:: 2/2006

Reform der Unternehmensstatistik für den Bereich des Verarbeitenden Gewerbes

Immer wieder stehen die Industriestatistiken, wenn es um Statistikabbau geht, an vorderster Stelle, auch nachdem in den letzten Jahren einige Entlastungserfolge erzielt wurden.1 Eine von den Leiterinnen und Leitern der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurde gegen Ende 2004 mit dem Projektauftrag »Reform der Unternehmensstatistik« betraut. Die bisher erarbeiteten Ergebnisse wurden auf einem Nutzerworkshop im Dezember 2005 in Berlin den Nutzerkreisen im Bund und in den Ländern vorgestellt. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die wichtigsten Ergebnisse für den Bereich der Industriestatistiken. Kernpunkt ist hier ein neues konjunkturstatistisches Modell, das alle Betriebe unter 50 Beschäftigten von monatlichen Berichtspflichten entbindet. Die eingehenden Untersuchungen für alle Länder zeigen, dass hiermit nicht nur ein hoher Entlastungseffekt erzielt, sondern auch die Ergebnisqualität gehalten werden kann. So bleibt – trotz der erheblichen Einschnitte auch für die Länder – eine Konjunkturanalyse nach Wirtschaftsabteilungen möglich und die Strukturbeobachtung im bisherigen Umfang ungeschmälert erhalten.

Statistiken sind laufend einem vielfältigen Spannungsfeld ausgesetzt. Es konkurrieren die Nutzer, die möglichst alles datenmäßig nachgewiesen haben wollen, die Befragten, die Erhebungen, obwohl sie auch zu ihrem Nutzen konzipiert sind, häufig als unverhältnismäßig belastend empfinden, und nicht zuletzt auch die öffentliche Hand, die die Finanzmittel für die Statistischen Ämter bereitzustellen hat. Statistiken sind natürlich auch dem Wandel sowohl der Erkenntnisziele als auch der Technik und der Methoden von Erhebung und Aufbereitung unterworfen. Daher haben sich auch Unternehmensstatistiken generell und besonders die Industriestatistiken2 regelmäßig der Aufgabenkritik zu stellen.

Industriestatistik im Brennpunkt der Reformdiskussion

Auslöser für eine grundlegende Reform der Unternehmensstatistik waren zuletzt vor allem die »Initiative Bürokratieabbau« der Bundesregierung und der Masterplan der Statistischen Ämter als Reaktion auf die kritischen Empfehlungen der Rechnungshöfe im Jahr 2003. Die Industriestatistik steht besonders im Brennpunkt der Kritik. Denn zum einen sind die Unternehmen in diesem Statistikbereich erheblich stärker durch primärstatistische Erhebungen belastet als in anderen Statistikbereichen. Das liegt zum einen an den zahl- und umfangreichen Industriestatistiken und hier insbesondere an den monatlichen Konjunkturerhebungen mit hohem Repräsentationsgrad selbst. An erster Stelle ist hier der Monatsbericht für Betriebe (MB) zu nennen, für den eine Meldepflicht für alle Betriebe ab 20 Beschäftigten besteht. Zum anderen werden die Industrieunternehmen aber auch durch Erhebungen anderer Statistikbereiche (zum Beispiel Verdiensterhebungen, Umwelterhebungen) zusätzlich belastet.

Dann steht die Industriestatistik auch deshalb im Blickfeld, weil sie erheblich besser und differenzierter ausgebaut ist als die anderer Wirtschaftsbereiche. Das wird besonders am Beispiel des MB deutlich, der als »Mädchen für alles« dient. Die Urväter dieser Erhebung – sie hieß früher Industriebericht – wählten nämlich aus der Sicht der Bewirtschaftungszeit in den Nachkriegsjahren eine Konzeption, die monatlich Entwicklungs- und Strukturdaten bis in alle sektoralen und regionalen Verästelungen zulässt. Diese Situation ist bis heute unverändert und in keinem anderen Statistikbereich anzutreffen.

In anderen Wirtschaftsbereichen (zum Beispiel Handel, Dienstleistungen) wird von den Erhebungsinhalten und -umfängen her klar zwischen kurzfristigen Konjunkturerhebungen mit deutlich geringerem Repräsentationsgrad und jährlichen Strukturerhebungen unterschieden. Diese Unausgewogenheit wird mittlerweile noch stärker empfunden, weil die einst dominierende Stellung des Verarbeitenden Gewerbes in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat. So hat sich sein Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung bundesweit seit 1960 mittlerweile auf 22 % nahezu halbiert.

Reformziele und Rahmenbedingungen

Im Herbst 2004 wurde von den Leitungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder ein Projektauftrag mit folgenden Reformzielen verabschiedet:

  • Bürokratieabbau durch Senkung der Belastung bei den befragten Unternehmen,
  • Wahrung der Ergebnisqualität,
  • Kostensenkung bei den Statistischen Ämtern.

In der von den Amtsleitern eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Reform der Unternehmensstatistik« (BLAG) bestand vor diesem Hintergrund von vornherein Einvernehmen, dass im Bereich der Industriestatistiken die Entlastung von Primärerhebungen absolute Priorität haben muss. Denn nur so kann es gelingen Ressourcen freizusetzen, die für den Ausbau und die Verbesserung anderer Statistiksysteme, insbesondere des Unternehmensregisters, dringend benötigt werden. Die Überlegungen der BLAG waren dabei an folgende Rahmenbedingungen geknüpft:

  • Konjunktur- und Strukturverordnungen der EU (KVO, STVO),
  • Eckpunkte der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder (WMK),
  • Anforderungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Bundes und der Länder,
  • Beibehaltung der Systemeigenschaften der Industriestatistik (i-Punkt Seite 4).

Die KVO und die STVO regeln in erster Linie das Programm der von den Mitgliedsstaaten zu liefernden Merkmalsinhalte und die Periodizitäten. Die WMK hatte im Herbst 2004 folgende Eckpunkte für den Bedarf an unterjährigen und jährlichen Informationen festgelegt:

  • Unterjährige Informationen sind erforderlich fürdie Konjunkturbeobachtung und die Schnellrechnung der VGR,die Konjunkturanalysen der Länder auf Zweistellerebene der Wirtschaftszweigklassifikation.
  • Jährliche Informationen werden benötigt fürAnalysen der Wirtschaftsstruktur, des Strukturwandels, Standortanalysen und Wirtschaftsverflechtungen,Strukturanalysen sektoral auf Vierstellerebene und auf Kreisebene.

Daraus folgt für die Industriestatistik und insbesondere für den MB, dass unterjährige – also im Wesentlichen monatliche – Informationen nur für die Konjunkturbeobachtung und auf Länderebene nur für Wirtschaftsabteilungen3 (WZ-Zweisteller) benötigt werden. Es wird also weder für Länder noch für kleinere regionale Einheiten ein Bedarf an unterjährigen Strukturinformationen, das heißt an monatlich regional und sektoral differenzierbaren Ergebnissen im bisherigen Umfang gesehen. Die Anforderungen an die jährlichen Informationen decken sich dagegen weitgehend mit dem Datenangebot, das bereits zur Verfügung steht.

Überlegungen zu einem Reformmodell

Unter diesen Gegebenheiten konzentrierten sich die Reformüberlegungen im Hinblick auf das Oberziel »Entlastung« auf die Industrieerhebungen, bei denen sich die Berichtskreisumfänge am effektivsten reduzieren lassen. Ein Blick auf die Zahl der Erhebungseinheiten der verschiedenen Industriestatistiken und mehr noch auf die Zahl der Meldungen pro Jahr – wodurch die tatsächlich gefühlte Belastung der befragten Firmen noch besser wiedergegeben wird – macht deutlich, dass eine substanzielle Entlastung an den kurzfristigen Erhebungen und hier in erster Linie an dem MB ansetzen muss. Denn von den insgesamt 164 000 Meldungen pro Jahr entfallen alleine fast 63 % auf diese Erhebung.

Grundsätzlich wird die Belastung für die Befragten sowie der Erhebungs- und Aufbereitungsaufwand für Wirtschaftsstatistiken in Grenzen gehalten, indem anstelle der Erhebung aller Einheiten nur eine Teilerhebung durchgeführt wird, die ein möglichst repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit liefert. Teilerhebungen können in Form von Zufallsstichproben oder Totalerhebungen mit Abschneidegrenze (i-Punkt) oder einer Kombination von beiden Verfahren durchgeführt werden. Seit einiger Zeit bahnt sich, nachdem die amtliche Unternehmensstatistik bisher überwiegend durch primärstatistische Erhebungen geprägt war, ein Umdenken in Richtung verstärkter Nutzung von ohnehin an verschiedenen Stellen (zum Beispiel Bundesagentur für Arbeit, Finanzbehörden) vorhandenen Verwaltungsdaten an. Ziel ist dabei letztlich ein optimaler Methoden-Mix von so viel sekundärstatistischer Datenverwendung wie möglich und so wenig primärstatistischer Datengewinnung wie unumgänglich.

Allerdings scheidet die Verwaltungsdatennutzung für den Bereich der Industrie weitgehend aus, weil das Verwaltungsdatenangebot mit dem industriestatistischen Datenkranz kaum vereinbar ist. Es enthält beispielsweise keine Angaben für Auftragseingänge und Umsätze nach fachlichen Betriebsteilen und gegliedert nach Inland, Ausland und darunter zusätzlich nach EURO-Gebiet und sonstigem Ausland oder Produktionsangaben nach Menge und Wert. Hinzu kommt, dass die Verwaltungsdatenlieferungen den Terminanforderungen speziell der Konjunkturstatistiken nicht annähernd genügen können. Da Zufallsstichproben für industriestatistische Konjunkturerhebungen wenig geeignet sind (i-Punkt), entschied sich die BLAG auf die Anhebung der Abschneidegrenze im Rahmen des bestehenden Systems. Zunächst führten die Überlegungen zu einer eher moderaten Lösung mit einer Anhebung beim MB auf 30 Beschäftigte für alle Betriebe. Im Hinblick auf einen substanziellen Entlastungseffekt waren außerdem zusätzlich auch bei den Produktionserhebungen Einschnitte ins Auge gefasst worden.

Doch weder eine Periodizitätsverlängerung der Vierteljährlichen Produktionserhebung (VP) auf eine Jahreserhebung noch der Verzicht auf die Monatliche Produktionserhebung (MP) bei gleichzeitiger Integration in die Vierteljahreserhebung hielt den Argumenten der VGR des Bundes bzw. der Deutschen Bundesbank stand. Unter den Alternativen4 mit ähnlich hohem Entlastungspotenzial hat sich die BLAG schließlich für die Anhebung der Abschneidegrenze auf 50 Beschäftigte ausgesprochen.5 Die Kernpunkte der neuen Konzeption für die Industriestatistiken sind:

  • Die allgemeinen Grundsätze der Berichtskreisabgrenzung, das Unternehmenskonzept und die allgemeine Abschneidegrenze ab 20 Beschäftigten (20+), bleiben erhalten.
  • Die Abschneidegrenze wird aber speziell für die monatlichen Konjunkturstatistiken MB und MP für alle Betriebe, also auch für die Zweigbetriebe, auf 50 Beschäftigte (50+) angehoben.
  • Alle von der monatlichen Berichtspflicht befreiten Betriebe melden nur noch einmal jährlich bzw. nur vierteljährlich.
  • Die Ergebnisse der neuen Jahresmeldung (JBB) für die ehemaligen MB-Melder liegen bis Ende des 1. Quartals des Folgejahres vor. Die Jahresstatistik wird auf die Merkmale Beschäftigte, Umsatz, Auslandsumsatz (jeweils ohne Unterteilung nach fachlichen Betriebsteilen) und gezahlte Entgelte begrenzt. Diese zusätzliche Jahresstatistik ist unumgänglich, um in Kombination mit den über den MB mit 50+ ermittelten Jahresdaten das von der WMK geforderte komplette jährliche Informationsangebot in sektoraler und regionaler Hinsicht sicherzustellen. Diese Jahresdaten entsprechen im Wesentlichen den derzeitigen Gegebenheiten und damit den Länderinteressen, nicht zuletzt auch aus der Sicht der VGR der Länder.

Auswirkungen und Konsequenzen des Reformvorschlags

Weniger Statistik heißt im Allgemeinen auch weniger Information. Der Vorschlag führt – wie alle überprüften Alternativen auch – zu Informationseinbußen, vor allem gemessen an den bisher veröffentlichten Monatsergebnissen. Die Informationsverluste fallen in Abhängigkeit von der jeweiligen Wirtschaftsabteilung (WZ-Zweisteller) unterschiedlich hoch aus. Natürlich sind die kleinbetrieblich stärker geprägten Zweisteller – zum Beispiel »Ernährungsgewerbe«, »Holzgewerbe«, »Glasgewerbe, Herstellung von Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden«, »Herstellung von Metallerzeugnissen« – hiervon am meisten betroffen. Die Gegenüberstellung der verringerten Umsatzrepräsentation bei 50+ und des sektoralen Umsatzanteils am Verarbeitenden Gewerbe macht darüber hinaus deutlich:

1. Alle Wirtschaftsabteilungen büßen mehr oder minder deutlich an Repräsentation im Vergleich zum derzeitigen Zustand ein. Im Durchschnitt verringert sich die Umsatzrepräsentation bei einer Erfassungsuntergrenze von 50+ gegenüber 20+ in Baden-Württemberg um 6,5 % (Bund 6,8 %).

2. Überdurchschnittlich starke Informationsverluste bei den bedeutenderen Abteilungen betreffen nur das »Ernährungsgewerbe« (15) und die »Herstellung von Metallerzeugnissen« (28).

Aus Punkt 1 folgt, dass die bislang übliche Darstellung von monatlichen Strukturergebnissen nicht mehr sinnvoll ist. Die traditionelle Veröffentlichungspraxis von sektoral und regional differenzierten absoluten Monatsergebnissen wird also nicht aufrecht zu erhalten sein.6 Stattdessen werden Indizes, Messziffern und Veränderungsraten in den Monatsbetrachtungen zu verwenden sein. Dies entspricht allerdings durchaus den Vorgaben der WMK und auch die KVO setzt lediglich monatliche Ergebnisse in dieser Form voraus.

Die Informationsverluste fallen auch in den Ländern unterschiedlich hoch aus, wobei weniger die Landesgröße als vielmehr die jeweilige Branchenstruktur entscheidender ist. So schneiden die zu den Kleinen zählenden Länder Bremen und das Saarland bezüglich der Repräsentationseinbußen besser als die meisten größeren Länder ab. Eine deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (93,2 %) liegende Umsatzrepräsentation ist dagegen in den ostdeutschen Ländern zu beobachten. Hier wird der Brancheneinfluss augenscheinlich. Denn während in Bremen (Straßenfahrzeugbau, Schiffbau) und im Saarland (»Straßenfahrzeugbau«, »Metallerzeugung/-verarbeitung«) mit jeweils 60 % die Großindustrie dominiert, stehen in Mecklenburg-Vorpommern (»Ernährungsgewerbe«, »Holzgewerbe«, »Herstellung von Metallerzeugnissen«) die Umsätze eher kleinbetrieblich geprägter Branchen mit einem Anteil von 50 % im Vordergrund.

Vorteile und Eignung

Den genannten Einschränkungen stehen allerdings enorme Entlastungseffekte und andere Vorteile gegenüber. Angesichts der hauptsächlichen Reformziele und der formulierten Rahmenbedingungen und den danach definierten Erkenntniszielen der Konjunkturanalyse überwiegen eindeutig die positiven Effekte:

  • Von den derzeit 8 530 Betrieben in Baden-Württemberg (Bund 48 000) können 4 100 oder 48 % (Bund 52 %) von Monatsberichtsmeldungen befreit werden.
  • Insgesamt entfallen damit über 49 000 Monatsmeldungen zum MB. Hinzu käme der Wegfall weiterer 4 000 Meldungen bei der MP. Die zur Sicherstellung des jährlichen Informationsbedarfs für die sektorale und regionale Strukturanalyse unverzichtbare Jahresmeldung der Betriebe mit 20 bis 49 Beschäftigten fällt mit knapp 4 100 Meldungen dagegen kaum ins Gewicht.
  • Alle Klein- und Kleinstbetriebe, also auch die Zweigbetriebe mit 1 bis 49 Beschäftigten, werden von monatlichen Berichtspflichten befreit.
  • Insgesamt könnte das gesamte Berichtssystem der Industriestatistiken damit in Baden-Württemberg per saldo von 164 000 um 48 000 Meldungen auf 116 000 Meldungen oder um fast 30 % reduziert werden.
  • Auf der Habenseite bleibt ebenfalls, dass die Quartalsergebnisse der Produktionserhebungen im bisherigen Umfang erhalten und so die vor allem von Verbandsseite gewünschten Marktanalysen sogar unterjährig möglich bleiben.
  • Trotz der zum Teil beträchtlichen Einschnitte bei den absoluten Merkmalswerten, das heißt trotz geringerer Repräsentation, lässt sich das Konjunkturgeschehen realistisch und im Wesentlichen ebenso treffend wie bei der derzeitigen Abschneidegrenze beschreiben.
  • Der letzte Punkt ist entscheidend, denn er macht die Realisierung des Modells 50+ überhaupt erst möglich. Denn nur unter der Bedingung, dass die Zeitreihen den Anforderungen der WMK für die unterjährigen Informationen auch bei einer Erfassungsgrenze von 50+ genügen, ist neben dem Oberziel Entlastung auch die nicht minder wichtige Ergebnisqualität zu gewährleisten. Diese misst sich allerdings unter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr an der Zuverlässigkeit und Vollständigkeit monatlicher Strukturdaten, sondern an der Eignung für konjunkturanalytische Zwecke.

Die Untersuchungen für diesen entscheidenden Punkt erstreckten sich auf alle 28 Wirtschaftsabteilungen des Bundes und aller Länder.7 Hierfür wurden für den Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004 Messzifferreihen für den Umsatz8 auf der Basis 2002: = 100 jeweils für die Berichtskreise 20+ und 50+ gebildet und gegenübergestellt. Bereits der optische Eindruck lässt erkennen, dass für die großen und die besonders konjunkturrelevanten Wirtschaftsabteilungen keine gravierenden Abweichungen festzustellen sind, durch die die Konjunkturanalyse ernsthaften Schaden erleiden würde.

Über die optische Beurteilung hinaus wurden die Unterschiede zwischen den Zeitreihen der beiden Berichtskreiskonzepte gemessen. Wir haben uns hierfür an den Genauigkeitsanforderungen der Europäischen Zentralbank (EZB) orientiert. Danach sind zum Beispiel für den Produktionsindex für das Verarbeitende Gewerbe insgesamt im Jahresdurchschnitt zwischen dem vorläufigen und endgültigen Indexstand Abweichungen von bis zu +/- 1 Prozentpunkt zulässig. Übertragen auf die Abweichungen zwischen den Zeitreihen für 20+ und 50+ ergibt sich, dass dieses Qualitätskriterium in Baden-Württemberg

1. sogar in keinem der einzelnen 36 Monate auch nur annähernd verletzt wurde. Die höchste Abweichung in einem Einzelmonat beträgt 0,5 Prozentpunkte, in zwei Drittel der Fälle maximal 0,2 Prozentpunkte.

2. sogar für die Ebene der meisten Zweisteller und – noch wichtiger – besonders für alle ergebnisrelevanten und besonders konjunkturreagiblen Wirtschaftsabteilungen erfüllt wird.

Lediglich fünf Wirtschaftsabteilungen, die nicht einmal 5 % des Gesamtumsatzes auf sich vereinigen, weisen höhere Abweichungen auf. In größerem Umfang tritt dies nur bei der »Gewinnung von Steinen und Erden« und in der Wirtschaftsabteilung »Recycling« auf. Beide Zweisteller sind wegen ihrer Geringfügigkeit (Anteil jeweils 0,2 %) hier nicht näher aufgeführt und die Recyclingbranche wird ohnehin bei der nächsten Überarbeitung der Wirtschaftszweigklassifikation ab 2007 wieder aus dem Verarbeitenden Gewerbe ausgegliedert. In den anderen drei Fällen liegen die Abweichungen zwischen 1 und 2 Prozentpunkten. Der darunter einzig nennenswerte Zweisteller, das Verlags- und Druckgewerbe mit einem Strukturanteil von derzeit 2,7 %, wird bei der anstehenden Novellierung der Wirtschaftszweigklassifikation um das Verlagsgewerbe, das wieder dem Dienstleistungsbereich zugeordnet werden wird, reduziert.

Modellergänzung der Deutschen Bundesbank

Das von der BLAG empfohlene Reformmodell knüpft an jahrzehntealte Vorschläge an.9 Die Diskussion auf dem Nutzerworkshop (siehe Fußnote 5) vermittelte den Eindruck, dass insbesondere der Monatsbericht, der dem Spagat10 zwischen einer engen, Terminen unterworfenen Konjunkturerhebung und einer sektoral und regional extrem differenzierten monatlichen Strukturerhebung ausgesetzt ist, in dieser Form nicht mehr für zeitgemäß gehalten wird.

Auch die Deutsche Bundesbank schließt sich dem Vorschlag an und spricht sich bezüglich der Produktionserhebungen für folgende Modifikation aus:11

  • Auf die Berichtskreisabgrenzung für die monatliche Erhebung nach der 75%-Grenze wird verzichtet. Stattdessen werden alle Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten zur MP herangezogen.
  • Alle anderen Betriebe melden zur Vierteljährlichen Produktionserhebung.Die Variante hat einen kleinen Schönheitsfehler. Während gegenwärtig nur 30 % aller zu den beiden Produktionsstatistiken meldepflichtigen Betriebe (8 100) melden, unterliegen nach diesem Modell gut die Hälfte der monatlichen Erhebung. In Baden-Württemberg wären davon 1 800 Betriebe betroffen. Allerdings stehen dem beträchtliche Vorteile gegenüber:
  • Das Modell 50+ anstelle des Konzentrationsverfahrens mit der 75%-Grenze bedeutet eine erhebliche Verbesserung der Repräsentation der monatlichen Produktionsergebnisse und damit auch der Ergebnisse des monatlichen Produktionsindex.
  • Für alle monatlichen Industriestatistiken gilt eine einheitliche Erfassungsgrenze. In dem BLAG-Modell gab es dagegen Monatsmelder beim MB, die aber nur vierteljährlich Produktionsmeldungen liefern mussten.
  • Die aufwändige jährliche Berichtskreisabgrenzung nach dem 75%-Kriterium entfällt für die Statistischen Landesämter ebenso wie der häufigere Wechsel zwischen monatlicher und vierteljährlicher Meldeweise für die in diesem Grenzbereich liegenden Firmen, was diesen ohnehin nur schwer vermittelbar ist. Per saldo kompensieren der deutliche Qualitätsgewinn und die Vorteile der Vereinfachung und Vereinheitlichung die Einschränkung des Entlastungserfolges.

Fazit

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ergebnisse für Baden-Württemberg im Großen und Ganzen auf die anderen Länder übertragbar sind. Bis auf einen Fall wird das 1%-Punktkriterium von allen Ländern erfüllt. In 12 Ländern, darunter auch kleinen, wird sogar nicht einmal eine durchschnittliche Abweichung von 0,5 Prozentpunkten erreicht. Alle anderen Denkmodelle – ob Methoden-Mix oder Stichproben oder gar eine Kombination von beidem – würden zu einer Erosion des industriestatistischen Systems führen. Dagegen bietet das Reformmodell der BLAG speziell im Hinblick auf die informationelle Infrastruktur der Länder ein Optimum:

  • Es können alle Reformziele erreicht werden, denn das Modell 50+ bringt unter den vertretbaren Varianten ein Höchstmaß an Entlas-tung. Das gilt auch in der ergänzten Version der Deutschen Bundesbank, die Qualität der unterjährigen Informationen für die Konjunkturanalyse und der jährlichen Informationen für die Strukturanalyse können jeweils adäquat sichergestellt werden, eine Ressourcenverlagerung zu anderen Statistikbereichen ist möglich.
  • Eine Umsetzung ist rasch anzustreben und möglich, denn unter organisatorisch-technischen Gesichtspunkten könnte das Reformmodell bereits zu Beginn des Jahres 2007 realisiert werden,eine Verschiebung über 2007 hinaus birgt die Gefahr der Kollision mit der »Operation 2007«, also der Novellierung der Wirtschaftszweig- und Güterklassifikationen. Das hätte zur Folge, dass die reform- und die novellierungsbedingten Zeitreihenbrüche nicht exakt zu trennen und demzufolge nicht sachgerecht darzustellen sind.

Für den Bereich der Industriestatistik haben die Statistiker ihre Aufgaben getan. Jetzt sind die Entscheidungsträger an der Reihe.

1 Erhebliche Reduzierung bei den Produktionserhe-bungen (Steiger, Hans-Hermann: Die neuen Produktionserhebungen – ein wichtiger Schritt zur »Verschlankung« der Industrieberichterstattung, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 1/99, S.12 ff).Periodizitätsverlängerung der monatlichen Erhebung für Mehrbetriebsunternehmen auf eine Jahreserhebung. Wegfall der Erhebung für industrielle Kleinbetriebe.

2 Unter Industriestatistiken werden im Folgenden die Statistiken des Verarbei-tenden Gewerbes (Abschnitt D) sowie des Berg-baus und der Gewinnung von Steinen und Erden (Abschnitt C) laut Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 verstanden. Die Bezeichnung Verarbeitendes Gewerbe schließt hier im Allgemeinen die Daten des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden mit ein. Diese definitorische Unschärfe ist aber in An-betracht eines Umsatzan-teils von 0,3 % in Baden-Württemberg vertretbar.

3 In der Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ) unterscheidet man im Industriebereich unter anderem 28 Wirtschaftsabteilungen (WZ-Zweisteller) und fast 260 Wirtschaftsklassen (WZ-Viersteller).

4 Die Berechnungen für alle untersuchten Varianten nach Ländern und Wirtschaftsabteilungen wurden vom Statistischen Bundesamt unter Leitung von Frau Dr. Jung durchgeführt. Hierfür hatten die Statistischen Landesämter das erforderliche Datenmaterial für die Jahre 2002 bis 2004 zur Verfügung gestellt.

5 Steiger, Hans-Hermann: Reformpotenzial im Be-reich der kurzfristigen Industriestatistiken, Vortrag auf dem Nutzerworkshop »Reform der Unternehmensstatistik«, veranstaltet von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Reform der Unternehmensstatistik (BLAG) am 15./16.12.2005 in Berlin

6 Wer dennoch unvollständige absolute Daten für 50+ oder unter Verwendung von Vorjahresrelationen hochgeschätzte Absolutzahlen verwenden möchte, muss sich der methodischen Einschränkungen bewusst sein bzw. deutlich auf diese hinweisen.

7 Besonders danken möchte ich Frau und Herrn Dr. Bald-Herbel vom Statistischen Bundesamt für die Unterstützung und die seit vielen Jahren außerordentlich kollegiale Zusammenarbeit.

8 Im Statistischen Bundes-amt wurden auch Aufbereitungen für den Auftragseingang mit übereinstimmenden Ergebnissen durchgeführt.

9 Ander, Albert: Kann die amtliche Industriestatistik bei den heutigen Anforderungen noch vereinfacht werden? Gedanken und Vorschläge zu einem alten Thema, in: Jahrbücher für Statistik und Landeskunde von Baden-Württemberg, 10. Jahrgang, Stuttgart 1966, S. 5 ff.

10 Steiger, Hans-Hermann: Was wäre wenn…? Anre-gungen zur Novellierung der Industrieberichterstattung, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 4/1997, S. 159 ff.

11 Kirchner, Robert: Gedanken zur Abschneidegrenze für die monatliche Produktionserhebung, Diskussionsbeitrag auf dem Nutzerworkshop a.a.O.