede auf den Lohn- und Gehaltsabstand und den Einfluss unterschiedlicher Entlohnungsschemata.

6 Zur aktuellen Situation ausführlich Weiller, Ann-Katrin: Gender Pay Gap 2022 – Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern in Baden-Württemberg, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6+7/2023, S. 30–38.

7 Hohendanner, Christian/Kohaut, Susanne: Tarifbindung und Mitbestimmung: Keine Trendumkehr in Westdeutschland, Stabilisierung in Ostdeutschland, in: IAB-Forum, 20.07.2023. Bei den Branchentarifverträgen war das Verhältnis 2022 mit 43 % in Westdeutschland und 33 % in Ostdeutschland noch krasser. Außerdem orientieren sich Betriebe ohne Tarifvertrag in Ostdeutschland (34 %) deutlich weniger an Branchentarifverträgen als in Westdeutschland (42 %).

8 Nach der Drei-Sektoren-Hypothese werden Volkswirtschaften wie folgt eingeteilt: Primärer Sektor Land- und Forstwirtschaft, Fischerei; sekundärer Sektor Produzierendes Gewerbe; tertiärer Sektor Dienstleistungen.