Endgültige Ergebnisse der Europawahl 2024 in Baden-Württemberg
GRÜNE verlieren an Rückhalt, AfD im Aufwind
Am 9. Juni 2024 fand die zehnte Direktwahl zum Europäischen Parlament in Deutschland statt. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Europawahl 2024 in Baden-Württemberg genauer betrachtet. Der Landeswahlausschuss hat das endgültige Ergebnis für Baden-Württemberg am 25. Juni 2024 festgestellt, das bundesweite endgültige Ergebnis stellte der Bundeswahlausschuss am 3. Juli 2024 fest. Mit 66,4 Prozent konnte bei dieser Wahl in Baden-Württemberg eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung erzielt werden, die die Quote von 2019 noch einmal übertreffen konnte. Während die CDU erneut stärkste Kraft wurde, konnte die AfD ihren Stimmenanteil erheblich verbessern. Die GRÜNEN mussten sich dagegen mit hohen Verlusten abfinden.
Vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung
Bei der 10. Direktwahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 gaben 66,4 % der 7,8 Millionen in Baden-Württemberg Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Dies ist mit die höchste Wahlbeteiligung, die es im Südwesten je bei einer Europawahl gab. 1994 lag die Wahlbeteiligung ebenfalls bei 66,4 % (Tabelle 1). Im Vergleich zu 2019 stieg die Beteiligungsquote von 64,0 % um 2,4 Prozentpunkte. Schon 2019 konnte ein deutlicher Anstieg bei der Wahlbeteiligung festgestellt werden (+11,9 Prozentpunkte), dieser Trend setzt sich nun weiter fort. Auch bundesweit stieg die Wahlbeteiligung um 3,4 Prozentpunkte auf 64,7 %, die höchste Wahlbeteiligung seit der ersten Europawahl 1979. Wirft man einen Blick auf die gesamte EU, so zeigt sich, dass sich Wählerinnen und Wähler sehr unterschiedlich stark an den Wahlen beteiligten: Beteiligungsquoten reichten von etwa 89 % in Belgien zu 21 % in Kroatien. Insgesamt blieb die durchschnittliche Wahlbeteiligung mit 51,1 % auf einem ähnlichen Niveau wie 2019 (50,7 %) (Schaubild 1).
In Baden-Württemberg schwankte die Wahlbeteiligung zwischen 71,7 % im Landkreis Tübingen und 55,3 % im Stadtkreis Pforzheim. Die Gemeinden mit der höchsten Wahlbeteiligung waren Böllen (87,5 %) und Wieden (85,9 %) im Landkreis Lörrach, beides sind sehr kleine Gemeinden mit lediglich etwa 100 bzw. 500 Einwohnerinnen und Einwohnern. In der Stadt Rastatt (53,0 %) und der Stadt Lahr im Schwarzwald (53,2 %) im Ortenaukreis gaben dagegen am wenigsten Wahlberechtigte ihre Stimme ab. Schaubild 2 gibt einen Überblick.
CDU weiterhin stärkste Kraft
In Baden-Württemberg errang erneut die CDU den höchsten Stimmenanteil (Tabelle 2). Seit der ersten Europawahl 1979 liegen die Christdemokraten damit unverändert auf Platz 1 im Südwesten. Mit 32,0 % der gültigen Stimmen hat sich ihr Ergebnis geringfügig gegenüber der vorangegangenen Wahl verbessert (+1,2 Prozentpunkte). Die CDU lag damit deutlich vor der AfD, die mit 14,7 % auf den zweiten Platz im Land kam. Mit +4,7 Prozentpunkten verzeichnete die Partei allerdings den höchsten Zugewinn. Die GRÜNEN landeten mit 13,8 % knapp hinter der AfD auf dem dritten Platz, sie mussten sich allerdings mit deutlichen Verlusten abfinden (−9,5 Prozentpunkte). Die Sozialdemokraten wurden viertstärkste Kraft in Baden-Württemberg und mussten mit 11,6 % (−1,7 Prozentpunkte) ihren niedrigsten Stimmenanteil bei einer Europawahl in Baden-Württemberg hinnehmen. Die FDP blieb mit 6,8 % der gültigen Stimmen unverändert zur vorangegangenen Wahl. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) konnte aus dem Stand 4,5 % der gültigen Stimmen für sich verbuchen und landete auf Platz fünf in Baden-Württemberg. DIE LINKE erreichte 1,9 % und damit 1,2 Prozentpunkte weniger als noch 2019. Auf die sonstigen Parteien entfielen insgesamt 14,7 % der gültigen Stimmen, darunter waren die FREIEN WÄHLER mit 3,8 % (+0,6 Prozentpunkte), Volt mit 2,5 % (+1,8 Prozentpunkte), Die PARTEI mit 1,7 % (−0,3 Prozentpunkte) und die Tierschutzpartei mit 1,2 % (+0 Prozentpunkte) am stärksten. Alle anderen sonstigen Parteien blieben anteilsmäßig unter einem Prozent.
Die CDU erzielte ihr bestes Ergebnis im Landkreis Sigmaringen mit 41,7 %, ihr schlechtestes im Stadtkreis Freiburg im Breisgau mit 15,4 %. Die AfD gewann in allen Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs hinzu. Ihren höchsten Stimmenanteil erreichte sie im Stadtkreis Pforzheim mit 23,3 %, ihren niedrigsten im Stadtkreis Freiburg im Breisgau mit 5,9 %. Die GRÜNEN mussten dagegen in allen Stadt- und Landkreisen Stimmeneinbußen hinnehmen. Im Stadtkreis Freiburg im Breisgau erreichten sie ihren höchsten Stimmenanteil (30,2 %), im Neckar-Odenwald-Kreis ihren niedrigsten Stimmenanteil (7,5 %). Die SPD erzielte ihr bestes Kreisergebnis mit 16,5 % im Stadtkreis Mannheim, ihr schlechtestes im Landkreis Biberach mit 7,5 %. Die FDP konnte im Landkreis Reutlingen mit 8,9 % ihr bestes Ergebnis erreichen, ihren niedrigsten Stimmenanteil hingegen im Neckar-Odenwald-Kreis (4,4 %). Die neugegründete Partei BSW konnte im Stadtkreis Pforzheim ihr bestes Ergebnis erzielen (6,1 %), wohingegen sie im Landkreis Böblingen am schlechtesten abschnitt (3,8 %). DIE LINKE verlor in allen Stadt- und Landkreisen und erzielte ihr bestes Ergebnis in Freiburg im Breisgau (6,2 %) und schnitt im Landkreis Alb-Donau-Kreis am schlechtesten ab (1,0 %).
Wie in der Landessumme wurde die CDU in nahezu allen 1 101 Gemeinden stärkste Kraft. Einzig in den Städten Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg im Breisgau, Konstanz und Tübingen sowie in den Gemeinden Au und Merzhausen, die direkt neben Freiburg im Breisgau liegen, schnitten die GRÜNEN am besten ab. Die Gemeinde Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis ist außerdem die einzige Gemeinde Baden-Württembergs, in der die AfD stärkste Kraft wurde, sie erreichte hier 29,7 % der gültigen Stimmen. In Grömbach im Landkreis Freudenstadt erzielte die AfD allerdings ihr bestes Ergebnis mit 30,5 % der gültigen Stimmen.
CDU, GRÜNE und FDP im Land stärker als im Bund
Auf Bundesebene wurde ebenfalls die CDU die stärkste Partei (23,7 %, +1,1 Prozentpunkte). Die CSU, die Schwesterpartei der Christdemokraten, kam deutschlandweit auf 6,3 % (+0 Prozentpunkte). Damit erhielten die Unionsparteien insgesamt 30,0 % der gültigen Stimmen und damit etwas weniger als in Baden-Württemberg (Schaubild 3). Auch im Bund schaffte es die AfD auf den zweiten Platz (15,9 %, +4,9 Prozentpunkte) und überholte damit GRÜNE und SPD. In Baden-Württemberg verzeichnete die AfD (+4,7 Prozentpunkte) auch den stärksten Stimmenzuwachs aller Parteien. Bundesweit schaffte dies das neu gegründete BSW, welches aus dem Stand auf 6,2 % der Stimmen kam und damit DIE LINKE (2,7 %) deutlich übertrifft. In Baden-Württemberg erhielten sowohl das BSW (4,5 %) als auch DIE LINKE (1,9 %) deutlich weniger Stimmen. Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg schnitten die GRÜNEN mit 13,8 % etwas besser ab als im Bund (11,9 %), dennoch verzeichneten sie hier wie dort hohe Verluste. Während die GRÜNEN den dritten Platz und die SPD den vierten Platz in Baden-Württemberg erringen, ist die Rangfolge auf Bundesebene genau andersherum. Die SPD kam bundesweit mit 13,9 % der gültigen Stimmen auf den dritten Platz, verlor aber gegenüber der vorangegangenen Wahl –1,9 Prozentpunkte. Neben der CDU und den GRÜNEN schnitt auch die FDP in Baden-Württemberg besser ab als im bundesweiten Durchschnitt, die Liberalen erhielten im Land 6,8 % der gültigen Stimmen, im Bund 5,2 %.
Sitzverteilung im Europäischen Parlament
Dem Europäischen Parlament werden aus Deutschland insgesamt 96 Abgeordnete von 15 verschiedenen Parteien angehören (Schaubild 4). Da es im Gegensatz zur Bundestagswahl bei der Europawahl keine 5 %-Sperrklausel gibt, erhalten auch zahlreiche kleinere Parteien Sitze. Die Unionsparteien erhalten genauso viele Sitze wie schon 2019 (CDU: 23, CSU: 6), die AfD kommt auf 15 Sitze (2019: 11 Sitze). Die SPD erhält 14 Mandate (–2 Mandate), die GRÜNEN 12 und damit nur etwas mehr als die Hälfte der 2019 erreichten 21 Sitze. Das BSW wird mit 6 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein, die FDP mit 5. Den Parteien DIE LINKE, FREIE WÄHLER sowie Volt stehen jeweils 3 Sitze zu. Darüber hinaus erhält Die PARTEI 2 Sitze, jeweils ein Sitz geht an die Tierschutzpartei, die ÖDP, FAMILIE sowie die PdF. Die PIRATEN, die 2019 noch einen Sitz erhalten haben, gehen bei der Wahl 2024 leer aus. Aus Baden-Württemberg werden insgesamt 9 Abgeordnete in das Europäische Parlament einziehen:1 Daniel Caspary (CDU), Norbert Lins (CDU), Dr. Andreas Joachim Schwab (CDU), Prof. Dr. Andrea Wechsler (CDU), Michael Bloss (GRÜNE), René Repasi (SPD), Vivien Costanzo (SPD), Dr. Marc Stephan Jongen (AfD) und Andreas Glück (FDP).
Im Europaparlament konnte die Europäische Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, ihre Position als stärkste Kraft beibehalten und stellt nun 188 der 720 Abgeordneten. Zweitstärkste Kraft bleiben die Sozialdemokraten (S&D), die mit leichtem Verlust auf 136 Mandate kommen. Größere Einbußen verzeichnen die Liberalen (Renew Europe) mit nun 77 Sitzen und die Grünen (Grüne/EFA) mit 53 Sitzen. Am rechten äußeren Rand haben sich zwei neue Fraktionen gebildet: Die Fraktion der Patrioten für Europa (PfE) mit 84 Sitzen und die Fraktion Europa Souveräner Nationen (ESN) mit 25 Sitzen. Letzterer gehört auch die deutsche AfD an. Sowohl die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) als auch die Fraktion der Linken (GUE/NGL) konnten ihren Sitzanteil leicht erhöhen und enthalten im neuen Europaparlament je 78 und 46 Sitze. Insgesamt sind 33 Abgeordnete fraktionslos, darunter zählen auch die 6 Abgeordneten des BSW (Schaubild 5).
Über ein Drittel der Wahlberechtigten wählt per Brief
Der Anteil der Wählerinnen und Wähler, die ihre Stimme per Brief abgegeben haben, stieg bei dieser Europawahl in Baden-Württemberg auf 37,0 % (Schaubild 6). Im Vergleich zur letzten Europawahl ist das ein deutliches Plus von 9,3 Prozentpunkten. Der Briefwahlanteil stieg seit der ersten Europawahl 1979 kontinuierlich an, gleiches gilt für die Bundestags- und Landtagswahlen. Die besonders hohen Briefwahlanteile der letzten Landtagswahl und Bundestagswahl 2021 während der Coronapandemie, als über die Hälfte der Wahlberechtigten per Brief wählte, wurden in diesem Jahr aber nicht mehr erreicht.
Bei einer differenzierten Betrachtung der Europawahlergebnisse 2024 nach Art der Stimmabgabe ergeben sich zum Teil große Unterschiede zwischen den erreichten Stimmanteilen der einzelnen Parteien (Tabelle 3). So schnitten etwa CDU, GRÜNE, SPD und FDP bei der Briefwahl besser ab als im jeweiligen Landesdurchschnitt. Insbesondere bei den GRÜNEN ist der Unterschied zwischen ihrem Briefwahlergebnis (16,3 %) und Urnenwahlergebnis (12,4 %) am deutlichsten. Dagegen bekamen die AfD, DIE LINKE und das BSW bei der Urnenwahl mehr Stimmen als per Brief. Vor allem das Urnenwahlergebnis der AfD von 18,0 % steht im deutlichen Unterschied zu deren Briefwahlergebnis von lediglich 9,1 %.
Unterschiede je nach Gemeindegröße
Werden die Ergebnisse der Parteien nach Gemeindegröße betrachtet (Tabelle 4), nimmt der erreichte Stimmenanteil der GRÜNEN, SPD, DIE LINKE und FDP mit Zunahme der Einwohnerinnen und Einwohner tendenziell zu, während er bei CDU und AfD mit zunehmender Einwohnerzahl abnimmt. Die GRÜNEN erreichten ihre durchschnittlich besten Werte mit 21,5 % in den Großstädten (mindestens 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner), ihre durchschnittlich niedrigsten Werte in Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnerinnen und Einwohner (9,4 %). Der Korrelationskoeffizient zwischen der Gemeindegröße am Ende des Jahres 2023 und dem Stimmenanteil für die GRÜNEN ist hochsignifikant und liegt mit +0,43 (p < 0,000) im mittleren Bereich. Für SPD, DIE LINKE und FDP schwanken die Werte zwischen kleineren und größeren Gemeinden zwar weniger drastisch, ein Zusammenhang ist aber dennoch deutlich feststellbar (Korrelationskoeffizienten: SPD +0,46 (p < 0,000), DIE LINKE +0,43 (p < 0,000), FDP +0,29 (p < 0,000)). Die CDU konnte dagegen vor allem in kleineren Gemeinden viele Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen. Die Christdemokraten erreichten in Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnerinnen und Einwohnern einen durchschnittlichen Stimmenanteil von 39,1 %, in den Großstädten nur von durchschnittlich 22,6 %. Auch die AfD schnitt in kleineren Gemeinden überdurchschnittlich gut ab: 16,8 % in Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, in Gemeinden über 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern lag sie dagegen mit 10,7 % deutlich unter ihrem Landeswert. Der Zusammenhang ist bei der CDU besonders deutlich (Korrelationskoeffizient –0,53 (p < 0,000)), bei der AfD ist es eher ein schwacher Zusammenhang (–0,19 (p < 0,000)). Bei dem BSW zeigt sich kein Zusammenhang mit dem Stimmenanteil und der Gemeindegröße. Letztlich zeigt die Analyse auch, dass kleinere Gemeinden im Allgemeinen höhere Wahlbeteiligungen aufweisen als größere. Mit einem Korrelationskoeffizienten von –0,40 (p < 0,000) kann hier ein mittelstarker Zusammenhang festgestellt werden. Ein entsprechender Zusammenhang wird in der politikwissenschaftlichen Forschung häufig gefunden2 und wird meist mit engeren sozialen Netzen bei den Bürgerinnen und Bürgern begründet – und damit einhergehend einer möglicherweise höheren sozialen Kontrolle – sowie einer größeren Nähe zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Gewählten beziehungsweise der Verwaltung im Allgemeinen. In Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt die Wahlbeteiligung mit 73,1 % fast sieben Prozentpunkte höher als im landesweiten Durchschnitt. Die Beteiligungsquote nimmt dann mit zunehmender Gemeindegröße stetig ab. Interessanterweise bilden die Großstädte mit einer Bevölkerung über 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner hier eine Ausnahme – in diesen liegt die Wahlbeteiligung wieder im Mittelfeld.