:: 9/2023

Auf dem Weg zur verständlichen Verwaltungssprache – ein Selbstversuch

TextLab – das neue Werkzeug für die Landesverwaltung im Praxistest

Viele dürften damit schon selbst Erfahrungen gemacht haben: Behördentexte – gespickt mit zu langen Sätzen, Schachtelsatzkonstruktionen, Floskeln, Paragrafen und »Funktionsverbgefügen«: zum Beispiel »finden verschiedene Verfahren Verwendung« statt »werden verschiedene Verfahren verwendet«. Von einer hohen Dichte der gefürchteten Nominalkonstruktion ganz zu schweigen. »Für die Bereitstellung dieser Informationen ist die Erhebung von Einzeldaten Voraussetzung.« – um hier ein Beispiel aus der Statistikwelt zu bemühen.

In der Landesverwaltung Baden-Württembergs hat man den Wunsch nach einer verständlicheren Behördensprache vernommen. Erste ermutigende Ansätze gibt es schon.1 Aber wie lassen sich am eigenen Schreibtisch ausgetretene Pfade verlassen? Wie kommt man schnell zu verständlicheren Texten? Aller Anfang ist schwer. Es gibt aber eine gute Nachricht: Seit Juli 2023 steht allen Landesbediensteten die Software TextLab zur Verfügung. Sie wird aktuell landesweit ausgerollt. Dieser Artikel wurde mit TextLab optimiert. Erfahren Sie im Folgenden mehr über einen ersten Praxistest.

Die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag 2021 bis 2026 zum Bürokratieabbau das Ziel ausgegeben, in der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern für mehr Verständlichkeit zu sorgen. Dazu soll an der Verwaltungssprache gearbeitet werden. Auch mit digitaler Technik.2 Seit Juli 2023 können die Beschäftigten nun ein digitales Tool nutzen: die Software TextLab für eine verständliche Behördensprache.

TextLab wertet für jeden analysierten Text verschiedene Kennzahlen zur Verständlichkeit aus. Etwa Satzlängen, Wortlängen und Schachtelsätze. Die Ergebnisse werden im Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX) zusammengefasst. Aber das ist noch nicht alles: Neben Verständlichkeit werden weitere Qualitätskriterien geprüft: Wortwahl, Grammatik, Stil, Rechtschreibung und Corporate Language3.

Der erste Eindruck

Für viele ist die Qualität von Texten reine Ansichtssache. Dabei lassen sich Qualitätskriterien durchaus zu einem gewissen Grad objektiv erfassen. Mit TextLab kann man zum Beispiel schnell und unkompliziert in Erfahrung bringen, wie verständlich eigenes Textmaterial ist. Die Software ist als Plug-in in MS Word und Outlook integriert und funktioniert wie ein Rechtschreibprogramm. Sie analysiert Texte nach wissenschaftlichen Methoden und linguistischen Regeln. Dabei werden je nach Textart unterschiedliche Prüfkriterien aktiviert. Für einen Social Media Beitrag gelten natürlich andere Regeln als für einen Brief. Als Ergebnis wird der Index HIX berechnet. Er bildet die Verständlichkeit auf einer Skala von null bis 20 ab. Null bedeutet schwer und 20 bedeutet leicht verständlich. Der Index-Wert von Doktorarbeiten der Politikwissenschaft beispielsweise liegt bei durchschnittlich 4,3 Punkten. Radio-Nachrichten liegen im Schnitt bei 16,4 Punkten, politische Artikel überregionaler Tageszeitungen zwischen elf und 14. Falls eine Textart in TextLab nicht zur Wahl steht, dann lässt sich anhand dieser Ergebnisse ein Zielkorridor für den Verständlichkeitswert schätzen. Das Qualitätskriterium Corporate Language wird über den sogenannten CLIX-Wert (Corporate-Language-Index Wert) erfasst, der die Tonalität des Textes bewertet. Die Skala reicht von 0 bis 100. 0 bedeutet unpersönlicher, bürokratischer Sprachstil, 100 bedeutet persönlicher, zeitgemäßer Sprachstil. Der Zielwert liegt für alle Textarten bei 80.

Die Ergebnisse zu allen Qualitätskriterien werden über ein Dashboard abgerufen. Ein erster interessanter Moment. Aber TextLab kann noch mehr: Die Software liefert außerdem konkrete Verbesserungsvorschläge zu gefundenen Schwachstellen. Dadurch lassen sie sich mit überschaubarem Aufwand direkt beheben. Das schlägt sich unmittelbar in verbesserten Werten nieder. Erfolgserlebnis also inklusive.

Die Erkenntnis: Auch ich schreibe behördisch!

Böse Zungen sprechen von der Fremdsprache Behördisch. Viele halten sich selbst für dagegen immun. Gern sieht man auf dem Weg zu einer verständlicheren, persönlichen und zeitgemäßen Verwaltungssprache auch unüberwindbare Hindernisse: »Die Rechtssicherheit!«, oder »Es geht eben um komplexe Zusammenhänge«. Ich möchte mich hier selbst nicht ausnehmen. Auch ich musste feststellen, dass sich das Behördische an der ein oder anderen Stelle eingeschlichen hatte. Diese spezielle Art zu schreiben scheint über die Jahre unbemerkt in eigene Schreibgewohnheiten zu sickern. Aber Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.

Behördisch wieder verlernen – geht das?

Wie wird man den behördischen Stil am besten wieder los? TextLab kann hier eine große Hilfe sein. Mein Eindruck: Schon ein Analysedurchlauf hat meinen Blick für Verständlichkeitshindernisse und andere Schwächen ziemlich geschärft. Sobald ein Bewusstsein geschaffen ist, fällt das Vermeiden nicht mehr sonderlich schwer. Zum Beispiel wurde mir mehrfach vorgeschlagen, Sätze zu vereinfachen und zu kürzen. Das läuft jetzt schreibbegleitend. Offensichtlich kann schon eine eindrückliche Sensibilisierung den Weg für Veränderung freimachen.

Fazit: zum Ausprobieren empfohlen

Natürlich entscheiden letztlich die Anwenderinnen und Anwender, wo sie den Empfehlungen von TextLab folgen. Ein eigener Schreibstil ist auch in Zukunft erwünscht. Objektive Schwächen werden aber klar benannt. Und es hinterlässt ein gutes Gefühl, sie aus dem Weg zu räumen. Am eigenen Schreibstil zu arbeiten lohnt sich auf jeden Fall. Denn ganz nebenbei profitiert auch die private Textproduktion von den neuen Erkenntnissen. Alles in allem: eine klare Empfehlung zum Ausprobieren.

1 Zum Beispiel die 2019 vom Normenkontrollrat BW und vom Leibnitz-Institut für deutsche Sprache herausgegebene Handreichung »Wie kann die Verständlichkeit behördlicher Texte verbessert werden?« https://www.normenkontrollrat-bw.de/fileadmin/_normenkontrollrat/PDFs/News/200311_NKR-BW_IDS_Handreichung_Verstaendlichkeit_behoerdliche_Texte.pdf (Abruf: 25.08.2023).

2 Siehe Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, CDU Baden-Württemberg (2021): Jetzt für morgen. Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg, S. 17 und 90 https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/210506_Koalitionsvertrag_2021-2026.pdf (Abruf 24.08.2023).

3 Corporate Language steht für den charakteristischen Sprachstil und Sprachgebrauch einer Organisation. Sie ist ein Teil des Selbstbilds einer Organisation.