:: 3/2008

Regionale Spezialisierung in Baden-Württemberg und Bayern 1999 bis 2006

Häufig wird der Branchenstruktur und dem Spezialisierungsgrad eine zentrale Bedeutung für das Leistungspotenzial und die Zukunftsfähigkeit einer Region zugeschrieben. Deshalb wird in diesem Beitrag die regionale Spezialisierung in den baden-württembergischen und bayerischen Kreisen untersucht. Ergebnis der Untersuchung ist, dass die baden-württembergischen Kreise im Durchschnitt etwas weniger stark spezialisiert sind als die bayerischen. Der am stärksten spezialisierte Kreis in Baden-Württemberg ist der Landkreis Tuttlingen, der am schwächsten spezialisierte Kreis ist der Landkreis Ravensburg. Zwischen 1999 und 2006 nahm der Spezialisierungsgrad im Durchschnitt der baden-württembergischen Kreise ab. Einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Spezialisierung und der Entwicklung der Beschäftigung lässt sich nicht belegen.

Der vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg veröffentlichte Branchenspiegel für die Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs stellte wiederholt die regionale Branchenstruktur im Land dar.1 Der Branchenspiegel basiert auf Daten zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem statistischen Unternehmensregister und belegt, dass das Gesundheitswesen in 21 der 44 Kreise im Land der beschäftigungsstärkste Wirtschaftszweig ist. Ergänzend dazu wird im vorliegenden Beitrag die regionale Branchenkonzentration aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht, wie stark das Branchenportfolio der Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs vom Bundesdurchschnitt abweicht. Damit hängt der Spezialisierungsgrad eines Kreises nicht allein von seiner Wirtschaftsstruktur ab, sondern von deren Divergenz vom Bundesdurchschnitt. Durch einen Vergleich mit den Kreisen in Bayern und einer Analyse der Entwicklung seit 1999 wird das Spezialisierungsprofil der baden-württembergischen Kreise zusätzlich verdeutlichet. Der Beitrag schließt mit einigen Schlussfolgerungen aus den Rechenergebnissen.

Regionale Spezialisierung in Baden-Württemberg etwas geringer als in Bayern

Die baden-württembergischen Kreise sind im Durchschnitt etwas weniger stark spezialisiert als die bayerischen. Dieser Befund ergibt sich aus der Berechnung des sogenannten Krugman-Spezialisierungs-Index (KSI), der sich im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2006 hierzulande auf 0,43 und in Bayern auf 0,48 belief.2 Der KSI ist ein häufig verwendetes Maß für die regionale Spezialisierung und gibt die Abweichung der Wirtschaftsstruktur einer Region von einem Durchschnittswert an. Als ausgewogener Vergleichsmaßstab bietet sich aufgrund ihrer Größe und Vielfalt die Bundesrepublik Deutschland an. Daher wurde im vorliegenden Beitrag die Wirtschaftsstruktur der baden-württembergischen und bayerischen Stadt- und Landkreise mit dem bundesdeutschen Durchschnitt verglichen. Der KSI kann Werte zwischen 0 und 2 annehmen. Basis für die Untersuchung waren Daten der Bundesagentur für Arbeit zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach 31 Wirtschaftszweigen für die Jahre 1999 bis 2006.

Nicht nur der Grad der regionalen Spezialisierung ist in Baden-Württemberg kleiner als in Bayern, auch die Spezialisierungsunterschiede zwischen den Kreisen sind hierzulande geringer. Der Variationskoeffizient, ein dimensionsloses Maß für die Streuung von Merkmalswerten um ihren Mittelwert, belief sich für die baden-württembergischen Kreise im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2006 auf 0,262 und war für die bayerischen Kreise mit 0,274 etwas höher.

Landkreis Tuttlingen ist am stärksten, Landkreis Ravensburg am wenigsten spezialisiert

Der am stärksten spezialisierte Kreis in Baden-Württemberg ist der Landkreis Tuttlingen. Im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2006 belief sich der KSI-Wert dort auf 0,75. Darin spiegelt sich die Tatsache wider, dass sich in Tuttlingen und Umgebung über viele Jahrzehnte um den ältesten Medizintechnikhersteller der Stadt, der Aesculap AG & CO. KG, den mit etwa 2 400 Mitarbeitern größten Arbeitgeber vor Ort, ein Medizintechnikcluster gebildet hat. Dieses besteht im Landkreis Tuttlingen aus rund 400 Betrieben, die unmittelbar mit der Herstellung von chirurgischen und medizintechnischen Erzeugnissen beschäftigt sind, sowie diversen Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen.3 Andere Kreise mit im Vergleich zum Landesdurchschnitt starker Spezialisierung sind der Enzkreis (Spezialisierung besonders auf Büro-, Elektro-, Feinmechanik, Optik), der Landkreis Böblingen (Spezialisierung besonders auf Fahrzeugbau), der Hohenlohekreis (Spezialisierung besonders auf Büro-, Elektro-, Feinmechanik, Optik) und der Landkreis Rastatt (Spezialisierung besonders auf Fahrzeugbau).

Auf der anderen Seite wies der Landkreis Ravensburg mit einem KSI-Wert von 0,25 die geringste Spezialisierung in Baden-Württemberg auf. Das bedeutet, dass die Wirtschaftsstruktur des Kreises Ravensburg von allen baden-württembergischen Kreisen am meisten dem bundesdeutschen Durchschnitt ähnelt. Weitere Kreise mit im Vergleich zum baden-württembergischen Durchschnitt geringer Spezialisierung sind der Stadtkreis Heilbronn, der Landkreis Konstanz, der Rhein-Neckar-Kreis, die Landkreise Calw und Ludwigsburg sowie der Stadtkreis Ulm.

In Bayern war die Spezialisierung im Landkreis Dingolfing-Landau im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2006 am stärksten ausgeprägt. Der KSI-Wert belief sich dort auf 1,10 und war damit wesentlich höher als in dem am stärksten spezialisierten baden-württembergischen Kreis Tuttlingen (0,75). Das bedeutendste Unternehmen im Landkreis Dingolfing-Landau ist das BMW-Werk in Dingolfing mit rund 20 000 Beschäftigten. Der am wenigsten stark spezialisierte bayerische Kreis ist der Landkreis Dachau mit einem KSI-Wert von 0,24.

Regionale Spezialisierung nimmt ab

Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Bayern nahm der Spezialisierungsgrad zwischen 1999 und 2006 ab. Der mit Beschäftigtenanteilen gewichtete durchschnittliche KSI-Wert sank im Untersuchungszeitraum hierzulande fast kontinuierlich, und dies stärker als in Bayern. In Baden-Württemberg war der insgesamt leichte Rückgang des Spezialisierungsgrads im Stadtkreis Heilbronn am stärksten ausgeprägt. Dagegen hat sich der Spezialisierungsindex im Landkreis Biberach entgegen dem Landestrend am stärksten erhöht. Insgesamt hat sich die Spezialisierung in 8 Kreisen des Landes verstärkt, während sie in den übrigen 36 Kreisen zurückging. In Bayern stieg der Spezialisierungsgrad in 26 Kreisen und nahm in den übrigen 70 Kreisen ab. Die größte Zunahme des Spezialisierungsindex verzeichnete in Bayern der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, die größte Abnahme der Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim in Westmittelfranken.

Beschäftigungsentwicklung ist tendenziell in Kreisen mit zunehmender Spezialisierung günstiger

In der regionalökonomischen Theorie wird häufig auf sogenannte positive Lokalisationseffekte verwiesen. Dies sind Effekte, die zwischen den Unternehmen derselben oder zwischen Unternehmen verwandter Branchen auftreten, sofern eine gewisse räumliche Konzentration gegeben ist. Ein eher historisches Beispiel war die Textil- und Bekleidungsindustrie und der Maschinenbau für Spinn-, Web- und Wirkmaschinen oder die Herstellung von Strick- und Wirknadeln um Albstadt. Ein aktuelles Beispiel ist das Biotechnologiecluster um Freiburg im Breisgau mit den universitären Instituten, einigen Start-up-Unternehmen und der Pharmaindustrie. Positive Lokalisationseffekte können aus der Generierung spezieller Zulieferindustrien, der Entstehung eines spezialisierten Arbeitsmarktes und fachlich spezialisierter FuE-Einrichtungen, Schulen, Universitäten und Konstruktionsbüros sowie aus sogenannten Wissensspillover resultieren. Wissensspillover sind Ausstrahlungseffekte, die über den formellen und informellen Informationsaustausch zwischen Unternehmen gleicher oder verwandter Branchen zu einer Senkung von Produktionskosten und einer Steigerung der Innovationstätigkeit und der Produktivität führen. Diese Effekte stellen sich insbesondere in Clustern innovativer Branchen ein, wie es sich beispielsweise im Landkreis Tuttlingen herausgebildet hat. Man könnte daher vermuten, dass ein hoher Spezialisierungsgrad eines Kreises mit einem höheren Wachstum einhergehen würde.

Diese Vermutung greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist ein hoher Spezialisierungsgrad keine hinreichende Bedingung für die Existenz eines Clusters. Für deren Entstehung bedarf es nämlich mehr als nur einer regionalen Ballung von Unternehmen der gleichen Branche. Außerdem gibt der Spezialisierungsindex keinerlei Auskunft, auf welche Branche sich ein Kreis spezialisiert hat. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass die Entwicklung der Beschäftigung zwischen 1999 und 2006 in den Kreisen, die 1999 als stark bzw. schwach spezialisiert klassifiziert wurden, keine Hinweise auf einen Einfluss des Spezialisierungsgrads erkennen lässt. Zwar entwickelte sich die Beschäftigung in den 1999 stark spezialisierten Kreisen mit einem Plus von 2,3 % wesentlich besser als in Baden-Württemberg insgesamt, wo die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 0,9 % abnahm. In den am schwächsten spezialisierten Kreisen war die Beschäftigungsentwicklung mit einem Rückgang von nur 0,7 % aber ebenfalls besser als im Landesdurchschnitt.

Interessant ist aber, dass zwischen der Veränderung des KSI-Werts und der Beschäftigungsentwicklung im Zeitraum 1999 bis 2006 ein positiver Zusammenhang besteht.4 Er kann dahingehend interpretiert werden, dass die Beschäftigungsentwicklung tendenziell in den Kreisen besser war, in denen die Abnahme des Spezialisierungsgrads gering war bzw. in denen der Spezialisierungsgrad gar zunahm.5

Zwei andere Studien kommen zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen: In der Publikation »Trends und Fakten 2007« weist das Statistische Landesamt Baden-Württemberg darauf hin, dass gerade starke Abweichungen der baden-württembergischen Kreise von der landesdurchschnittlichen Entwicklung üblicherweise nicht allein durch die Wirtschaftsstruktur zu erklären seien. Vielmehr zeige sich deutlich, dass neben der Wirtschaftsstruktur andere standortspezifische Faktoren die wirtschaftliche Entwicklung wesentlich bestimmten. Gerade Maßnahmen, die eine Stärkung der Innovations- und Investitionsfähigkeit der Unternehmen bewirken, würden die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflussen.6 Des Weiteren folgert das Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in einer Studie für baden-württembergische Kreise für die Jahre 1980 bis 2002, es bestehe zwischen dem Ausmaß der regionalen Branchenkonzentration und der Beschäftigungsentwicklung kein signifikanter Zusammenhang.7 Man könnte daher vermuten, dass die positiven Lokalisationseffekte durch Lokalisationsnachteile wieder zunichte gemacht werden. Nachteile einer starken regionalen Spezialisierung können steigende Lohnkosten, insbesondere für spezialisierte Fachkräfte, steigende Grundstückspreise, eine erhöhte Konjunkturanfälligkeit und ein erhöhtes langfristiges Risiko durch Strukturkrisen einzelner Branchen sein.

1 Vgl. Pressemitteilungen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg vom 25. September 2006 und vom 27. Juli 2007 und Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Statistik Aktuell – Branchenspiegel (Stand: Dezember 2007).

2 Jeweils mit Beschäftigungsanteilen gewichteter Durchschnittswert der entsprechenden Kreise.

3 Datenquelle: www.tuttlingen.de

4 Auf Basis des Korrelationskoeffizienten nach Bravais-Pearson.

5 Vgl. Südekum (2004), Concentration and Specification Trends in Germany since Reunification, HWWA Discussion Paper, 285. Die Studie kommt für Deutschland zu einem analogen Ergebnis.

6 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Trends und Fakten 2007, S. 71 (PDF).

7 Krumm, Raimund/Rosemann, Martin/Strotmann, Harald (2007), Regionale Standortfaktoren und ihre Bedeutung für die Arbeitsplatzdynamik und die Entwicklung von Industriebetrieben in Baden-Württemberg, in: Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (Hrsg.), IAW-Forschungsbericht Nr. 67, Tübingen, S. 145.