:: 5/2007

Frankreich: Ein Staat, der Lust auf Kinder macht

Familienpolitik in Deutschland und Frankreich

Madame Durand aus Paris hat schon während der Schwangerschaft ihren Nachwuchs für einen Krippenplatz angemeldet. Sie braucht sich um ihre berufliche Zukunft keine Sorgen zu machen, denn die gewünschte Kinderbetreuung ist ihr gewiss. Frankreich steht mit Kindergeld, steuerlichen Vergünstigungen und einem umfassenden Angebot an vorschulischen und schulischen Einrichtungen den Eltern hilfreich zur Seite. Damit gilt Frankreich als familienpolitisches Musterland. Obwohl die Frauenerwerbsquote hoch ist, gebären in keinem anderen europäischen Land die Frauen so viele Kinder wie in Frankreich. Der Konflikt zwischen Familie auf der einen und Beruf auf der anderen Seite wird scheinbar in Frankreich besser entschärft als in Deutschland.

Babyboom und Bevölkerungswachstum statt Geburtendefizit und Einwohnerrückgang; Frankreich hat bei der demografischen Entwicklung einen anderen Weg eingeschlagen als Deutschland. 2005 wurden in Frankreich 807 000 Kinder geboren, über 120 000 mehr als in Deutschland, und dies obwohl in Deutschland fast 20 Mill. Einwohner mehr leben als beim westlichen Nachbarn. Nach neuesten Angaben des staatlichen französischen statistischen Instituts INSEE kann Frankreich mit einem neuen Geburtenrekord im Jahr 2006 aufwarten: Erstmals seit drei Jahrzehnten wurden wieder durchschnittlich mehr als zwei Kinder je Frau im gebärfähigen Alter geboren. Damit löst Frankreich voraussichtlich Irland als »Europameister« im Kinderkriegen ab und hat wieder das Bestandserhaltungsniveau erreicht.

Keine Trendwende bei den Geburten in Deutschland

Deutschland gehört zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa. Während Frauen des Geburtsjahrgangs 1935 in fast allen europäischen Ländern im Durchschnitt mehr als 2,1 Kinder zur Welt brachten und damit über dem Bestandserhaltungsniveau der Bevölkerung lagen, trifft das für spätere Jahrgänge immer weniger zu. Ein Rückblick auf die Geburtenziffern in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zeigt einen rapiden Rückgang von 2,5 Kindern, dem höchsten Wert Mitte der 60er-Jahre, auf 1,2 Kinder im Jahr 1994, den niedrigsten Wert. Seitdem bewegt sich die zusammengefasste Geburtenziffer zwischen 1,2 und 1,4 Kindern je Frau. In Baden-Württemberg verlief die Geburtenentwicklung parallel zu Deutschland, aber auf einem geringfügig höheren Niveau.

Auch in Frankreich war im langfristigen Vergleich ein Rückgang der Geburtenziffern zu verzeichnen, bei Weitem aber nicht so ausgeprägt wie in Deutschland. In den letzten Jahren ist in Frankreich jedoch wieder ein Anstieg der Geburtenziffer zu beobachten. Brachten 1994 die französischen Frauen nur 1,7 Kinder zur Welt, sind es mittlerweile schon knapp über zwei Geburten (2,07) je Frau.

In Deutschland und Frankreich bekommen Frauen ihre Kinder immer später. 1980 wurden in beiden Ländern noch ca. 70 % der Kinder von Frauen zwischen 20 und 29 Jahren geboren, 2005 waren es in Deutschland und in Frankreich nur noch ca. 45 % der Kinder. Vor allem die 35- bis 39-jährigen Frauen bekommen mehr Kinder. Während 1980 nur jede zwanzigste Geburt auf diese Altersklasse entfiel, war es 2005 fast jede fünfte in Deutschland und jede sechste in Frankreich.

»Rabenmütter« in Frankreich unbekannt

Die Situation einer berufstätigen Mutter in Frankreich unterscheidet sich grundsätzlich von der einer deutschen Mutter. Wurden im Nachkriegsdeutschland noch die »3 K«»Kinder, Küche und Kirche« propagiert, hat die Politik in Frankreich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bereits seit den 60er-Jahren gefördert. Dadurch ist es für die Französin tendenziell leichter, Kinder und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Berufstätige Mütter sind in Frankreich selbstverständlich und müssen sich nicht rechtfertigen, wenn sie ihren Beruf nicht für ihre Kinder aufgeben möchten. Ihr Prestige ist sogar höher, wenn sie erwerbstätig sind statt zu Hause ausschließlich die Kinder zu betreuen. Das diskriminierende Wort »Rabenmutter« ist bei unserem westlichen Nachbarn nahezu unbekannt, wohl aber das Gegenteil, die »mère poule«, die Mutterglucke, die ihre Kinder nicht loslassen will. Wie vergleichsweise schwer Kinder und Beruf in Deutschland zu vereinbaren sind, wird an der Veränderung der Erwerbstätigkeit von Frauen sichtbar, wenn sie Kinder haben. Kinderlose deutsche Frauen waren 2005 zu über 60 % erwerbstätig, in Frankreich waren es 55 %. Aber kaum sind Kinder da, zieht sich die deutsche Frau im Unterschied zur französischen häufig aus dem Erwerbsleben zurück. Die Erwerbstätigenquoten französischer Frauen mit Kindern im Alter zwischen 0 und 14 Jahren liegen, unabhängig von der Kinderzahl, immer deutlich über denen in Deutschland. Während Mütter in Frankreich erst mit der Geburt des dritten Kindes ihre Erwerbsbeteiligung reduzieren, sinkt sie bei deutschen Müttern schon mit der Geburt des ersten Kindes erheblich.

Außerdem fällt auf, dass der Kinderwunsch in Frankreich mit zunehmender Bildung und gehobener Berufsposition nicht, wie vermutet werden könnte, sinkt, sondern im Gegensatz zu Deutschland sogar steigt. Kinder sind in Frankreich kein Karrierehindernis. Gut ausgebildete Frauen, die in Deutschland höchstens ein Kind zur Welt bringen, um ihre berufliche Zukunft nicht zu gefährden, können in Frankreich ganz beruhigt zwei oder mehr Kinder bekommen, denn der Staat unterstützt die Frauen sehr intensiv. Kinder gelten in Frankreich als gesellschaftlicher Segen. Sie sind im Gegensatz zu Deutschland nicht Privatsache, sondern Teil des öffentlichen Lebens und Familienförderung ist Gemeinschaftsaufgabe.

Heute liegt Frankreich in Europa in Sachen Kinderbetreuung und bei der finanziellen Unterstützung für Familien mit an der Spitze.

Die drei Säulen der Familienförderung in Frankreich

  • 1. Geldleistungen,
  • 2. ein umfassendes Betreuungssystem,
  • 3. ein spezielles Familienbesteuerungssystem.

Zu den Barleistungen für Familien, auf die in der Vergangenheit Deutschland bei der Familienpolitik die Schwerpunkte gesetzt hat, zählen unter anderem das Kindergeld und das Erziehungsgeld. In welcher Höhe und wie lange die Familien in Frankreich vom Staat finanziell unterstützt werden, knüpft in der Regel an der Kinderzahl an. Viele Leistungen werden erst ab dem zweiten Kind gewährt, beispielsweise das Kindergeld. Das ist einmalig in Europa. Dadurch erfolgt eine gezielte Förderung der Mehrkindfamilie. So erhält eine französische Familie mit zwei Kindern monatlich 119 Euro Kindergeld, mit drei Kindern sind es aber schon 272 Euro.

Wichtig für den Kindersegen in Frankreich ist aber vor allem die zweite Säule des französischen Leistungssystems, das umfassende Kinderbetreuungsangebot. Es orientiert sich an drei Altersgruppen. Kinder unter 3 Jahren können in privaten oder öffentlichen Kinderkrippen betreut werden. Für fast jedes vierte französische Kleinkind besteht die Möglichkeit eine derartige Einrichtung zu besuchen und es steht zusätzlich noch ein engmaschiges Netz an staatlich geprüften Tagesmüttern zur Verfügung. In Baden-Württemberg besuchte im Jahr 2006 jedes 11. Kind unter 3 Jahren eine Tagesbetreuung. Ab dem 3. Lebensjahr gehen 99 % der französischen Kinder in die Vorschule, die sogenannte »école maternelle«, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Diese ist ganztägig und für die Eltern kostenlos.

Auch in Baden-Württemberg ist der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz umgesetzt worden, aber er ist weder kostenlos noch in der Regel ganztägig. Im Landesdurchschnitt gibt es inzwischen mehr Kindergartenplätze als Kinder im Kindergartenalter. Für Kinder ab 6 Jahren sind Ganztagsschulen in Frankreich selbstverständlich, ein Mittagessen, sportliche Betätigung und pädagogische Betreuung eingeschlossen. Mittlerweile wird auch in Deutschland verstärkt die Einrichtung von Ganztagsschulen gefördert.

Die dritte Säule des französischen Leistungssystems ist die Familienbesteuerung. Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich kein Ehegatten-, sondern das sogenannte Familiensplitting. Die Berechnung des Steuersatzes erfolgt durch die Einbeziehung eines Familienquotienten, der abhängig von der Zahl der unter 18-jährigen Kinder ist. Als Faustregel gilt, dass eine Familie mit drei Kindern, die über ein mittleres Einkommen verfügt praktisch keine Steuern mehr zahlt.

Bessere Rahmenbedingungen für Familien in Frankreich?

Im Jahr 2006 liegt die französische Geburtenrate bei über 2 Kindern je Frau, während sie in Deutschland voraussichtlich auf niedrigem Niveau verharrt. Es ist schwierig Gründe für diesen Unterschied zu finden. Sie scheinen jedoch nicht auf religiöse Überzeugungen oder heile Familienstrukturen zurückzuführen zu sein. Die Scheidungsrate liegt auch in Frankreich auf hohem Niveau und die Zahl der Alleinerziehenden und unverheirateten Eltern wächst stetig. Fast jede zweite Geburt in Frankreich ist außerehelich, in Deutschland dagegen nur knapp jede dritte. Die Mischung aus umfangreichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, finanzieller Unterstützung für Familien und gesellschaftlicher Anerkennung des Kinderreichtums tragen offensichtlich dazu bei, dass der französischen Frau die Entscheidung für Nachwuchs leichter fällt als der deutschen. Über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in Frankreich nicht diskutiert, sie wird praktiziert – und dies quer durch alle Schichten und Parteien akzeptiert.