:: 8/2005

Stationäre Krankenhausversorgung und demografische Entwicklung1

Ein wichtiger Einflussfaktor des zukünftigen Bedarfs an stationären Versorgungsleistungen in Krankenhäusern ist die demografische Entwicklung, also die Veränderung von Gesamtzahl und Altersstruktur der Bevölkerung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Es ist absehbar, dass die demografische Entwicklung zu einer starken Veränderung des stationären Versorgungsbedarfs führen wird. So dürfte vor allem die Alterung der Bevölkerung eine erhebliche Steigerung des stationären Versorgungsbedarfs bewirken. Geht man von den heutigen Morbiditätsverhältnissen aus, dann wird insbesondere der stationäre Versorgungsbedarf bei Kreislauf- und Tumorerkrankungen beträchtlich zunehmen.

Demografische Entwicklung könnte Fallzahl und Behandlungstagevolumen stark steigen lassen

Die Wirkung der demografischen Entwicklung auf den Bedarf an stationärer Krankenhausversorgung wird im Folgenden durch die Veränderung von zwei Indikatoren beschrieben: die Zahl der Behandlungsfälle und die Zahl der Behandlungstage. Die dargestellten Entwicklungsverläufe sind das Ergebnis einer so genannten Status-quo-Vorausrechnung (siehe i-Punkt). Die Veränderungen von Fallzahl und Behandlungstagevolumen geben also lediglich die isolierte Wirkung der demografischen Entwicklung auf den Bedarf an stationärer Versorgung wieder. Keinesfalls dürfen diese Entwicklungsverläufe deshalb als Prognose der tatsächlichen Bedarfsentwicklung interpretiert werden. Diese wird neben der Bevölkerungsentwicklung noch von einer Vielzahl anderer Einflussfaktoren bestimmt. Trotzdem ist das Wissen um den Effekt, den die demografische Entwicklung auf den Versorgungsbedarf ausübt, von großer Bedeutung: Es wird damit deutlich vor Augen geführt, vor welche Herausforderungen das Gesundheitssystem durch die Bevölkerungsentwicklung – insbesondere durch die Alterung – gestellt wird.

Die Status-quo-Vorausrechnung führt zu dem Ergebnis, dass die demografische Entwicklung die Zahl der stationären Behandlungsfälle in Baden‑Württemberg bis 2030 auf 2,3 Mill. steigen lässt. Gegenüber 2002, als in den Baden‑Württembergischen Krankenhäusern 1,9 Mill. Behandlungsfälle registriert wurden, entspräche dies einer Zunahme um immerhin knapp 25 % (vgl. Schaubild 1, Tabelle). Dieser Effekt der demografischen Entwicklung auf den Versorgungsbedarf würde allerdings nur dann Realität werden, wenn die übrigen Einflussfaktoren des stationären Versorgungsbedarfs, beispielsweise die medizinischen Behandlungsmethoden, auf dem Stand von 2002 verharren würden. Da dies wenig wahrscheinlich ist, stellt die Zunahme der Fallzahl um 25 % bis 2030 keine Prognose dar. Sie beschreibt lediglich, wie sich die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung und das demografische Altern auf die absolute Zahl der Behandlungsfälle und auf die so genannten Prävalenzen2 in Zukunft auswirken könnten.

Die Gesamtprävalenzrate würde von 177 stationären Behandlungsfällen je 1 000 Einwohner im Jahr 2002 auf 210 Fälle steigen, was einer Erhöhung um knapp 19 % entspricht. Diese Steigerungsrate ist ausschließlich auf den demografischen Alterungsprozess zurückzuführen. Das heißt, rund vier Fünftel des Gesamtanstiegs von 25 % bei der Fallzahl geht auf das Konto der demografischen Alterung. Das verbleibende Fünftel wird auf die für Baden‑Württemberg erwartete Bevölkerungszunahme zurückzuführen sein.

Bei den Hochbetagten nimmt die Zahl der Behandlungsfälle besonders stark zu

Vor allem in den höheren Altersklassen dürfte die Zahl der stationären Behandlungsfälle bis 2030 demografiebedingt sehr stark zunehmen. Unter den Annahmen der Vorausrechnung, steigen die Fallzahlen gegenüber 2002 bei den

60- bis unter 70-Jährigenum41 %
70- bis unter 80-Jährigenum58 %
80- bis unter 90-Jährigenum82 %
über 90-Jährigenum141 %

Dagegen ist bei den 40- bis unter 60-Jährigen lediglich mit einer Zunahme der Behandlungsfälle um 6 % zu rechnen. Bei den unter 20-Jährigen sowie bei den 20- bis unter 40-Jährigen könnte die Zahl der Behandlungsfälle sogar um jeweils rund 15 % sinken.

Im Jahr 2002 waren in Baden‑Württemberg knapp 47 % aller stationären Patienten 60 Jahre alt oder älter. Allein aufgrund des demografischen Effekts wird sich deren Anteil bis 2030 wohl auf 60 % erhöhen (vgl. Schaubild 2). Besonders stark dürfte dabei der Anteil der 80-Jährigen und Älteren steigen. 2002 zählte etwa jeder achte Krankenhauspatient zu dieser Altersgruppe, im Jahr 2030 wird es jeder sechste, vielleicht sogar jeder fünfte sein.

Behandlungstagevolumen könnte demografisch bedingt bis 2030 um 30 % steigen

Auf der Grundlage der vorausgerechneten Fallzahlen würde sich für das Jahr 2030 ein Behandlungstagevolumen von 23,8 Mill. Tagen in Baden‑Württemberg ergeben. Das entspräche gegenüber dem Jahr 2002 einer Zunahme von rund 30 %. Die im Vergleich zur Fallzahl stärkere Steigerung des Behandlungstagevolumens ist auf einen leichten Anstieg der durchschnittlichen Behandlungsdauer zurückzuführen, die sich im Rahmen der Modellrechnung von knapp 10 Tagen im Jahr 2002 auf über 10 Tage im Jahr 2030 erhöht.

Analog zur Veränderung der Häufigkeit der Behandlungsfälle lässt sich die Zunahme der durchschnittlichen Behandlungsdauer um gut 5 % als Effekt der Alterung der Behandlungsfälle deuten. Die gegenüber dem Anstieg der Prävalenz vergleichsweise geringe Zunahme der durchschnittlichen Behandlungsdauer macht deutlich, dass die demografische Alterung der Patienten nicht maßgebend für den Anstieg des Behandlungstagevolumens ist. Mehr als 80 % seiner Zunahme lässt sich nämlich auf den starken Anstieg der absoluten Zahl der Behandlungsfälle zurückführen. Während die Alterung der Bevölkerung also zu einem starken Anstieg der Fallhäufigkeit führen dürfte, wird sich der Effekt, den die Alterung der Behandlungsfälle, also der Patienten, auf die durchschnittliche Behandlungsdauer hat, vermutlich in engen Grenzen halten.

Die Veränderungsraten des Behandlungstagevolumens in den einzelnen Altersklassen entsprechen weit gehend den Zuwachsraten der Behandlungsfälle. Deren alterspezifische Unterschiede finden sich damit auch bei den Behandlungstagen wieder. Demnach dürfte es zu deutlichen altersspezifischen Verschiebungen bei der Verteilung des Behandlungstagevolumens nach dem Alter der Behandlungsfälle kommen. Der Anstieg bei den 60-jährigen und älteren Patienten auf 15,8 Mill. Behandlungstage bis 2030 würde zu einer Anteilserhöhung von 55 % auf 66 % führen. Beim Anteil der unter 40-Jährigen würde sich dagegen ein Rückgang von 23 % auf gerade noch 16 % im Jahr 2030 ergeben.

Deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Insbesondere in den höheren Altersklassen unterscheidet sich die Entwicklung des stationären Versorgungsbedarfs zwischen den Geschlechtern erheblich. Generell werden Fallzahl und Behandlungstagevolumen bei den Männern stärker steigen als bei den Frauen. Je höher das Alter, desto ausgeprägter sind diese Unterschiede. Bei den 60- bis unter 70-Jährigen weichen die geschlechtsspezifischen Veränderungsraten noch kaum voneinander ab: Bei den Männern beträgt die voraussichtliche Zunahme sowohl bei der Fallzahl als auch beim Behandlungstagevolumen 43 %, bei den Frauen 39 % (vgl. Schaubild 3). In den höheren Altersklassen ist dieser Unterschied stärker ausgeprägt und erreicht bei den 90-Jährigen und Älteren sein Maximum. Hier steigen Fallzahl und Behandlungstagevolumen demografiebedingt um 245 % bei den Männern, während die beiden Größen bei den Frauen »lediglich« um 103 % zunehmen. In diesen Unterschieden spiegelt sich die voraussichtliche demografische Entwicklung wider. Die Zahl der hochbetagten Männer wird vermutlich sehr viel stärker zunehmen als die der Frauen. Der Grund dafür ist in erster Linie darin zu suchen, dass im Vorausrechnungszeitraum bei den Männern erstmals eine Alterskohorte das Hochbetagtenalter erreichen wird, die nicht mehr aktiv am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat.

Bei der Bewertung der enormen Veränderungsraten in der höchsten Altersklasse ist allerdings zu bedenken, dass sich der Anteil der 90-Jährigen und Älteren an der gesamten Zahl der Behandlungsfälle und an den Behandlungstagen trotz der hohen Zunahmen auch noch im Jahr 2030 auf einem relativ niedrigen Niveau bewegen dürfte. Das Plus von knapp 50 000 Behandlungsfällen und knapp 600 000 Behandlungstagen würde lediglich eine Zunahme des Anteils dieser Altersklasse an den beiden Größen von jeweils 2 % im Jahr 2002 auf 4 % im Jahr 2030 bewirken.

Die starken geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Entwicklung des stationären Versorgungsbedarfs in den hohen Altersklassen schlägt sich auch bei den Gesamtzahlen nieder. Die Gesamtzahl der männlichen Behandlungsfälle über alle Alterklassen steigt unter den Annahmen der Status-quo-Vorausrechnung zwischen 2002 und 2030 um 33 % und das Behandlungstagevolumen, das auf männliche Patienten entfällt, um 39 %. Die Zahl der weiblichen Behandlungsfälle dürfte in diesem Zeitraum dagegen lediglich um knapp 18 % und das entsprechende »weibliche« Behandlungstagevolumen um knapp 24 % zunehmen.

Bei den 40- bis 60-Jährigen dürfte die Fallzahl bereits 2015 ihren Höchststand erreichen

Sieht man von den geschlechtsspezifischen Unterschieden ab, so stellt man fest, dass die Entwicklung sowohl bei der Gesamtzahl der Behandlungsfälle als auch beim gesamten Behandlungstagevolumen im Zeitablauf sehr gleichmäßig ist. Beide Größen dürften von 2002 bis 2030 stetig zunehmen, sodass im Jahr 2010 bei der Fallzahl das demografiebedingte Plus gegenüber 2002 bei 9 % und im Jahr 2020 schon bei 18 % liegen würde. Lediglich in der letzten Vorausrechnungsdekade wird sich wahrscheinlich der Trend leicht abschwächen, sodass sich bis 2030 das Gesamtplus von 25 % gegenüber 2002 ergibt.

Entsprechend, aber auf höherem Niveau, verläuft die Entwicklung des Behandlungstagevolumens. Bis zum Jahr 2010 dürfte es um 11 % wachsen, im Jahr 2020 beträgt das Plus auf der Grundlage der Vorausrechnung gegenüber 2002 dann rund 22 %. Nach einer Trendabschwächung würde sich im Jahr 2030 die demografisch bedingte Zunahme des gesamten Behandlungstagevolumens gegenüber 2002 auf 30 % belaufen.

In den einzelnen Altersklassen findet jedoch lediglich bei den unter 20-Jährigen eine kontinuierliche Entwicklung der Fallzahl und des Behandlungstagevolumens statt. In den übrigen Altersgruppen verlaufen die Entwicklungen dagegen weniger stetig und die Verläufe weichen auch erheblich voneinander ab. Bei den 20- bis unter 40-Jährigen nehmen die Fallzahl und das Behandlungstagevolumen bis 2010 stark ab, stagnieren aber zwischen 2010 und 2020. Nach 2020 kommt es dann zu einem erneuten kräftigen Rückgang von Fallzahlen und Behandlungstagevolumen. Eine völlig andere Entwicklung zeigt sich bei den 40- bis unter 60-Jährigen. Für den gesamten Vorausrechnungszeitraum lässt sich in dieser Altersklasse zwar nur eine Zunahme der Fallzahl um 5 % und des Behandlungstagevolumens um 6 % feststellen, diese geringen Veränderungsraten verdecken jedoch, dass beide Größen 2015 ihr Maximum erreichen werden und dann um rund ein Viertel über dem Niveau von 2002 liegen. In der Folgezeit dürfte es dann zu einem starken Rückgang der Fallzahl und des Behandlungstagevolumens in dieser Altersklasse kommen.

Bei den höheren Altersklassen lässt sich über den gesamten Vorausrechnungszeitraum eine steigende Tendenz sowohl bei den Fallzahlen als auch beim Behandlungstagevolumen beobachten, und je höher die Altersklasse ist, desto stärker fällt der Anstieg aus. Allerdings verläuft die Zunahme in der Regel nicht kontinuierlich. Vereinzelt kann es sogar zu Phasen kommen, in denen die Fallzahl oder das Behandlungstagevolumen in den einzelnen Altersgruppen stagnieren oder zurückgehen. So stellt sich bei den 80- bis unter 90-Jährigen nach 2020 kein weiterer Anstieg der beiden Größen ein, bei den 70- bis unter 80-Jährigen ergibt sich in der Vorausrechnung sogar zwischen 2015 und 2020 eine leichte Abnahme der Fallzahlen und des Behandlungstagevolumens.

Auswirkungen der demografischen Entwicklung machen weitere Reformen notwendig

Obwohl es in einzelnen Krankheitsgruppen zu einem Rückgang des stationären Versorgungsbedarfs aufgrund der demografischen Entwicklung kommen dürfte, bewirkt die demografische Entwicklung generell eine sehr starke Zunahme des Versorgungsbedarfs. Die zukünftige Entwicklung des Versorgungsbedarfs hängt aber – wie mehrfach erwähnt – nicht nur von der demografischen Entwicklung ab, sondern von einer Vielzahl anderer Einflussgrößen, die die Fallhäufigkeit und die durchschnittliche Behandlungsdauer beeinflussen. Damit besteht aber auch die Möglichkeit, den unerwünschten Effekten der demografischen Entwicklung auf den stationären Behandlungsbedarf entgegenzuwirken. In Anbetracht der demografischen Entwicklung wird es noch stärker als in der Vergangenheit notwendig sein, durch die Ausnutzung des medizinisch-technischen Fortschritts, die Schaffung einer integrierten Gesundheitsversorgung und die Setzung von bedarfsmindernden Anreizen für die Akteure die Effizienzreserven im System der Gesundheitsversorgung auszuschöpfen. Nur so lässt sich ein hohes Versorgungsniveau bei einer stark alternden Bevölkerung dauerhaft sicherstellen.

1 Die Langfassung des Beitrags ist erschienen in: Staatsministerium Baden‑Württemberg (Hrsg.), 2005: Einfluss der demografischen Entwicklung auf die Pflege- und Krankenhausversorgung, Trends und Fakten 2004.

2 Unter Prävalenz versteht man in der medizinischen Statistik den Bevölkerungsanteil, der eine bestimmte Krankheit aufweist. Die Prävalenzrate wird bestimmt durch die Zahl der Erkrankten, eine Gruppe im Verhältnis zur Personenzahl derselben Gruppe.