Hat die Coronapandemie das Scheidungsverhalten verändert?
Ausgewählte Ergebnisse der Ehelösungsstatistik 2023 für Baden-Württemberg
»Corona lässt Scheidungszahlen explodieren«1, »Mehr Scheidungen: Kommt bald die Corona-Trennungswelle?«2 und »Corona als Zerreißprobe für Beziehungen«3 – so oder so ähnlich titelten Journalistinnen und Journalisten ihre Beiträge während der Pandemie. Ob sich diese Befürchtungen bewahrheitet haben, ist eines der Themen dieses Beitrags. Darüber hinaus werden weitere ausgewählte Ergebnisse der Ehelösungsstatistik vorgestellt, so unter anderem zu den regionalen Unterschieden im Scheidungsverhalten innerhalb des Landes.
Im Jahr 2023 wurden in Baden-Württemberg 15 761 Ehen geschieden; darunter waren auch Ehescheidungen von 129 gleichgeschlechtlichen Partnerinnen bzw. Partnern.4 Damit lag die Zahl der Ehescheidungen um rund 1 300 niedriger als im Jahr 2022. Im Vergleich zum Jahr 2004, in dem es so viele Ehescheidungen wie noch nie seit Bestehen des Landes gab, hat sich deren Zahl sogar um mehr als ein Drittel verringert.5
Parallel hierzu entwickelte sich in den vergangenen Jahren die Zahl der von einer Scheidung betroffenen Kinder; im Jahr 2023 ließen sich die Eltern von 12 813 minderjährigen Kindern scheiden, im Jahr 2004 – dem Jahr mit der bisher höchsten Zahl – waren es noch 21 965 (Schaubild 1). Ähnlich wie beispielsweise im Jahr 1980 hatte auch zuletzt etwa jede vierte geschiedene Ehe zwei oder mehr minderjährige Kinder. Gleichwohl sind nach wie vor in fast der Hälfte aller Ehescheidungen keine minderjährigen Kinder betroffen.
Scheidungen im 8. Ehejahr am häufigsten
Am häufigsten war im Jahr 2023 eine Scheidung im 8. Ehejahr (848).6 Am zweithäufigsten wurden Ehen im »verflixten« 7. Ehejahr geschieden (844), gefolgt vom 9. (792) und 6. Ehejahr (789, Schaubild 2). Aber auch Ehescheidungen nach einer verhältnismäßig langen Zeit des Zusammenlebens waren keine Einzelfälle. So hatten Paare bei jeder sechsten der im vergangenen Jahr geschiedenen Ehe das Jubiläum der Silberhochzeit bereits hinter sich. Bei 330 Ehepaaren erfolgte die Scheidung im Jahr des 25-jährigen Ehejubiläums, bei immerhin elf Paaren im Jahr der »goldenen Hochzeit«.
Mittlere Ehedauer der geschiedenen Ehen liegt bei knapp 16 Jahren und …
Die durchschnittliche Ehedauer aller im Jahr 2023 geschiedenen Ehen lag ähnlich wie in den Vorjahren bei annähernd 16 Jahren; im Jahr 1970 waren es dagegen noch lediglich 10 Jahre. Dieser in den vergangenen Jahrzehnten relativ stetige Anstieg der Ehedauer ist zum einen darauf zurückzuführen, dass langjährige Ehen heute tatsächlich häufiger als früher geschieden werden. Zum anderen ist er das Ergebnis der geburtenstarken Jahrgänge zu Beginn der 1960er-Jahre (»Babyboomer«). Denn die jetzt noch bestehenden Ehen dieser Generation sind damit bereits von längerer Dauer. Werden sie geschieden, gehen sie – da die Besetzungsstärken deutlich größer als bei den jüngeren Jahrgängen waren – folglich mit einem verhältnismäßig großen Gewicht in die Berechnung der durchschnittlichen Ehedauer ein.7 Und schließlich hatte auch die Reform des Ehe- und Familienrechts zum 1. Juli 1977 dazu beigetragen, dass sich die durchschnittliche Ehedauer erhöht hat, weil sich durch diese Reform die Prozessdauer der Scheidungsverfahren deutlich verlängert hat.8
… die durch den Tod eines Ehepartners gelösten Ehen bei 40 Jahren
Nach wie vor werden die meisten Ehen durch den Tod eines Ehepartners getrennt. Ihre Zahl bewegte sich in den letzten Jahren in einer Größenordnung von 45 000 bis annähernd 50 000 Verwitwungen pro Jahr. Damit beruhten etwas mehr als 70 % aller Ehelösungen in den letzten Jahren auf Verwitwung der Frau oder des Mannes.
Die Dauer dieser Ehen, die nicht durch eine Scheidung, sondern durch den Tod eines Ehepartners gelöst wurden, lag zuletzt im Schnitt bei 40 Jahren (Schaubild 3). Diesem errechneten Ergebnis liegen folgende Überlegungen zugrunde: Ledige, verwitwete oder geschiedene Männer heirateten in Baden-Württemberg im Jahr 2022 im Durchschnitt mit knapp 38 Jahren. Deren durchschnittliches Sterbealter lag zuletzt bei annähernd 78 Jahren. Männer, die sich nicht scheiden ließen, waren also im Durchschnitt rund 40 Jahre verheiratet. Da Frauen im Schnitt bereits mit 35 Jahren heiraten und ihr durchschnittliches Sterbealter derzeit mit knapp 83 Jahren höher als das der Männer ist, ergibt sich sowohl für die Männer als auch die Frauen eine Ehedauer von 40 Jahren. Das spätere Heiratsalter sowie die geringere Lebenserwartung der Männer sind also die »limitierenden« Faktoren für die Dauer einer gemischtgeschlechtlichen Ehe.
Die durchschnittliche Dauer der Ehen, die nicht durch Scheidung, sondern durch den Tod eines Ehepartners gelöst wurden, blieb damit im Vergleich zu 1970 praktisch unverändert. Die Paare haben zuletzt zwar deutlich später als noch vor 5 Jahrzehnten geheiratet; seither ist aber auch das durchschnittliche Sterbealter der Frauen und Männer in etwa im gleichen Umfang angestiegen.
Scheidungshäufigkeit hat sich seit den 1960er-Jahren mehr als verdoppelt, aber …
In den letzten Jahrzehnten stieg mit jedem jüngeren Heiratsjahrgang die Scheidungshäufigkeit an. Vom Heiratsjahrgang 1960 wurden etwa 15 % der seinerzeit geschlossenen Ehen geschieden. Für den Heiratsjahrgang 1970 traf dieses Schicksal auf jedes vierte Ehepaar zu, für den Jahrgang 1980 bereits auf jede dritte Ehe. Bei Paaren, die 1995 den Bund der Ehe eingingen, könnte die Scheidungshäufigkeit sogar bei 38 % liegen (Schaubild 4).9
Diese Scheidungsquote gilt für die im Jahr 1995 geschlossenen Ehen zu Beginn dieser Ehen. Interessant ist sicherlich auch, welches Scheidungsrisiko Ehen nach einer bestimmten Ehedauer noch haben. Beispielsweise liegt dieses Risiko für Ehen, die 1995 geschlossen wurden, im Jahr 2023 und damit im 29. Ehejahr »nur« noch bei knapp 5 % (Schaubild 5).
… zuletzt waren die Ehen wieder etwas stabiler, und …
Für jüngere Heiratsjahrgänge zeichnet sich ab, dass die Ehen zuletzt wieder etwas stabiler geworden sind. So wurden beispielsweise von den im Jahr 2005 geschlossenen Ehen bislang »nur« knapp 28 % geschieden – für die Heiratsjahrgänge 1995 und 2000 lag der entsprechende Anteil nach den ersten 18 Ehejahren dagegen bei 30 % bzw. 31 %.
Dieser Trend hin zu etwas geringeren Scheidungshäufigkeiten zeigt sich auch dann, wenn nicht einzelne Heiratsjahrgänge, sondern verschiedene Berichtsjahre miteinander verglichen werden (vergleiche i-Punkt). So ist die Scheidungshäufigkeit im Jahr 2019 – dem letzten Jahr vor der Coronapandemie – gegenüber 201210 praktisch in allen Ehejahren zurückgegangen; besonders stark ausgeprägt war der Rückgang vom 3. bis etwa 13. Ehejahr (Schaubild 6a).
Was sind die Ursachen dafür, dass die Scheidungshäufigkeit in den letzten Jahren tendenziell gesunken ist, nachdem sie in den letzten Jahrzehnten zuvor stetig anstieg? Entscheidend hierfür dürfte sein, dass sich die Einstellung zum Heiraten verändert hat. »Eine Ehe ist heute kein gesellschaftlicher Zwang mehr« und »Ehen sind heute freiwilliger gewählt und werden bewusster geschlossen als noch vor ein oder zwei Generationen«, so die Einschätzung von Lisa Fischbach, Psychologin aus Hamburg.11 Denkbar ist deshalb, dass Ehen, die vielleicht bereits zu Beginn »unter keinem guten Stern« gestanden hätten, möglicherweise erst gar nicht mehr geschlossen werden und damit auch nicht geschieden werden können.
Hinzu kommt ein weiterer möglicher Grund für die zurückgegangene Scheidungshäufigkeit: Wenn Paare heute heiraten, dann sind sie im Schnitt deutlich älter als früher. Heute sind die Männer in Baden-Württemberg bei der ersten Eheschließung im Schnitt rund 34 Jahre und die Frauen knapp 32 Jahre alt. Damit ist das Durchschnittsalter, in dem ledige Männer und Frauen vor die Standesbeamtin oder den Standesbeamten treten, allein seit 1995 um etwa 4 Jahre angestiegen – und mit höherem Heiratsalter nimmt das Scheidungsrisiko tendenziell ab.12
… auch während der Pandemie ist die Scheidungshäufigkeit weiter gesunken
Und wie entwickelte sich die Scheidungshäufigkeit während der Coronapandemie, die in Deutschland mit dem ersten Lockdown im März 2020 begann und bis April 2023 dauerte?13 Schaubild 6b zeigt, dass die Scheidungshäufigkeit – entgegen der vielfach geäußerten Befürchtungen – weiter gesunken ist.14 Möglicherweise ist dies damit zu erklären, dass Paare in diesen schwierigen Zeiten mit zeitweise massiven Kontaktbeschränkungen wieder »näher zusammengerückt sind«. Diese Erfahrung hat beispielsweise der Paartherapeut Bernd Böttger gemacht, wonach es Paare gegeben habe, die schon vor der Pandemie zu ihm gekommen seien und dann durch Corona eine neue Nähe entwickelt hätten. »Sie haben von der Ausnahmesituation profitiert«, so Böttger.15 Ob darüber hinaus die gesunkene Scheidungshäufigkeit auch auf die vor allem in den Ballungsräumen zunehmende Wohnungsknappheit zurückzuführen ist, die möglicherweise eine räumliche Trennung erschwert hat, muss offenbleiben.16
Geringste Scheidungshäufigkeit in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg
Innerhalb des Landes zeigen sich Unterschiede im Scheidungsverhalten. Die wenigsten Ehen wurden zuletzt in den Regionen Schwarzwald-Baar-Heuberg, Ostwürttemberg und Donau-Iller geschieden: Im Durchschnitt der Jahre 2020 bis 202317 kamen in diesen Regionen jeweils 66 bzw. 67 Scheidungen auf 10 000 Ehen (Schaubild 7). Am höchsten war die sogenannte spezifische Scheidungsziffer (vergleiche i-Punkt) in den badischen Regionen Rhein-Neckar und Hochrhein-Bodensee mit jährlich 79 bzw. 73 Scheidungen bezogen auf 10 000 Ehen.
Über die Gründe für die regional unterschiedliche Scheidungshäufigkeit können lediglich Vermutungen angestellt werden. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass gemeinsame Kinder die Scheidungshäufigkeit mindern.18 Tatsächlich wies die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg und damit die Region mit der zuletzt geringsten Scheidungshäufigkeit die zweithöchste Geburtenrate der zwölf Regionen auf. In der Region mit der höchsten Scheidungshäufigkeit, die Region Rhein-Neckar, lag dagegen die durchschnittliche Kinderzahl je Frau landesweit am niedrigsten.
Ein weiterer Grund für die Unterschiede könnte sein, dass Ehen mit Wohneigentum –wie ebenfalls aus der Familiensoziologie bekannt – seltener geschieden werden.19 Schließlich könnte auch die regional unterschiedliche Erwerbsbeteiligung mitentscheidend sein: Ehen, in denen beide Partner erwerbstätig sind, werden häufiger geschieden als Ehen, in denen die Frau nicht berufstätig ist.20
Alles in allem sind die regionalen Unterschiede relativ schwach ausgeprägt. Dies könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass die Bevölkerung sehr mobil ist und sich dadurch auch die Lebensstile angeglichen haben. Hinzu kommt, dass nicht immer der Gerichtsbezirk für eine Scheidung zuständig ist, in dem die Ehegatten ihre letzte gemeinsame Wohnung hatten, sondern insbesondere derjenige, in dem einer der Ehegatten mit seinen gemeinschaftlichen minderjährigen Kindern seinen neuen Wohnsitz hat.21
Fazit
Festzuhalten bleibt damit vor allem, dass in Baden-Württemberg die Scheidungshäufigkeit im vergangenen Jahrzehnt erfreulicherweise gesunken ist; dies galt – entgegen vielfach geäußerter Befürchtungen – auch während der Pandemie. Aus heutiger Sicht zeichnet sich nicht ab, dass sich an dieser positiven Entwicklung Grundlegendes ändern könnte.