:: 10/2005

Weniger Ausbildungsverträge aufgelöst als vor 3 Jahren

Gegenwärtig wird jedes sechste Ausbildungsverhältnis vorzeitig beendet. Die längerfristige Betrachtung der im dualen System der Berufsausbildung vorzeitig beendeten Lehrverträge zeigt, dass hierbei auch die allgemeine Situation auf dem Lehrstellenmarkt und die Beliebtheit der Ausbildungsberufe eine Rolle spielt. In den 80er-Jahren lag die Lösungsquote noch wesentlich niedriger als zu Beginn der 90er-Jahre; seither hat die Schwankungsbreite auf höherem Niveau abgenommen.

Beim Vergleich der Ausbildungsbereiche (Industrie und Handel, Handwerk usw.) ergeben sich bereits große Unterschiede hinsichtlich der Lösungshäufigkeit, die sich bei Differenzierung nach Regionen und nach einzelnen Ausbildungsberufen noch verstärkt zeigen. Die Häufigkeit der vorzeitigen Vertragslösungen sagt über den Gesamtausbildungserfolg im dualen System relativ wenig aus. Vermutlich scheitert nur etwa jede(r) siebte Auszubildende dauerhaft im dualen System, da vielen Vertragsbeendigungen ein neuer Vertrag mit einem anderen Ausbilder bzw. in einem anderen Ausbildungsberuf folgt. Das Verhältnis zwischen Ausbildungsanfängern und erfolgreichen Absolventen stellt sich jedenfalls in der dualen Berufsausbildung günstiger dar als an Hochschulen.

Die Häufigkeit, mit der Ausbildungsverträge vor dem normalen Fristablauf beendet werden, ist ein wichtiger Indikator für das Prestige und die Wertschätzung, die die Ausbildungsberufe genießen. Generell ist das Vertragsverhältnis im dualen System ein öffentlich-rechtliches, für das der Staat im Berufsbildungsgesetz 1(BBiG) und in den Ausbildungsordnungen sehr weit gehende Vorgaben macht. In § 22 BBiG sind die Bedingungen und die Fristen für die Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses festgelegt:

  • Während der Probezeit, die zwischen einem und vier Monat(en) dauern kann, ist eine Kündigung von beiden »Vertragsparteien« jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich.
  • Nach der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von 4 Wochen gekündigt werden, wenn die Berufsausbildung aufgegeben oder eine andere Berufstätigkeit angestrebt wird.
  • Von beiden Seiten kann das Berufsausbildungsverhältnis außerdem bei Vorliegen eines »wichtigen Grundes« ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden.

Im Rahmen der Berufsbildungsstatistik kann ermittelt werden, wie viele Kündigungen in der Probezeit und nach der Probezeit erfolgen. Eine Differenzierung der späteren Kündigungen nach dem Veranlasser und dem Grund der Kündigung ist nicht möglich, da dies nicht zu den in § 88 BBiG festgelegten Erhebungstatbeständen gehört.

Ausbildungssituation beeinflusst Häufigkeit der Vertragslösungen

Die absolute Zahl der vorzeitigen Ausbildungsvertragslösungen zeigt im Zeitverlauf starke Schwankungen, die nur zum Teil auf unterschiedlich starke Ausbildungsjahrgänge zurückzuführen sind (Tabelle 1).

Die relative Häufigkeit der Vertragslösungen2 hat sich zwischen 1980 und dem Beginn der 90er-Jahre in etwa verdoppelt, danach war sie bis zu Ende der 90er-Jahre eher rückläufig, um dann bis 2001 erneut zu steigen. Beide »Höhepunkte« der Vertragslösungshäufigkeit waren gleichzeitig Phasen mit vergleichsweise guter Lehrstellenversorgung, sodass Bewerber nach einer Kündigung des Ausbildungsvertrages gute Chancen hatten, ihre Ausbildung in einem anderweitigen Lehrverhältnis – sei es im gleichen oder in einem anderen Beruf – fortsetzen zu können. Dies gilt in besonderem Maße für 1991 und 1992: Damals waren bei der Arbeitsverwaltung mehr als doppelt so viele Lehrstellen wie Bewerber gemeldet. Seit 2002 ist die Vertragslösungshäufigkeit wieder tendenziell rückläufig, was sicher auch auf die sich verschlechternde Lage auf dem Ausbildungsmarkt zurückzuführen ist.

Gegenwärtig wird jedes sechste Ausbildungsverhältnis vorzeitig beendet

Seit 2002 wird die Quote der vorzeitigen Vertragslösungen nach einem verfeinerten Verfahren errechnet (i-Punkt). Danach sank die Quote der »Abbrüche« binnen 3 Jahren um fast 2 Prozentpunkte:

  • 2002 19,4 %
  • 2003 18,8 %
  • 2004 17,6 %.

Diese Werte sind arithmetische Mittelwerte über alle Ausbildungsbereiche hinweg. Wie Tabelle 2 illustriert, bestehen zwischen den einzelnen Bereichen allerdings erhebliche Unterschiede: Die Vertragslösungsquote im Handwerk ist mit 21,7 % mehr als dreimal so hoch wie im öffentlichen Dienst (6,0 %), wo der in diesem Bereich meist gewählte Beruf des/der Verwaltungsangestellten sogar nur eine Lösungsquote von gut 2 % aufweist. Auch bei regionaler Betrachtung von Industrie und Handel sowie des Handwerks zeigen sich innerhalb dieser Bereiche erhebliche Unterschiede. Vereinfachend könnte man aus den regionalen Ergebnissen den Schluss ziehen, dass eher ländlich geprägte Kammerbezirke stabilere Lehrverhältnisse aufweisen als Bezirke mit hoch verdichteten Gebieten. Auffallend ist jedenfalls, dass der Kammerbezirk »Heilbronn« sowohl beim Handwerk als auch im IHK-Bereich die niedrigste Lösungsquote verzeichnet.

Kaufmännische Ausbildungsberufe stärker betroffen

In den beiden quantitativ wichtigsten Ausbildungsbereichen »Industrie und Handel« sowie »Handwerk« sind die kaufmännischen Berufe in ihrer Gesamtheit stärker von Vertragslösungen betroffen als die gewerblichen bzw. handwerklichen. Dies muss jedoch durch eine Differenzierung nach Berufen relativiert werden: In den Ausbildungsberufen des Hotel- und Gaststättengewerbes (Hotel- und Restaurantfachleute, Köche) wird teilweise mehr als ein Drittel aller Ausbildungsverträge vorzeitig beendet. Auch die angehenden Kaufleute im Einzelhandel, die Verkäuferinnen im Handel und die Fachverkäuferinnen im Nahrungsmittelhandwerk brechen ihre Lehre relativ häufig ab. Dagegen sind es bei den Bankkaufleuten nur etwa 4 %.

Der Ausbildungsbereich »Landwirtschaft« verzeichnet zwar mit 19,2 % eine überdurchschnittliche Lösungsquote – dies ist vor allem auf die Gärtnerlehrlinge zurückzuführen –, im eigentlichen Landwirtsberuf liegt die Lösungsquote jedoch bei lediglich 8 %. Eine ähnliche Differenzierung erscheint für den Bereich »Freie Berufe« angezeigt: Hier signalisieren die Lösungszahlen in Relation zu den Neuabschlüssen für die Arzthelferinnen sehr viel beständigere Ausbildungsverhältnisse als für Rechtsanwalts-, Steuer- und Zahnmedizinische Fachangestellte. Im Ausbildungsbereich »Hauswirtschaft« entspricht die relative Häufigkeit der Vertragslösungen dem Landesdurchschnitt aller Ausbildungsberufe, wobei die häufige Fluktuation im Beruf »Hauswirtschafter/-in« (städtischer Bereich) durch die größere Beständigkeit der Hauswirtschaftshelferinnen ausgeglichen wird.

Frauen lösen Ausbildungsvertrag häufiger als Männer

Insgesamt werden die mit weiblichen Lehrlingen abgeschlossenen Verträge zu gut 19 % gelöst, während es bei den männlichen Lehrlingen nur knapp 17 % sind. Exaktere Aussagen sind hierzu nicht möglich, da die Lösungen in der Probezeit und die Lösungen nach Ausbildungsjahren nicht getrennt für Männer und Frauen erhoben werden. Bei der Gegenüberstellung von Lösungen und NAV als Ersatzmethode ist zu berücksichtigen, dass die sich für das weibliche Geschlecht ergebende höhere Lösungsquote im Landesdurchschnitt vor allem auf einem Struktureffekt beruht: Frauen sind in quantitativ bedeutsamen kaufmännischen Berufen mit hoher Lösungsquote fast durchweg deutlich überrepräsentiert. Gewissermaßen kompensiert wird dies allerdings durch die im Vergleich zu den männlichen Auszubildenden erfolgreicheren Abschlussprüfungen.

Wechsel der Ausbildung oder dauerhafter Abbruch?

Die Gründe für die vorzeitige Beendigung von Ausbildungsverhältnissen und der anschließende Verbleib der »Abbrecher« werden im Rahmen der Berufsbildungsstatistik nicht erhoben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kündigung in der Regel von den Auszubildenden ausgeht. Dafür spricht unter anderem die Zunahme der Vertragslösungen bei günstiger Lehrstellensituation. Im Berufsbildungsbericht 20043 werden als Gründe für das langfristig eher steigende Vertragslösungsniveau etwa das höhere Alter der Auszubildenden und die bessere schulische Vorbildung der Jugendlichen genannt. Der hohe Anteil von Vertragslösungen in der Probezeit wird zu einem erheblichen Teil auf nicht erfüllte Erwartungen zurückgeführt. Die im Rahmen der Ausbildungsplatzoffensive 2004 eingeführten Praktika von 6 bis 12 Monaten können dazu beitragen, falsche Erwartungen auf beiden Seiten abzubauen.

Zur Beantwortung der Frage, inwieweit die Vertragslösungen etwas über den Gesamterfolg der Ausbildung im dualen System aussagen, eignet sich am ehesten die Gegenüberstellung von Ausbildungsanfängern und Prüfungsabschlüssen (Schaubild). Unterstellt man einen time-lag von 3 Jahren, so kommt man für die Zeit ab 1990 regelmäßig auf eine Erfolgsquote um die 85 % (+/- 2 Prozentpunkte). Damit dürfte die Erfolgsquote im dualen System deutlich höher als im Hochschulbereich liegen und in etwa derjenigen an den (ebenfalls dualen) Berufsakademien entsprechen.

Differenziert man in der Gegenüberstellung von Ausbildungsanfängern und -absolventen nach Geschlecht, so erhält man für die weiblichen Auszubildenden eine fiktive Erfolgsquote, die immer nahe bei der männlichen Quote liegt, aber meist geringfügig darüber. Damit dürfte sicher sein, dass die etwas höhere Lösungsquote der weiblichen Auszubildenden durch den größeren Erfolg in der Abschlussprüfung zumindest kompensiert wird.

1 Siehe Artikel 1 des Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung vom 23. März 2005 (BGBL. I S. 931 ff.).

2 In der letzten Spalte von Tabelle 1 ist eine (vereinfachte) Vertragslösungsquote dargestellt, indem die vorzeitig gelösten Ausbildungsverhältnisse eines Jahres zu den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (NAV) des gleichen Jahres in Beziehung gesetzt werden. Da die NAV in der amtlichen Statistik zum Stichtag 31. Dezember nur insoweit erfasst werden, als sie zu diesem Zeitpunkt noch bestanden, wird die Bezugszahl – soweit möglich – um die Lösungen in der Probezeit erweitert, da diese in aller Regel bei den NAV nicht enthalten sind.

3 Berufsbildungsbericht 2004, Hrsg.: Bundesministerium für Bildung und Forschung; Bonn, Berlin, S. 85.