:: 11/2004

Schulabgänger aus allgemein bildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss im Bundesgebiet

Bundesweit ist einmal mehr ein Südwest-Nordost-Gefälle feststellbar. So fallen auch in Baden-Württemberg (neben Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern) einfach weniger junge Menschen durchs Sieb der schulischen Bildung und haben so bessere Chancen, einen der raren Ausbildungsplätze zu finden, als Jugendliche anderswo. Auch eine Stadt-Land-Diskrepanz ist vor allem im süddeutschen Raum feststellbar.

Im folgenden Beitrag untersuchen Jessica Huter und Prof. Lothar Eichhorn auf Kreisebene für Deutschland die regionale Verteilung der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Die Autoren vom Niedersächsischen Landesamt für Statistik haben für ihren Beitrag jeweils verschieden sachadäquate Indikatoren und Bezugsgrößen gebildet, um regionale Unterschiede anhand statistisch vorliegender Merkmale herauszuarbeiten. Die Untersuchung wurde auszugsweise mit freundlicher Genehmigung der Autoren abgedruckt.1

Rund 8 800 Schüler ohne Hauptschulabschluss in Baden-Württemberg

Fast jeder zehnte Schüler verlässt bundesweit die allgemein bildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss. Im Jahr 2002 waren dies in ganz Deutschland gut 85 000, in Baden-Württemberg 2003 insgesamt 8 739 Personen. Diese Personengruppe stellt ein großes Problempotenzial dar, denn die künftigen Erwerbs- und Lebenschancen dieser Jugendlichen, die an der Schwelle zum Berufsleben noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss vorweisen können, sind erheblich schlechter als die ihrer Altersgenossen. Die Aussicht, dass diese Jugendlichen auch im Berufsleben scheitern, ist leider groß – schlecht qualifizierte Personen sind zum Beispiel unter den Arbeitslosen deutlich überrepräsentiert.

Das Problem wird erfreulicherweise relativiert durch die Arbeit der berufsbildenden Schulen. Bundesweit konnten 2002 insgesamt 50 186 junge Menschen an einer berufsbildenden Schule ihren Hauptschulabschluss nachholen; in Baden-Württemberg waren es im Jahr 2002 6 293 Personen, 2003 sogar 6 638. Für die betroffenen Schülerinnen und Schüler bleibt es aber meist ein Nachholen mit einem »Tempoverlust« von mehreren Jahren.

Regionale Differenzierungen …

Wie stellt sich dieses schulpolitische und soziale Problem in der regionalen Differenzierung dar? Im Folgenden wird für das Bundesgebiet mit Daten aus »Statistik Regional«2 bzw. zwei daraus entstandenen thematischen Karten gearbeitet. Die jeweils darzustellenden Regionaleinheiten werden in fünf Größenklassen differenziert. Die Darstellung muss sich auf das allgemein bildende Schulsystem konzentrieren, denn über den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses an berufsbildenden Schulen liegen bundesweit keine vergleichbaren bis auf die Kreisebene regionalisierten Angaben vor. Im Folgenden werden zunächst die Inhalte und Datengrundlagen der zwei Karten sowie die sich jeweils anders stellenden methodischen Probleme, sodann die Ergebnisse vorgestellt.

Schaubild 1 stellt für das bundesweit letzte vorliegende Erhebungsjahr 2001 die Schulabgänger ohne Abschluss in Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 18 Jahren auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte dar. Die Abgänger ohne Hauptschulabschluss wurden nicht, wie man erwarten könnte und wie mittlerweile in einer Publikation des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) geschehen3, mit der Gesamtzahl der Abgänger und Absolventen ins Verhältnis gesetzt, weil letztere in einigen Bundesländern durch Umstellung von 12 auf 13 Schuljahre geringer ausfielen als normal. Das Ergebnis wäre so stark verzerrt. Die hier gewählte Berechnung ähnelt also jener der Abiturientenquote. Statistisch exakt handelt es sich hier um eine Beziehungszahl, nicht um eine Quote.

Schaubild 2 macht jetzt genau das, was – siehe oben – methodisch problematisch ist. Es stellt zwar ebenfalls als klassische Quote den Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss an allen Schulabsolventen dar – allerdings aufgrund der Datenlage nur auf Kreisebene und nur für 2001.4 Dieser Bezug ist vor allem für das Land Sachsen-Anhalt aufgrund der dortigen Einführung der 13. Schuljahres hochproblematisch.

… bestätigen das Südwest-Nordost-Gefälle …

Betrachtet man das Schaubild 1, fallen folgende Strukturen auf: Kreise und kreisfreie Städte der Top-Kategorie, also mit dem geringsten Anteil junger Menschen ohne Hauptschulabschluss, finden sich gehäuft in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern, vereinzelt auch in Hessen, Niedersachsen und Brandenburg. Nimmt man die zweithöchste Kategorie mit in den Blick, ändert sich an der Struktur quasi nichts, sodass man generell ein Südwest-Nordost-Gefälle feststellen kann.5 In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern fallen in weiten Gebieten insgesamt einfach weniger junge Menschen durchs Sieb der schulischen Bildung und haben so bessere Chancen, einen der raren Ausbildungsplätze zu finden, als Jugendliche anderswo, wenn auch der Hauptschulabschluss als Qualifikationsgrad vielfach nicht ausreichend akzeptiert wird. Dieses Ergebnis ist für Baden-Württemberg und Bayern und mit Abstrichen auch für Rheinland-Pfalz vor dem Hintergrund der Ergebnisse der PISA-Studie zu Lesekompetenz, Mathematikleistung und naturwissenschaftlicher Grundbildung umso bemerkenswerter.6 In diesen drei Ländern fallen offenbar nicht nur weniger Schüler aus dem System heraus als anderswo, sondern die im System verbleibenden Schüler dürfen in weiten Bereichen auch als besser qualifiziert gelten als andere.

Außerdem tritt weiterhin der vielfach krasse Unterschied zwischen Stadt und Land hervor. In Schaubild 1 wird dies am Beispiel der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern besonders deutlich, wo eine »tiefgraue Stadt« der letzten Kategorie von einem »hellgrauen« Kreis der Top-Kategorie umgeben ist, zum Beispiel »Ulm«. Allerdings sind auch in allen anderen Teilen Deutschlands die Städte in der Regel »tiefgrau« dargestellt, doch fällt dieser Umstand bei der Mehrzahl aufgrund der sie umgebenden ebenfalls »tief- bis mittelgrau« gefärbten Kreise weniger auf. Positive städtische Ausnahmen sind Münster, Hamm, Bielefeld, Potsdam, Mainz, Salzgitter, Osnabrück und Emden sowie viele kreisfreie Städte des Rhein-Ruhr-Gebietes.7 Ursachen des schwachen Abschneidens vieler Städte sind sicher auch der hohe Anteil von Ausländern, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist bzw. die im privaten Umfeld nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, und die Konzentration sozialer Problemfälle.

Besonders fallen die Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt auf. Sind in Thüringen zumindest eine Stadt bzw. ein Kreis in der zweithöchsten Kategorie, ein Kreis im Mittelfeld und zwei Kreise im unteren Mittelfeld zu finden, stellt sich die Situation für Sachsen-Anhalt noch düsterer dar: Die besten Kreise sind hier zwei in der mittleren Kategorie und vier im unteren Mittelfeld. Dieses Ergebnis ist nicht mit gängigen Mustern à la hoher Ausländeranteil zu erklären, denn: Thüringen und Sachsen-Anhalt wiesen im Jahr 2001 mit 1,9 % bzw. 1,8 % die niedrigsten Ausländeranteile aller Bundesländer auf und lagen auch weit unter dem Durchschnitt von 9,7 %. Eine Verzerrung durch Umstellungen im Schulsystem hinsichtlich der Zahl der Schuljahre ist durch die gewählte Methode des Bezugs auf eine Altersgruppe und nicht auf die Abgängerzahl ebenfalls auszuschließen. Für das Thüringer Ergebnis dürfte größtenteils die Tatsache entscheidend sein, dass Schulabgänger der Klassen 10 bis 13 dort – zumindest noch im Jahr 2001 – auch in die Kategorie der Abgänger ohne Hauptschulabschluss fielen, das heißt also, dass jemand, der zum Beispiel die Abiturprüfung nicht bestanden hat, weder einen Haupt- noch Realschulabschluss erhalten hat.8 Die Tatsache, dass unter den Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss im Jahr 2001 gut 20 % aus den Klassenstufen 10 bis 13 stammten, stützt diese Vermutung. Rechnete man diese Schüler heraus, läge das Land Thüringen mit 3,5 % noch knapp in der mittleren Kategorie.

… und eine Stadt-Land-Diskrepanz

Eine Stadt-Land-Diskrepanz, die in Schaubild 1 vor allem für den südostdeutschen Raum frappierend ist, scheint im Nordwesten vergleichsweise weniger stark ausgeprägt. Dabei ist zu beachten, dass gerade in Bayern und in der Südpfalz viele kleinere kreisfreie Städte abgebildet werden und damit regionale Differenzierungen eher sichtbar werden.

Am beschriebenen Südwest-Nordost-Gefälle und der Konzentration von ungünstigen Werten in Sachsen-Anhalt und Thüringen ändert auch die Darstellung in Schaubild 2 nichts, doch treten die Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht mehr so deutlich hervor und es fallen insgesamt deutlich mehr Gebiete in die mittlere Kategorie. Die Städte machen ein bis zwei – in seltenen Fällen sogar drei – Kategorien gut und liegen nun vielfach im durchschnittlichen Bereich; viele Landkreise, die zuvor in die zweithöchste Kategorie fielen, gehören nun »nur« noch in die mittlere Kategorie. Die Ursachen dieser unterschiedlichen Ergebnisse sind an dieser Stelle nicht zu klären, doch liegt die Vermutung nahe, dass hier ein Pendlereffekt vorliegt: Wie beispielsweise aus der Region Hannover bekannt ist, besuchen Realschüler und Gymnasiasten aus stadtnahen Gemeinden häufig Schulen in der Stadt, weil dort zum einen das Angebot breiter gefächert ist und zum anderen teilweise das Renommee bestimmter Schulen anziehend wirkt. So erhöht sich die Absolventenzahl in der Stadt, was bei einer Kartierung den Anteil der Abgänger ohne Hauptschulabschluss geringer ausfallen lässt. Ob die eine oder andere Karte die lokalen Verhältnisse korrekt abbildet, kann letztlich nur vor Ort beantwortet werden. Sicher ist aber, dass es sich keineswegs nur um ein Problem der ländlichen Räume handelt.

1 Eichhorn, Lothar/Huter, Jessica: »Schulabgänger aus allgemein bildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss 2001«, Statistische Monatshefte Niedersachsen, Hrsg. Landesamt für Statistik Niedersachsen, Heft 7/2004, S. 342-344.

2 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.), Statistik Regional, Ausgabe 2003, Düsseldorf 2004.

3 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hg.), Aktuelle Daten zur Entwicklung der Städte, Kreise und Gemeinden, Ausgabe 2003, Bonn 2004, S. 191ff. Die von der BBR verwandte Kategorie des »ländlichen Raumes« ist anders gefasst als die in diesem Aufsatz verwendete, die der gegebenen administrativen Einteilung folgt.

4 Die entstandene Karte ist also mit der des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung quasi identisch – auch hinsichtlich der Größenklassen. Der einzige Unterschied liegt darin, dass hier mit »0 bis 6« und »6 bis 9« zwei überdurchschnittliche Kategorien gebildet worden sind statt einer großen von »0 bis 9«.

5 Vgl. auch Eichhorn, Lothar / Huter, Jessica, Historische Wurzel des Süd-Nord- und West-Ost-Gefälles, Statistische Monatshefte Niedersachsen 2/2004, S. 50-61.

6 OECD, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hrsg.), PISA 2000 - Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Zusammenfassung zentraler Befunde, Berlin 2002, S. 17, 27, 37.

7 Ausnahmen: Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Krefeld, Duisburg, Düsseldorf, Wuppertal, Remscheid.

8 Das Thüringer Schulgesetz in der Fassung vom 30. April 2003 hat diesen Umstand mittlerweile beseitigt, sodass nun zum Beispiel Gymnasiasten mit Versetzung in die Klassestufe 10 bzw. 11 ein dem Haupt- bzw. Realschulabschluss gleichwertiger Bildungsstand attestiert wird.