:: 2/2008

Das WO und WIE des Flächenverbrauchs – Ergebnisse aus 25 Jahren Flächenerhebung

»Flächenverbrauch« ist ein Begriff, der in der Öffentlichkeit oftmals mit negativen Empfindungen belegt ist. Dabei träumen nicht wenige von einem Eigenheim, möglichst in Einzellage mit größerem Garten. Und mancher Bürgermeister freut sich, wenn seine Wirtschaftsförderung Erfolg hatte und ein neuer Gewerbe- oder Industriebetrieb in der Gemeinde ansässig wird. Das Urteil kann im Einzelfall je nach Standpunkt also ganz unterschiedlich ausfallen.

Interessant, ja geradezu spannend kann es sein, sich mit dem Phänomen des Flächenverbrauchs zu beschäftigen. Dabei wird unter »Flächenverbrauch« die Umwidmung von vormals naturnaher land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche zu siedlungsbezogener Nutzung verstanden. Die erste Frage ist zunächst, ob der Flächenverbrauch überhaupt zu quantifizieren ist? Und wie so oft lautet die Antwort frei nach Radio Eriwan: »Im Prinzip ja, aber…!«

Datenquelle über die Flächennutzung und deren Veränderung ist die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung (i-Punkt), die mittlerweile auf eine 25-jährige Geschichte zurückblickt und ihrerseits auf dem Liegenschaftskataster mit dem Flurstück als kleinster Darstellungseinheit beruht. Denn im Liegenschaftskataster werden sämtliche Flurstücke nach ihrer Lage, Art der Nutzung und Größe beschrieben und kartografisch dargestellt. Entscheidende Kenngröße zur Quantifizierung des Flächenverbrauchs ist die »Siedlungs- und Verkehrsfläche«, die sich aus der Gebäude- und Freifläche, der Betriebsfläche (ohne Abbauland), der Erholungsfläche, der Verkehrsfläche und der Friedhofsfläche zusammensetzt (i-Punkt). Ist am Ende einer Beobachtungsperiode die Siedlungs- und Verkehrsfläche einer Gemeinde, eines Kreises, einer Region, eines Bundeslandes größer als zu Beginn, drückt der Saldo den jeweiligen Flächenverbrauch aus.

Das Phänomen Flächenverbrauch: mehr als Versiegelung

Dabei ist Flächenverbrauch nicht gleich Flächenverbrauch. Flächenverbrauch kann vielfältige Ausprägungen haben. Klassisch in diesem Zusammenhang ist der Straßenbau oder die Erschließung neuer Wohngebiete. Aber auch eine neue Sportanlage oder ein Golfplatz sind Erscheinungsformen des Flächenverbrauchs. Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung ist »Flächenverbrauch« folglich keineswegs mit »Versiegelung« gleichzusetzen, also dem teilweise oder vollständigen Abdichten offener Böden. Denn die Siedlungs- und Verkehrsfläche umfasst in erheblichem Umfang auch Grün- und Freiflächen: Neben der Sportanlage und dem Golfplatz beispielsweise auch die mit der Bebauung verbundenen Haus- bzw. Nutzgärten und das Straßenbegleitgrün.

Aber nichtsdestotrotz ist die Versiegelung ein gewichtiger Teil des Flächenverbrauchs, und zwar sowohl vom absoluten Umfang her, als auch was die Auswirkungen auf die Umwelt anbelangt. Vonseiten der Raumordnung gibt es deshalb seit Längerem Bestrebungen, die Versiegelung nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu beschreiben. Mangels Originärdaten handelt es sich hierbei um Modellrechnungen, deren Ergebnisse häufig, ausgehend von einem räumlich eng begrenzten Feldversuch, auf eine größere Gebietskulisse projiziert und verallgemeinert werden.

Im Auftrag der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz (LABO) hat ein Expertengremium mit Vertretern aus Bund und Ländern nun ein Schätzverfahren entwickelt, mit dem bundesweit die »Versiegelung innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsfläche« auf Länderebene vergleichbar ermittelt werden kann1. Die Berechnung beruht in ihrem Grundgedanken auf einer von Christian Singer entwickelten Methode2, wobei den einzelnen Nutzungsarten der Flächenerhebung jeweils ein Versiegelungsanteil zugeordnet wird, der verdichtungsabhängig (bestimmt und berechnet als Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche der jeweiligen Regionaleinheit) variieren kann.

Versiegelte Fläche in Baden-Württemberg annähernd so groß wie die Region Nordschwarzwald

Wendet man diesen sogenannten UGRdL-Ansatz3 unter den baden-württembergischen Verhältnissen an, so leitet sich zum Stand vom Jahreswechsel 2006/2007 aus der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 493 600 Hektar (ha) und einem durchschnittlichen Versiegelungsanteil von 46 % eine versiegelte Fläche von rund 228 400 ha ab. Damit sind aktuell 6,4 % der Landesfläche (3,575 Mill. ha) bebaut, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig versiegelt.

Frühere Schätzungen des Statistischen Landesamtes auf der Grundlage von Modellrechnungen der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR; heutiges Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung)4 gingen von einem etwas höheren Versiegelungsanteil von 7 % der Landesfläche aus5. Die neue Berechnungsmethode bringt damit zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse, aber doch immerhin eine Bestätigung früherer Arbeiten.

Die neu entwickelte Berechnungsmethode ermöglicht als Momentaufnahme den Vergleich auf Ebene der Bundesländer. Wie bei anderen Fragestellungen nehmen die Stadtstaaten erwartungsgemäß auch bei der Versiegelung der Bodenfläche eine Sonderstellung ein, deren Versiegelungsquote um das 3-Fache höher ist als jene der am dichtesten besiedelten Flächenländer Nordrhein-Westfalen und Saarland. Die Versiegelungsquoten in den Bundesländern korrespondieren deutlich mit der Bevölkerungsdichte:

Die Versiegelung aber nur als Folge der Besiedelung zu begreifen, greift zu kurz. Denn bei annähernd gleicher Besiedelungsdichte hat beispielsweise Hessen mit 7,1 % eine deutlich höhere Versiegelungsquote als Baden-Württemberg (6,4 %).

Will man die Ergebnisse vergangener Flächenerhebungen gleichermaßen mit diesem Schätzverfahren aufbereiten, zeigen sich erste Unschärfen, weil die Versiegelungsanteile als statische und nicht als dynamische Determinanten angelegt sind. Entwicklungen in der Flächennutzung, die aber zugegebenermaßen eher langfristiger Natur sind, werden somit nicht entsprechend berücksichtigt: etwa der Trend zu kleineren Baugrundstücken und verdichteter Bauweise (Reihenhäuser statt Einzelhäuser) oder die Nachverdichtung älterer Wohngebiete. Die Versiegelung zeichnet in der Zeitreihenanalyse damit nur den Flächenverbrauch auf niedrigerem Werteniveau nach.

Die Modellannahmen, die auf der Ebene der Bundesländer zu plausiblen Ergebnissen führen, müssen nicht zwangsläufig auch für die detaillierte regionale Betrachtung geeignet sein. Die Versiegelungsanteile derselben Nutzungsart können von Region zu Region, ja sogar von Gemeinde zu Gemeinde stark differieren. Beispielsweise dürfte eine beengte Tallage tendenziell zu einer kompakten Bebauung und damit hohen Versiegelungsanteilen führen, während die offene Landschaft nur wenige Kilometer weiter eine großzügigere Bebauung erlaubt. Die Versiegelungsanteile sind niedriger, die insgesamt versiegelte Fläche wird dort in aller Regel höher sein.

Fazit: Der »Flächenverbrauch« wird auch weiterhin der zentrale Beurteilungsmaßstab für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden sein. Denn die Politik hat mit der Zielvorgabe der Bundesregierung den Flächenverbrauch bundesweit bis 2020 auf täglich 30 ha zu reduzieren6, die Messlatte gesetzt. Die »Versiegelung« wird hier auf absehbare Zeit nur ergänzende Hinweise hinsichtlich der Qualität der Flächennutzung geben können.

Regionale Aspekte der Flächennutzung für Siedlungs- und Verkehrszwecke

Zurück zu den Originärergebnissen der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung. Wie stellt sich die Flächennutzung gestern und heute dar? Welche Entwicklungslinien sind für die Flächennutzung seit 1980, also für einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren charakteristisch? Wo könnten die Ursachen liegen?

Deutlich heben sich in den Schaubildern 1 und 2 die Höhenzüge des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb ab, wo die Topografie quasi eine natürliche Barriere für jegliche Siedlungsaktivitäten bildet. Geringe Anteile der Siedlungs- und Verkehrsfläche finden sich zudem im Norden und Osten Baden-Württembergs ausgehend vom Odenwald über das Bauland bis zur Hohenloher Ebene und dem Ries sowie im Allgäu.

Keimzelle des Siedlungsgeschehens im Zentrum Baden-Württembergs ist die Landeshauptstadt, die, vergleichbar einer Krake, in alle Himmelsrichtungen meistens über die Täler, ihre Fangarme ausstreckt: so bis zur östlichen Grenze des Landkreises Göppingen, nach Süden mittlerweile bis in den Raum Villingen-Schwenningen/Donaueschingen. Im nordwestlichen Landesteil hat es den Anschein, als ob der Kraichgau von den großen Zentren Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Heilbronn aus »besiedelt« würde. Hinzu kommt ein Siedlungsband an der südlichen und westlichen Landesgrenze am Bodensee und entlang des Rheins. Ein weiteres scheint sich von Aalen über Heidenheim, Ulm und Biberach bis in den äußersten Süden nach Ravensburg und Friedrichshafen zu entwickeln.

Die Ursachen gibt es nicht

Die Ursachen der Siedlungsentwicklung sind vielschichtig und liegen in ihren Wurzeln teilweise schon lange zurück. Da sind etwa die großen Flüsse wie Rhein, Neckar oder Donau, wo der Warenverkehr auch über große Strecken einfacher zu bewältigen war als auf dem Landweg. Da war das Vorkommen von Bodenschätzen wie die Salzlagerstätten bei Heilbronn oder günstige natürliche Standortbedingungen für die vielfältigen Produktionsausrichtungen intensiver Landwirtschaft. Dies und anderes mehr führte zu lokalen Siedlungsschwerpunkten, die dann beginnend im Zeitalter der Industrialisierung zunächst durch Bahnlinien und später durch leistungsfähige Straßen vernetzt wurden. Geringere Baulandpreise in den kleineren Gemeinden bei ausreichend verfügbaren Flächenreserven bewirkten Suburbanisierungseffekte und zogen neben der Wohnbevölkerung auch Gewerbe- und Industriebetriebe an.

Wie eingangs erwähnt kann der Flächenverbrauch bzw. deren Nutzung für Zwecke von Siedlung und Verkehr vielfältige Ausprägungen haben. Rund 55 bis 60 % der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den Verdichtungsräumen (VR), deren Randzonen (RZ) und den Verdichtungsbereichen im Ländlichen Raum (VB) entfällt auf die Gebäude- und Freifläche. Beim Ländlichen Raum im engeren Sinne (LR.i.e.S.) sind es nur knapp die Hälfte, während andererseits hier für den Verkehr relativ mehr Fläche (46 %) als in den anderen Raumkategorien (32 bis 38 %) benötigt wird. Der Charakter des LR i.e.S. wird durch Freiflächen, also der Gesamtfläche ohne die Siedlungs- und Verkehrsfläche, bestimmt und hat damit von Natur aus bereits einen hohen Erholungswert. Dem Erholungsbedürfnis der Bevölkerung insbesondere der Verdichtungsräume muss dagegen durch spezielle Anlagen und Einrichtungen entsprochen werden. Über 7,5 % der Gesamtfläche in den VR sind Erholungsflächen gegenüber 5,8 % im RZ, 5,0 % im VB und 4,6 % im LR i.e.S.

Tempo und Richtung des Flächenverbrauchs

In der letzten Dekade von 1996 bis 2006 wurde im Südwesten eine Fläche von 39 300 ha »verbraucht«, das heißt sie wurde der naturnahen, zumeist landwirtschaftlichen Nutzung entzogen und zu siedlungsbezogener Nutzung umgewidmet. Der Löwenanteil von 26 700 ha ist heute Gebäude- und Freifläche, 6 200 ha werden für den Verkehr auf der Straße, der Schiene und in der Luft genutzt. Bei 5 500 ha steht der Erholungsgedanke im Vordergrund. Besonders augenfällig wird die Brisanz des Themas in den Agglomerationsräumen. Hier ist der Verdichtungsgrad allenthalben spür- und sichtbar. 1,6 % der Bodenfläche im Verdichtungsraum wurden in der letzten Dekade umgewidmet, gegenüber 1,3 % in den RZ bzw. den VB. Beim LR i.e.S. liegt die Quote mit 0,9 % vergleichsweise niedrig. Absolut gesehen wurde aber gerade dort am meisten Fläche (19 400 ha) verbraucht. 9 700 ha waren es im Verdichtungsraum, 6 700 ha in den Randzonen und 3 540 ha in den Verdichtungsbereichen im Ländlichen Raum. Das Thema Flächenverbrauch ist folglich nicht auf die verdichteten Bereiche beschränkt; es muss vielmehr auch in der Fläche als Problem begriffen werden, selbst wenn dort der Leidensdruck die Schmerzgrenze noch nicht erreicht hat.

1 Vgl. Frie, Britta und Hensel, Ralph: Schätzverfahren zur Bodenversiegelung: der UGRdL-Ansatz, Statistische Analysen und Studien Nordrhein-Westfalen, Band 44.

2 Singer, Christian: Stadt-ökologisch wertvolle Freiflächen in Nordrhein-Westfalen, ILS-Schrift-Nr. 96, Dortmund 1995.

3 Arbeitsgruppe Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder.

4 Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung: Ausmaß der Bodenversiegelung und Potenziale zur Entsiegelung, Bonn-Bad Godesberg 1996.Die Modellrechnungen beruhen auf Auswertungen von Versiegelungskartierungen, Länderstudien und eigenen Berechnungen.

5 Vgl. Statistik Aktuell – Trendwende beim Flächenverbrauch in Baden-Württemberg? Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Ausgabe 2005.

6 Die Bundesregierung (Hrsg.): Perspektiven für Deutschland. Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Berlin 2002.