:: 10/2005

Grenzgänger in der Bodenseeregion

EURES ist ein europaweites Netzwerk von Arbeitsverwaltungen und Sozialpartnern zur Förderung von Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. EURES-Bodensee hat zum Ziel, die Bedingungen für die Arbeitsmobilität im internationalen Bodenseeraum zu verbessern. Wichtig dabei ist die Beobachtung der Datenlage: Wie viele Personen pendeln täglich zur Arbeit in die jeweiligen Nachbarländer? Der vorliegende Beitrag beschreibt den Stand und die Entwicklung der Grenzgängerströme in der Bodenseeregion seit Beginn der 90er-Jahre.

Die Besonderheit an diesem Artikel ist, dass er auf einer Vielzahl von Statistiken beruht. Damit ein möglichst konsistentes Bild der Grenzgänger gezeichnet werden kann, ist die Basis das Jahr 2001. Dadurch können die Daten der Volkszählungen in Österreich und der Schweiz mit einbezogen werden. Ermöglicht wurde dieser Artikel durch die Unterstützung des grenzüberschreitenden statistischen Fachgremiums, das im Rahmen des Projekts »Statistisches Arbeitsmarktmonitoring« tätig ist. Statistische Institutionen rund um den See sind in diesem Gremium vertreten. Mehr Informationen sind zu finden unter (www.statistik.euregiobodensee.org).

Über 35 000 Personen pendelten in der Bodenseeregion über die Staatsgrenzen hinweg zu ihrem Arbeitsort. Dies bedeutet, dass fast 1,8 % aller Beschäftigten in der Region Grenzgänger waren. Dieser Anteil Grenzgänger ist deutlich höher als der Durchschnitt aller westeuropäischen Grenzregionen (1,4 %). Vor allem das Fürstentum Liechtenstein und der schweizerische Teil der Bodenseeregion sind bevorzugte Ziele für einpendelnde Grenzgänger (vgl. Schaubild 1 und Tabelle). Deutlich wird dabei, dass der Bodensee als verbindendes Element der Region zugleich ein natürliches Mobilitätshindernis darstellt.

Die Entwicklung der Grenzgängerzahlen verlief in den verschiedenen Ländern keineswegs homogen. Die schweizerische Bodenseeregion verzeichnete einen Rückgang der Grenzgängerzahlen, während in Liechtenstein die Anzahl der beschäftigten Grenzgänger stetig zunahm (Schaubild 2).

Ein Auf und Ab der Berufspendlerei im schweizerischen Teil der Bodenseeregion

Verglichen mit dem gesamtschweizerischen Durchschnitt an grenzüberschreitenden Berufspendlern von 4 % ist die Beschäftigung von Grenzgängern in der Bodenseeregion deutlich niedriger. Mit Basel Stadt, Basel Land, Tessin und Genf gibt es Kantone, die einen sehr hohen Grenzgängeranteil haben. Nicht zuletzt ist – wie bereits erwähnt – der Bodensee ein natürliches Mobilitätshindernis. So gibt es nur sehr wenige Einpendler aus den deutschen Landkreisen Ravensburg und dem Bodenseekreis in die Schweiz.

Die Anzahl der Einpendler verringerte sich zwischen 1990 und 2001 in der schweizerischen Bodenseeregion um fast ein Drittel. Besonders stark war der Rückgang zwischen 1990 und 1994. Nachdem 1999 der Tiefpunkt erreicht wurde, stiegen die Einpendlerzahlen in die Schweiz wieder an. Dabei unterscheidet sich die Entwicklung der Grenzgängerbeschäftigung im Kanton Zürich von der in den übrigen ostschweizerischen Kantonen. In den ostschweizerischen Kantonen war die Entwicklung relativ homogen. Zwischen 1990 und 1999 verzeichnete die Ostschweiz (ohne Glarus, Graubünden) einen Rückgang der Einpendler um fast die Hälfte. Ab 1999 wuchs zwar die Zahl der Einpendler, lag aber 2001 immer noch um vier Zehntel unter dem Stand von 1990. Verglichen mit der gesamten Schweiz war der Rückgang der Grenzgängerzahlen in den ostschweizerischen Kantonen deutlich ausgeprägter, er folgte aber dem gleichen negativen Trend. Den stärksten Rückgang an Grenzgängern verzeichnete der Kanton Thurgau. Pendelten im Jahr 1990 noch fast 6 200 Personen in den Kanton Thurgau, so waren es 2001 nur noch die Hälfte.

Dafür hat die Grenzgängerbeschäftigung im Kanton Zürich zugenommen. Dieser setzt sich damit deutlich von der allgemeinen Entwicklung ab. Zwischen 1990 und 2001 verbuchte der Kanton Zürich sogar einen Zuwachs von fast 3 400 auf über 4 100 Personen (+ 22 %). Insgesamt verlief die Entwicklung im Kanton Zürich für die Schweiz atypisch. Zunächst stieg die Grenzgängerzahl zwischen Anfang der 90er-Jahre entgegen dem schweizerischen Trend, entwickelte sich jedoch anschließend – ähnlich wie in den anderen ostschweizerischen Kantonen – rückläufig, um dann vor allem zwischen 1999 und 2001 wieder deutlich und stärker als in der gesamten Schweiz zuzulegen.

In allen Kantonen dominiert der sekundäre Sektor.1 Zu bemerkenswerten Zuwächsen kam es im Kanton Zürich allerdings nur im tertiären Sektor2 (+ 75 %). Der Wirtschaftszweig mit den zweitmeisten Grenzgängern ist der Handel. Auch diese Branche entwickelte sich in den Kantonen recht unterschiedlich. Der Kanton St. Gallen erlebte Anfang der 90er-Jahre einen starken Rückgang der im Handel beschäftigten Grenzgänger, während die Kantone Thurgau und Schaffhausen im Jahr 1991 noch starke Zunahmen hatten. Neuerdings gewinnt im Kanton Zürich die Gesundheitsbranche für Grenzgänger an Bedeutung (Schaubild 3).

Jeder zweite Beschäftigte in Liechtenstein ist Grenzgänger

Im Jahr 2001 gab es in Liechtenstein insgesamt 29 000 Beschäftigungsfälle. Unter diesen ist der Anteil der Grenzgänger außerordentlich hoch, denn über 13 000 Personen pendelten über die Staatsgrenzen in das Fürstentum. Der Großteil kommt aus Vorarlberg (6 841), gefolgt von St. Gallen (4 578). Aus anderen Kantonen stammen weitere 856 Grenzgänger. Aus Deutschland pendeln allerdings nur 357 Personen nach Liechtenstein. 1990 wurden 6 700 nach Liechtenstein Einpendelnde festgestellt, im Jahr 2001 waren es beachtliche 13 000. Diese Entwicklung setzt sich durch ihre Stetigkeit deutlich von jener in der schweizerischen Bodenseeregion ab. Wie in der Schweiz sind auch im Fürstentum die meisten Grenzgänger im sekundären Sektor tätig (Schaubild 4).

Anders als in der Schweiz dominieren die Wirtschaftsbereiche »elektronische Geräte, Feinmechanik, Optik«, »Immobilien, Informatik, Dienstleistungen für Unternehmen« und »Maschinenbau«.

Zwischen 1990 und 2001 erlebte Liechtenstein in allen Sektoren einen deutlichen Zuwachs an Grenzgängern. Den größten Anstieg um mehr als 300 % erfuhr der tertiäre Sektor, darunter einen besonders starken Zuwachs um 350 % der Handel. Überraschenderweise sind mit über 1 100 Personen relativ viele Liechtensteiner »im benachbarten Ausland« beschäftigt.

»Trennender« Einfluss des Bodensees für den deutschen Teil der Bodenseeregion

Im Jahr 2001 pendelten insgesamt fast 1 800 Grenzgänger in die deutsche Bodenseeregion, die meisten aus Österreich (1 448). Aus der Schweiz fanden 320 Grenzgänger eine Arbeit in Deutschland, die meisten kamen aus dem Thurgau. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten ist der Grenzgängeranteil mit 0,3 % in den deutschen Landkreisen der Bodenseeregion verschwindend gering. Am bedeutendsten ist die Beschäftigung von Grenzgängern noch im Landkreis Lindau; dort kommt etwa jeder fünfzigste Beschäftigte aus einem anderen Land der Bodenseeregion. Überraschend ist der geringe Anteil von Grenzgängern im Bodenseekreis, obwohl dort größere Industriebetriebe angesiedelt sind. Hier wirkt der Bodensee eher »trennend« als verbindend.

In Deutschland gibt es je nach Herkunft der Grenzgänger recht unterschiedliche Entwicklungen. Der relativ starke Anstieg von Grenzgängern aus der Schweiz wurde vor allem durch deutsche Staatsbürger bewirkt, 9 von 10 Einpendler aus der Schweiz haben einen deutschen Pass. Dies legt den Schluss nahe, dass hier vor allem steuerliche und versicherungsrechtliche Vorteile die Grenzgängerzahlen bestimmen.

Die meisten der 1 800 Einpendler in die deutschen Kreise der Bodenseeregion sind im sekundären Sektor beschäftigt (Schaubild 5). Zahlenmäßig bedeutender als die Einpendler sind die Auspendler. Insgesamt hatten im Jahr 2001 über 7 000 Personen aus dem deutschen Teil der Bodenseeregion einen Arbeitsplatz im benachbarten Ausland. Sehr bedeutend ist die Zahl der Auspendler aus den Landkreisen Konstanz und Lindau. 2001 pendelten fast 5 900 Personen aus dem Landkreis Konstanz in die Schweiz. Gemessen an den Beschäftigten dieses Landkreises war das fast

jeder Zwanzigste. Hauptziel ist vor allem der Kanton Thurgau (2 594), gefolgt von Schaffhausen (2 009). In den Kanton Zürich pendeln 934 Personen aus dem Landkreis Konstanz.

15 000 Auspendler aus Vorarlberg, aber nur 800 Einpendler

Insgesamt pendelten im Jahr 2001 gut 800 Personen nach Vorarlberg. Die überwiegende Mehrheit (ca. 700 Personen) kam aus Deutschland, 93 Personen kamen aus der Schweiz und 28 aus Liechtenstein. Aufgrund der unzureichenden Datenlage lässt sich nur wenig über die Struktur der Pendlerbewegung nach Vorarlberg sagen. Im Jahr 1997 waren 45 % der Einpendler im sekundären Sektor und 53 % im tertiären Sektor beschäftigt.3

Bedeutend ist die Zahl der Auspendler aus Vorarlberg in die angrenzenden Staaten. Insgesamt waren dies fast 15 000 Personen. Ziel der Auspendler sind vor allem das Fürstentum Liechtenstein und der Kanton St. Gallen. Bezogen auf die Beschäftigung in Vorarlberg ergab dies eine Quote von beachtlichen 10 %. Dies bedeutet, dass auf zehn Beschäftigte in Vorarlberg ein Auspendler kommt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die 35 000 Pendler über die Staatsgrenzen der Bodenseeregion einen bedeutenden Faktor auf den regionalen Arbeitsmärkten darstellen. Einmal als Auspendler wie in Vorarlberg und dem Landkreis Konstanz, andermal als Einpendler wie in Liechtenstein und den Schweizer Kantonen. Dabei finden die Grenzgänger vor allem im sekundären Sektor ihre Beschäftigung. Auffallend ist die trennende Kraft des Bodensees für den Arbeitsmarkt. Ob sich letzteres durch die schnelleren Fährverbindungen ändern wird, muss abgewartet werden.

1 Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, Verarbeitendes Gewerbe, Energie und Wasserversorgung, Baugewerbe

2 Handel; Instandhaltung von Kraftfahrzeugen und Gebrauchsgütern; Gastgewerbe; Verkehr und Nachrichtenübermittlung; Kredit- und Versicherungsgewerbe; Vermietung, Informatik, Dienstleistungen für Unternehmen; Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung; Erziehung und Unterricht; Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen; Erbringung von sonstigen öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen; Private Haushalte.

3 Vgl.: Berndt, 1997: »Quantitative Erfassung und Analyse der Pendlerströme von Süddeutschland nach Vorarlberg«; Studie im Auftrag des Arbeitsmarktservice Vorarlberg.