:: 2/2006

Neue Serviceleistung des Statistischen Landesamtes für Kommunen – Das Projekt »Kommunale Familienpolitik«

Familienpolitik steht angesichts der Prognoseszenarien zur demografischen Entwicklung in Deutschland weit vorne auf den politischen Agenden. Sie gilt als wichtiger Ansatzpunkt einer Politik, die angemessen auf die demografischen Entwicklungstrends reagiert. Das Projekt »Kommunale Familienpolitik«, das die FamilienForschung Baden-Württemberg seit Anfang 2004 im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg bearbeitet, unterstützt die Kommunen des Landes bei ihrer politischen Arbeit in diesem Politikfeld. Im Rahmen des Projekts werden Serviceleistungen entwickelt und angeboten, die es kommunalen Entscheidungsträgern erleichtern, trotz knapper Mittel Qualitätssteigerungen in der lokalen Familienpolitik zu erreichen. Das Projekt ist Teil der Initiative »Kinderland Baden-Württemberg« der baden-württembergischen Landesregierung.

Die demografische Herausforderung

Dass unserer Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten ein folgenreicher demografischer Wandlungsprozess bevorsteht, ist mittlerweile auf allen politischen Entscheidungsebenen anerkannt. Die Bevölkerungsentwicklung Baden-Württembergs wird grundsätzlich durch drei zentrale Faktoren bestimmt:

  • durch die Entwicklung der Geburtenrate,
  • durch die Entwicklung der Lebenserwartung,
  • und durch die Nettozuwanderung.

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg geht für die nächsten Jahrzehnte von einer anhaltend niedrigen Geburtenrate von 140 Kindern je 100 Frauen aus, einem Niveau, das deutlich unter dem zur Bestandserhaltung erforderlichen Wert von 210 Kindern je 100 Frauen liegt. In Bezug auf die Lebenserwartung rechnen wir bis 2050 bei den Frauen mit einer Zunahme um 4,5 Jahre, bei Männern sogar um etwa 5,5 Jahre. Die zukünftige Entwicklung von Zu- und Abwanderungsströmen ist schwieriger abzuschätzen. Das Statistische Landesamt geht in einer Vorausrechnung davon aus, dass Baden-Württemberg auch in Zukunft Wanderungsgewinne von durchschnittlich 38 000 Personen pro Jahr haben wird.1

Vor diesem Hintergrund erwarten wir für Baden-Württemberg bis 2050 einen Bevölkerungsrückgang. Die eigentliche Brisanz der demografischen Entwicklung liegt in den zu erwartenden Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung: Der Anteil älterer Menschen wird aller Voraussicht nach im Verhältnis zum Anteil Jüngerer stark ansteigen. Es zeichnet sich außerdem ab, dass die beschriebenen Trends regional sowohl ihrer Stärke als auch ihrer Dynamik nach unterschiedlich ausfallen werden.

Wir gehen von einer Reihe gesellschaftlich problematischer Konsequenzen dieser Entwicklung aus, die kaum ein politisches Handlungsfeld unberührt lassen werden2 (i-Punkt).

Die Auswirkungen des demografischen Wandels machen sich nur langsam bemerkbar. Auf lange Sicht aber werden sie die Chancen und Entwicklungspotenziale Baden-Württembergs entscheidend beeinflussen. Verantwortungsbewusstes und vorausschauendes politisches Handeln steht deshalb heute in der Pflicht, die durch die demografische Entwicklung entstehenden Probleme zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen zu entschärfen. Auf Bundes- und Länderebene besteht ebenso Handlungsbedarf wie im kommunalen Bereich (i-Punkt).

Erfolgreiche Familienpolitik trägt langfristig dazu bei, die Folgen der demografischen Entwicklung zu bewältigen: Sie schafft bessere Lebensbedingungen für Familien und damit die Voraussetzungen für eine Trendwende hin zu einem zahlenmäßig ausgewogeneren Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Gesellschaftsmitgliedern. Die hohen Erwartungen, die wir in eine erfolgreiche Familienpolitik setzen, scheinen deshalb berechtigt zu sein, weil sich nach wie vor eine deutliche Mehrheit der jüngeren Frauen und Männer in Deutschland Kinder wünscht.3

Warum kommunale Familienpolitik?

Der demografische Wandel wird in Baden-Württembergs Kommunen tendenziell zu einer Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung führen. Wie stark diese Entwicklung jeweils ausfällt, hängt von den speziellen Rahmenbedingungen in den einzelnen Kommunen ab.4 Grundsätzlich gilt aber, dass eine Bevölkerungsschrumpfung bei gleichzeitiger Strukturveränderung »mehr Alte – weniger Junge« langfristig aufgrund von Nachfrageveränderungen einen Um- bzw. Rückbau kommunaler Infrastrukturen erforderlich macht. Sie führt außerdem zu einer Verknappung von Arbeitskräften und zu einer Verschärfung der Standortkonkurrenz unter den Kommunen. Erfolgreiche Familienpolitik trägt unter diesen Umständen dazu bei, Familien durch verbesserte Lebensbedingungen vor Ort zu halten bzw. als Neubürger zu gewinnen. Für ortsansässige Unternehmen steigen dadurch die Chancen, angesichts eines wachsenden Fachkräftemangel geeignete Arbeitskräfte zu finden. In Anbetracht der angespannten kommunalen Haushaltslage lassen sich außerdem durch wirksame familienpolitische Maßnahmen Ausgaben zum Beispiel in den Bereichen Sozialhilfe, Jugendhilfe, Altenhilfe und Kriminalitätsbekämpfung dadurch reduzieren, dass die Familien in der Ausübung ihrer Rolle als Wertvermittlungsinstitution gestärkt und unterstützt werden. Darüber hinaus hat kommunale Familienpolitik das Potenzial, in den Kommunen bürgerschaftliches Engagement, sozialen Zusammenhalt und Integrationsfähigkeit zu fördern.5

Wege zur erfolgreichen kommunalen Familienpolitik

Kommunale Familienpolitik ist also für jede Kommune eine sinnvolle Zukunftsinvestition. Diese Konstellation ist der Ausgangspunkt für die Konzeption des Projekts »Kommunale Familienpolitik«, das die FamilienForschung Baden-Württemberg seit Anfang 2004 im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg bearbeitet. Im Rahmen des Projekts werden Serviceangebote entwickelt und angeboten, die die Kommunen in Baden-Württemberg bei der Planung und Durchführung von familienpolitischen Maßnahmen unterstützen und trotz knapper Mittel zu Qualitätssteigerungen in der kommunalen Familienpolitik beitragen. Generell gilt: Kommunale Familienpolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Ein verhältnismäßig großer Gestaltungsspielraum und Gestaltungsbedarf trifft auf in der Regel knappe finanzielle Mittel und begründet ein besonderes Maß an Unterstützungsbedarf. Deshalb hat die FamilienForschung Baden-Württemberg für kommunale Entscheidungsträger, familienpolitische Akteure im kommunalen Bereich und für interessierte Bürger folgende Angebote entwickelt.

Servicebaustein 1: Internetportal »Familienfreundliche Kommune«

Das Portal www.familienfreundliche-kommune.de besteht seit März 2004. Es bündelt aktuelle Fachinformationen und -daten zum Thema kommunale Familienpolitik, bereitet sie praxisgerecht auf und stellt sie kostenlos zur Verfügung. Herzstück des Portals ist eine aktuell 100 Einträge umfassende Datenbank mit besonders innovativen Praxisbeispielen kommunaler Familienpolitik aus ganz Baden-Württemberg. Die Praxisbeispiele werden entlang einer einheitlichen Struktur aufbereitet und präsentiert. Dadurch ist die Grundlage für eine differenzierte Informationsrecherche geschaffen, wie sie angesichts der regional unterschiedlich stark ausgeprägten Schrumpfungs- und Alterungstendenzen für die regionale Planung im Bereich Familienpolitik zunehmend erforderlich sein wird. Das Portal wird außerdem in Zukunft eine Sammlung nützlicher Informationen zum Thema kostengünstige Finanzierungsmöglichkeiten für Maßnahmen kommunaler Familienpolitik bieten.

Dass das Informationsangebot des Portals bei den Adressaten auf reges Interesse stößt, dokumentiert sich in den seit Projektstart eingegangenen 850 Rückmeldungen aus den Kommunen mit Informationen zu familienpolitischen Maßnahmen vor Ort. Den Infobrief des Portals zu aktuellen Entwicklungen in der kommunalen Familienpolitik haben zur Zeit nahezu 1 000 Gemeinden und Städte Baden-Württembergs, also rund 90 %, abonniert. Insgesamt beziehen gegenwärtig rund 1 500 Abonnenten den Infobrief. 2005 konnte der Bekanntheitsgrad des Portals weiter gesteigert werden: Die durchschnittliche monatliche Zahl der Seitenabrufe stieg gegenüber 2004 um 57 %. Rückmeldungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass das Portal auch bundesweit Beachtung gefunden hat.

Servicebaustein 2: Veranstaltung von Zukunftswerkstätten

Als weitere Unterstützungsleistung für die Kommunen hat die FamilienForschung Baden-Württemberg das Konzept der Zukunftswerkstätten »Familienfreundliche Kommune« entwickelt. Die Zukunftswerkstätten sorgen unter professioneller Begleitung durch die FamilienForschung vor Ort für eine pragmatische Verwirklichung von mehr Bürgerbeteiligung bei der Zieldefinition für und bei der Planung von familienpolitischen Maßnahmen. Eine Zukunftswerkstatt »Familienfreundliche Kommune« ist eine ca. sechsstündige moderierte Veranstaltung, die engagierte Bürgerinnen und Bürger einer Kommune versammelt, um gemeinsam konkrete Ziele und Realisierungsschritte für die lokale Familienpolitik zu erarbeiten. Die Arbeitsergebnisse werden dokumentiert und in der Regel direkt von kommunalen Organen, wie dem Gemeinderat oder speziellen Arbeitsgruppen, zur Weiterverarbeitung aufgegriffen. Die Zukunftswerkstätten »Familienfreundliche Kommune« stärken bürgerschaftliches Engagement, erschließen Praxiswissen und Bedarfslagen der Bürgerinnen und Bürger und sorgen so für größere Treffsicherheit und Akzeptanz kommunaler Familienpolitik. Seit Juni 2005 wurden im Rahmen eines Modellprojekts im Ortenaukreis in Kooperation mit dem Ortenauer Bündnis für Familien sechs Zukunftswerkstätten erfolgreich durchgeführt (Meißenheim, Kehl, Seelbach, Berghaupten, Willstätt, Lahr).6 Für 2006 sind zehn weitere Veranstaltungen in ganz Baden-Württemberg geplant.

Servicebaustein 3: Öffentlichkeitsarbeit kommunale Familienpolitik

Darüber hinaus ist die FamilienForschung Baden-Württemberg mit Vorträgen und einem Infostand auf Fachveranstaltungen vertreten, um dem Thema kommunale Familienpolitik in seinem Zusammenspiel mit der demografischen Entwicklung durch die Präsentation eigener Forschungsergebnisse zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen und auf die eigenen Serviceangebote für den kommunalen Bereich hinzuweisen. So zum Beispiel auf der Fachmesse »Zukunft Kommune 2006« am 16./17. Mai 2006 in Stuttgart, im Rahmen der Zukunftswerkstatt »Familienfreundliches Pforzheim« der Stadt Pforzheim am 29. April 2006 und auf dem Treffen des Netzwerkknotens der baden-württembergischen Bündnisse für Familie am 30. März 2006 in Stuttgart.

Kommunale Familienpolitik – ein Modethema?

Zurückgehende Kinderzahlen sind als Grundtendenz der demografischen Entwicklung keine auf Baden-Württemberg oder Deutschland beschränkte Erscheinung. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich mit zunehmender Modernisierung für sämtliche Industrienationen feststellen. Zugleich wächst durch die Globalisierung der Bedarf nach hoch qualifizierten Arbeitskräften, die allein durch ein leistungsfähiges staatliches Bildungssystem nicht hervorgebracht werden können. Intakte und als Sozialisationsinstanz erfolgreiche Familien mit Kind(ern) sind und bleiben die Grundvoraussetzung für das künftige Wohlergehen unserer Gesellschaft. Kommunale Familienpolitik wird auch deshalb auf lange Sicht ein wichtiges Politikfeld bleiben, weil die Lebensbedingungen von Familien vor Ort entscheidend beeinflusst werden können. Die Angebote der FamilienForschung Baden-Württemberg tragen dazu bei, dass die Kommunen in Zukunft auch angesichts knapper Mittel Verbesserungen der Lebensbedingungen von Familien bewerkstelligen können.

1 Vorausrechnung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, Variante 1, Basis 2001.

2 Ein Überblick zum Thema gesellschaftliche Auswirkungen des demografischen Wandels findet sich in: Cornelius, Ivar (2005): Die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg – Eine Herausforderung. Statistische Analysen 3/2005, Stuttgart: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.

3 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) (2005): The Demographic Future of Europe – Facts, Figures, Policies: Ergebnisse der Policy Acceptance Study (PPAS); Bien, Walter/Marbach, Jan H. (Hrsg.) (2003): Partnerschaft und Familiengründung – Ergebnisse der dritten Welle des Familien-Survey, Opladen: Leske & Budrich.

4 Für einen Überblick zum Thema Vorausrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen und Kommunen Baden-Württembergs siehe: Brachat-Schwarz, Werner (2005): Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung bis 2020, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2005, S. 19 ff.

5 Eine ausführlichere Argumentation zum Kosten-Nutzen-Verhältnis kommunaler Familienpolitik findet sich bei: Lipinski, Heike (2005): Familienfreundliche Kommune: Luxus oder Notwendigkeit in finanziell schwierigen Zeiten?, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2005, S. 15 ff.

6 Vgl. Ridderbusch, Jens: Zukunftswerkstätten »Familienfreundliche Kommune« – Kommunen entwickeln Konzepte für mehr Familienfreundlichkeit, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2005, S. 15 ff.