:: 3/2005

Regionale Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als Kontinuierlicher VerbesserungsProzess

VGR als KVP

KVP – dieses Kürzel steht in der modernen Betriebswirtschaftslehre für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und beschreibt eine Philosophie, die die ständige Verbesserung von Prozessen und Abläufen zum integralen Bestandteil unternehmerischen Handelns macht. Zur Blüte gelangte dieser Begriff in den 90er-Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts, als die Krise im Verarbeitenden Gewerbe in vielen Unternehmen die Mobilisierung aller Reserven und die optimale Nutzung der Kapazitäten verlangte. Unternehmen wie Porsche und Trumpf stehen stellvertretend für viele Unternehmen, die (auch) dank KVP wieder an wirtschaftliche Erfolgslinien anknüpfen konnten.1

Warum regionale VGR als KVP, gar als KVP2?

Wer die Geschichte der (regionalen) VGR betrachtet, wird nicht umhinkönnen, diese Geschichte als kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu begreifen. Hinter den Revisionen, Erweiterungen und Verbesserungen steht stets das Bemühen, zunächst die an sich komplexe und unübersehbare Wirtschaftswelt überhaupt greifbar zu machen und sie dann in weiteren Schritten abzusichern, zu verfeinern, zu vertiefen – kurz: zu verbessern. Die regionale VGR in Deutschland kann mittlerweile auf eine 50-jährige Geschichte zurückblicken, eine Geschichte, in der vor dem Hintergrund erheblicher wirtschaftlicher und politischer Veränderungen Methoden und Verfahren aufgebaut, modifiziert, angepasst, verworfen und wieder neu aufgebaut wurden, immer mit dem Ziel, das regionale Wirtschaftsgeschehen zutreffend abzubilden und Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Öffentlichkeit zuverlässig und kompetent zu informieren. Vor diesem Hintergrund erscheint die (regionale) VGR durchaus als eine Art institutionalisierter, permanenter Verbesserungsprozess: eben KVP hoch2).

Im Frühjahr 2004 wurde mit einem Festakt das 50-jährige Jubiläum des Arbeitskreises »Volkwirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (AK VGRdL) begangen. Die Historie des AK VGRdL umspannt damit einen Zeitraum, dessen Höhe- und Tiefpunkte hier nur stichwortartig beschrieben werden können: Wirtschaftswunder, Ölkrise, Krise der Weltwirtschaft, Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, Wiedervereinigung, Globalisierung, Gemeinsamer Markt, Euro. Angesichts dieser Dimensionen erscheinen die Anfänge des AK VGRdL geradezu bescheiden. In den ersten Jahren befasste sich der Arbeitskreis vorwiegend mit grundlegenden methodischen Fragen der regionalisierten Berechnung auf Länderebene. Die ersten und nach einheitlichen Standards errechneten Länderergebnisse gab es 1957, es gab jedoch keine gemeinsame Veröffentlichung. Die erste und gemeinschaftliche Veröffentlichung erscheint erst sehr viel später. Im November 1964 veröffentlichte der Arbeitskreis »Sozialproduktsberechnungen der Länder«, die Vorläuferorganisation des AK VGRdL, erstmals gemeinsam die Ergebnisse seiner Arbeit. Unter dem Titel »Das Bruttoinlandsprodukt der kreisfreien Städte und Landkreise in der Bundesrepublik Deutschland 1957 und 1961« wurden die Resultate einer gemeinsamen Kraftanstrengung der Öffentlichkeit präsentiert.

Nach dem Motto »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte« wurde schon damals der nüchterne Tabellenteil um kartografische Darstellungen erweitert. Eine dieser Karten, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Beschäftigten im Jahr 1961, ist diesem Beitrag beigefügt. Die Produktivität wird in Relation zum bundesrepublikanischen Durchschnitt dargestellt, dessen absolute Höhe im Jahr 1961 annähernd 12 800 DM betrug. Die eine Komponente der dargestellten Größe, das Bruttoinlandsprodukt, kann einen Leitfaden für die Abbildung von Veränderungen bieten, beschreibt seine Definition doch die Ziele der Arbeit im Arbeitskreis über Jahrzehnte hinweg zutreffend: Das Bruttoinlandsprodukt ist der Marktwert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Land in einem bestimmten Zeitabschnitt hergestellt werden. Salopp formuliert könnte man auch sagen, die Definition ist das einzige, was in der Arbeit des AK VGRdL über die Jahre konstant geblieben ist. Das BIP selbst, die Art, es zu berechnen, zu regionalisieren und die Widerspiegelung des BIP in seinen verschiedenen Gesichtern – die Verteilung der Einkommen, die Verwendung der produzierten Güter und Dienstleistungen – unterliegt einem kontinuierlichen Veränderungsprozess, immer mit dem Ziel der Verbesserung, zumindest aber der Eliminierung von Schwächen.

Regionale VGR versus nationale VGR

Aus Sicht der Regionalberechnung gilt vor allem einer Nebenbedingung der BIP-Definition ganz besondere Aufmerksamkeit: Das BIP … in einem Land… Während auf nationaler Ebene der Gesamtstaat in den Fokus rückt, sind es aus regionaler Sicht die Bundesländer bzw. die kreisfreien Städte und Landkreise. Durch die divergierende regionale Fokussierung ergeben sich für nationale und regionale VGR gemeinsame, aber auch abweichende Interessen. Gemeinsames Interesse besteht darin, die wirtschaftlichen Aggregate sachlich präzise zu definieren und ihre absolute Größe möglichst exakt zu bestimmen. Für diese Aufgabe sind Informationen in Form von statistischen Basisdaten erforderlich, die die Vorgänge in diesem (Wirtschafts-)Raum und an seinen Grenzen nach einheitlichen Definitionen und Systematiken erfassen. Die Statistischen Landesämter unterstützen diesen Prozess ganz praktisch durch die Durchführung einer Vielzahl statistischer Erhebungen. Die große Gemeinsamkeit nationaler und regionaler VGR wird auch daran erkennbar, dass die Ergebnisse der nationalen Rechnung in der Regel als Eckwerte in die regionale Rechnung eingehen.

Angesichts der unterschiedlichen Ebenen von nationaler und regionaler VGR ergeben sich aber auch unterschiedliche Interessen, denn die regionale VGR wäre eigentlich noch mehr als die nationale VGR auf Informationen zu »grenzüberschreitenden« Transaktionen angewiesen: »In einer hoch entwickelten, arbeitsteiligen Wirtschaft wie der des Bundesgebiets fließen über die Grenzen einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises in der Regel viele Güterströme, die entweder als Vor- oder Enderzeugung (Vorleistungen und Investitionen) der Produktion von Gütern und Leistungen oder als Verbrauchsgüter dem Konsum der Bevölkerung dieser kleinen Regionen dienen. Je kleiner das Gebiet ist, umso weniger decken sich Produktion und Konsum der einzelnen Güterarten und Leistungen.« Damit steht die Ermittlung der regionalen bzw. lokalen Wertschöpfung vor anderen konzeptionellen Problemen als die nationale Berechnung. Aus nationaler Sicht stellt sich vorrangig die Frage, wie die produzierten Werte und Dienstleistungen alle mit ausreichender Qualität erfasst und quantifiziert werden können. Aus regionaler Sicht stellt sich aufgrund des Primats der nationalen Rechnung – die Summe der Länderwerte muss den nationalen Wert ergeben – vor allem in Ermangelung von direkten Informationen zu »grenzüberschreitenden« Transaktionen die Frage der adäquaten regionalen Verteilung. Aus gutem Grund steht daher die Entstehungsrechnung, also die Ableitung des BIP aufgrund der produzierten Güter und Dienstleistungen, die ihrerseits statistisch gut erfasst sind, am Beginn der regionalen Berechnungen.

(West-)Berlin als unabhängige Volkswirtschaft

Ein Beispiel für die Möglichkeiten, die sich für die regionale VGR ergeben, wenn Informationen zu »grenzüberschreitenden« Transaktionen vorliegen, lässt sich in den Annalen des AK VGRdL finden: Es ist die Geschichte der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnungen in (West-)Berlin. Die isolierte und besondere Stellung (West-)Berlins ermöglichte es nämlich, in Teilen eine eigene, unabhängige Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufzubauen, was dazu führte, dass über viele Jahre hinweg – nämlich bis 1990 – die Berliner Eigenberechnungen als eigenständiger Baustein in die Berechnungen des AK VGRdL einflossen.

Das Unternehmen als Schlüssel zur Wirtschaft

Von besonderer Bedeutung für die Regionalisierung ist die Tatsache, dass die Erhebung zentraler, volkswirtschaftlich relevanter Größen in Deutschland am Unternehmen ansetzt. Ein Umstand, an dem sich ein gewisser Interessengegensatz zwischen nationaler und regionaler VGR zeigt, der aber vielleicht gar nicht aufgelöst werden kann, weil bestimmte Angaben sinnvollerweise nur für Unternehmen verfügbar sind. Gleichwohl zieht sich wie ein roter Faden die Frage durch die Geschichte des AK VGRdL, wie Angaben von Unternehmen, die überregional tätig sind, sinnvoll regionalisiert werden können. Die Lösung, die letztendlich von den Ländern im Bereich des Produzierenden Gewerbes mit Ergebnissen nach dem Betriebsschwerpunkt realisiert wurde, wird für so überzeugend gehalten, dass sich der AK VGRdL an dieser Stelle Ergebnisse erlaubt, die von denen der nationalen, nach dem Unternehmensschwerpunkt durchgeführten Berechnung abweichen. Die Frage der Regionalisierung ist damit aber nicht ein für allemal beantwortet. Standen früher technische und methodische Aspekte im Vordergrund, so stellt sich im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung die Frage mit neuen Akzentuierungen.

Wie ist aus volkwirtschaftlicher Sicht beispielsweise damit umzugehen, dass ein Unternehmen für die Lieferung eines (End-)Produkts der einen Tochter an eine andere Tochter interne Preise (Marktpreise?) vereinbart, die niedriger als die Summe der Bruttolöhne und -gehälter der produzierenden Tochter sind. Die derzeitige Verfahrensweise sieht vor, dass die Wertschöpfung des Unternehmens in Anlehnung an die Verteilung der Produktionsfaktoren Arbeit (gemessen an der Bruttolohn- und -gehaltsumme) und Kapital (gemessen an den Investitionen) regionalisiert wird. Welche Wirklichkeit ist nun zutreffender? Die, die den statistischen Definitionen und Konventionen entspricht, oder die, die der Sicht des am Markt agierenden Unternehmens entspricht (noch ganz unabhängig von der Frage, was ein Unternehmen zu einer solch abweichenden Bewertung führt). Die regionale VGR weist möglicherweise einer Region eine Wertschöpfung zu, in der aus Sicht des Unternehmens Verluste entstehen. Diese Frage stellt sich aus Sicht der Regionalrechnung, wo einzelne Unternehmen die Wertschöpfung beeinflussen können, mit größerem Gewicht als in der nationalen Rechnung, wo sich Einzelangaben saldieren können und dadurch ein gewisser Ausgleich entsteht.

Integration der Dienstleistungsstatistik, aber wie?

Die Fragen nach der richtigen Regionalisierung werden vielleicht noch drängender, wenn ein großes Ziel zur qualitativen Verbesserung erreicht ist, die Integration der Dienstleistungsstatistik in das Rechenwerk der regionalen VGR. Obwohl mittlerweile größter Wirtschaftsbereich, fehlen – nationaler wie regionaler – VGR bislang verlässliche, primärstatistische Angaben über große Teile dieses Bereichs, insbesondere im Gebiet der unternehmensnahen Dienstleistungen. Diesem Manko soll mit der Dienstleistungsstatistik abgeholfen werden, die im Zuge der Revision 2005 integriert wird. Die Dienstleistungsstatistik beleuchtet die Wirtschaftsbereiche Verkehr und Nachrichtenübermittlung sowie Grundstückswesen, Vermietung und Dienstleistungen für Unternehmen. Befragt werden Unternehmen, die stichprobenhaft aus dem Unternehmensregister, der zentralen Unternehmensdatei der amtlichen Statistik, ausgewählt wurden.

Es kann an dieser Stelle nicht der Versuch einer Bewertung der Dienstleistungsstatistik unternommen werden, doch zeigt der Integrationsprozess deutlich diejenigen Felder auf, die bearbeitet werden müssen, wenn die Dienstleistungsstatistik für die regionale VGR – und damit für all ihre Nutzer – optimal nutzbar gemacht werden soll.

Eine der zu lösenden Aufgaben resultiert aus der Dynamik des Dienstleistungsbereichs an sich und den unzureichenden Möglichkeiten, diese im Unternehmensregister, das sich im Wesentlichen aus administrativen Quellen speist, abzubilden. Mithin gibt es erhebliche »Streuverluste« durch die Einbeziehung falscher, nicht erhebungsrelevanter Unternehmen und durch wirtschaftssystematische Fehlzuordnungen, deren regionale Wirkung nicht bekannt ist.

Ein weiterer Punkt ergibt sich – wie schon im Produzierenden Gewerbe – durch die Tatsache, dass Unternehmen befragt werden, darunter sehr große Unternehmen wie Deutsche Telekom, Deutsche Post und Deutsche Bahn. Zwar werden einige Kenngrößen, wie Umsätze, tätige Personen, Bruttolöhne und -gehälter sowie Investitionen in diesen größeren Unternehmen länderscharf abgegrenzt erhoben, für die Regionalisierung der volkswirtschaftlich relevanten Wertschöpfung gibt es jedoch bislang keinen direkten, unmittelbar an Betriebsdaten aufbauenden Ansatz.

Ein wenig geliebtes Kind der regionalen VGR: Die FISIM

Ein Beispiel für wechselvolle Entwicklungen mit zurzeit offenem Ende ist der Umgang mit den unterstellten Entgelten für Bankdienstleistungen (Financial Intermediation Services Indirectly Measured (FISIM)). Mit FISIM wird eine Besonderheit des Finanzsektors beschrieben, die darin besteht, dass die Wertschöpfung nicht direkt als Differenz von Einnahmen und Aufwendungen ermittelt werden kann, sondern zum großen Teil aus der Zinsdifferenz zwischen Einlagen und Krediten gewonnen wird.

In den Anfängen des AK VGRdL taucht die FISIM nicht ausdrücklich auf, da sie in der nationalen Rechnung als Vorleistung bzw. im Produktionswert enthalten ist und in den entsprechenden Endgrößen aufgeht und damit implizit regionalisiert wird. Dies ändert sich Ende der 70er-Jahre, als in der nationalen Rechnung in Annäherung an internationale Standards ein getrennter Nachweis der FISIM realisiert wird. Es wird ein virtueller Wirtschaftsbereich definiert, der die den einzelnen Wirtschaftsbereichen bzw. Sektoren nicht zurechenbare FISIM auf sich vereint. Dieser Wirtschaftsbereich wird beim Übergang zum BIP quasi als gesamtwirtschaftliche Vorleistung abgezogen. In diesem Kontext treten dann auch die »unbereinigte« und »bereinigte« Bruttowertschöpfung erstmals in Erscheinung.

Im Zuge der Revision 2005 geht es nun gleichzeitig vorwärts und rückwärts in die Zukunft. Vorwärts heißt, dass die FISIM der Höhe und der Struktur nach in der nationalen Rechnung in Anlehnung an die Vorgaben des ESVG neu bestimmt wird. Rückwärts heißt, dass die FISIM durch die Eingliederung in die wirtschaftszweigbezogene Entstehungsrechnung als eigene Größe wieder aus dem Fokus verschwinden wird. Die regionale VGR ist insofern tangiert, als sich im Rahmen der Revision ein FISIM-bedingter Verteilungseffekt ergeben wird, der derzeit weder in der Höhe noch in der Richtung präzisiert werden kann. Möglicherweise kann diese regionale Komponente überhaupt nicht bestimmt werden, weil der FISIM-Effekt nicht von den anderen Auswirkungen der Revision getrennt werden kann.

Bewältigung wirtschaftssystematischer Umbrüche als Daueraufgabe

Die Integration der FISIM in die Wertschöpfungsberechnungen ist aber nur scheinbar ein Weg zurück. In Wirklichkeit geht die VGR vorwärts, und ein Zurück würde schon daran scheitern, dass die systematische Erfassung und Darstellung der Wirtschaftswirklichkeit damals eine andere war als heute. Die Systematik der Wirtschaftszweige, die am Beginn der Arbeiten des AK VGRdL angewandt wurde, verfolgt einen aus heutiger Sicht zwar formal eleganten, aus dem heutigen Verständnis staatlichen Handelns heraus aber schwer verständlichen Ansatz: Die Kombination von wirtschaftssystematischer und sektoraler Klassifikation in einem gemeinsamen System. Die systematische Klassifikation wirtschaftlicher Einheiten war früher geprägt von der Auffassung, dass Unternehmungen, Staat und Private Haushalte als Träger wirtschaftlicher Tätigkeit charakterisiert werden. Auf der einen Seite steht der Unternehmenssektor mit den Marktproduzenten, auf der anderen Seite stehen die Nicht-Markt-Produzenten. Die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit war dagegen im Vergleich zunächst nur zweitrangig. Diese gewissermaßen zweistufige Klassifikation, die zunächst nach der institutionellen Stellung und dann nach der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit fragte, stand zumindest in etlichen Dienstleistungsbereichen quer zu einer Klassifikation, die so wie heute primär auf die wirtschaftliche Tätigkeit abhebt. Eine öffentliche Schule war unter diesen Bedingungen dem Staat, eine private Schule dem Wirtschaftsbereich Wissenschaft und Bildung zuzuordnen.

Internationale und nationale Entwicklungen setzten diesem Vorgehen ein Ende. Die internationale Entwicklung der VGR ging in die Richtung, die zwei verschiedenen Ebenen – institutioneller Träger einer Einheit und wirtschaftliche Aktivität – getrennt zu differenzieren, die letztlich mit dem ESVG 1995 Einzug in die deutsche VGR fand. Dieser Einzug wurde mit Sicherheit auch dadurch erleichtert, dass die Abgrenzung staatlicher Aktivitäten zunehmend schwerer fällt, da nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch von der öffentlichen Hand ein intensives Outsourcing betrieben wird. In der verschiedensten Art und Weise wird die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in privatrechtlicher Form realisiert. Die Diffusion öffentlicher Aufgaben in andere Organisationsformen hat schon vor Jahren zur Einführung einer neuen Statistik, der Jahresabschlussstatistik öffentlicher Fonds, Einrichtungen und Unternehmen, geführt. Bei dem hohen Gewicht, das einzelne öffentliche Unternehmen haben können, kann für die regionale VGR durchaus im Einzelfall eine Auseinandersetzung mit klassifizierenden Fragestellungen notwendig werden. Von der wirtschaftssystematischen Behandlung des Einzelfalls bis zur Beobachtung der internationalen Diskussion über die Reform der Wirtschaftszweigsystematik, die der regionalen VGR voraussichtlich in der übernächsten Revision mit der neuen NACE die »superstructure« bescheren wird, zieht sich ein ausgedehnter Spannungsbogen, der kontinuierlich qualifizierte Antworten verlangt.

Was wäre wenn …

Die geschilderten Veränderungen (ver-)führen zu der leider nicht beantwortbaren Frage: Wie hoch wäre das BIP, würde man versuchen, es heute mit den gleichen Quellen, Methoden und Verfahren zu bestimmen wie vor 50 Jahren. Im Rahmen von Rückrechnungen wird versucht, Vergleichbarkeit herzustellen. Letztlich sind solche Vergleiche aber genauso fiktiv wie die Berechnung des BIP an sich als eine Abstraktion unendlich vieler Einzelvorgänge. Unschärfen sind unvermeidbar, was Vergleiche aber nicht unmöglich macht. Ohne weiteres möglich sind zum Beispiel relative Gegenüberstellungen, die dem Tenor entsprechen, der sich früher vielfach im »Beipackzettel« der Veröffentlichungen des AK VGRdL gefunden hat. In ihm wird aufgrund der Unschärfen in den Berechnungen davor gewarnt, die Unterschiede, die sich bei der spitzen Gegenüberstellung von Regionen ergeben, überzubewerten. Ihrem Charakter nach sind die Berechnungen eher geeignet, strukturelle Ungleichheiten und Unterschiede im Niveau zutreffend abzubilden, als ein scharfes Ranking zu ermöglichen.

Unter diesem Blickwinkel ist die Darstellung des Bruttoinlandprodukts je Erwerbstätigen nach mehr als 40 Jahren zu verstehen. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass sich durch die Wiedervereinigung die Gebietskulisse erheblich verändert hat und der Durchschnitt für Gesamtdeutschland nun durch eine ganz andere Grundgesamtheit definiert wird, so sind auch so markante Entwicklungen erkennbar. Das gilt selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass das BIP je Erwerbstätigen einen Produktivitätsmaßstab darstellt, der keinen unmittelbaren Bezug zu dem Volumen des in der Region erzeugten BIP hat und durch die Gebietsreformen ein direkter Vergleich von Städten oder Landkreisen in den seltensten Fällen möglich ist.

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die regionalen Kerne heute noch die gleichen sind wie vor über 40 Jahren: das Ruhrgebiet, die Zone Rhein-Main sowie die Regionen im Umfeld der Städte Hamburg, Bremen, Hannover, Stuttgart und München. Die Tatsache, dass die Kerne dieselben geblieben sind, könnte dazu führen, den Sinn und die Effizienz wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu hinterfragen: Wozu der Aufwand, wenn sich nichts verändert hat? Auf den zweiten Blick ist allerdings zu erkennen, dass sich doch vieles verändert hat. Das frühere Kernland im Produzierenden Gewerbe, Nordrhein-Westfalen, ist nicht mehr so dominant wie früher, und im Bereich Rhein-Main sowie in Bayern haben sich neue Regionen nach oben gearbeitet – alles nicht zuletzt auch Ausdruck des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft. Rein nominal betrachtet hat sich die Arbeitsproduktivität in 4 Jahrzehnten vervielfacht: von unter 13 000 DM auf über 54 000 Euro.

Der strukturelle Wandel bei der Entstehung wirtschaftlicher Werte, den die nationale und regionale VGR mit immer weiter verfeinerten Mitteln abzubilden versuchen, ist nur die eine Seite der Medaille. Güter und Dienstleistungen werden nicht nur produziert, sie werden auch konsumiert bzw. sind die Quelle von Einkommen. Diese anderen Seiten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen lagen früher für die Regionalberechnung noch in weiter Ferne: »Die auf Kreisebene verfügbaren statistischen Datengrundlagen erlauben gegenwärtig nur die Ermittlung von der Entstehungsseite her«. Diese Aussage galt für die Kreisberechnungen noch bis weit in die 80er-Jahre. Erst 1995 hat der AK VGRdL erstmals Kreisergebnisse zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte präsentiert.

Auch heute gibt es in der regionalen VGR aufgrund der Datenlage keine geschlossene und abgestimmte 3-Seiten-Rechnung des BIP, die Berechnungen konnten aber so weit verbreitert und verfeinert werden, dass auf Länderebene alle zentralen Größen dargestellt werden können. Auf der Kreisebene wurden die Berechnungen so ausgeweitet und verbessert, dass auf der Verteilungsseite das Arbeitnehmerentgelt sowie die Bruttolöhne und -gehälter bis hin zum verfügbaren Einkommen ermittelt werden können. Bei den strukturpolitisch wichtigen Investitionen rechnen zumindest einzelne Länder bis zur Kreisebene.

Vergleicht man die regionale VGR von heute mit der vor 50 Jahren, so sind die regionalen Berechnungen nicht nur tief gehender, sondern auch schneller geworden. So zeigt sich der Fortschritt nicht nur an den methodischen Veränderungen, sondern auch an der (informationstechnischen) Entwicklung; mancher methodische Schritt nach vorn wäre ohne neue Technik vielleicht gar nicht möglich gewesen.

Gerade in einem arbeitsteiligen Produktionsprozess wie der regionalen VGR, die mit quasi immateriellen Zwischen- und Endprodukten operiert, kommen die technischen Möglichkeiten von Internet, E-Mail und Vernetzung voll zur Geltung. Von dieser Entwicklung profitieren interne Vorgänge genauso wie die externen Beziehungen zu den verschiedensten Kunden- und Nutzerkreisen. Letztlich führt dies dazu, dass die Ergebnisse der regionalen VGR mit der entsprechenden Ausstattung weltweit mit einem einzigen Mausklick zu erreichen sind: www.vgrdl.de2)

1 Der Beitrag wurde verfasst für die Festschrift »Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in Deutschland – Von der Vision zur Realität« zum 90. Geburtstag von Frau Dr. Hildegard Bartels.

2 Weiterführende und verwendete Literatur: Günter Kopsch: Kreditinstitute in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen; Wirtschaft und Statistik, Heft 1/1987. Monika Kühn/Klaus Voy: Das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) aus regionaler Sicht; Berliner Statistik, Heft 12/2003. K. Voy: Die Systematik der Wirtschaftszweige (WZ 1961, 1970 und 1979); Berliner Statistik, Heft 7/2002. Mankiw, Gregory: Grundzüge der Volkwirtschaftslehre, 2001. Gemeinschaftsveröffentlichungen des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (früher: »Sozialproduktsberechnungen der Länder«).