:: 4/2005

Der Nutzen von Statistiken aus Sicht eines Unternehmens

In der derzeitigen Diskussion um die Entlastung der Wirtschaft von bürokratischen Verpflichtungen werden Statistiken oftmals nur unter dem Kosten- und Belastungsaspekt betrachtet. Über den Nutzen der Statistiken für Unternehmen wird dagegen nur selten gesprochen. Im nachfolgenden Beitrag stellt Dr. Robert Amler dar, wie der Bereich Automatisierungs- und Antriebstechnik der Firma Siemens durch die Analyse statistischer Daten aus internen und externen Quellen den Geschäftserfolg verbessert. Bei dem vorliegenden Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Dr. Robert Amler am 14. Oktober 2004 im 27. CEIES-Seminar »Die Erstellung von Unternehmensstatistiken – Kosten und Effizienz« gehalten hat. Der Beitrag ist erschienen in »Wirtschaft und Statistik 1/2005«, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg dankt für die freundliche Nachdruckgenehmigung.

Rund 2 Mill. Euro Aufwand jährlich für statistische Meldungen bei Siemens A&D

Siemens Automation and Drives – fortan Siemens A&D – ist Weltmarktführer für industrielle Automatisierungs- und Antriebstechnik. Siemens A&D produziert an 65 großen, weltweit verteilten Fertigungsstandorten Produkte und Systeme, wie elektrische Schütze und Schalter, Motoren und Industriesteuerungen einschließlich der Software und Kommunikationstechnik für Maschinen sowie zur Automatisierung von Anlagen in verschiedenen Industrien. Mit gut 51 800 Beschäftigten erlöste diese Unternehmenssparte im Geschäftsjahr 2004 einen Umsatz von 8,8 Mrd. Euro und erwirtschaftete eine deutlich über dem Branchendurchschnitt liegende Umsatzrendite von 12,2 %.

Für ein großes Unternehmen ist es gar nicht einfach zu ermitteln, welche statistischen Meldungen überhaupt abgegeben werden. Da Siemens A&D global tätig ist, sind statistische Meldungen in Deutschland, den europäischen Ländern, in Amerika sowie an den asiatischen Standorten abzugeben. Grob geschätzt dürften all diese statistischen Meldungen den Bereich Automation and Drives mit etwa 2 Mill. Euro im Jahr belasten.

In Deutschland sind zahlreiche Meldungen an die statistischen Ämter für die verschiedenen Produktfamilien abzugeben. Zu melden sind die Auftragseingänge, Umsatzwerte, Beschäftigtenzahlen, Löhne und Gehälter, die Ein- und Ausfuhren und Angaben für Umweltstatistiken. An die Kartellbehörden sind Marktanteile zu melden, dazu kommen spezifische statistische Meldungen an Erhebungen von Verbänden und anderen Organisationen. Und dies je nach Meldekategorie monatlich, jährlich oder im mehrjährigen Turnus. Im Kontext dieses Aufsatzes wird der Begriff »Statistik« weit gefasst und beinhaltet die Daten aus der amtlichen und nicht amtlichen Statistik, zudem die Daten aus dem Unternehmen selbst. In der Praxis meiner Tätigkeit werden Analysen regelmäßig mit Daten aus verschiedenen Quellen durchgeführt, sodass interne Unternehmensdaten, amtliche und nicht amtliche Statistiken im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der Vorzug der amtlichen Daten gegenüber den nicht amtlichen Daten aus externen Quellen ist unbestreitbar die hohe Qualität und die Neutralität der Institutionen, die sie zur Verfügung stellen.

Bedeuten Wirtschaftsstatistiken einen Zusatzaufwand? Eindeutig »ja«, wenn man die Informationen selbst nicht nutzt. Nein, wenn man die – im Berichtswesen eines Unternehmens meist ohnehin vorhandenen – Daten

  • im Zeitverlauf beobachtet, zum Beispiel um Veränderungen zu erkennen;
  • für Vergleiche zur eigenen Positionsbestimmung nutzt;
  • für weiterführende Analysen verwendet;
  • nutzt, um Zusammenhänge ausfindig zu machen.

Per se stiften statistische Daten keinen Nutzen, verwendet man sie aber, um einen bestimmten Zweck damit zu erreichen, haben sie einen Nutzen und die statistische Meldung wird damit wichtig. Natürlich ist davon auszugehen, dass dieser Nutzen von Mensch zu Mensch unterschiedlich bewertet wird. Welche Wirtschaftsstatistiken wegfallen oder inwieweit sie reduziert werden können, kann damit am besten der Nutzer entscheiden. Solange die Statistiken so gut wie nichts kosten, wird er sich seine Entscheidung leicht machen. Erst wenn dafür »richtig« bezahlt werden müsste, würde er Aufwand und Nutzen ernsthaft abwägen. Angesichts des internationalen Wettbewerbsdrucks und der schwierigen Lage vieler deutscher Unternehmen ist heute in Deutschland eine Tendenz vorhanden, Statistiken vorschnell als »zu teuer« einzustufen und damit die Forderung nach ihrer Einstellung zu verbinden. Aber es gilt auch mit Blick auf die Statistiken zu bedenken, dass vieles davon nie wieder rekonstruierbar wäre und sich auch der Neubeginn sehr schwierig gestalten würde, wenn sich doch herausstellt, dass bestimmte Daten unverzichtbar waren.

Nutzen und Nutzer der statistischen Auswertungen

Die eingangs erwähnten statistischen Meldungen, die ein Unternehmen abgibt, werden von unterschiedlichen Einheiten im Unternehmen selbst genutzt. Die Übersicht gibt hierüber einen Überblick.

Forscher und Entwickler nutzen Statistiken, um auf die Bedürfnisse der Nachfrager reagieren zu können, Vertriebsexperten brauchen sie zur eigenen Positionsbestimmung im Wettbewerb, in der Produktion werden sie zu Kostenvergleichen benötigt, das Management nutzt sie für Investitionsentscheidungen und für interne und externe Präsentationen.

Diese verschiedenen Ziele könnten nicht erreicht werden, wenn man die statistischen Daten selbst nicht hätte und andere sie auch nicht zur Verfügung stellen würden. Zu ergänzen ist noch, dass zumindest in größeren Unternehmen solche Analysen und Darstellungen von speziellen Fachabteilungen aufbereitet werden. Diese haben damit eine wichtige Rolle, aus all den vorhandenen statistischen Daten etwas Aussagekräftiges zu machen und einen Wert aus ihnen zu schöpfen.

Mit statistischen Analysen den Geschäftserfolg optimieren

Siemens A&D verwendet als Basis für Geschäftsprognosen einerseits Konjunkturtestdaten, wie sie zum Beispiel vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München auf Branchenebene veröffentlicht werden und die auf monatlichen Abfragen von mehreren tausend Unternehmen beruhen. Andererseits verwenden wir dazu viele Zeitreihen nach Ländern und Branchen zu Themen wie Auftragseingänge, Umsätze, Kapazitätsauslastung usw. Als Ergebnis erhalten wir ein Schaubild, das uns zeigt, welche Richtung unser Auftragseingang in den nächsten Monaten nehmen wird. Das Schaubild 1 stellt zum einen das so genannte Geschäftsklima dar, zum anderen die Entwicklung unseres Auftragseingangs im Zeitverlauf. Diese statistischen Anwendungen belegen, dass der Auftragseingang des Siemens-Bereiches Automation and Drives in der Vergangenheit sehr eng entlang des Indikators Geschäftsklima verlief. Die Annahme ist, dass das auch in der Zukunft gelten wird, das heißt, dass wir im nächsten halben Jahr mit steigenden Auftragszahlen rechnen können.

Diese Prognosen liefern wichtige Informationen für das Ressourcenmanagement, man denke zum Beispiel an Materialvorräte und Personalkapazität. Um Ihnen ein Bild über die Bedeutung dieser in meiner Abteilung erstellten Geschäftsprognosen zu geben, möchte ich sagen, dass wir solche Analysen und Prognosen für mehrere hundert Teilaggregate unseres Unternehmensbereichs machen, für fast alle unsere zehn Geschäftsgebiete, für Deutschland sowohl wie für viele Länder Europas, die Vereinigten Staaten und China, aber auch für einzelne Produktfamilien als Wert- und Stückzahlprognosen, und das Ganze meist im vierteljährlichen Turnus. Dass die Nachfrage nach unseren Geschäftsprognosen seitens unserer Werks- und Vertriebskollegen steigt, ist meines Erachtens ein Beweis für den Nutzen dieser Beschäftigung mit statistischen Daten. Auch wenn es schwierig ist, diesen Nutzen zu quantifizieren, wird deutlich, dass diese Methode einen Beitrag dazu leistet, dass es der Bereich Automation and Drives zunehmend besser schafft, in konjunkturell schlechten Zeiten ordentliche Renditen zu erwirtschaften, indem die Ressourcen schnell angepasst werden. Die Herausforderung besteht darin, nicht jede (Konjunktur-)Kurve voll auszufahren, sondern wie beim Skilaufen die »Ideallinie« zu finden. Diese Ideallinie findet aber nur der, der die Strecke und die jeweils nächste Kurve kennt. Anders ausgedrückt: Wie stark wird der nächste Konjunktureinbruch sein, wie lange wird er dauern und wie steil geht es danach wieder aufwärts?

Der Hinweis sei erlaubt, dass es Siemens A&D insbesondere in den Minima und Maxima der Konjunktur besser als zahlreichen Wettbewerbern gelingt, seine Ergebnissituation zu stabilisieren. Ich glaube, dass sich jeder wirtschaftlich denkende Mensch aufgrund meiner letzten Ausführungen die Frage des Nutzens von Unternehmensstatistiken selbst beantworten kann, denn ein halber Prozentpunkt mehr Rendite bedeutet für uns etwa 40 Mill. Euro Ergebnis. Zum Personalaufwand für diese statistischen Auswertungen möchte ich erwähnen, dass ich diese Prognosearbeiten mit vier exzellent ausgebildeten Mitarbeitern und einigen Ansprechpartnern in unseren Vertriebs-, Fertigungs- und Regionalorganisationen bewältige.

Die Datenbasis, die wir aufgebaut haben, ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt. Besonders wichtig ist mir dabei der Hinweis, dass wir rund siebzehn Mal so viele externe statistische Datenreihen verwenden wie interne Datenreihen und dass wir über alle großen Länder und Investitionsgüterbranchen gut mit statistischen Daten bestückt sind. Die finanzielle Belastung dafür hält sich dabei in Grenzen, da etwa 60 bis 70 % der Datenreihen von amtlichen oder quasi-amtlichen Stellen stammen.

Erfolg auf regionalen Märkten durch statistische Analysen

Als global tätiges Unternehmen haben wir in den letzten Jahren sehr viel Geld in den Geschäftsausbau in China investiert. Die Wachstumsraten waren dort bekanntermaßen in den letzten Jahren gigantisch – man konnte eigentlich fast nichts falsch machen. Inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir die Eckwerte grob abgesteckt haben. Weiteres Wachstum setzt voraus, dass man ganz genau weiß, in welche Provinzen man gehen muss, welche weiteren Kundengruppen man mit welchen Produkten bedienen will usw. Da wir ein Wirtschaftsunternehmen sind, müssen wir dies unter erwerbswirtschaftlichen Aspekten tun, also mit minimalem Aufwand an Einsatzfaktoren einen möglichst hohen Ertrag erzielen.

Deshalb haben wir uns alle statistischen Daten Chinas für jede Provinz nach Branchen besorgt und für die Indikatoren »Beschäftigte«, »Produktion« und »Anzahl der Unternehmen« aus dem Chinesischen ins Englische übersetzt und in eine Datenbank eingepflegt. Diese drei Indikatoren ergeben für die 30 Provinzen Chinas und ihre jeweils 233 Branchen bzw. Fachzweige rund 21 000 Datensätze. In einem Zwischenschritt haben wir dann 32 Branchenaggregate für unseren eigenen Geschäftsauftrag gebildet und damit eine bessere Übersichtlichkeit erreicht. Zum einen können wir damit nun ganz schnell eine Provinz oder ein Sample von Provinzen nach den für uns relevanten Branchen analysieren, um einen Geschäftsplan erarbeiten zu können, der uns sagt, mit wie viel Vertriebspersonal und an wie vielen Standorten in den Provinzen Siemens A&D mit welchen Produkten vertreten sein müsste. Zum anderen können wir ebenso rasch analysieren, in welchen Provinzen für uns relevante Branchen am stärksten vertreten sind, um auch hierfür einen optimalen Marktauftritt zu gestalten. Lassen Sie mich das Ganze einmal kurz an einem Beispiel außerhalb des Geschäftsauftrags von Siemens Automation and Drives vorstellen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Hersteller von Fahrrädern mit irgendwelchen Maschinen bedienen – wo denken Sie, dass Sie die meisten Kunden finden werden? Zudem stellt sich die Frage: flächendeckender Vertriebsauftritt oder nicht? Bei der Beantwortung dieser Fragen kann unsere Datenbank schnell erste Hinweise geben (siehe Schaubild 2).

Die Fahrradproduktion beschränkt sich im Wesentlichen auf ganz wenige Provinzen in der östlichen und nordöstlichen Region sowie in der südlichen Provinz Guangdong. Ich kann Ihnen garantieren, dass durch diese Darstellung über Branchen, die direkt unser A&D-Spektrum betroffen haben, viel Erstaunen ausgelöst wurde – lang gediente Vertriebsleute in China haben nicht alles so ganz richtig gewusst.

Die Höhe des Aufwands für die benötigten Unternehmensstatistiken war und ist auch in diesem Beispiel zu Regionalinformationen über Märkte bescheiden, verglichen mit dem Nutzen, der aus all den Meldungen, die die Unternehmen der Welt abgeben, gezogen werden kann. Alternativ können Sie solche Analysen natürlich auch von Beratungsfirmen durchführen lassen. Aber ohne die statistischen Grunddaten könnten auch diese keine Analysen machen.

Mein Credo zu unserem heutigen Thema sollte aus Sicht eines Weltunternehmens damit klar geworden sein: Statistik ist gut und nützlich

– es kommt darauf an, dass man etwas daraus macht. Und die Kosten dafür sind im wahrsten Sinne des Wortes »erträglich«.